Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich
Behrendt, Wolfgang SPD 27. 11. 96*
Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 27. 11. 96*
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 27. 11. 96
90/DIE
GRÜNEN
Gysi, Andrea PDS 27. 11. 96
Dr. Hauchler, Ingomar SPD 27. 11. 96
Krüger, Thomas SPD 27. 11. 96
Lehn, Waltraud SPD 27. 11. 96
Lemke, Steffi BÜNDNIS 27. 11. 96
90/DIE
GRÜNEN
Rupprecht, Marlene SPD 27. 11. 96
Scheel, Christine BÜNDNIS 27. 11. 96
90/DIE
GRÜNEN
Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 27. 11. 96
Schumann, Ilse SPD 27. 11. 96
Thieser, Dietmar SPD 27. 11. 96
Tröger, Gottfried CDU/CSU 27. 11. 96
Vosen, Josef SPD 27. 11. 96
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 27. 11. 96
Wallow, Hans SPD 27. 11. 96
Weis (Stendal), SPD 27. 11. 96
Reinhard
Wieczorek (Duisburg), SPD 27. 11. 96
Helmut
Wittich, Berthold SPD 27. 11. 96
Wohlleben, Verena SPD 27. 11. 96
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zum Haushaltsgesetz 1997,
hier: Einzelplan 06 -Bundesministerium des Innern-,
zu dem Antrag: Vergütung der Mitglieder
der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des
Vermögens der Parteien und Massenorganisationen
der DDR beim Bundesministerium des Innern
sowie zu Einzelplan 33 - Versorgung -
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Einleitend
möchte ich einige grundsätzliche Anmerkungen zu
gerade im Einzelplan 06 vorhandenen wichtigen Beispielen zur Modernisierung und Flexibilisierung des Haushalts machen. Es gibt dort vier budgetierte Komplexe: erstens Bundeszentrale für politische Bildung, zweitens Bundesanstalt für die Sicherheit in der Informationstechnik, drittens Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums und viertens Bundesanstalt THW. Bei der Bundeszentrale und bei der Bundesanstalt für die Sicherheit in der Informationstechnik sind jeweils globale Minderausgaben mit 2,6 bzw. 2,37 Millionen DM ausgebracht. Dies ist in Ordnung, weil bei einer Budgetierung und der damit verbundenen selbstverantwortlichen Haushaltsführung eine Einsparrendite erwartet werden kann.
Dagegen greifen zwei weitere erheblich größere globale Minderausgaben in das Budgetrecht des Parlaments ein und bedürfen deshalb einer besonders kritischen Begleitung.
Erstens. Im Regierungsentwurf waren bereits 55,5 Millionen DM als globale Minderausgabe vorgesehen. Zwar muß das Parlament diese Minderausgabe global beschließen, aber dann entscheidet beim Haushaltsvollzug im Prinzip die Exekutive allein ohne parlamentarische Letztentscheidung, wie und wo diese 55,5 Millionen DM weniger ausgegeben werden. Globale Minderausgabe ist immer auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltsklarheit. Dies darf das Parlament nicht wollen. Ich bin dem Bundesinnenminister sehr dankbar, daß er bereit war, gemeinsam mit den Berichterstattern und damit gemeinsam mit dem Haushaltsausschuß und gemeinsam mit dem Parlament diese 55,5 Millionen DM zu belegen und damit vor der abschließenden Beschlußfassung des Haushalts im Parlament wegzuschaffen.
Zweitens. Die jüngste Steuerschätzung hat dieses Bemühen überrollt, und wir standen vor dem neuen Problem einer noch größeren globalen Minderausgabe. 150 Millionen DM kamen zu den 55,5 Millionen DM im Einzelplan 06 hinzu. Damit die Opposition nicht übermütig wird: Diese jüngste Steuerschätzung von unabhängigen Fachleuten hat nicht nur den Bund, sondern auch die 16 Länder in ihren Haushaltsberatungen unmittelbar getroffen. Wenn man also dem Bundesfinanzminister mangelnde Voraussicht vorwirft, gilt dies genauso für 16 Landesminister. Aber das eine ist so unseriös wie das andere.
Interessant ist nur, wie die Länder mit ihrem Finanzloch fertig werden: Da gibt es interessante Unterschiede. Für das Saarland etwa hat die dortige Finanzministerin kürzlich in der „Wirtschaftswoche", genau am 21. November 1996, kurz und bündig erklärt, die nach der neuesten Steuerschätzung fehlenden 50 Millionen DM würden nicht durch weitere Sparmaßnahmen gedeckt, das heißt ja wohl durch höhere Neuverschuldung, also durch Abwälzen auf die nächste Generation. In der Hansestadt Hamburg wird das Finanzloch nach den jüngsten Steuerschätzungen sehr seriös durch Einsparungen geschlossen - 200 Millionen DM weniger durch zusätzliche Einsparbemühungen, siehe „FAZ" vom 27. November 1996.
Wir haben uns im Bund auch für Einsparungen entschieden: zwar durch ungeliebte globale Minderausgaben, aber in enger Abstimmung mit dem Parlament, konkret mit den zuständigen Berichterstattern im Haushaltsausschuß aus allen Fraktionen, so wie wir das mit dem Innenminister bereits für die im Regierungsentwurf vorgesehene globale Minderausgabe verabredet hatten. Im übrigen hat der Bundesinnenminister bereits im Haushaltsausschuß - auch zur Zufriedenheit der Opposition - die Schwerpunkte genannt, die er bei der Belegung der globalen Minderausgabe setzen will.
Aber es gibt wahrlich bessere Vorschläge für Einsparungen und kostenbewußtes Haushalten als globale Minderausgaben. Der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" fordert eine möglichst flächendekkende Anwendung der Budgetierung. Doch Zauberworte wie „Budgetierung", „Flexibilisierung" und „Globalisierung" müssen immer am Budgetrecht des Parlaments gemessen werden. Dieses bleibt allem anderen übergeordnet. Wir werden deshalb als Berichterstattergruppe für den Einzelplan 06 im Haushaltsjahr 1997 mehrmals und regelmäßig mit dem Bundesinnenminister zusammenkommen und die Entwicklung der vier budgetierten Haushaltsteile kontrollierend begleiten. Vermehrte Budgetierung verlangt nach neuen Kontrollinstrumenten des Parlaments.
Im Haushalt des Bundesinnenministers gibt es mehrere Beispiele, wie im Rahmen des geltenden Haushaltsrechts durch größere Eigenverantwortung der Verwalter Flexibilisierung und Einsparungen erreicht werden:
Erstens. So konnten seit 1994 durch Titelzusammenlegungen und durch Bildung von gemeinsamen Töpfen 522 Einzeltitel wegfallen.
Zweitens. Andere Möglichkeiten ergeben sich durch erweiterte Deckungsmöglichkeit oder durch Freigabe zur Selbstbewirtschaftung, so in 33 Fällen im Einzelplan 06 zum Beispiel beim BGS, beim Bundesamt für Zivilschutz oder bei der Kulturförderung.
Drittens. Die überjährliche Nutzung von zurückfließenden Haushaltsmitteln ist zu nennen, was nebenbei auch ein gutes Medikament gegen das sogenannte Dezemberfieber ist.
Viertens. Ein letztes Beispiel ist die Koppelung der Ausgabenentwicklung an die Einnahmemöglichkeiten.
Ich weiß, daß solche haushaltsimmanenten Sparmöglichkeiten insbesondere die Verantwortung der Fachressorts stärken, wenn zum Beispiel bestimmte Einnahmen für Ausgaben bei verwandten Titeln gebraucht werden dürfen und nicht in den großen Topf des Gesamthaushalts fließen.
Ich will keinen Zweifel daran lassen, daß ich die Möglichkeiten der Budgetierung und Flexibilisierung und damit der größeren Wirtschaftlichkeit und der Chance von Einsparungen zunächst und vor allem innerhalb der Exekutive sehe. Dies halte ich auch für angemessen und richtig. Flexibilisierung des Haushalts darf grundsätzlich nicht zu Lasten des Entscheidungs- und Kontrollrechts des Parlaments
gehen. Wir müssen deshalb sehr darauf achten, daß die vielfältigen bisher nicht genutzten Möglichkeiten, über den Haushaltsvollzug zu mehr Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu kommen, vornehmlich das Zusammenspiel der Exekutive betreffen, wesentlich also die Eingriffsmöglichkeit des Finanzressorts in das Fachressort einschränken. Das Budgetrecht des Parlaments muß dabei unangetastet bleiben.
