Rede von
Dr.
Burkhard
Hirsch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen! Ich werde dem Gesetzgebungspaket und dem Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz nur aus einem einzigen Grund zustimmen,
und zwar deswegen, weil sich die Abstimmungsfrage längst von Sachfragen gelöst hat und weil sie von allen Seiten hochstilisiert zu einer Vertrauensfrage für oder gegen die Bundesregierung worden ist.
Dem kann ich mich nicht entziehen, so sehr ich das bedauere.
Meine Bedenken gegen das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz sind aber unverändert. Ich will dahingestellt sein lassen, daß es kein
Spargesetz, sondern ein Arbeitgeberentlastungsgesetz ist.
Ich will dahingestellt sein lassen, daß dieses Gesetz nach seiner offiziellen Begründung zu einer Erhöhung der Belastung der Sozialversicherungsträger um 1 Milliarde DM pro Jahr führen wird und daß die vorgeschlagene Regelung, ein Urlaubstag gegen fünf vollbezahlte Fehltage, zu einem Mißbrauch geradezu anreizen wird. Das ist zwar wichtig, aber für mich ist etwas anderes entscheidend.
Die Lohnfortzahlung im unverschuldeten Krankheitsfall gehört in Deutschland seit vielen Jahrzehnten zum Kernbestand sozialer Rechte, und sie ist schwer erkämpft worden.
Je tiefer wir in soziale Rechte eingreifen, um so dringender stellt sich die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit der getroffenen Entscheidung. Sie kann nicht abstrakt beantwortet werden. Vielmehr hängt sie in einer pluralistischen Gesellschaft von der Zustimmung und der Akzeptanz durch die Betroffenen ab. Diese Akzeptanz kann auf Dauer nicht ohne die Gewerkschaften erreicht werden, die in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder bereit gewesen sind, Mitverantwortung für notwendige wirtschaftliche Entscheidungen zu übernehmen. Auch darauf beruht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik.
Darum ist es ein schwerer politischer Fehler, mit der gesetzlichen Kürzung der Lohnfortzahlung eine Entscheidung parlamentarisch durchzusetzen, die die Gewerkschaften nach der Geschichte dieses Rechts so nicht akzeptieren können und die die Sozialpartner in schon angekündigte Tarifauseinandersetzungen geradezu hineintreiben wird, die einen, die dazu auffordern, die Tarifverträge sofort zu kündigen, die anderen, die dazu auffordern, die Lohnfortzahlung auch ohne Kündigung gar nicht zu leisten.
Bisher waren wir in der Bundesrepublik stolz auf den sozialen Frieden. Er ist mindestens ein Standortfaktor. Er ist sehr viel mehr. Dieser soziale Frieden wird aufs Spiel gesetzt, und damit werden wir nichts erreichen, keine Zusammenarbeit, keine Arbeitsplätze, kein Wachstum. Das ist ein Fehler, für den wir bezahlen werden.