Rede:
ID1312304400

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    Plenarprotokoll 13/123 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 123. Sitzung Bonn, Freitag, den 13. September 1996 Inhalt: Nachruf auf das frühere Mitglied des Deutschen Bundestages Willi Weiskirch 11061A Erweiterung der Tagesordnung 11061 C Tagesordnungspunkt 1: a) Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1997 (Haushaltsgesetz 1997) (Drucksache 13/5200) . . 11062 B b) Fortsetzung der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1996 bis 2000 (Drucksache 13/5201) 11062 B Karl Diller SPD 11062 B Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 11067D Ingrid Matthäus-Maier SPD 11069 D Joachim Poß SPD 11072 B Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11073A Dr. Wolfgang Weng (Gerungen) F.D.P. . . 11075C Dr. Christa Luft PDS 11077 D Dieter Pützhofen CDU/CSU . . 11079D, 11081B, 11082D, 11083C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 11082A Joachim Poß SPD 11083 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11083D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 11084 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 11088A Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktion der SPD: Vorlage eines Ergänzungshaushalts zum Entwurf zum Bundeshaushaltsplan 1997 (Drucksache 13/5509) 11089 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Vereinbarte Debatte zum Wachstums- und Beschäftigungsförderungs-Ergänzungsgesetz, zum Gesetz zur Begrenzung der Bezügefortzahlung bei Krankheit, zum Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, zum Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz, zum Beitragsentlastungsgesetz und zum Achten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch . 11089C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 11089D Rudolf Scharping SPD 11093D Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11094 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 11096B Dr. Gregor Gysi PDS 11098D Ulla Schmidt (Aachen) SPD 11100B Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Ergänzung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (Wachstums- und Beschäftigungsförderungs-Ergänzungsgesetz) (Drucksachen 13/4611, 13/5089, 13/5108, 13/5327, 13/5446, 13/5528, 13/5536) 11102C Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Begren- zung der Bezügefortzahlung bei Krankheit (Drucksachen 13/4613, 13/5074, 13/5327, 13/5448, 13/5529, 13/5537) . . 11102C Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Gesetz zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz) (Drucksache 13/5538) 11102D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. (Erklärung nach 31 GO) 11103B Namentliche Abstimmung 11104 A Ergebnis 11109B Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Arbeitsrechtliche Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz) (Drucksache 13/5539) 11102D Namentliche Abstimmung 11106D Ergebnis 11107A Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Gesetz zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Beitragsentlastungsgesetz) (Drucksache 13/5540) , 11102D Namentliche Abstimmung 11109C Ergebnis 11109D Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Achte Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 13/5541) 11103A Namentliche Abstimmung 11112B Ergebnis 11112C Nächste Sitzung 11115C Berichtigung 11115 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 11117 *A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 11117* B 123. Sitzung Bonn, Freitag, den 13. September 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 120. Sitzung, Seite 10805: In die Liste der entschuldigten Abgeordneten ist einzufügen: „Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 10. 9. 1996". Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 13.9. 96 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Dr. Däubler-Gmelin, SPD 13. 9. 96 Herta Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 13. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Graf von Einsiedel, PDS 13. 9. 96 Heinrich Graf (Friesoythe), SPD 13. 9. 96 Günter Dr. Jacob, Willibald PDS 13. 9. 96 Regenspurger, Otto CDU/CSU 13. 9. 96 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 701. Sitzung am 12. September 1996 beschlossen, gegen das nachfolgende Gesetz einen Einspruch gemäß Artikel 77 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht einzulegen: Siebtes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Siebtes SGB V-Änderungsgesetz - 7. SGB V-ÄndG) Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 11. September 1996 ihren Antrag „Verbesserung des Jugendaustausches zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik" - Drucksache 13/5469 - zurückgezogen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EUVorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/4137 Nr. 2.15 Drucksache 13/4466 Nr. 2.10 Drucksache 13/4514 Nr. 2.25 Drucksache 13/4514 Nr. 2.47 Anlagen zum Stenographischen Bericht Drucksache 13/4636 Nr. 1.1 Drucksache 13/4678 Nr. 2.12 Innenausschuß Drucksache 13/1614 Nr. 2.14 Drucksache 13/3790 Nr. 2.3 Drucksache 13/3938 Nr. 2.13 Drucksache 13/3938 Nr. 2.17 Finanzausschuß Drucksache 13/4466 Nr. 2.44 Drucksache 13/4678 Nr. 2.42 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/2306 Nr. 2.51 Drucksache 13/3668 Nr. 2.15 Drucksache 13/4137 Nr. 2.91 Drucksache 13/4137 Nr. 2.93 Drucksache 13/4137 Nr. 2.94 Drucksache 13/4137 Nr. 2.95 Drucksache 13/4137 Nr. 2.96 Drucksache 13/4678 Nr. 1.1 Drucksache 13/4678 Nr. 2.6 Drucksache 13/4678 Nr. 2.15 Drucksache 13/4678 Nr. 2.18 Drucksache 13/4678 Nr. 2.22 Drucksache 13/4678 Nr. 2.23 Drucksache 13/4678 Nr. 2.26 Drucksache 13/4678 Nr. 2.29 Drucksache 13/4678 Nr. 2.30 Drucksache 13/4678 Nr. 2.33 Drucksache 13/4678 Nr. 2.35 Drucksache 13/4678 Nr. 2.40 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/4137 Nr. 2.85 Drucksache 13/4466 Nr. 2.49 Drucksache 13/4466 Nr. 2.50 Drucksache 13/4514 Nr. 2.12 Drucksache 13/4514 Nr. 2.32 Drucksache 13/4514 Nr. 2.35 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/218 Nr. 85 Drucksache 13/218 Nr. 86 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/2674 Nr. 2.21 Drucksache 13/3938 Nr. 2.11 Drucksache 13/3938 Nr. 2.19 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/1614 Nr. 1.7 Drucksache 13/3938 Nr. 2.30 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/4678 Nr. 2.4 Drucksache 13/4678 Nr. 2.14 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/4466 Nr. 2.36 Drucksache 13/4466 Nr. 2.40 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/1799 Nr. 3.2
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in der Haushaltsdebatte in dieser Woche vor allem über die Frage diskutiert, wie wir die Wachstumskräfte stärken können, wie wir die Grundlagen sozialer Sicherheit zukunftsfest machen können und wie wir einen Beitrag dazu leisten können, daß die Arbeitslosigkeit abgebaut wird. Genau um diese Fragen geht es auch bei den Entscheidungen, die wir jetzt im Anschluß zu treffen haben. Mit diesen Entscheidungen findet ein langer - auch leidenschaftlicher - parlamentarischer wie öffentlicher Diskussionsprozeß seinen Abschluß.
    Meine Damen und Herren, vielleicht ist es in diesem Augenblick einmal ganz interessant, sich noch einmal über den zeitlichen Ablauf dieser Debatte zu vergewissern, weil sich mancher von uns, vor allem aber die Öffentlichkeit, angesichts der Kurzatmigkeit unserer öffentlichen Diskussionsprozesse kaum noch zurechtfindet und weil viele Bürger oft fragen oder auch nicht verstehen können, warum das alles so lange dauert, bis in Bonn entschieden wird, während wir für die Gesetze, die wir jetzt zu verabschieden haben, in der parlamentarischen Beratung von der

