Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Unternehmen gehört dem Bund. Drei Vertreter des Bundes sitzen im Aufsichtsrat. Die volle Verantwortung für die Entscheidungen über das Konzept - wenn man es überhaupt so nennen kann - trifft den Bund und niemanden sonst.
Daß Sie eine ungebremste Neigung haben, andere zur Mitverantwortung einzuladen, um sie dann beschimpfen zu können, ist hier wieder deutlich geworden. Es geht alles nach der sattsam bekannten Methode: Wir sind für die Erfolge zuständig; für die Mißerfolge, für die Fehler ist niemand zuständig, es sei denn die Opposition.
Das ist eine schwachsinnige Argumentation; es tut mir leid, daß ich das nicht anders nennen kann.
Wenn Sie hier voller Stolz sagen, in dieses Unternehmen seien über 1,1 Milliarden DM geflossen, dann frage ich mich: Wie gehen Sie eigentlich mit Steuermitteln um, wenn Sie dieses Unternehmen, das eine langfristige Perspektive braucht, ständig in kurzen Abständen ins Gerede bringen?
Um welche Politik handelt es sich eigentlich, wenn sich deren Vertreter hier hinstellen und sagen - das ist ja unbestreitbar richtig -, die DDR-Wirtschaft war marode? Aber wie sind Sie denn mit dieser maroden Wirtschaft umgegangen, und ist es überhaupt noch politisch und sachlich zulässig, sieben Jahre nach der friedlichen Revolution und sechs Jahre nach der staatlichen Einheit alles auf die Zustände von vorher zu schieben, obwohl doch jeder weiß, daß Ihre Fehlentscheidungen in bezug auf die Treuhand, die Privatisierung und die Rückgabe alten Eigentums die Grundlagen dafür gelegt haben, daß das überhaupt nicht auf die Beine kommen konnte?
Sich dann hier hinzustellen und jede Verantwortung abzulehnen, das muß für die betroffenen Menschen wie ein Schlag ins Gesicht wirken. Sie fragen sich: Wofür werden die Leute eigentlich so hoch bezahlt, wenn sie sich immer nur hier hinstellen und sagen, daß sie für nichts verantwortlich sind? Natürlich gibt es eine Verantwortung. Ich bin einmal gespannt,
Rudolf Scharping
wie die Bundesregierung oder die CDU argumentieren, wenn das mit dem Vietnam-Auftrag klappen sollte; ich bin gespannt. Ich frage Sie ausdrücklich: Warum haben Sie nie den Versuch gemacht, bei der Vergabe von Krediten an mittel- und osteuropäische Länder und an Rußland etwas für die Zukunft dieses Anlagenbauers zu tun? Warum haben Sie nie den Versuch gemacht, langfristig angelegte unternehmerische Konzepte mit tragfähigen politischen Rahmenbedingungen zu verbinden? Diesen Versuch haben Sie nie gemacht.
Deswegen stelle ich fest: Die ganze Bedeutung, die die Bundesregierung und die CDU/CSU-Fraktion diesem Vorgang beimessen, wird deutlich an der Art und Weise, wie Sie reden, vor allen Dingen auch daran, wer hier redet, wer sich um die Dinge kümmert. Ich habe viel Verständnis dafür - wir werden das bei anderer Gelegenheit aufgreifen -, daß Sie Ihre Koalition zusammenhalten oder den Versuch dazu unternehmen müssen oder daß Sie jetzt über die Steuern reden müssen, über Ihr finanzielles Desaster. Aber ich finde, wenn ein Bundeskanzler eine höchst fahrlässige Äußerung macht, wie es der Bundeskanzler aus tagespolitischem Opportunismus heraus in Magdeburg getan hat, dann hat er die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dem Deutschen Bundestag auch zu sagen, was er tun will, um die mit der Äußerung geweckte Hoffnung zu erfüllen.
Dann können Sie sich doch nicht hier hinstellen und sagen: Wir haben einmal Hoffnungen geweckt. Wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland - sie ist der Eigentümer des Unternehmens - sich in Magdeburg hinstellt und sagt, daß das Unternehmen nicht zerschlagen werden darf und daß es eine Zukunft haben muß, dann haben Sie die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, hier, im Deutschen Bundestag, zu sagen, was Sie tun werden, um das einzulösen. Das haben Sie nicht getan; statt dessen beschimpfen Sie andere.
Ich bitte Sie darum, sich vielleicht im stillen Kämmerlein eines zu überlegen: Sie ruinieren den Aufbau im Osten Deutschlands auf der wirtschaftlichen Seite; gleichzeitig sagen Sie den Leuten: Wir kürzen die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, und dann kürzen wir auch noch Leistungen für den einzelnen Menschen. Ich frage Sie: In welche Lage bringen Sie Menschen,
wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sich in Magdeburg hinstellt und sagt, daß das Unternehmen nicht zerschlagen werden darf, wenn am selben Tag der Aufsichtsrat das Gegenteil beschließt, wenn Sie sich dann hier hinstellen und so reden, wie Sie das getan haben, und gleichzeitig eine Politik auf dem Rücken von Menschen betreiben?
Es geht hier ganz offenkundig nicht mehr um Argumente, sondern immer nur um die Denunzierung des Argumentierenden. Wenn ich Sie so reden höre, geht es nicht darum, sich auseinanderzusetzen, sondern darum, andere zu denunzieren.
Da ich jetzt wieder das schöne Wort „Mexiko" gehört habe, sage ich Ihnen etwas.
- Ich sage Ihnen das einmal in aller Seelenruhe und in aller Deutlichkeit.