Rede von
Dr. h.c.
Wolfgang
Thierse
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man Sie so hört, Herr Rexrodt, hat man den Eindruck, niemand ist schuld, niemand trägt die Verantwortung,
nur die Vergangenheit ist schuld. Mir fällt da ein Wort von Rudolf Bahro ein, der einmal das SED-Regime als ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit charakterisiert hat.
Lassen Sie mich es noch einmal sagen: SKET war einmal der größte Maschinen- und Anlagenproduzent in Ostdeutschland, in der DDR. Sein Ende wäre eine Katastrophe für die Betroffenen, die Magdeburger Arbeiter und Angestellten.
Ich begrüße den Betriebsrat von SKET und den Magdeburger Oberbürgermeister.
Das Ende von SKET wäre mehr als das: Es wäre der End- und Gipfelpunkt einer falschen Politik der Privatisierung, die weithin zur Entindustrialisierung in Ostdeutschland geführt hat. Beides erklärt die Wut der Betroffenen und die Betroffenheit ganz vieler Ostdeutscher, die in eine geradezu grenzenlose Enttäuschung mündet. Sie ist nur zu verständlich.
Vor sechs Jahren arbeiteten bei SKET in Magdeburg noch 13 000 Menschen, jetzt sind es noch etwas mehr als 1 000, weniger als 10 Prozent; oder umgekehrt - man muß die Zahlen nennen, um zu wissen, was da eigentlich passiert ist -: Binnen sechs Jahren wurden über 90 Prozent aller SKET-Arbeitsplätze abgebaut. Die Begleitmusik war dabei stets dieselbe: Es gehe darum, SKET zu erhalten, Arbeitsplätze zu erhalten, den Standort zu erhalten. Jahr für Jahr geschah ununterbrochen das genaue Gegenteil.
Man darf dabei übrigens nicht unerwähnt lassen - Herr Rexrodt, da stimme ich Ihnen zu -, daß wirklich viel Geld - über 1 Milliarde DM - nach SKET geflossen ist. Am Geld lag es also nicht. Es ging auch niemals ernsthaft darum, daß SKET in seiner ursprünglichen Größe als Kombinat erhalten werden sollte, sondern es ging immer um Sanierungskonzepte. So gesehen kann man den öffentlichen Händen von Brüssel über Bonn bis Magdeburg nicht vorwerfen, sie hätten kein Geld gegeben.
Die Frage ist nur: Was hat das Management damit gemacht, und wie ist es kontrolliert worden?
Das Management und diejenigen, die dieses Management zu beaufsichtigen hatten, haben SKET in die Gesamtvollstreckung getrieben, im Ergebnis also nahezu kaputtsaniert. Ich bitte Sie, das liegt doch dann nicht an der fehlenden harten Arbeit. Das ist zu undifferenziert; als würden die Beschäftigten und die Belegschaft nicht verflucht hart arbeiten und noch härter arbeiten wollen, wenn sie eine Zukunftschance hätten.
Auch etwas anderes ist jetzt deutlich: Der Weg von Jenoptik zum Beispiel ist nicht betreten worden. Man richtete sich dort darauf ein, zu sanieren und viel später zu privatisieren. Was in Jena ging, hätte doch bei einem anderen wirklich zentralen Unternehmen auch versucht werden sollen.
Es gilt ja, wie wir hören, nicht einmal das Wort des Bundeskanzlers, der sich nachdrücklich gegen eine Teilprivatisierung ausgesprochen hat. Ich teile diese Ansicht des Kanzlers ausdrücklich. Er hat seinen Staatssekretär zum Aufsichtsrat geschickt. Aber nichts, eher das genaue Gegenteil der Ankündigung, ist passiert. Deswegen ist auch SKET jetzt ein Problem von Helmut Kohl.
Oder will der Bundeskanzler wieder einmal Hoffnungen, die er selber geweckt hat, enttäuschen?
Das jetzt vorliegende Konzept wird wieder als langfristige Sanierung verkauft. Sein Kern ist eine weitere Halbierung der Belegschaft. Mit Erstaunen las ich, daß der Bereich „Neue Technik" aufgelöst werden soll. Sieht so eine langfristige Sanierung aus?
In dieser Situation ist es leicht, Schuldzuweisungen an die Landesregierung zu richten. Ich erwähne Herrn Staatssekretär Ludewig, ein gewiß unverdächtiger Zeuge, der Reinhard Höppner gegen Anschuldigungen, er habe sich nicht genug für SKET eingesetzt, verteidigt hat. Um was es jetzt geht, ist klar: das Zusammenwirken aller Verantwortlichen.
Schließlich will ich daran erinnern, daß die BvS und damit der Bund Eigentümer dieses Unternehmens ist.
Der Bund trägt also die Hauptverantwortung für die
Zukunft dieses Unternehmens. Mit dem Bund müssen natürlich das Land, die Europäische Union und
Wolfgang Thierse
die Belegschaft zusammenwirken, damit das Unternehmen eine weitere Zukunft hat.