Nun noch zu einigen wichtigen Einzelpunkten, die sich nach der ersten Lesung am 11. September 1996 ergeben haben.
Trotz aller notwendigen Einsparungen bleibt ein Schwerpunkt bei der inneren Sicherheit, zum Beispiel der technischen Ausstattung von BKA und BGS. So werden die Mittel für den Bundesgrenzschutz auch in diesem Sparhaushalt nochmals verstärkt. Es ist wichtig, daß auch die notwendigen aktuellen Gesetzesvorhaben nicht an der Hürde des Bundesrates hängenbleiben, zum Beispiel BKA-Gesetz, Gesetz zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften.
Für den auftragsgemäßen Einsatz des BGS, zum Beispiel im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, ist die Verlegung innerdeutscher Standorte wichtig. Der Grenzschutz gehört an die Grenze und die Bahnpolizei auf die Bahn. Ich begrüße ausdrücklich, daß der Einzeldienst nicht nur an der östlichen Staatsgrenze verstärkt wird, sondern mit 750 Beamten auch an der Westgrenze, die noch immer von Schleppern und Dealern besonders frequentiert wird.
Stellenhebungen im mittleren Dienst des BGS sind auch über die jetzt vorgesehenen 350 Stellen notwendig, aber angesichts der derzeitigen Haushaltslage leider nicht machbar. Ich würde es aber ausdrücklich begrüßen, wenn der Regierung hier bei der Vorbereitung des nächsten Haushalts ein Durchbruch gelingen würde.
Auch der neue Haushalt sieht für die deutschstämmige Bevölkerung in Osteuropa weiterhin wichtige Hilfen vor, zum Beispiel über 40 000 außerschulische Sprachkurse. Die Verringerung der Aussiedleranträge im laufenden Jahr um 60 000 zeigt deutlich, daß auch die Investitionen in den Siedlungsgebieten Früchte tragen.
Ausgesprochen kontraproduktiv ist der Antrag der Landesregierung von Rheinland-Pfalz im Bundesrat, nach dem den Rußlanddeutschen kein kollektives Kriegsfolgenschicksal mehr zuerkannt werden soll. Wer den Menschen dort die gesetzliche Vermutung zur Feststellung ihrer Identität entzieht, zerstört wesentliche Perspektiven ihrer Zukunft. So wird nicht der Zuzug von Aussiedlern gebremst, sondern alle die, die seit langem ein Visum haben, werden zur sofortigen Reise nach Deutschland geradezu animiert. Der Umgang mit diesem Thema erfordert mehr Sensibilität, als sie bei dieser Bundesratsinitiative zum Ausdruck kommt.
Die Ansätze für Kultur konnten wieder durchweg im großen Einvernehmen veranschlagt werden. Ich halte diesen Bereich besonders wichtig beim Zusammenwachsen und Wiederfinden beider Teile
Deutschlands. So wird es nicht wundern, daß das so erfolgreiche Dach- und Fachprogramm zur Sicherung kleinerer Baudenkmäler in den neuen Bundesländern um 2 Millionen DM erhöht wird und daß zusätzlich in die Kulturförderung Projektmittelzuschüsse für Tübkes Bauernkriegsrotunde in Franken-hausen und für die Barlach-Gedenkstätte in Güstrow eingestellt werden konnten.
Im Rahmen der Förderung des Hochleistungssports hatte ich in der ersten Lesung endlich die verbindliche Vorlage einer Trainerkonzeption verlangt. Mit großer Anerkennung für die zügige Arbeit des Deutschen Sportbundes und der Fachabteilung des Bundesinnenministeriums können wir nach wenigen Monaten erfreut feststellen, daß jetzt ein schlüssiges Konzept vorliegt, das einen zeitgerechten Gleichklang von Trainern und Sportlern sichert. Aufgabenbezogene Trainerverträge werden künftig auf maximal 4 Jahre befristet ohne Anspruch auf einen Anschlußvertrag. Die Anstellung der Trainer erfolgt bei den Fachverbänden, denen Mittel als Pauschale zur Verfügung gestellt werden. Mit einer Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 15 Millionen DM für 1998 soll den Fachverbänden auch formal Planungssicherheit gegeben werden. Wir werden die Durchführung und Beachtung des Trainerkonzepts in den nächsten Jahren weiter verfolgen.
Die Sportförderung ist jedoch keine originäre Aufgabe des Bundes, sondern eine gesellschaftspolitische Frage, und damit aber auch nicht die lästige Pflicht einiger weniger, wie die Rückläufigkeit der Spendenbereitschaft der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren vermuten läßt. Dies führte sogar dazu, daß die Sporthilfe in der Vergangenheit auf ihre Rücklagen zurückgreifen mußte. Wenn wir diese Tendenz fortschreiten lassen, dann wird die Sportförderung in naher Zukunft in ihrem Bestand gefährdet sein, und immer mehr internationale Wettkämpfe werden ohne deutsche Beteiligung auskommen müssen. Diese Entwicklung darf aber auch nicht dazu führen, daß wir hier das französische System der Sportförderung kopieren und nur noch einige wenige, prestigereiche Sportarten fördern.
Wir müssen daher neue Wege zur Förderung des deutschen Hochleistungssports finden. Zum einen gilt es den Gedanken der Sportförderung breiter in die Bevölkerung zu tragen und zum anderen Möglichkeiten der Eigenfinanzierung aufzutun. Mein Vorschlag an dieser Stelle ist die Einrichtung eines Solidaritätsfonds. Durch Bundesmittel geförderte Sportler sollten bei Abschluß von Sponsorenverträgen in Millionenhöhe zum Beispiel entsprechende Fondszuschläge in die Abmachungen aufnehmen. Dies stärkt zum einen die Solidarität im deutschen Sport und bietet zum anderen den Verbänden die Möglichkeit der Eigenfinanzierung.
Ein positives Signal in diese Richtung hat jetzt der DFB gegeben. Bei zukünftigen Vertragswechseln von Spielern aus dem Amateur- in den Profibereich wird eine Ausbildungs- und Förderungsentschädigung von bis zu 100 000 DM fällig. Dieser wichtige Schritt zur Eigenfinanzierung der Sportförderung sollte seine Signalwirkung auch in den anderen Verbänden nicht verfehlen.
Dr. Hermann Kues (CDU/CSU): Erstens. Die Haushalts- und Finanzdebatten drohen dann langweilig zu werden, wenn sie nicht immer wieder in einen Gesamtzusammenhang eingebettet werden. Sie werden dann langweilig, wenn man sich in Zahlen verliert und nicht immer wieder deutlich macht, um was es eigentlich geht.
Darum geht es eigentlich: Wie bewältigen wir als Wohlstandsgesellschaft die unglaublichen volkswirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen für unser Wirtschafts- und Sozialsystem? Sind wir in der Lage, Ansprüche an den Staat zurückzunehmen, dieses als Politik auch ehrlich zu vertreten? Sind wir in der Lage, durch sinnvolles Sparen die Voraussetzung zu schaffen, daß wieder mehr investiert wird in Arbeitsplätze?
Daran besteht kein Zweifel: Es muß uns gelingen, eine - am besten über die Prognosen der Sachverständigen hinausgehende - wirtschaftliche Dynamik für die nächsten Jahre zu entfachen, weil nur so Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden können, weil nur so die Voraussetzungen gegeben sind, das soziale Netz nicht nur neu zu knüpfen, sondern für die wirklich Bedürftigen zu gestalten. Sündenbocktheorien helfen uns nicht weiter. Notwendig ist eine gewaltige Kraftanstrengung, um einen größeren Teil unserer Ressourcen umzuschichten in Richtung Zukunftsinvestitionen, in Richtung zukunftsfähiger Arbeitsplätze.
Sparen erfüllt hier auch keinen Selbstzweck, sondern hat geradezu eine moralische Begründung und eine Rechtfertigung darin, daß um der Zukunftsicherung und Weichenstellung willen schmerzliche Entscheidungen gegenüber den heute Lebenden getroffen werden müssen. Eine Begrenzung der Umverteilung oder eine Kürzung trifft immer heute lebende, konkret betroffene Menschen, Zukunftsinvestitionen spielen sich demgegenüber in einer abstrakten Welt ab, siehe die Diskussion um neue Verkehrstechnologien wie Transrapid.