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Opposition - nicht völlig ohne Grund übrigens - den Vorwurf bekommen haben, das gehe alles viel zu schnell, der Zeitdruck sei zu groß.
    Deswegen ist es in diesem Augenblick vielleicht einmal ganz hilfreich, daran zu erinnern: Beide Koalitionsfraktionen haben am 25. April - abends - unser „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" beschlossen. Der Bundeskanzler hat es am 26. April, am nächsten Morgen, hier im Deutschen Bundestag vorgestellt, und darüber haben wir eine erste Debatte geführt. - Das waren noch nicht die Gesetze. - Wir haben dann zusammen mit den Ministerien, die Gesetzentwürfe, die für die Umsetzung dieses Programms notwendig waren, erstellt und im Bundestag eingebracht. Die erste Lesung der Gesetzentwürfe war am 23. und 24. Mai. Dann kamen die Ausschußberatungen, und am 28. Juni war die zweite und dritte Lesung der Gesetze.
    Der Bundesrat hat sich, nach der Verabschiedung im Bundestag, am 19. Juli mit den Gesetzen befaßt und den Vermittlungsausschuß angerufen. Der Vermittlungsausschuß hat am 26. August - mit der Mehrheit der sozialdemokratisch geführten Landesregierungen und der Minderheit aus dem Lager der Opposition - mehrheitlich Ergebnisse beschlossen, die der Beschlußfassung im Bundestag nicht entsprochen haben, die nicht unserer Überzeugung entsprechen und die wir deswegen in einer Sondersitzung des Bundestages am 29. August zurückgewiesen haben. Daraufhin hat der Bundesrat in seiner Sitzung gestern, am 12. September - -

    (Zuruf von der SPD: Das wissen wir doch alle!)

