Rede von
Ingrid
Matthäus-Maier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drei Merkmale ziehen sich durch die Haushaltsdebatte dieser Woche: erstens die mangelnde Seriosität und Solidität der von Theo Waigel genannten Zahlen, zweitens das Chaos in der Steuerpolitik und drittens die Umverteilung von unten nach oben, indem man unten abkassiert und oben Steuergeschenke verteilt.
Zu den unseriösen Zahlen hat mein Kollege Karl Diller das Wichtigste gesagt. Wenn Sie schon der SPD nicht glauben, meine Damen und Herren, dann schauen Sie einmal in die Zeitungen, in die Kommentare dieser Tage: „Theos Märchenstunde", „Waigels Luftnummer" . Man könnte noch viel mehr zitieren.
Daß Sie eben einmal zwischen Tür und Angel - nachdem Sie uns monatelang beschimpft haben, als wir Ihnen eine höhere Neuverschuldung vorhergesagt haben - für das Jahr 1996 10 Milliarden DM neue Schulden auf die ohnehin schon hohen 60 Milliarden DM drauflegen, ohne das Parlament zu fragen, das ist wirklich ein unglaublicher Vorgang. Das müssen wir gesetzlich ändern. Es kann ja wohl nicht sein, daß der Finanzminister bei einer überplanmäßigen Ausgabe von 10 Millionen DM den Bundestag um Genehmigung bitten muß, gleichzeitig aber eine Erhöhung der Neuverschuldung um glatte 10 Milliarden DM nach eigenem Gutdünken beschließen kann. Das muß ein Ende haben, meine Damen und Herren.
In der Steuerpolitik herrscht das Chaos. Wir haben von Ihnen im Laufe der Debatte verlangt: Sagen Sie uns doch nun die Eckpunkte Ihrer Steuerreform. - Sie können unsere Eckpunkte kritisieren, aber sie sind klar: Eingangssteuersatz 19,5 Prozent, Absenkung von steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten und Stopfen von Schlupflöchern, ein durchgehend linearer Tarif ohne Sprünge. All dies ist wichtig.
Wir wollen das im Jahre 1998. Die F.D.P. will das auch im Jahre 1998. Die Union sagt: 1999. Und was sagt der Bundeskanzler? Der Bundeskanzler sagt in einer Rede, in der wir gespannt auf die Jahreszahl gewartet haben: Die Reform muß Ende 1997 im Gesetzblatt stehen. - Meine Damen und Herren, was ist denn das für ein Unsinn? Im Gesetzblatt kann das stehen, wann Sie wollen. Wir wollen von Ihnen wissen, wann die Entlastung für die Durchschnittsverdiener in Kraft tritt.
Mit dieser sibyllinischen, nichtssagenden Aussage des Bundeskanzlers werden Sie nicht über die Runden kommen. Wir verlangen von Ihnen im Laufe dieses Herbstes eine Auskunft darüber, wann die Entlastung der Durchschnittsverdiener in Kraft treten wird, wenn Sie überhaupt eine Entlastung der Durchschnittsverdiener wollen.
Zur Steuerpolitik: Wir werden Sie nicht daraus entlassen, uns zu sagen, was Sie im Jahre 1997 wollen. Sie spiegeln den Menschen große Entlastungspakete für 1998 oder für 1999 vor. Dabei versuchen Sie zu verdecken, daß wir für das Jahr 1997 gemeinsam Entlastungen für untere Einkommen beschlossen haben, die Sie wieder rückgängig machen wollen. Sie sprechen nicht gern über das Kindergeld im Jahr 1997, über die Verbesserung des Grundfreibetrages im Jahr 1997. In Ihrem sogenannten Sparpaket, das ich für ein sozial ungerechtes und wirtschaftspolitisch uneffektives Kürzungspaket halte, steht ausdrücklich drin, daß die Steuererleichterungen, die wir erkämpft haben, verschoben werden sollen.