Sie sind strukturkonservativ und blockieren die Zukunft, wir stehen für Zukunft und zwar nicht nur im Sinne der Förderung moderner Technik, sondern vor allem auch im Sinne der Langzeitverantwortung.
Zweitens. Ein kluger Mann, das ist der Vorsitzende der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Alois Glück, hat kürzlich formuliert: Politische Führung besteht darin, das Notwendige verständlich zu machen und danach zu handeln. - Das Problem der Opposition ist: Sie versuchen Nebelkerzen zu werfen, damit Sachverhalte nicht mehr sichtbar werden, sie arbeiten statt dessen mit Parolen.
Alle versuchen darüber zu reden, wer vielleicht etwas weniger bekommt als in den vergangenen Jahren, kaum einer redet über denjenigen, der über Steuern und Abgaben als Leistungserbringer das ganze finanzieren muß.
Leistungserbringer und Finanzieren: Ich denke jetzt auch nicht an irgendwelche anonymen Reichen, und ich werde auch nicht polemisch und erinnere an das Geflecht zwischen einem gewissen hessischen Richter, der SPD und der IG Metall. Die Zeche wird
vielmehr von der großen Masse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlt, und von diesen haben Sie sich längst entfernt.
„Es gibt keinen Zweifel, daß wir ein Zurückstekken von vielerlei Ansprüchen ... verlangen, von vielerlei Ansprüchen, die sich in einer Zeit anhaltenden Wachstums entwickelt hatten und die auf eine ständige Zunahme des verteilbaren Sozialprodukts abgestellt waren." Dieses Zitat stammt aus dem Jahre 1975, aus der Haushaltsrede des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt.
Es gibt nur einen kleinen, aber gewichtigen Unterschied. Helmut Schmidt hat dieses vor gut 20 Jahren in einer völlig anderen weltwirtschaftlichen Situation gesagt. Es gibt ernstzunehmende Beobachter, die davon ausgehen, daß sich die Bedingungen für die deutsche Volkswirtschaft in den letzten 6 Jahren mehr verändert haben als in den vergangenen 60 Jahren. Und es gilt, diese Bedingungen zur Kenntnis zu nehmen. Ich könnte noch einiges aus der Rede von Schmidt zitieren, wenn er etwa sagt, es werde heute den Bürgern etwas abverlangt, aber er wisse von vielen Diskussionen und aus Meinungsumfragen, daß „unsere Bürger dies besser verstehen" als offenkundig bestimmte selbsternannte Eliten.
Ich glaube in der Tat, daß dies eines Ihrer Hauptprobleme ist: Sie bekommen nicht mehr so recht mit, was die Menschen tatsächlich denken. Die Menschen in unserem Land sind viel vernünftiger, als es die Politiker häufig wahrhaben wollen.
Es gibt weitere schöne Zitate von Helmut Schmidt, die aus seinem Vortrag bei einem gesellschaftspolitischen Forum unter dem Titel „Deutschland im Umbruch - Die politische Klasse und die Wirklichkeit" stammen. Er stellt auch einige interessante Überlegungen an, wie denn wirklich neue Arbeitsplätze entstehen können, und macht sich seine Gedanken zur Feindschaft gegenüber technischen Neuerungen, die fast unser ganzes Volk erfaßt habe. Er macht deutlich, daß es darauf ankommt, daß wir uns in die Lage versetzen, solche Produkte auf unsere eigenen Märkte zu bringen, die andere einstweilen noch nicht erzeugen können. Als Beispiel nennt er die Magnetschwebebahn, die seit 20 Jahren in Ostfriesland im Kreise herumfahre - hier irrt Helmut Schmidt: nicht Ostfriesland, sondern Emsland -, aber er sagt auch, daß hier Bedenkenträger - und dazu gehört auch die große Mehrheit Ihrer Fraktion - jede neue Entwicklung blockierten. Genauso blockieren Sie notwendige Maßnahmen mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat.
Wenn ich Fußballschiedsrichter wäre, müßte ich Ihnen als Mannschaft die Rote Karte zeigen, weil Sie das Spiel nach vorn blockieren und weil Sie nur noch daran interessiert sind, das Ergebnis zu halten, und damit alle Kreativität ersticken. Sie blockieren die Zukunft, Sie lehnen die Langzeitverantwortung ab. Kein Wunder, daß Sie bei den Jugendlichen und gerade auch bei den Jungwählern die Rote Karte gezeigt bekommen.
Drittens. Der 97er Haushalt steht nicht im luftleeren Raum und ist deshalb auch nicht beliebig gestaltbar, sondern wird in weiten Teilen von der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Realität geprägt. Dementsprechend sind seine Freiheitsgrade. Wer die Staatsquote senken will - siehe Bündnis für Arbeit -, muß entweder die Ausgaben zurücknehmen oder er muß Wachstum erzeugen bei gleichzeitigem Konstanthalten des öffentlichen Sektors. Diese dynamische Sicht liegt mir als Volkswirt mehr.
Zitat: „Die Zeit", 15. November 1996: „Es ist auch ein Irrglaube, daß ein genereller Verzicht auf Sparen die Politik sozialer macht. Denn die Schulden von heute sind die Steuererhöhung von morgen - und Steuern werden, weil sie nur dann genügend Masse bringen, vor allem bei den kleinen Leuten kassiert."
Die Wahrheit ist - und der müssen wir uns stellen -: Wir haben ein Gebirge an Ansprüchen aufgebaut, das zum Hochgebirge zu wachsen droht, in dessen tiefen Schluchten die wirklich Bedürftigen Gefahr laufen zu verschwinden.
Viertens. Das Anspruchsdenken ist auch eine entscheidende Ursache für die Ausweitung des Öffentlichen Dienstes. Jemand hat kürzlich davon gesprochen, daß wir die Kehrseiten unserer Wohlstandsgesellschaft präsentiert bekommen. Man könnte auch sagen: Wir erhalten jetzt die Vollkostenrechnung unserer Art und Weise zu leben, zu wirtschaften und zu arbeiten. Alles, womit der einzelne nicht fertig wird, wurde ihm früher von Familien, Familienverbänden und Nachbarschaften abgenommen. Jetzt hat sich ein Betreuungsstaat entwickelt, von der Wiege bis zur Bahre. Wieviel er kostet, merken wir erst jetzt, wo die exorbitanten Wohlstandssteigerungen ausbleiben und andere Länder konkurrenzfähig zu uns geworden sind.
Unsere Ansprüche, über die wir ungern reden, sind das eigentliche Problem, nicht die Beamten sowie Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst. Unsere Ansprüche drücken sich auch darin aus, daß wir in Deutschland Spitzenreiter sind bei der Zahl der Staatsdiener pro 1 000 Einwohner, nämlich 40; Großbritannien 28, Dänemark 33, Belgien 36. Die Zahlen des Versorgungsberichtes und des Einzelplans 33 machen dies sehr deutlich: Von 1970 bis 1993 sind die Beschäftigtenzahlen beim Bund um 9,5 Prozent gestiegen, bei den Ländern um 52,5 Prozent, bei den Gemeinden um 49,1 Prozent, im Schnitt um 45,4 Prozent.
Der Personalzuwachs der 70er Jahre, insbesondere bei den Ländern und Gemeinden, wird sich versorgungsmäßig vor allem in den Jahren 2020 bis 2025 auswirken. Nach den Berechnungen des Versorgungsberichts, den Bundesinnenminister Kanther jetzt vorgelegt hat und mit dem er auch die Schularbeiten von Ländern und Gemeinden erledigt hat, wird es im Jahre 2010 bei Bund, Ländern und Gemeinden voraussichtlich gut 1 Million Versorgungsempfänger geben; die Zahl steigt bis 2020 auf 1,27 Millionen, etwa 2023 erreicht sie mit 1,29 Millionen ihren Höchststand; danach sind die Zahlen rückläufig. Hier müssen die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, um die Versorgungsquote, das heißt die Entwicklung der Versorgungsausgaben im prozentualen Verhältnis zur gesamtwirtschaftli-
chen Leistung, dem Bruttoinlandsprodukt, stabil zu halten. Für den Bund ergibt sich tendenziell sogar eine Verringerung der Versorgungsausgaben, weil die Ausgaben für die sogenannten 131er sich von circa 500 Millionen im Jahre 1996 auf etwa 48 Millionen im Jahre 2008 verringern. Die 131er sind, vereinfacht gesagt, die Angehörigen des öffentlichen Dienstes von vor 1945.