    - Nein, die Öffentlichkeit weiß das nicht. - Der Bundesrat hat gestern den Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, seine Zustimmung verweigert

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    und bei den Gesetzen, die seiner Zustimmung nicht bedürfen, Einspruch eingelegt.
    Soweit es Gesetze sind - und über die stimmen wir jetzt ab -, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, können wir, der Bundestag, mit der Mehrheit unserer Mitglieder diesen Einspruch zurückweisen, und dann kommen die Gesetze zustande. Soweit die Gesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen - und da gibt es vier Gesetze - werden wir entweder beantragen, das Vermittlungsverfahren erneut in Gang zu setzen, oder wir werden die Gesetze zur gesetzlichen Krankenversicherung neu einbringen, um einen Teil zustimmungsfrei zu halten und bei einem anderen Teil zu versuchen, die Zustimmung zu bekommen. Das ist der Verfahrensstand.
    Meine Damen und Herren, es geht aber nicht nur um Verfahren. Da gerade Frau Matthäus-Maier in Ihrem letzten Beitrag, auf den ich nun nicht mehr eingehen will, weil jede Debatte mal ein Ende finden muß - -

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Gehen Sie doch mal darauf ein!)

    - Wahrscheinlich würde der Präsident mich dann zur Ordnung rufen, da wir jetzt bei einem neuen Tagesordnungspunkt sind.
    Frau Matthäus-Maier, Sie haben schon über die nächsten Themen geredet, darüber, wo wir uns auch mit dem Bundesrat verständigen müssen, weil ohne die Zustimmung des Bundesrates diese Gesetze nicht zustande kommen. Aber ich finde es wirklich wichtig, daran zu erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß mit dieser Debatte und diesen Entscheidungen - nicht nur in unserem Hause, sondern auch bei der Bevölkerung, für die wir alle Verantwortung tragen, von der wir gewählt sind - viel Leidenschaft, viel Verunsicherung, viele Auseinandersetzungen und auch viele besorgte Fragen verbunden sind. Deswegen lassen Sie uns die Chance nutzen, so ernsthaft, so sachlich und so ehrlich, wie wir können, unsere Argumente auszutauschen, aber auch zu sagen, worum es geht und worum es nicht geht. Und lassen Sie uns nicht über die nächsten Schritte reden, bevor wir die jetzt anstehenden Entscheidungen getroffen haben. Jetzt müssen wir erst einmal über das entscheiden, was heute zur Entscheidung ansteht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der Beratungsprozeß, den ich Ihnen mit den Daten geschildert habe, belegt auch, daß wir trotz aller Kritik gründlich debattiert, jedes Detail beraten und jede Einwendung - ob sie in diesem Haus oder in Demonstrationen erhoben worden ist - daraufhin geprüft haben, ob wir ihr Rechnung tragen können. Wir haben also nicht gesagt: Augen zu und durch!

    (Widerspruch bei der SPD)

    Wir haben zum Beispiel bei unseren Vorstellungen zur Anhebung der Altersgrenze bei Frauen erfahren müssen: Die schnelle Umstellung ist mit der Lebensplanung der Frauen nicht vereinbar. Daraufhin haben wir - nach dieser Kritik, die wir für berechtigt gehalten haben - die notwendigen Änderungen vorgenommen, und das steht zur Entscheidung an.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber alle Beratungen, alle Auseinandersetzungen, auch verbleibende unterschiedliche Meinungen, die wir ja respektieren - und ich werde mich dafür einsetzen, daß Sie Ihre Argumente noch einmal ungestört vortragen können --, dürfen nicht verhindern, daß irgendwann auch entschieden werden muß. Und jetzt, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist die Debatte zu Ende. Jetzt muß entschieden werden: heute, an diesem Freitag.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will in aller Kürze noch einmal die wesentlichen Argumente zusammenfassend vortragen, die uns bei unserer Entscheidung bewegen.
    Wir haben 3,9 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Das ist zuviel, damit dürfen wir uns nicht abfinden. Das ist das Entscheidende. Angesichts eines sich verschärfenden Wettbewerbs um Investitionen und Arbeitsplätze in Europa und weltweit müssen wir - dazu gibt es keine Alternative - den Standort Deutschland stärken. Wir müssen wirtschaftliches

