Rede von
Dr.
Peter
Ramsauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach all den Aufgeregtheiten dieses Morgens wenden wir uns jetzt einem äußerst trockenen Thema zu, einer thematisch am Rande des sozialpolitischen Geschehens gelegenen, aber für die Sozialpolitik in Deutschland doch sehr bedeutsamen Sache.
Leider Gottes - das möchte ich gleich zu Beginn sagen - ist dieses Gesetz in der Mitte dieser Woche sicherlich zu Unrecht in negative Schlagzeilen geraten. Es wurde behauptet, das Bundesjustizministerium als Verfassungsressort habe in diesem Gesetz verfassungsrechtliche Risiken festgestellt. Ich möchte gleich am Anfang festhalten, daß dieser Gesetzentwurf in engster Abstimmung mit beiden Verfassungsressorts, dem BMJ und dem BMI, vorbereitet und von diesen beiden letztlich auch als verfassungsgemäß gewertet wurde.
An die Kolleginnen und Kollegen der SPD möchte ich eine Bitte richten, nämlich an dieses Gesetz keine überzogenen Erwartungen zu stellen. Sie haben im Vorfeld dieses Gesetzes wieder erhebliche Erwartungen in der Öffentlichkeit geweckt, die nun einmal nicht gerechtfertigt sind. Sie haben immer mit den verfassungsrechtlichen Risiken argumentiert. Es mag da und dort immer wieder einmal ein verfassungsrechtliches Restrisiko bleiben, aber daran kann man wohl nicht immer vorbei. Auch deswegen gibt es des Bundesverfassungsgericht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute die künftige sozialrechtliche Behandlung von sogenanntem einmalig gezahltem Arbeitsentgelt. Auslöser dieses Gesetzes ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es hat entschieden, daß es nach der gegenwärtigen Rechtslage mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz unvereinbar sei, daß Weihnachts- oder Urlaubsgeld, sogenanntes einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen wird, ohne daß es bei der Berechnung von Arbeitslosen-, Kranken- und Übergangsgeld, also den sogenannten kurzfristigen Lohnersatzleistungen, berücksichtigt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat weiterhin ausgeführt, daß die gegenwärtige Regelung nur bis Ende dieses Jahres angewendet werden darf. Wir brauchen also ab dem 1. Januar 1997 eine neue Regelung.
Würde der Gesetzgeber nicht schnell handeln, wäre die Folge, daß den Sozialversicherungen 30 Milliarden DM an Beitragseinnahmen ausfallen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das ist ein Loch, das in einer Zeit, in der wir uns bemühen, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu senken, schlicht und einfach nicht einreißen darf. Wir liegen momentan bei einer durchschnittlichen Belastung von 40,8 Prozent.
Wir können mit diesem Reformpaket gerade einmal im nächsten Jahr eine stärkere Steigerung als 0,1 oder 0,2 Prozent verhindern. 30 Milliarden DM, die Sie uns an Beitragsausfällen zumuten würden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, hätten zur Folge, daß Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusätzliche 2 Prozent Gesamtsozialversicherungsbeitrag entrichten müßten.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung festgestellt, daß es dem Gesetzgeber freigestellt ist, ob er eine Lösung auf der Beitragsseite oder auf der Leistungsseite findet.
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß auf die Beiträge aus den Einmalzahlungen nicht verzichtet werden kann. Eine Lösung auf der Beitragsseite wäre also nicht vertretbar. Wir haben immer wieder,
Dr. Peter Ramsauer
auch in den intensiven Beratungen insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung, deutlich gemacht, daß die Belastbarkeit der Versicherten ohnehin längst erreicht ist.
Deshalb werden die Sozialversicherungsbeiträge nach jetziger Rechtslage noch von allen Einkünften, also auch vom Weihnachts- oder Urlaubsgeld, erhoben. Die Höhe der Sozialversicherungsleistungen wie Kranken- oder Arbeitslosengeld richtet sich dagegen nur nach der Höhe der laufenden Einnahmen. Die Sonderzahlungen bleiben also außer Betracht.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun kritisiert, daß diese Regelung dem sogenannten Äquivalenzprinzip widerspricht. Das Äquivalenzprinzip besagt im Grunde, daß sich die Höhe der Lohnersatzleistungen an der Höhe der Beitragszahlungen orientieren muß.