Lassen Sie uns doch einmal gemeinsam darüber sprechen, um was es eigentlich geht. In unserem Land gilt das Prinzip der steuerlichen Leistungsfähigkeit. Dieses Prinzip besagt - völlig selbstverständlich -, daß der Staat den Menschen nicht besteuern darf, was sie als Existenzminimum brauchen - für das eigene Existenzminimum, für das des Ehepartners und für das der Kinder. Nun hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht bescheinigt, daß die Steuerpolitik von Herrn Waigel über Jahre hinweg in diesem Sinne verfassungswidrig war, weil die Menschen zu hoch besteuert wurden. Auf Grund dessen haben wir im letzten Jahr gemeinsam beschlossen, das Kindergeld zu verbessern - 1996 auf 200 DM vom ersten Kind an und 1997 um weitere 20 DM - und den steuerfreien Grundfreibetrag auf 12 000 DM im laufenden Jahr und auf 12 300 DM im Jahr 1997 festzusetzen.
Selbst wenn man kein Steuerfachmann ist, sieht man doch, daß diese Zahlen sehr niedrig sind. 12 000 DM als Existenzminimum im Jahr - dafür müssen wir uns fast schon schämen.
Wir Sozialdemokraten haben dem nur zugestimmt, weil wir gleichzeitig einen Stufenplan beschlossen haben: 12 000 DM im Jahr 1996 mit einer Steigerung auf 12 300 DM im Jahr 1997.
Ingrid Matthäus-Maier
Als der Bundeskanzler in seiner Rede am Mittwoch sagte, Arbeit müsse sich mehr lohnen als Nichtarbeit, hatte er recht. Das fordern wir seit Jahren. Genau deswegen muß ich doch den steuerlichen Grundfreibetrag verbessern! Eine Bundesregierung, die durch ihre Steuerpolitik dafür sorgt, daß die Menschen so stark besteuert werden, daß sie an die Grenze der Sozialhilfe rutschen, darf sich doch nicht beschweren, daß sich Arbeit in diesem Lande nicht mehr lohne.
Es gibt so famose Leute - unter Ihnen und auch in den Medien -, die sagen, 20 DM seien lächerlich. Dazu muß ich Ihnen sagen: Es scheint mir, daß viele von Ihnen, die Sie hier sitzen, das Gespür dafür verloren haben, wie es im Portemonnaie von Eltern mit Kindern aussieht.
Die „Süddeutsche Zeitung" schrieb gestern über die Haushaltsdebatte: „Der Kanzler hat keinen Sinn mehr für die soziale Not der kleinen Leute. " Ich glaube, daß die „Süddeutsche Zeitung" das gut beschrieben hat, insbesondere deswegen, weil Sie gleichzeitig - Herr Waigel, Sie haben es angesprochen und versucht zu verteidigen, aber Sie können es nicht verteidigen - Einnahmeverluste von 9 Mil-Harden DM durch die beabsichtigte Abschaffung der Vermögensteuer in Kauf nehmen.
Ihr Vorhaben für 1997 bedeutet, daß ein Privatmann oder eine Privatfrau - es soll auch Privatfrauen mit Vermögen geben -, die ein Privatvermögen von 10 Millionen DM hat, durch Ihre Gesetzgebung ab 1. Januar 1997 eine Steuerentlastung von 100 000 DM erhält. Steuerentlastung in Höhe von 100 000 DM für Vermögensmillionäre einerseits, aber andererseits angeblich kein Geld für die Erhöhung des Kindergeldes - das wird mit Sozialdemokraten auf gar keinen Fall zu machen sein.
Wenn wir uns diese Woche vor Augen halten und uns dieses Chaos, diese Umverteilung, diese Schulden anschauen, dann, Herr Bundesfinanzminister, hat sich in dieser Woche erneut gezeigt, wofür die Buchstaben Ihrer Partei, der CSU, in Wirklichkeit stehen: C für Chaos, S für Schulden, U für Umverteilung.
Das darf so nicht weitergehen!