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Wachstum, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit verbessern, wenn wir die Fundamente unseres Sozialsystems, unseres Sozialstaates für die Zukunft sichern und dazu beitragen wollen, daß neue, daß mehr Arbeitsplätze in diesem Lande entstehen.
    Dazu ist eine Begrenzung des Anstiegs von Lohnkosten, Lohnnebenkosten und der Ausgaben des Staates - von Bund, Ländern und Gemeinden - und der Sozialversicherungen unausweichlich. Wer Ausgabenanstiege begrenzen will, der kommt um Einsparungen bei Ausgaben nicht herum. Das ist durch Umschichtungen bei Einnahmen nicht zu leisten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie haben in dieser Haushaltsdebatte Vorschläge dazu gemacht, wie man die Einnahmen umschichten kann - Steuern abbauen an der einen Stelle, sie dafür an anderer Stelle erhöhen; Abgaben an der einen Stelle erhöhen; an anderer Stelle Abgaben senken, doch nicht zu stark -, aber Sie haben keine Vorschläge dazu gemacht, wie man Ausgaben kürzen kann. Doch nur so können wir die Steuer- und Abgabenquote senken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD])

    - Hören Sie doch für ein paar Minuten auf, dauernd Zwischenrufe zu machen, deren Sinn ich nicht erkennen kann.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Bei mir wird auch ordentlich dazwischengerufen!)

    - Ich versuche immer, dafür zu sorgen, daß auch Sie nicht gestört werden.
    Viele Menschen sind der Ansicht, daß wir uns mit dem, was jetzt zur Entscheidung ansteht, ernsthaft auseinandersetzen sollten. In diesem Sinne verstehen Sie bitte, wenn wir Ihnen sagen: Sie haben keine Alternativen vorgelegt, jedenfalls nicht in bezug auf Einsparmöglichkeiten. Sie haben zwar Steuererhöhungen und Abgabenumschichtungen vorgeschlagen, aber keine Einsparungsvorschläge gemacht, auch in dieser Woche nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Leider wahr!)

    Im übrigen kann man in dieser Stunde vielleicht auch die Leidenschaft noch einmal dämpfen, wenn man daran erinnert, daß schon im Januar bei den Gesprächen zwischen der Bundesregierung, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden Übereinstimmung erzielt wurde. Das ist ja im „Bulletin" der Bundesregierung vom 26. Januar 1996 festgehalten. Es hat ein gemeinsames Papier gegeben. Aus ihm zitiere ich die folgenden Sätze. Zum Beispiel:
    Eine zu hohe Staatsquote hemmt die wirtschaftliche Dynamik, engt Spielräume für Eigeninitiative ein und mindert die Leistungsbereitschaft der Bürger.
    Meine Damen und Herren, wenn das richtig ist, müssen wir die Ausgaben senken. Durch Umschichtungen können wir die Staatsquote nicht abbauen. Deswegen mahne ich die fehlenden Alternativen an.
    Oder - Bundesregierung, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände am 23. Januar -:
    Den Sozialstaat zu sichern und zu festigen ist gemeinsames Ziel und gemeinsame Aufgabe. Seine Finanzierungsgrundlagen müssen durch Reformen erhalten bleiben. Die Sozialbeiträge insgesamt und die Sozialabgabenquote müssen stabilisiert und bis zum Jahr 2000 wieder auf unter 40 Prozent zurückgeführt werden.
    Das haben die Bundesregierung, die Gewerkschaften und die Wirtschaftsverbände gemeinsam festgestellt. Das ist nur durch Ausgabenkürzungen - anders nicht - zu erreichen.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Recht haben sie!)