Der sogenannte Versorgungsberg, etwa mit seinem Höhepunkt im Jahre 2022, ist in erster Linie ein Länderproblem. Trotzdem sind wir der Auffassung, daß jetzt darangegangen werden muß, die Ausgaben im Jahre nach 2008 durch gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Dienstes zu begrenzen. Es liegt vornehmlich auch im Interesse der Länder, hierbei zügig voranzukommen. Ebenso wie beim Alterssicherungssystem Rente werden wir auch aus Gründen der gerechten Lastenverteilung zwischen den Generationen zusätzlich nicht umhinkommen, auch die heutigen Renten und Bezüge der Pensionäre flacher wachsen zu lassen, als das die gegenwärtigen Regeln vorgeben.
Eine Neiddiskussion gegenüber dem öffentlichen Dienst halte ich für völlig unangemessen.
Allerdings: Die Beamten sowie die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes sollen weder besser noch schlechter behandelt werden als die übrigen Beschäftigten. Deswegen bin ich auch sehr dafür, daß wir kurzfristig bestimmte Regelungen des Beamtenversorgungsrechts überprüfen, was auch kurzfristig zur Entlastung der öffentlichen Haushalte führen kann: Dazu gehören die Zulagen, deren Ruhegehaltsfähigkeit, die Anrechnung von Erwerbseinkommen auf Versorgungsbezüge, die Anrechnung von Ausbildungszeiten beim Ruhegehalt, die Wartezeit für Versorgung aus Beförderungsämtern und die Versorgung der politischen Beamten, insbesondere der Staatssekretäre, bei Versetzung in den einstweiligen Ruhestand. Dieses muß überprüft und gegebenenfalls neu geregelt werden.
Das, was für die Beamtenversorgung notwendig ist, muß auch in geeigneter Form auf die Zusatzversorgung der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes übertragen werden.
Die Ausgaben des Einzelplans 33 beruhen ausschließlich auf gesetzlichen Verpflichtungen. Er bietet damit im Grunde genommen kaum Gestaltungsspielraum. Durch die Änderungen beim Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - Wegfall von Entgeltbegrenzung - tritt gegenüber dem 96er Haushalt ein Mehrbedarf auf, da der Bund für bestimmte Berechtigte aufkommen muß. Außerdem haben wir ein Zeichen gesetzt bei der Absenkung des Ansatzes zum Beispiel für Beihilfen, da das, was wir den normalen Krankenversicherten zumuten, auch für den Beihilfeberechtigten gelten muß.
Es bleibt dabei: Wirtschaftliche Entwicklung, Schaffung von Arbeitsplätzen und Sicherung der sozialen Leistungssysteme hängen eng zusammen. Eine gute Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzpolitik sowie eine gute Sozial- und Gesellschaftspolitik bedingen sich wechselseitig.
Wir packen Strukturveränderungen an, wir stehen für Modernisierung und gegen Besitzstandsdenken.
Wirkliche Wertkonservative tun 1996 das, was die Besten ihrer Vorfahren heute getan hätten: Sie sind die Strukturkonservativen. Ich schlage vor, daß Sie Ihre Partei umbenennen. Die Kürzel SPD können Sie beibehalten. Sie sollten das aber übersetzen als: Strukturkonservative Partei Deutschlands.
Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Haushaltsberatungen - so habe ich mir zumindest von meinen Kolleginnen und Kollegen im Innen- und Haushaltsausschuß berichten lassen - waren auch in diesem Jahr für die Opposition so unerfreulich wie in den Vorjahren.
Gute Argumente zählen nicht. Zu Mehrheiten auch einmal quer zu den Fraktionszugehörigkeiten fehlen Mut und Souveränität. Für Großzügigkeiten ist nicht die Zeit. „Business as usual" also! Auch wenn sich ringsum vieles verändert, die Bonner Koalition verweigert sich allen Änderungen.
Sie halten genauso fest an der überdimensionierten Ausstattung des Nachrichtendienstes für die Auslandsaufklärung wie am Regierungsbunker in der Eifel, als ob der Russe noch immer vor der Türe stünde. Umgekehrt verweigern Sie die Finanzierung wirklich notwendiger Leistungen und Reformen.
Es stellt sich hier wie auch in den anderen Ressorts die Frage: Wird eigentlich diese Regierung, wird der Innenminister, wird die Koalition wenigstens den selbst gestellten Ansprüchen gerecht?
Wir haben Halbzeit in Bonn. In der Mitte der Legislaturperiode sollten die wesentlichen Vorhaben, die eine Regierung anpacken will, auf den Weg gebracht sein.
Die Reform des öffentlichen Dienstes geriet dem Innenminister zum Reförmchen. Zu Teilzeitarbeit oder Besetzung von Führungspositionen auf Zeit im öffentlichen Dienst kann er sich nicht durchringen.
Ein wesentliches Vorhaben der Regierung war, die Integrationsleistungen für die hier lebenden Menschen ohne deutschen Paß deutlich zu verbessern und denen, die es wollten, die Chance einzuräumen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Die umstrittene Frage, ob das Gemeinwesen es denn wohl verkraften könne, wenn ein Bürger oder eine Bürgerin zwei Pässe und damit zwei Staatsangehörigkeiten habe, wollten Sie wenigstens für die Kinder unter Hintanstellen Ihrer schweren Bedenken ob der Reinheit der Lehre vom Blutsrecht der deutschen Staatsangehörigkeit umschiffen.
Was haben Sie nun erreicht auf diesem Feld? Fehlanzeige, nichts! Ein ganzes Maßnahmenpaket zum Ausländerrecht haben Sie zwar verabschiedet. Aber was findet sich darin? Integrationsverbessernde Maßnahmen in Spuren, repressive Vorschläge kiloweise. Die Staatsangehörigkeitsfrage ist ausgeklammert. So behandelt diese Regierung die Schwerpunkte ihrer Politik.
Ziemlich genau vor zwei Jahren hat der Bundesinnenminister in der Debatte zur Regierungserklärung hier am 23. November 1994 verkündet, die Innenpolitik werde ein wesentliches Feld der kommenden Legislaturperiode. Als sein Ziel beschrieb er in seiner Rede die „Gewährleistung eines verträglichen Zusammenlebens der Gruppen und der einzelnen" und fügte dann hinzu: „Ganz besonders trifft dies für die Frage des verträglichen Zusammenlebens von deutschen und ausländischen Mitbürgern in Deutschland zu."
Eigentlich ist das merkwürdig, denn ginge es nach dem Innenminister, könnten gar keine ausländischen Mitbürger hier leben. Mit einer Beharrlichkeit sondergleichen behauptet der Herr Kanther ja, kürzlich erst wieder in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Deutschland sei kein Einwanderungsland. Ich glaube ihnen ja, daß sie Zuzug für die Zukunft verhindern wollen. Aber was hat denn seit den 50er Jahren hier stattgefunden? Einwanderung in ganz erheblichem Maße, ohne die das Wirtschaftswunderland Deutschland nicht so groß geworden wäre, wie es ist. Daß jemand, der Realitäten so dreist leugnet, Minister sein kann, ist schon absurd.
Was der Innenminister unter Integration wirklich versteht, haben wir dieser Tage erfahren. Da führt das Bundesverwaltungsamt, eine dem Innenminister nachgeordnete Bundesoberbehörde, auf dessen Weisung, aber ohne Rechtsgrundlage, eine Datei, in der die Daten von 900 000 eingebürgerten, ehemaligen Ausländern gespeichert werden. Das ist das organisierte Mißtrauen in Person des Verfassungsministers unter Duldung eines Koalitionspartners, der sich damit zufriedengibt, daß die von ihm gestellte Ausländerbeauftragte genauso regelmäßig wie folgenlos empört ist.
Das hätte sich mancher hier im Hause vor einigen Jahren noch nicht vorstellen können. Es ist ein Desintegrationsminister, dem der innere Frieden und die innere Sicherheit angeblich so viel gilt, der in seinem abgrundtiefen Mißtrauen gegen alles Nichtdeutsche illegale Dateien anlegt und der von dem vermeintlich liberalen Koalitionspartner, der sich früher der Freiheit des einzelnen Bürgers verschrieben hatte, nicht gebremst wird. Es hat ja eine lange Tradition, daß der Verfassungsminister nicht täglich mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen will, und es wundert auch niemanden, daß dieser Innenminister solche Dinge tut. Der eigentliche Skandal ist, daß es keinen Aufschrei der Liberalen gibt. Aber wie auch immer, die sind mit der eigenen Existenzsicherung über alle Maßen beschäftigt.
