Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der schwarze Bundesfinanzminister hat es inzwischen fertiggebracht, das ganze Land in Rot zu tauchen, vorerst in rote Zahlen.
Der Haushaltsentwurf 1997 ist ein einziges Rotbuch, und ich finde, aus dem Bundesfinanzminister ist ein Finanzlochminister geworden.
Das gesamte Papier strotzt von Kürzungen, von Streichungen, von Defiziten. Ich frage mich: Weshalb soll sich der Haushaltsausschuß in den nächsten Monaten mit einem Papier befassen und sich dann um 10 000 oder 100 000 DM streiten, wenn es Löcher in zweistelliger Milliardengröße gibt?
Es ist schon erstaunlich, wenn die Koalition in dieser Debatte nichts anderes sagen kann, als daß sie mit Zähnen und Klauen diesen Etat verteidigen wird, und einen Ergänzungshaushalt verweigert. Sie vertrauen, meine Damen und Herren von der Koalition, einzig auf Ihre knappe arithmetische Mehrheit, und mit diesen vier Stimmen Mehrheit, die Sie haben, muten Sie Millionen Menschen in diesem Lande Unzumutbares zu.
Sie wollen sich mit diesem Etat an seelenlosen fiskalischen Kriterien für die Europäische Währungsunion orientieren, und Sie sind nicht bereit, sie durch ökonomische und soziale Kriterien zu ergänzen. Sie werden dieses Land wie einen Marathonläufer durch
Dr. Christa Luft
das Maastricht-Tor peitschen. Sie sollten sich aber vergegenwärtigen, daß am Ende dieser Marathonläufer im Ziel zusammenbrechen wird.
Das Defizit bei der Bundesanstalt für Arbeit wird - das ist doch so sicher wie das Amen in der Kirche - wiederum ein riesiges Loch in den Etat reißen. Die sich weiter zuspitzende Arbeitsmarktlage läßt andere Annahmen überhaupt nicht zu. Blühende Landschaften lassen sich nun einmal mal nicht auf Haushaltskommando errichten. Sie aber bestehen darauf, mit diesem Nullzuschuß für die Bundesanstalt ins Rennen zu gehen.
Nun sagen Sie es doch wenigstens noch mit Ihrem letzten Redner, der hier in der Beratung sprechen wird, daß Sie die scharfe Schere für weitere soziale Einschnitte schon parat liegen haben; denn das, was dieses Haus heute wahrscheinlich mit seiner knappen Mehrheit beschließen wird, ist doch nur die Spitze des Eisberges. Das dicke Ende kommt noch nach.
Ja, es ist wahr: Die Sozialausgaben haben immer noch den höchsten Anteil am Gesamthaushalt. Aber das ist doch kein Gütesiegel für die Politik dieser Regierung, sondern inzwischen die Folge der Tatsache, daß bezahlte Arbeit in diesem Lande zu einer „Bückware", zu einem Privileg geworden ist und daß ein Großteil der Sozialleistungen leider der Finanzierung von Arbeitslosigkeit statt der Finanzierung von Arbeit dienen muß. Wer immer noch behauptet, mit diesem Sparpaket und mit diesem Haushaltsentwurf würde die Arbeitslosigkeit eingedämmt, treibt doch Schindluder mit den Hoffnungen von Millionen Erwerbslosen in diesem Lande. Und das wissen Sie auch ganz genau. Wann endlich nehmen Sie Ihre ideologischen Scheuklappen ab und reißen das Ruder herum? Nicht die Kürzung bei den Sozialausgaben bringt die Haushaltssanierung, sondern nur eine beschäftigungsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Die Zahl der Steuerpflichtigen muß endlich wieder wachsen. Das hat ja auch Herr Austermann gesagt; nur sind die Ansätze hier völlig unterschiedlich. Feiern Sie sich doch nicht ständig dafür, daß dieses Land sehr viele Millionen und Milliarden ausgibt, um Arbeitslose zu unterstützen. Betrachten Sie Massenarbeitslosigkeit doch nicht immer nur als einen kostentreibenden Faktor. Sie sollten Arbeitslosigkeit vor allen Dingen als entgangene Möglichkeit zur Wertschöpfung in diesem Lande sehen,
aber auch als Verlust der Möglichkeiten für menschliche Kreativität, als Preisgabe von Motivation und als Verlust der Lebenschancen für Millionen Menschen.
Wann intensivieren Sie endlich die Betriebsprüfungen und die Steuerfahndung, um Steuerhinterziehern auf die Schliche zu kommen? Wir wissen seit gestern, daß es im Oktober vom Bundesrechnungshof einen wahrscheinlich sehr aufschlußreichen Bericht geben wird. Wann ergreifen Sie die Initiative, um Spekulationsgewinne kräftig zu besteuern? Und
wann ergreifen Sie die Initiative, durch internationale Verträge die Steueroasen im Ausland auszutrocknen? Dazu muß man doch nicht bis zu einer großen Steuerreform warten; das kann man sofort auf den Weg bringen.