    Oder:
    In der Rentenversicherung muß das Versicherungsprinzip gestärkt, schrittweise das tatsächliche Renteneintrittsalter auch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung erhöht werden.
    Auch das haben die Bundesregierung, die Gewerkschaften und Wirtschaftsvertreter im Januar gemeinsam festgestellt. Gesetzliche Maßnahmen, die genau das umsetzen sollen, stehen heute zur Abstimmung an. Sie sehen eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters vor. Stärkung des Versicherungsprinzips heißt: eine Neubewertung der beitragsfreien Zeiten. Auch eine diesbezügliche gesetzliche Maßnahme steht nachher zur Abstimmung an, wenn wir den Einspruch des Bundesrats zurückweisen wollen.
    Oder - Bundesregierung, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände im Januar -:
    Im Gesundheitswesen müssen Kostenbegrenzung durch mehr Wettbewerb, größere Selbstverantwortung und mehr Befugnisse und Verantwortung der Selbstverwaltungen erreicht werden.
    Genau diese Prinzipien hat der Bundesrat in seiner gestrigen Entscheidung abgelehnt. Wir müssen sie durchsetzen.
    Oder auch:
    Geprüft werden sollen in gemeinsamen Gesprächen Möglichkeiten zur Verringerung von Fehlzeiten in den Betrieben.
    Also auch in dieser Beziehung ist der Handlungsbedarf zwischen Bundesregierung, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften im Januar unstreitig gewesen.
    Wenn dies alles so ist, dann fordere ich Sie auf: Lassen Sie uns doch, auch wenn wir in der Sache unterschiedlicher Meinung sind, den Streit nicht übertreiben. Vielmehr lassen Sie uns ein wenig auf dem Teppich bleiben. Lassen Sie uns doch nicht so tun, als gingen alle Maßstäbe in der parlamentarischen

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Auseinandersetzung verloren. Wir setzen mit unserem „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" genau auf die Ziele, die Bundesregierung, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften gemeinsam für notwendig erklärt haben. Wir setzen auch darauf, Existenzgründer stärker zu fördern - das hat die niedersächsische Landesregierung ja als vorbildlich gelobt; ich habe das ja vorgestern hier schon gesagt -, und darauf, durch mehr Flexibilität neue Beschäftigungspotentiale zu erschließen, beispielsweise in privaten Haushalten, aber insbesondere auch bei den Existenzneugründern und vor allem bei kleinen und mittleren Betrieben.
    Meine Damen und Herren, ich will im Hinblick auf die anstehenden Abstimmungen nur vier Punkte erwähnen, die besonders in der öffentlichen Auseinandersetzung im Mittelpunkt stehen.
    Erstens. Wir wollen bei befristeten Arbeitsverhältnissen und beim Kündigungsschutz mehr Flexibilität schaffen. Wenn wir die Situation der kleinen und mittleren Betriebe verbessern, damit sie neue Arbeitskräfte einstellen können, dann ist das ein Beitrag, Arbeitslosigkeit abzubauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Durch diese Neuregelung verliert niemand etwas, was er hat.

    (Lachen und Widerspruch bei der SPD)

    - Entschuldigung, diese Regelungen sollen nur für Neueinstellungen gelten.

    (Zuruf von der PDS: Stimmt doch gar nicht!)

    Das haben wir in der Argumentation berücksichtigt. Das heißt, jeder, der einen Arbeitsplatz hat, behält seinen Kündigungsschutz. Dem aber, der keinen hat, sage ich: Lieber befristet arbeiten als dauerhaft arbeitslos sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)