Die F.D.P. ist als Bürgerrechtspartei und Freiheitspartei eine Nullnummer. Sie hat sich, wie ihr enttäuschter Abgeordneter Lüder schon vor Jahren resümierte, von der Rechtsstaatspartei zur rechten Staatspartei entwickelt.
In einem Punkt muß ich dem Bundesinnenminister allerdings recht geben. In einem Interview mit der „Welt" sagte er: „Eine offene Gesellschaft erträgt keine Tabus!" Da hat er recht. Aber seine Politik lebt ja geradezu davon, daß er Tabus, wo immer er kann, pflegt. Am besten sichtbar ist das in der Drogenpolitik. Tabu ist es für den Innenminister und den Drogenmissionar Sauer, neue Wege in der Drogenpolitik zu betreten. Es braucht nur einer Ankündigung aus Schleswig-Holstein, da heulen sie auf - wie Alkoholiker, denen man den Schnaps wegnimmt -, da werden sie hibbelig, wie der Raucher, der am Samstagabend keine Zigaretten und kein Fünfmarkstück mehr hat. Im Bereich harter Drogen diskreditieren Sie jeden Versuch einer humanen Drogenpolitik, die an der Hilfe für die Abhängigen ausgerichtet ist.
Jetzt wollen Sie im Verein mit den Franzosen, die die schlechteste Bilanz in der Drogenpolitik zu verzeichnen haben, den Holländern zu Leibe rücken, damit sie ihre erfolgreiche Drogenpolitik aufgeben und die Coffeeshops schließen. Die „Süddeutsche Zeitung" kommentierte in der letzten Woche: „Drogenpolitiker aber, die neue Erkenntnisse ablehnen, haben kapituliert - vor der Mafia und vor der Sucht." In der Tat. Im ersten halben Jahr 1996 starben 753 Menschen durch Drogenkonsum, 71 mehr als in der ersten Jahreshälfte 1995. In Frankfurt sinken die Zahlen, in Städten, die auf repressiven Kurs in der Drogenpolitik setzen, steigen sie. Sie weigern sich, das zur Kenntnis zu nehmen. Statt dessen nehmen Sie lieber in Kauf, daß Ihre repressive Linie weiter die Mortalität unter den Drogenabhängigen steigert. Sie weigern sich, durch staatlich kontrollierte Abgabe die Süchtigen vor den Fängen der Drogenmafia und vor dem Schritt in die Beschaffungskriminalität zu bewahren. Ihre Drogenpolitik begünstigt letztendlich die Drogenmafia, Herr Minister!
In Schleswig-Holstein wollen Sie den Versuch verhindern, mit der Trennung der Märkte für harte und weiche Drogen den Einstieg für Jugendliche in den Markt der harten Drogen zu erschweren. Was für eine Befriedigung verschafft es Ihnen eigentlich, jährlich lieber 30 000 Jugendliche wegen Besitzes von ein paar Gramm Dope zu belangen und 8 000 von ihnen zu verurteilen? Wer sich dagegen in der Apotheke all die legalen Aufputschmittel besorgt, wer sich die Lunge mit Nikotin vollpumpt oder mit Alkohol die Leber ruiniert, wer angepaßt seiner Drogensucht nachgeht, der kann es hierzulande weit bringen. In Ihrer Drogenpolitik ist alles faul, was nur faul sein kann.
Statt effektiv Sucht und Verbrechen einzudämmen, pflegen Sie lieber Vorurteile. Sie beschimpfen gar die Justiz, die nach Ansicht des Innenministers zu lasch gegen das organisierte Verbrechen - natürlich in seinen Augen nur das von Ausländern verübte - vorgehe.
Solche Fundis wie die Herren Kanther, Marschewski und Westerwelle gibt es in meiner Partei schon lange nicht mehr. In der Koalition geben sie immer mehr den Ton an. Je schlechter es der Koalition geht, desto tiefer stecken die Reformkräfte in Ihren Reihen den Kopf in den Sand. Mit den Bürgern im Lande, mit den Gruppen und einzelnen, deren gedeihliches Zusammenleben der Innenminister zu fördern uns vor zwei Jahren versprochen hatte, gehen Sie schlecht um. Es wird Zeit, daß Sie abgelöst werden.
Ulla Jelpke (PDS): Bis heute hat sich die Bundesregierung nicht dazu entschließen können, zahlreichen NS-Opfern Entschädigung zu zahlen. Demgegenüber sieht der vorliegende Haushaltsentwurf 31,5 Millionen DM finanzielle Unterstützung für die Vertriebenenverbände vor. Das sind Mittel zur Unterstützung revanchistischer und geschichtsrevisionistischer Politik.
Auf dem letzten „Tag der Heimat" in Berlin wurde Bundespräsident Herzog als „Vaterlandsverräter" beschimpft, weil er die Oder-Neiße-Grenze als polnische Westgrenze anerkannt und verteidigt hatte. Der Vizepräsident des BdV, Dr. Paul Latussek, verkündete hingegen auf derselben Veranstaltung:
Die Oder-Neiße-Linie bleibt im Bewußtsein der Vertriebenen ein Unrecht, bis die vertriebenen Deutschen ihr Ansiedlungsrecht in der ostdeutschen Heimat und ihr Eigentum in Besitz nehmen können.
Sie haben sich nicht verhört. Herr Latussek spricht nicht etwa über Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Sachsen, sondern über polnische und russische Territorien! Solche völkerrechtswidrigen Äußerungen sind keine Minderheitspositionen innerhalb der Vertriebenenverbände, sondern werden von Funktionären vertreten. Fünf Präsidialmitglieder des BdV und der Vorsitzende des BdV-Berlin unterstützten Latusseks Positionen.
Wir haben in unseren Anträgen an den Innen- und Haushaltsausschuß gefordert, die Vertriebenenverbände nicht mehr aus Bundesmitteln zu finanzieren. Diese Anträge fanden keine Mehrheit. Auch die Kolleginnen und Kollegen von der SPD haben gegen unsere Anträge gestimmt, obwohl der Kollege Körper eine gründliche Überprüfung der Mittelvergabe gefordert hatte. Wenn es darauf ankommt, Stellung zu beziehen, weichen sie aus. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Sie predigen Wein und reichen Wasser!
Die Mehrheit dieses Hauses ist offensichtlich nicht willens, die Finanzierung von Verbänden einzustellen, die rassistische, antisemitische, verfassungsfeindliche und völkerrechtswidrige Positionen vertreten. Selbst der Bundesfinanzhof und das Bundesministerium der Finanzen haben einräumen müssen, daß Forderungen nach Gebietsansprüchen in osteuropäischen Staaten mit der Gemeinnützigkeit eines Verbandes nicht zu vereinbaren sind. Ich zitiere aus dem 1991er Urteil des Bundesfinanzministeriums:
Satzungszwecke wie „Wiedervereinigung mit den Vertreibungsgebieten" oder „Eingliederung der Vertreibungsgebiete" sind (...) schädlich für die Gemeinnützigkeit eines Vertriebenenverbandes. Die Verfolgung dieser Ziele ist keine Förderung der Allgemeinheit, weil solche Bestrebungen im Widerspruch zu den völkerrechtlich verbindlichen Verträgen der Bundesrepublik Deutschland mit ihren östlichen Nachbarn und zum Grundgesetz stehen.
Unsere Bedenken sind derart schwerwiegend, daß wir den Bundesrechnungshof gebeten haben, die
Mittelvergabe an die Vertriebenenverbände zu überprüfen.
Skandalös ist auch der Umgang der Bundesregierung mit den Verhandlungen über das deutschtschechische Regierungsabkommen. Die Bundesregierung mußte auf unsere Anfrage hin zugeben, daß sie den Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Franz Neubauer, „wiederholt über den jeweiligen Stand" der Verhandlungen informiert hat, obwohl die Bundesregierung auf unsere Nachfrage hin einräumen mußte, daß dieser in rechtsextremen Verlagen publiziert und damit über enge Beziehungen ins rechtsextreme Lager verfügt. Der rechtsextreme Flügel der Sudetendeutschen sitzt demnach als unsichtbare dritte Kraft mit am deutsch-tschechischen Verhandlungstisch, während der Bundestag bis heute noch nicht über den Stand der Verhandlungen unterrichtet worden ist. Dies ist einfach unglaublich.
