Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Leitsatz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 1995 lautet:
Es ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar, daß einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld usw.) zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen wird, ohne daß es bei der Berechnung von kurzfristigen Lohnersatzleistungen (beispielsweise Arbeitslosengeld, Krankengeld und Übergangsgeld) berücksichtigt wird.
Das ist unseres Erachtens eine klare Aussage.
Die Regierungskoalition aber legte ein Gesetz vor, das mit rechtlich waghalsigen Konstruktionen alles daran setzt, 25 bis 30 Milliarden DM an Beiträgen Jahr für Jahr ohne Gegenleistung in die Sozialversicherungskassen zu bekommen. Sie behaupten, daß die Bedeutung von Einmalzahlungen rapide schwinde.
Das Justizministerium sieht zwar in dem Gesetzentwurf ein „verfassungsrechtliches Risiko", hält die Regelungen jedoch für „begründbar" und konstruiert, daß „bei den Einmalzahlungen der Charakter der ,Zufälligkeit' immer typischer wird". Also nicht die Einmalzahlungen werden immer typischer, sondern deren Zufälligkeit. In welcher Wunschwelt, frage ich Sie, lebt diese Bundesregierung eigentlich?
Realität ist, daß Einmalzahlungen fester, berechenbarer Bestandteil von Tarifabschlüssen sind. Das hoben Gutachter in der Anhörung hervor. Der Entschließungsantrag der SPD nennt uns hier noch einmal die Zahlen. Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen gewähren 98 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Weihnachtsgeld und 95 Prozent ein Urlaubsgeld. Woher kommen denn sonst auch 30 Milliarden DM Beiträge?
Sie haben doch arge Erklärungsschwierigkeiten, meine Damen und Herren von der Koalition. Das wird zum Beispiel daran deutlich, daß Sie einen Grundgedanken der Sozialversicherung einfach uminterpretieren. Bisher war noch Konsens, daß Lohnersatzleistungen entgangenes vorheriges Arbeitsentgelt ersetzen sollen. Jetzt begründen Sie, daß das vom Arbeitslosen zukünftig auf dem Arbeitsmarkt erzielbare Entgelt ersetzt werden solle.
Aber das Bundesverfassungsgericht stellt unmißverständlich fest, daß „durch den Versicherungsfall verursachte Einbuße an wirtschaftlicher Leistungsfä-
Petra Bläss
higkeit Maßstab für die Berechnung von Lohnersatzleistungen" sein müsse.
Oder sprechen Sie in dieser Gesetzesbegründung eine anvisierte Weichenstellung endlich einmal aus? Frau Babel hat das im Prinzip ja schon bestätigt. Die jährliche Absenkung der Bemessungsgrundlage für Arbeitslosenhilfe aus dem Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz und die verschärften Zumutbarkeitskriterien aus dem AFRG-Entwurf weisen ebenfalls in diese Richtung.
Die PDS wird gegen diesen Gesetzentwurf stimmen und sich dem Entschließungsantrag der SPD anschließen, der die Bundesregierung auffordert, umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Wollen Sie es seitens der Regierung wieder erst auf drei Niederlagen vor dem Bundesverfassungsgericht ankommen lassen, ehe Sie eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Lösung schaffen? Frau Engelen-Kefer zeigte uns mit ihrem Brief von gestern abend an, daß der DGB als Initiator der vorliegenden Bundesverfassungsgerichtsentscheidung nicht zögern wird, sofort wieder den Klageweg zu beschreiten.
Ich kann mich daher nur dem Appell des DGB anschließen, den heute vorliegenden Gesetzentwurf abzulehnen und eine den Rechten der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler entsprechende Lösung vorzulegen.