    Zweitens: Selbstbeteiligung bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das ist kein einfaches Thema. Niemand hat es sich leichtgemacht - in der Union nicht und in der F.D.P.-Fraktion auch nicht; wir haben ernsthaft darüber geredet. Aber es führt kein Weg daran vorbei: Kein anderes Land in der Welt hat eine 100prozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ohne jede Selbstbeteiligung. Meistens ist es doch so: Wenn auf der Autobahn alle anderen in die andere Richtung fahren als man selbst, fahren nicht all die anderen falsch, sondern man selbst.
    Es wurde viel davon gesprochen - das respektiere ich -, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sei das Ergebnis einer langen Auseinandersetzung in der Metallindustrie in Schleswig-Holstein in den 50er Jahren gewesen. Wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, daß es damals darum ging, Arbeiter und Angestellte bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gleichzubehandeln. Das Ergebnis jener Auseinandersetzung ist eine Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im Jahre 1957 gewesen, nach der zwei Karenztage für Arbeiter und Angestellte
    und anschließend 90prozentige Lohnfortzahlung vorgesehen wurden. Deswegen sage ich: Überhöhen Sie die Argumente gegen unseren Vorschlag nicht!
    Bedenken Sie im übrigen vor allen Dingen eines: Unser Vorschlag ist, Arbeiter, Angestellte und Beamte bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gleichzubehandeln. Bei der Regelung für Beamte brauchen wir die Zustimmung des Bundesrates. Der Bundesrat hat diese Zustimmung verweigert. Ich glaube nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und der Mehrheit im Bundesrat, daß es auf die Dauer Sinn macht - gerade wenn Sie sich dem Erbe jener Auseinandersetzung um die Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten verpflichtet fühlen -, bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten einerseits und Beamten andererseits aufrechtzuerhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Drittens. Bei den Maßnahmen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung geht es letzten Endes um das Prinzip, das wir übrigens auch bei dem leidenschaftlichen Ringen um die Pflegeversicherung berücksichtigt haben: daß wir, wenn wir neue, große Risiken absichern wollen - vor dem Hintergrund einer Sozialquote, deren Volumen rund ein Drittel des Bruttoinlandprodukts ausmacht und die wir somit nicht beliebig steigern können -, bei kleinen Risiken vielleicht ein Stückweit mehr Selbstbeteiligung vorsehen.
    Da die Ausgaben für stationäre Kuren -- um das Beispiel zu nennen - in den letzten drei oder vier Jahren um 25 Prozent oder mehr gestiegen sind - bei gleichzeitigem Rückgang der Anzahl der ambulanten Kuren -, wird offenkundig, daß das Element von mehr Selbstbeteiligung wohl doch ein richtiges Steuerungselement ist, damit wir auch in Zukunft wirksame Vorsorge für die großen Lebensrisiken leisten können. Bei Zahnersatz oder Brillengestellen können wir dann schon ein bißchen mehr Eigenbeteiligung verlangen. Ich glaube, das Prinzip ist nicht falsch, sondern richtig.
    Viertens: Rentenversicherung. Man kann angesichts der demographischen Entwicklung - steigende Lebenserwartung - die Notwendigkeit einer allmählichen Anpassung des Renteneintrittsalters nicht bestreiten. Darüber hatten wir Anfang der 90er Jahre Konsens. Über das Anpassungstempo kann man streiten. Wir haben unseren entsprechenden Vorschlag zurückgenommen; wir haben ihn in den Beratungen korrigiert.
    Wenn das Versicherungsprinzip in der Rentenversicherung gestärkt werden soll - wie Regierung, Gewerkschaften und Wirtschaft im Januar gesagt haben -, dann ist eine Neubewertung von beitragsfreien Zeiten genau der richtige Weg. Ich sage es noch einmal: Wir haben uns die Entscheidungen, die jetzt anstehen, nicht leichtgemacht. Wir haben auch Verständnis für die öffentliche Auseinandersetzung. Wir haben uns ebenfalls nicht leichtfertig über Kritik hinweggesetzt, sondern versucht, genau zuzuhören.

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Wir wissen jedoch, daß uns niemand unsere Verantwortung zu entscheiden abnehmen kann. Dafür sind
    wir gewählt, und deswegen müssen wir entscheiden.
    Bitte verlieren Sie nicht die Maßstäbe: Wir haben 1,2 Billionen DM Sozialleistungen in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben eine Sozialleistungsquote von 33,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wenn die Sozialleistungsquote durch die jetzt zur Entscheidung anstehenden Maßnahmen auf 33 Prozent absinkt, dann ist das nicht das Ende des Sozialstaats, sondern eine notwendige Maßnahme, um den Sozialstaat für die Zukunft zu sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Um die Leidenschaften zu überprüfen, lassen Sie uns einen Blick darauf werfen, was in anderen europäischen Ländern in diesen Jahren gemacht wurde. In den Niederlanden - dort gibt es einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten - wird eine Kostenbeteiligung der Versicherten in der Krankenversicherung eingeführt, ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 70 Prozent des Lohns begrenzt worden, sind Sozialleistungen und Versorgungsbezüge von der Lohnentwicklung abgekoppelt worden.
    In Schweden - einstmals sozialistisches Musterland - sind Karenztage und eine Senkung auf 75 Prozent bei der Lohnfortzahlung eingeführt worden, ebenso Zuzahlungen bei Artzbesuchen, Arzneimitteln und Krankenhausaufenthalten, Senkung des Kindergelds - wir wollen nur die Erhöhung verschieben, nichts senken -, Herabsetzung des Unterstützungssatzes in der gesamten Sozialversicherung, Anhebung der Altersgrenze in der Rentenversicherung auf 66 Jahre usw.
    Im internationalen Maßstab sind wir mit dem Niveau unserer sozialen Vorsorge und sozialen Sicherheit immer noch an der oberen Spitze. Das soll auch so bleiben. Aber damit es so bleiben kann, muß es auch finanzierbar sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die OECD hat in einem Bericht, der in dieser Debatte oft genug zitiert worden ist, davon gesprochen, daß die vollständige Umsetzung der Maßnahmen, die die OECD begrüßt, die Verabschiedung von Gesetzen, die gegen den hartnäckigen Widerstand der Länder im Bundesrat durchgebracht werden müssen, erfordert. Das sollte ein Appell an die Bundesratsmehrheit sein, ihre Zustimmung bei den zustimmungspflichtigen Gesetzen nicht zu verweigern.
    Dort, wo wir gegen den Einspruch des Bundesrates entscheiden können, sind wir, wenn wir von der Richtigkeit und Notwendigkeit unserer Überlegungen überzeugt sind, auch verpflichtet, uns über den Einspruch hinwegzusetzen. Deswegen werden wir mit der notwendigen Mehrheit des Bundestags den Einspruch des Bundesrats zurückweisen.
    Die Mehrheit im Bundesrat ist genauso demokratisch zustande gekommen wie die im Bundestag. Der Respekt vor demokratischen Entscheidungen erfordert auch den Respekt vor den Entscheidungen der Mehrheit. Wenn die Entscheidung in ein paar Stunden getroffen sein wird, sollte man den Respekt vor
    dieser Entscheidung nicht verweigern und deshalb den Streit wieder begrenzen und sich der gemeinsamen Verantwortung stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der der F.D.P.)