Die Kumpanei zwischen der Regierung und dem nach rechts hin offenen Spektrum ist kein Einzelfall. Ich frage Sie: Ist es vorstellbar, daß in einem anderen westeuropäischen Land einem Historiker ein hoher Staatsorden verliehen wird, der den Holocaust leugnet und die Kriegsschuldlüge verbreitet? In der Bundesrepublik ist dies offensichtlich möglich. Alfred Schickel, Leiter der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt, ist seit 1989 Träger des Bundesverdienstkreuzes, obwohl selbst Staatssekretär Lintner jüngst zugeben mußte, daß Schickels Äußerungen teilweise den Aussagen von Rechtsextremisten entsprechen.
Die Vertreter der extremen Rechten werden aus dem Bundesetat finanziert, ihnen wird das Bundesverdienstkreuz verliehen und sie sitzen als unsichtbare Partner mit an den Verhandlungstischen. Sie werden finanziert und hofiert - und dies ohne Aufschrei im Parlament.
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Beim Ausbau des Polizei-Apparates kennt diese Bundesregierung keinerlei Grenzen: Auf der morgigen Sitzung der EU-Innen- und Justizminister soll beispielsweise das Mandat der „Europäischen Drogenbekämpfungsbehörde" für den Bereich des Menschenhandels beschlossen werden. Die Betroffenheit in der Bevölkerung über die letzten Sexualverbrechen versucht die Bundesregierung schamlos dafür auszunutzen, eine gesellschaftliche Akzeptanz für ein unsinniges und überflüssigeis Projekt, genannt EUROPOL, künstlich zu erzeugen. Ich sage Ihnen - das Bitterste ist hierbei, daß sich die Bundesregierung nicht zu schade war, ausgerechnet geplante Schutzmaßnahmen für Opfer und Zeugen und Zeuginnen des Menschenhandels, wo es nur ging, zu behindern, und dies mit der infamen Begründung, einen „Mißbrauch" dieser Schutzmaßnahmen „auszuschließen" . Hier macht die Bundesregierung Frauen als Opfer sexueller Gewalt wieder einmal zu Täterinnen.
In den kommenden Wochen soll die Novelle des BKA-Gesetzes in aller Heimlichkeit über die parlamentarischen Hürden gehievt werden. Dieses Gesetz droht, das föderale System im Polizeibereich vollends zu unterlaufen. Ich frage mich: Was möchten Sie vor
der Bevölkerung eigentlich so Wichtiges geheim halten?
Dafür interessieren Sie sich offenkundig brennend für das Privatleben der Bürgerinnen und Bürger. Die Polizei wird für den Großen Lauschangriff weiter aufgerüstet. Von der CSU bis zur SPD wird die Einführung des Großen Spähangriffes geplant. Bis in den letzten Winkel, bis in den vom Bundesverfassungsgericht absolut geschützten Privatbereich möchten Sie die Bevölkerung aushorchen und ausspähen. Von Bürgerrechtsvereinen wie der Humanistischen Union, dem Republikanischen Anwaltsverein, den Strafverteidiger-Initiativen sowie von namhaften Juristinnen und Juristen - wie zum Beispiel dem Hannoveraner Professor Jürgen Seifert - wurde Ihnen bescheinigt, daß Sie auch mit einer Änderung von Art. 13 GG lediglich „verfassungswidriges Verfassungsrecht" schaffen (Kritische Justiz 3/92).
Auch sogenannte „Schleuser" von Flüchtlingen wollen Sie künftig belauschen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition und der SPD, Ihre harte Asylpolitik, die Flüchtlingen kaum mehr einen Weg nach Deutschland offen läßt, hat die Schlepper erst an die Fleischtöpfe geführt. Ändern Sie Ihre Strategie der europaweiten Abschottung und Ausgrenzung gegenüber Flüchtlingen, und Sie brauchen keine Schlepper mehr zu belauschen. Sie haben dann deren Märkte ausgetrocknet.
Ähnliches gilt für Verstöße gegen das Betätigungsverbot der PKK. Auch hier soll die Polizei im großen Stil abhören dürfen. Aber auch hier ist Entkriminalisierung der richtige Weg. Das PKK-Verbot muß aufgehoben werden; denn es ist undemokratisch und selbst nach Ansicht des Verfassungsschutzes wirkungslos. Dieses Verbot beraubt hier lebende Kurdinnen und Kurden ihrer Grundrechte. Sie werden in eine Gewaltfalle hineingetrieben.
Wenn - wie jüngst in Hamburg und Köln - kurdische Fahnen toleriert werden, dann wird der Bundesinnenminister besonders nervös. Ich habe den Eindruck, Herr Kanther, daß Sie die sozialdemokratischen Innenminister auf der IMK-Sitzung letzte Woche nur deswegen so unter Druck gesetzt haben, weil auf den eben genannten Veranstaltungen die ansonsten von Ihrer Politik provozierte Gewalt kurdischer Demonstrantinnen und Demonstranten ausgeblieben ist.
Es wird Sie nicht verwundern, daß wir diesem Haushalt nicht zustimmen werden.
Fritz Rudolf Körper (SPD): Offensichtlich hat die
Union - so ist Pressemeldungen zu entnehmen - ein neues Wahlkampfthema entdeckt: Die innere Sicherheit soll das Thema für die politische Auseinandersetzung im Jahre 1998 werden.
Sie, Herr Innenminister Kanther, sparen nicht mit markigen Sprüchen, wenn es um das Thema Kriminalität geht. Manchmal läßt die Wortwahl den Schluß zu, daß Sie allzu leichtfertig mit dem Thema Kriminalität umgehen. Kampagnen, an deren Ende jeder um Eigentum und Leben fürchtet und in jedem Ausländer einen Verbrecher vermutet, nützen aber nur rechtsradikalen Schreihälsen, sonst niemandem.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß Deutschland bei der Furcht vor Kriminalität weltweit mit Japan an der Spitze liegt, was allerdings nicht unbedingt der realen Situation im Vergleich mit anderen Ländern entspricht. Ich will damit die Situation in unserem Land nicht beschönigen, aber der verantwortungsvolle Umgang mit dem Thema Kriminalität ist dringend vonnöten.
Es gehört auch dazu, die Dinge beim Namen zu nennen. Die derzeitige Kriminalstatistik ist eine polizeiliche Anzeigenstatistik. Besser könnten wir vielleicht die Dinge beurteilen, wenn diese polizeiliche Kriminalstatistik ergänzt würde durch Aussagen unabhängiger Sachverständiger, die bei einer Bewertung auch Schwachstellen der Statistik beleuchten.
Eine besondere Herausforderung stellt die sogenannte organisierte Kriminalität dar. Das Bundeskriminalamt schätzt, daß zwischen 1991 und 1995 in Deutschland ein Schaden von zirka 10,5 Milliarden DM durch die sogenannte organisierte Kriminalität entstanden ist. Die SPD hat schon vor drei Jahren Vorschläge zu einer effektiven Bekämpfung der organisierten Kriminalität gemacht. Wir wollen ein Beschlagnahmeverfahren einführen, das die Einziehung von solchen Vermögensgegenständen unabhängig von einem Ermittlungsverfahren oder von einer Verurteilung ermöglicht, die vermutlich durch eine schwere Straftat der organisierten Kriminalität erlangt wurden oder die zu solchen Straftaten verwendet werden sollen. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit reicht zur Beschlagnahme oder Einziehung aus, es sei denn, der Eigentümer bzw. Verfügungsberechtigte widerlegt die Vermutung und weist nach, daß das Geld weder durch eine Straftat der organisierten Kriminalität erlangt wurde noch zu einer derartigen Straftat verwendet werden sollte.
Auch haben wir Vorschläge gemacht zum Einsatz technischer Mittel zu Zwecken der Überwachung im präventiven und repressiven Bereich. Lange hat es allerdings bei Ihnen in der Koalition gedauert, bis Sie sich aufraffen konnten, die Wohnraumüberwachung überhaupt anzugehen. Nach wie vor scheint keine Übereinstimmung zwischen den Koalitionspartnern zu bestehen.
Die Erfahrungen in anderen Ländern haben gezeigt, daß die organisierte Kriminalität insbesondere an den Wurzeln des Geldes gepackt werden muß. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich offensichtlich zu einem lukrativen Geldwäscheplatz entwikkelt. Beispiele haben gezeigt, daß wegen der einschränkenden Bestimmungen im Geldwäschegesetz von 1993 wesentliche eingeschleuste Summen nicht sichergestellt werden konnten.