Die neuen Regelungen orientieren sich dagegen an dem sogenannten Entgeltausfallprinzip. Diese Durchbrechung des Äquivalenzprinzips rechtfertigt sich aber aus dem Schutzzweck der einzelnen Lohnersatzleistungen heraus.
Für die Arbeitslosenversicherung bedeutet dies folgendes: Ziel des Arbeitslosengeldes ist es, das Arbeitsentgelt teilweise zu ersetzen, welches der Arbeitslose wegen seiner Arbeitslosigkeit aktuell, also in einer potentiellen neuen Beschäftigung, nicht erzielt. Das Ausfallprinzip stellt also nicht auf die Vergangenheit ab, sondern auf dasjenige Entgelt, das der Arbeitslose künftig erzielen könnte.
Ich glaube, dies ist auch sachgerecht, denn ein Arbeitsloser, der eine neue Beschäftigung aufnimmt, kann nicht damit rechnen, in der allerersten Zeit seines Beschäftigungsverhältnisses gleich Sonderzahlungen zu erhalten.
- Hören Sie gut zu, Frau Kollegin Fischer. Sie sind doch sonst auch so ruhig. - Bei diesem Arbeitnehmer fällt also nichts aus, was die Arbeitslosenversicherung ersetzen müßte.
Beim Kranken- und Übergangsgeld hingegen werden ausgefallene Sonderzuwendungen berücksichtigt. Dazu wird ein zusätzliches Kranken- und Übergangsgeld eingeführt. Voraussetzung ist allerdings, daß das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Das Krankengeld stellt einen Ersatz für das Entgelt dar, das der Kranke auch ohne seine Krankheit erhalten hätte.
Bei Kurzarbeitern kann im Prinzip nichts anderes gelten als bei Arbeitslosen. Kurzarbeitergeld ist eine Art Teilarbeitslosengeld, so daß es vertretbar ist, den Kurzarbeiter so zu behandeln, als wäre er mit einem Teil seiner Arbeitskraft arbeitslos. Damit erhält er für diesen Teil seiner Arbeitskraft ebenso wie der Arbeitslose nur einen Ersatz für das Einkommen, das er an einem neuen Arbeitsplatz erwarten könnte.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich will es noch einmal deutlich machen: Das Bundesverfassungsgericht hat zwar eine Ungerechtigkeit innerhalb des bisher geltenden Äquivalenzprinzips festgestellt. Die im Gesetzentwurf vorgesehene neue Regelung beruht jetzt aber auf einem völlig neuen und, wie ich glaube, sachgerechten Ordnungsgedanken für die Berücksichtigung der Einmalzahlungen bei der Berechnung kurzfristiger Lohnersatzleistungen. Der Vorwurf, wir würden ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ignorieren, ist damit völlig aus der Luft gegriffen.
Ich weise deshalb in aller Deutlichkeit die Schlagzeilen zurück, die Sie von der Opposition in den letzten Tagen in die Welt zu setzen versuchten. Ich nenne einige: „SPD behauptet: Koalition ignoriert Bedenken der Verfassungsrichter". Es war die Rede von „blanker Willkür" und „Bonn ignoriert Urteil zu Sozialabgaben" usw. Die Kollegin Däubler-Gmelin hat gestern eine Pressemeldung abgesetzt, in der sie von „unglaublicher Ruppigkeit des Bundestages, der Regierung und der Koalition" und von „unglaublicher Unverschämtheit" und ähnlichen Dingen sprach.
Ich weise all diese Vorwürfe klipp und klar zurück.
Weiter schreibt sie, wir hätten dieses Gesetz im Bundestag „durchgepeitscht". Davon kann überhaupt keine Rede sein. Wir haben dieses Gesetz in erster Lesung im Juni eingebracht. Wir haben es im Ausschuß sorgfältigst beraten. Wir haben eine Anhörung gehabt. Sie hätten doch auch am Mittwoch im Ausschuß darüber noch intensiver beraten können.
Die Opposition war damit einverstanden, dieses Gesetz am Mittwoch im Ausschuß abzuschließen. Wir hätten auch gestern und heute noch Zeit gehabt. Die Sitzungen waren anberaumt. Es hätte in Ihrer Hand gelegen, es noch weiter zu beraten. Von Durchpeitschen kann überhaupt keine Rede sein.