    Dort, wo wir auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen sind, müssen wir uns einigen. Deswegen wollen wir jetzt die nicht zustimmungsbedürftigen Gesetze verabschieden. Für die zustimmungsbedürftigen werden wir erneut den Vermittlungsausschuß anrufen. Dann wollen wir in der Würdigung der unterschiedlichen Mehrheiten so rasch und konstruktiv wie möglich Gespräche führen. Wir wollen so schnell wie möglich verhandeln.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns aber so schnell wie möglich handeln; denn es geht bei dem, was für Wachstum und Beschäftigung, für mehr Arbeitsplätze und den Erhalt unserer Zukunftssicherheit - hier dürfen die notwendigen Entscheidungen nicht verzögert werden, und man darf ihnen nicht ausweichen - nötig ist, um die Zukunft unseres Landes. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam unsere Verantwortung tragen. Wir sind dazu bereit.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Hans Klein
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Ich erteile dem Kollegen Rudolf Scharping das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Scharping


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! All diese Gesetze tragen einen lügnerischen Titel. Es wird vom Sparen geredet, tatsächlich wird an wirtschaftlicher Kraft, an sozialer Verantwortung gespart. Es wird nicht bei den Unternehmen gespart. Sie sparen an der sozialen Demokratie, und das ist an der falschen Stelle gespart.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wir reden auch nicht über einzelne Gesetze, sondern über Elemente, über Schritte auf einem langen Weg, von dem Sie sagen, Sie wollten heute Entscheidungen treffen. Ich appelliere an Sie, diese Entscheidungen nicht zu treffen. Ich appelliere an Sie, an Ihr soziales Empfinden, an Ihr Gespür für Gerechtigkeit, an ein Minimum von Anstand.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die Lohnfortzahlung, die der Gesetzgeber geregelt hat, trifft Menschen, die wir unter keinen Umständen treffen dürfen. Sie trifft langfristig Kranke, sie trifft Behinderte, sie trifft Schwangere. Ich habe hier das Bild eines Mannes, der im Rollstuhl sitzt, 31 Jahre alt ist, der sich mühsam eine Halbtagsstelle besorgt hat, in einem Behindertenprojekt arbeitet, 1 600 DM netto verdient und, weil er im Rollstuhl sitzt und weil er seinen Körper nur eingeschränkt kontrollieren kann, häufig unter Erkältungen, unter Schwierigkeiten mit den Atemwegen und anderem

    Rudolf Scharping
    leidet. Dieser Mann arbeitet. Er kämpft darum, mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten die Anerkennung nicht als Almosen zu bekommen, sondern aus eigener Arbeit. Und jetzt kommt eine Christlich-Demokratische Union und wirft ihn mit diesem Gesetz in die Sozialhilfe zurück, in jenes Netz, von dem Sie behaupten, in ihm würden nur die Faulen und die Drückeberger liegen. Das ist Ihre Politik.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Sie sagen die Unwahrheit!)