Das Geldwäschegesetz greift nicht. Beispielsweise wurden im Bundesland Hessen 1 300 Anzeigen registriert, aber kein Fall wurde zur Anklage gebracht.
Das Geldwäschegesetz funktioniert trotz eines aufwendigen Meldesystems der Banken nicht. So führt der hessische Generalstaatsanwalt Schäfer auf der Jahrestagung des Bundeskriminalamtes 1996 in
Wiesbaden aus, daß insbesondere die Beweisprobleme die Ursachen für die Erfolglosigkeit des Geldwäschegesetzes sind. Die Fassung des § 261 StGB legt den Verfolgungsbehörden heute die volle Beweislast dafür auf, daß das Geld aus einer bestimmten delikten Herkunft, wie zum Beispiel dem Rauschgifthandel, stammt. Dieser Nachweis der sogenannten Vortat ist in der Praxis aber kaum zu erbringen.
Dem Einwand, mit einer Beweislastumkehr würde die Unschuldsvermutung auf den Kopf gestellt, hielt Schäfer entgegen, daß zwischen einer Beweislastumkehr zum Nachteil einer Person oder zum Nachteil ihres Vermögens unterschieden werden müsse. Auf der von mir erwähnten Tagung des BKA in Wiesbaden befanden fast sämtliche Experten aus Italien und den USA, daß ohne eine solche Möglichkeit des Staates die organisierte Kriminalität nicht zu bezwingen sei. Auch deutsche Polizeiexperten aus den Ländern schlossen sich dieser Argumentation, die auf einschlägigen Erfahrungen in Europa und den USA fußt, an.
Zur Bekämpfung der Kriminalität gehört es auch, der Korruption entgegenzuwirken. Den präventiven Maßnahmen in der Verwaltung und auf dem Gebiet des Dienstrechtes muß hohe Priorität eingeräumt werden. Aber auch die Erweiterung der Straftatbestände und die vollständige Beseitigung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern sind dringend notwendig.
Wir wollten mit unserem Antrag zu diesem Thema die Diskussion anstoßen. Mittlerweile liegen Gesetzentwürfe des Bundesrates und der Bundesregierung vor, über die zügig beraten und entschieden werden muß.
Ein weiteres Phänomen ist, daß die Kriminalität immer stärkere internationale Bezüge bekommt. Auf dieses Phänomen kann nicht nur mit nationaler Polizeiarbeit geantwortet werden. Wir brauchen die internationale Zusammenarbeit.
Bemerkenswert ist der Streit innerhalb der Bundesregierung über die Kompetenzen von Europol. Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig sieht wohl in der Leitung des Bundesinnenministeriums die Ursache dafür, daß innerhalb der Bundesregierung die Gespräche über Europol nicht vorankommen. Europol sollte von den jeweils zuständigen Polizeidienststellen in der Europäischen Union konkrete Ermittlungsmaßnahmen anfordern können. Da sind wir uns mit dem Justizminister einig.
Auch was die Abstimmung zwischen den Aufgaben von Europol und Interpol angeht, muß die Bundesregierung stärker darauf hinwirken, daß es zu einer abgestimmten Zusammenarbeit unter dem Aspekt einer wirkungsvollen Kriminalitätsbekämpfung kommt.
Dringend notwendig ist es nach meiner Auffassung, daß es endlich zur Verabschiedung des Bundeskriminalamtgesetzes kommt. Hier darf es nicht in erster Linie zu einem Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern kommen, sondern die effektive Bekämpfung von Kriminalität muß Meßlatte und Kriterium für ein neues BKA-Gesetz sein.
Ein markantes Symptom unserer gesellschaftspolitischen Lage ist das Aufkommen und Anwachsen der privaten Sicherheitsdienste. Sicherheit wird damit zunehmend privatisiert und den Kriterien des Kommerz unterworfen. 1970 waren rund 330 Unternehmen mit rund 314 Millionen DM Umsatz als private Sicherheitsdienste tätig. Im Jahre 1990 waren es bereits 900 Unternehmen mit 2,3 Milliarden DM. 1993 waren es zirka 1 200 Unternehmen mit deutlich über 4 Milliarden DM Umsatz. 1992 erfaßten die Verwaltungsberufsgenossenschaften 194 000 Beschäftigte.
Wir haben zu dem Bereich der privaten Sicherheitsdienste einen Antrag vorgelegt; denn die Regelungen der Gewerbeordnung und die Bewachungsverordnung reichen keinesfalls aus. Abgestufte Berufsqualifikationen sind nötig. Strengere Anforderungen an die Betreiber und an die Mitarbeiter sind zu stellen. Die waffenrechtlichen Befugnisse müssen eingeschränkt und datenschutzrechtliche Regelungen getroffen werden. Wer berufsmäßig Rechtsgüterschutz für Dritte betreibt, muß sich bei der Wahrnehmung von Notrechten an den Maßstäben messen lassen, die für Polizeibeamte ganz selbstverständlich sind.
Dringlich ist auch die Änderung des Waffenrechtes. Hier zögert die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf. Aber insbesondere bei erlaubnisfreien Kurzwaffen besteht Handlungsbedarf. Diese haben bei den Sicherstellungen nach Straftaten immerhin einen konstanten Anteil von 60 Prozent. Eine Meldepflicht für erlaubnisfreie Waffen ist wohl das mindeste, was an Auflagen gemacht werden muß. Hier gibt es ebenfalls Handlungsbedarf.
Kriminalität wird am wirksamsten an ihren gesellschaftlichen Wurzeln bekämpft. Wir brauchen eine bessere Erziehung und Bildung, wo verstärkt soziales Lernen ermöglicht wird, wo die Fähigkeit zur friedlichen Konfliktlösung stärker vermittelt und der Gewaltbereitschaft entgegengewirkt wird. Dies gilt auch für die Medien. Gewaltdarstellungen und Gewaltanwendungen, die täglich über den Bildschirm flimmern, sind in ihren negativen gesellschaftlichen Folgen heute noch nicht zu übersehen.
Wir brauchen eine Politik, die solidarische Verantwortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger fördert und fordert. Aussagen von Herrn Bundesinnenminister Kanther, die polarisieren und beispielsweise Ausländer pauschal ins Abseits stellen, sind nicht hilfreich. Rund 2 Millionen aller Ausländerinnen und Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland leben länger als 15 Jahre in unserem Land.
Die vom Bundesinnenminister fortgeführte Diskussion um die Frage, „ob die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland ist", ist weltfremd. Es kommt doch heute nicht darauf an, ob Deutschland ein Einwanderungsland sein will oder nicht. Es stellt sich gegenwärtig nur die Frage, ob das tatsächliche Phänomen von der Politik zur Kenntnis genommen wird und wie man damit umgeht.
Die sozialen Spannungen in unserem Land haben sich verschärft. Die Integration derjenigen, die in un-
ser Land kommen, gelingt zunehmend weniger. Dies gilt insbesondere auch für den gesamten Aussiedlerbereich.
Ganz persönlich sage ich, daß ich keine Zuwanderung haben möchte, die Randgruppen unserer Gesellschaft schafft und Menschen ausgrenzt. Die Fähigkeiten unseres Landes zur Integration müssen ausgelotet und umgesetzt werden. Die Leistungsfähigkeit unserer Sozialsysteme, die Infrastruktur und die Akzeptanz der Bevölkerung sind die maßgeblichen Grundlagen.
In der Zukunft werden wir an der demographischen Entwicklung nicht vorbeigehen können. Davon hängt ganz entscheidend ab, wie wir unsere sozialen Sicherungssysteme erhalten können. Darüber muß heute schon nachgedacht und die richtigen Weichen müssen gestellt werden. Ein ideologiegesteuertes Gerede hilft nicht weiter.
Die Haushaltsberatungen sind Anlaß, Bilanz zu ziehen, was beispielsweise im Bereich der Innenpolitik getan wurde und getan werden muß. Wir haben und wir werden unsere Beiträge beisteuern, um gemeinschaftsorientierte Werte wie Hilfsbereitschaft, Toleranz und Verantwortlichkeit zu fördern. Sicherheit läßt sich nicht ausschließlich durch repressive Maßnahmen des Staates produzieren. Was wir auch brauchen, ist die positive Wertorientierung unserer Gesellschaft. Das gilt vor allem für den Grundwert der Solidarität. Wir brauchen eine neue Politik für den inneren Frieden und die öffentliche Sicherheit.
Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Die
konsequente Stärkung der inneren Sicherheit bleibt zentrale Herausforderung der Innenpolitik. Unverzichtbar ist ein „integraler Ansatz", der die hier notwendigen Anstrengungen nicht in viele kleine Maßnahmen zersplittert, sondern alle verantwortungsbewußten politischen Kräfte im Interesse unserer Mitbürger auf dieses gemeinsame Ziel konzentriert. Verbesserungen in den Bereichen von Geldwäsche, Kronzeugenregelung, der Vorbeugung und Bekämpfung von Korruption und Verbrechen oder Verschärfungen des Ausländerrechts gegenüber schwerkriminellen Ausländern haben das gesetzliche Handwerkszeug bereits beachtlich komplettiert.
Im Kampf gegen besonders schwere Straftaten benötigt der Staat dringend auch das Recht zur Überwachung von Gangsterwohnungen. Nach jahrelangen politischen Auseinandersetzungen ist mit der Einigung auf die „Eckpunkte für die Wohnraumüberwachung zur Beweismittelgewinnung" der Durchbruch gelungen; jetzt müssen die notwendigen Ergänzungen von Grundgesetz und Strafprozeßordnung folgen. Den dazu wegen der erforderlichen Verfassungsergänzung notwendigen breiten Konsens zu finden ist eine große Aufgabe, die zugleich ein deutliches Zeichen dafür setzen wird, daß alle politisch verantwortlichen Kräfte die Rechtsordnung entschlossen verteidigen.
Dazu müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die organisierte Kriminalität an ihrem Nerv zu packen, am Geld. Dafür haben wir Vorschläge gemacht und werden ergänzende gerne prüfen; die Sache ruft nach schneller Einigung.
Die Leistungsfähigkeit des Bundeskriminalamtes wird durch das BKA-Gesetz weiter gestärkt. Daher hoffe ich auf einen raschen Fortgang der parlamentarischen Beratungen.
Auf europäischer Ebene ist der Aufbau der Polizeibehörde Europol ebenso wie die Schengener Kooperation weiter vorangekommen. Die Nutzung des Schengener Informationssystems wurde verbessert und die Zusammenarbeit mit den mittel- und osteuropäischen Staaten intensiviert. Die Möglichkeit grenzüberschreitender Observation und Nacheile wird zunehmend genutzt.
Es reicht aber nicht aus, nur das Handwerkszeug zu verbessern. Vielmehr müssen die rechtlichen Möglichkeiten in vollem Umfang ausgeschöpft werden, damit Deutschland zunehmend zum heißen Pflaster für Täter wird. Da die Länder im Bereich der inneren Sicherheit mit Polizei und Justiz die Gesetze ausführen, ist dies eine Bewährungsprobe für den föderativen Staat.
Um das Hereinschwappen von ständig neuen Tätern aus dem Ausland zu unterbinden, bleibt die Sicherung der Grenzen zentrale Aufgabe des Bundesgrenzschutzes. Hierfür konnten umfassende Maßnahmen zur Erhöhung seiner personellen Einsatzstärke und zur Verbesserung der Sachmittelausstattung vornehmlich an den Ostgrenzen eingeleitet bzw. umgesetzt werden. Es belegt den hohen Stellenwert dieser Aufgabe, daß trotz anhaltend schwieriger Haushaltslage das Finanzvolumen des Bundesgrenzschutzes gegenüber dem Vorjahr nochmals um etwa 120 Millionen DM auf insgesamt über 3 Milliarden DM gesteigert werden konnte.
Grenzsicherheit ist aber mehr als nur die Bewachung einer Linie im Gelände. Vielmehr muß der Grenzraum als neue kriminalpolizeiliche Herausforderung gesehen werden, die verstärkte Kooperation von Bundesgrenzschutz und Landespolizei im Grenzbereich ebenso verlangt wie den Ausbau grenzüberschreitender Zusammenarbeit mit den Behörden Polens und Tschechiens.
Mit Fragen der Ausländerpolitik haben wir uns am 14. November 1996 eingehend befaßt. Was die Rückführung der bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge betrifft, ist das in der letzten Woche unterzeichnete Rücknahmeabkommen mit Bosnien-Herzegowina ein bedeutender Schritt auf dem Weg, die Bürgerkriegsflüchtlinge in ihre Heimat zurückzuführen.
Der Spätaussiedlerzugang ist nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Hilfeleistungen deutlich zurückgegangen und belegt das Vertrauen in die bewährte Aussiedlerpolitik der Bundesregierung. Mehr als 25 000 Sprachkursplätze, die in Rußland und Kasachstan bereits eingerichtet wurden und deren Zahl zügig weiter erhöht werden soll, tragen dazu bei, die Identität der Rußlanddeutschen zu erhalten und ihre eventuell spätere Integration hier zu erleichtern.
Eine zukunftsfähige öffentliche Verwaltung verlangt ein modernes öffentliches Dienstrecht als
Grundlage einer leistungsorientierten, flexiblen und bürgerfreundlichen Verwaltung. Das Konzept für eine Reform, die zu mehr Effizienz bei geringeren Kosten führt, liegt vor. Ich hoffe, daß die vom Vermittlungsausschuß eingesetzte Arbeitsgruppe möglichst rasch zu konsensfähigen Lösungen kommt, zumal die Länder die Masse der Bediensteten beschäftigen. Ich bin im Interesse der Sache jedenfalls kompromißbereit, sofern die Eckpfeiler der Reform unangetastet bleiben. Vor allem sollte es keine Neiddebatten gegen den öffentlichen Dienst geben.
Der von mir vorgelegte Versorgungsbericht zeigt erstmals und umfassend die Entwicklung der Versorgungskosten im öffentlichen Dienst und schafft damit die Grundlagen, die Versorgungsausgaben auch in den zu erwartenden Jahren der Spitzenbelastung volkswirtschaftlich erträglich zu halten.
Die Verschlankung staatlicher Strukturen kommt voran, überschüssiger Verwaltungsaufwand wird abgebaut und moderne Managementmethoden halten zunehmend auch im öffentlichen Dienst Einzug. Neue Formen des Verwaltungshandelns - wie zum Beispiel die Budgetierung - ermöglichen eine flexiblere und zugleich effizientere Aufgabenerfüllung. Im Bereich des Zivilschutzes als einem besonders anschaulichen Beleg für die Möglichkeit, staatliche Strukturen ohne Nachteil für die Bevölkerung abzubauen, ist die Budgetierung der Ausgaben für den THW bereits seit 1996 realisiert. Für das Bundesamt für Zivilschutz ist sie ab 1997 vorgesehen.
Auch die Integrations- und Ausstrahlungskraft seiner Kultur bestimmt das Ansehen eines Staates. Im
Prozeß der staatlichen Einheit der Deutschen wie auch auf dem Wege zur europäischen Einigung leistet sie einen unverzichtbaren Beitrag. Daher steht die Koalition zur Verantwortung auch des Bundes, die Kulturförderung in dem ihm gesetzten Rahmen zu erhalten. Ich begrüße es sehr, daß der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages für diese Zusammenhänge immer viel Verständnis aufgebracht hat. Der Denkmalschutz liegt mir besonders am Herzen, gerade auch in den neuen Ländern, wo viel erste Hilfe an den in der DDR-Zeit vernachlässigten Baudenkmälern nötig ist.
1996 war ein von sportlichen Höhepunkten geprägtes Jahr, die den Einsatz von Fördermitteln des Bundes für den Spitzensport voll gerechtfertigt haben. Um weiter vorn mithalten zu können, bedarf es großer Anstrengungen. Gemeinsam mit dem Sport wurde daher das Förderkonzept 2000 und ein neues Trainerkonzept entwickelt. Im Hinblick auf die angespannte Haushaltslage müssen die zur Verfügung stehenden Mittel zielgerichtet und effektiv eingesetzt werden. Bis auf ganz geringfügige Korrekturen werden wir auch den Kultur- und Sportbereich von Globalkürzungen für 1997 auszunehmen trachten.
Den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, besonders den Berichterstattern für den BMI-Haushalt, möchte ich für vielerlei Unterstützung und Verständnis danken. Sie haben die haushaltsmäßigen Grundlagen dafür geschaffen, daß auch 1997 die Aufgaben der Innenpolitik zielsicher und entschlossen angepackt werden können.