    Ich habe hier den Brief einer schwangeren Mutter, die nichts anderes reklamiert als das, was Sie immer gesagt haben: kinderfreundliches Land, Schutz für das Leben, von dem sogar die CSU versprochen hat, es wird geregelt. Ich sage Ihnen: Wie Sie über Menschen, über soziale Verhältnisse reden, verrät nur eines: Sie wissen nicht mehr, wie es den normalen Menschen in diesem Lande geht. Sie ignorieren es und gehen darüber hinweg.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    War es nicht Herr Schäuble, der uns allen geschrieben hat, daß es bitter und ganz und gar unverantwortlich ist für das ehrenamtliche, das gemeinsame Engagement - auf das wir alle angewiesen sind -, wenn man nach einem Einsatz bei den Feuerwehren, der daraus entstehenden Grippe, den Krankheiten, am Ende mit 80 Prozent nach Hause geht und, wird es etwas schwerwiegender, möglicherweise mit einem geschmälerten Krankengeld? Freilich, jener Herr Schäuble, der das geschrieben hat, ist der Vorsitzende des Verbandes der Feuerwehren in Deutschland, nicht der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion.
    Sie wollen den Kündigungsschutz lockern und behaupten, das diene der Beschäftigung. Sie haben dem deutschen Volk gesagt: Beschäftigungsverhältnisse lockern, befristete Arbeitsmöglichkeiten einführen, private Arbeitsvermittlung einführen. Jetzt sagen Sie: Kündigungsschutz lockern. Immer haben Sie behauptet, es diene der Beschäftigung. Nichts hat es geholfen, genauso wenig wie das helfen wird, die wirklichen Probleme des Landes zu lösen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie behaupten, es gebe keine Alternative, jedenfalls sei keine vorgeschlagen worden. Das sagen Sie auch angesichts der Tatsache, daß die Altersgrenze der Frauen in der Rentenversicherung heraufgesetzt werden soll. Ich appelliere erneut an Sie: Sorgen Sie dafür, daß Frauen, die ohne Sozialversicherung arbeiten, endlich die angemessene Sicherheit erhalten, daß die Beiträge für die Rentenversicherung bezahlt werden! Sorgen Sie dafür, daß nicht die Beschäftigungschancen der Jüngeren verschlechtert werden, nur weil Sie glauben, man müsse die sozialen Rechte von Menschen immer weiter schmälern! Das wird Deutschland nicht helfen.

    (Beifall bei der SPD)

    Dann sagen Sie, es gebe ein Angebot zur Kooperation. Darauf kann man nur noch gallig reagieren. Sie haben das Angebot zur Kooperation im Januar ausgeschlagen, Sie haben es im Februar ausgeschlagen, Sie haben es im März ausgeschlagen. Sie haben alle diese Gesetze so zusammengezimmert, daß eine Mitsprache der Sozialdemokratie soweit wie irgend möglich ausgeschlossen wird. Sie wollten nie Kooperation. Deswegen ist es reine Heuchelei, wenn Sie jetzt Kooperation einklagen. Sie wollten sie nie.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Was viel schlimmer ist: In der Zeit, in der Sie Kooperation verweigern und sie hier heuchlerisch neu anbieten, kündigen Sie an, Sie wollten den Weg fortsetzen, Sie wollten ihn verschärfen. Sie kündigen an, daß bei den Beziehern normaler Einkommen Entlastungen nicht möglich seien, wohl aber bei den Millionären. Sie kündigen an, die Familien würden weiter belastet, und die Vermögensbesitzer bekommen von Ihnen Champagner ausgeschenkt. Sie kündigen an, Sie wollten die Rentner stärker zur Kasse bitten. Sie kündigen an, Sie wollten neu und immer tiefer in das Netz zum Schutz gegen die Arbeitslosigkeit einschneiden.
    Dies sind alles Diskussionen, die Sie führen. Die Opposition hat Ihnen mehrfach gesagt: Laßt uns gemeinsam den sozialen Frieden bewahren, laßt uns gemeinsam die Arbeitslosigkeit bekämpfen!

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Es wird aber nur die Kooperation, zu der Sie von der Verfassung her gezwungen sind, nicht aber die, die aus politischer Einsicht notwendig wäre, stattfinden.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Ich weiß genau, der Appell ist vergeblich. Die Frauen unter Ihnen, die intern protestiert haben, werden nicht die Konsequenzen ziehen, die Ostdeutschen werden nicht die Konsequenzen ziehen, die CDA wird nicht die Konsequenzen ziehen. Aber wir hoffen und wir werden darum kämpfen, daß die Menschen in Deutschland die Konsequenz ziehen, daß endlich Schluß ist mit einer Politik, die den sozialen Zusammenhalt ruiniert.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)