So groß wird ja die Steuerreform offenbar ohnehin nicht ausfallen. Ich habe schon die Befürchtung, sie wird auf die Schnapsidee, Renten zu besteuern, reduziert.
Gehen Sie sparsamer mit Geldern für Sanierungsmaßnahmen bei Umzugsbauten in Berlin um. Wenn sich alle einschränken müssen, dann kann das auch von Regierungsmitgliedern und von Beamten erwartet werden, die dort sitzen sollen.
Wir haben eine Fülle von Vorschlägen auf den Weg gebracht - sie kann ich jetzt nicht vorstellen -, um weitere Kürzungsmöglichkeiten zu begründen. Warum erwarten Sie ständig von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Verständnis für soziale Einschnitte, mit denen der Wirtschaftsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb attraktiver gemacht werden soll? Was die Banken, was Investmentfonds und Versicherungsunternehmen betrifft, habe ich von Ihnen noch nicht einmal den leisen Appell gehört, daß sie solidarisches Verhalten in einem gesellschaftlichen Umbruchprozeß üben sollen, obwohl die Gewinne der Geldinstitute auch in der Konjunkturflaute enorm eskalieren. Wäre es nicht an der Zeit, gerade die genannten Geldinstitute für eine befristete Anleihe mit Zeichnungspflicht zu einem Zinssatz in Höhe der Inflationsrate zu gewinnen? Dann könnten Sie ein ökologisch verträgliches öffentliches Investitionsprogramm auf den Weg bringen, Hunderttausenden heute arbeitsloser Menschen Arbeit geben. Wachstum würde hervorgerufen, zusätzliches Steueraufkommen würde geschaffen, und die Zinsen würden auf diese Weise nur unmerklich erhöht.
Aber solche Überlegungen passen nicht in Ihr Konzept und Ihr ideologisches Weltbild. Die Staatsverschuldung nimmt seit Jahren rascher zu als das Wirtschaftswachstum. Wenn man die Ausgaben für den Schuldendienst vom jährlichen Zuwachs des Bruttoinlandprodukts subtrahiert, dann bleiben pro Jahr nur ganz wenige Milliarden für eine zusätzliche Verteilung übrig. Das ist das Ergebnis Ihrer Wirtschaftspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte.
Ich frage Sie: Wann werden Sie endlich einen Obolus von jenen fordern, die seit Jahren und besonders seit 1990 die Profiteure der Schuldenaufnahme des Staates sind?
Die Staatsschulden sind doch nichts anderes als eine wichtige Quelle für den sprunghaften Anstieg der Vermögenseinkommen in den letzten zwanzig Jahren. Die Staatsschulden waren und sind ein Instrument, um Teile der Arbeitseinkommen abhängig Beschäftigter in Vermögenseinkommen der Reichen
Dr. Christa Luft
und Wohlhabenden umzuwandeln. Sie wollen mit dem Wegfall der Vermögensteuer gerade diese nun auch noch schonen. Geldverleihung an den Staat ist doch eine ganz verläßliche melkbare Kuh für die Reichen und Vermögenden geworden. Da kann man endlich einmal auch eine Gegenleistung erwarten.
Mit einem Feindbild hat das nichts zu tun, sondern das ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit.
Seit Dienstag war in diesem Hause häufig die Rede von den Finanzlasten aus der Vergangenheit. Gemeint sind damit immer die Erblasten aus der DDR. Es ist doch eine erhebliche Irreführung, wenn Sie der Öffentlichkeit weismachen wollen, ohne die Osttransfers, die ich überhaupt nicht kleinreden will, hätte die Bundesrepublik kein Schuldenproblem.
Dazu muß ich Ihnen erstens sagen: Sie vergessen die gewaltigen Hypotheken, die die alten Bundesländer in das vereinte Deutschland eingebracht haben. Ich meine die Massenarbeitslosigkeit seit Mitte der 70er Jahre, die ständig zu hohen Ausgaben geführt hat, um die Auswirkungen eben dieses Phänomens zu mildern. Ich meine den verantwortungslosen Aufschub einer Reform des öffentlichen Dienstes, als dessen Folge die Versorgungsleistungen heute überzuborden beginnen. Ich meine die Verschleppung der Steuerreform. Ich meine auch das nicht rechtzeitige Aufgreifen der notwendigen Reformen des deutschen Bilanzrechts. Man könnte diese Palette ergänzen.
Tun Sie zweitens nicht so, als hätten Sie aus der verblichenen DDR nichts als Schulden übernommen. Ich erinnere nur daran, wie das angeblich durch und durch marode öffentliche Vermögen in privaten Taschen gelandet ist. Wenn Sie heute in die Zeitung schauen, dann sehen Sie, daß sich allein zwischen 1989 und 1992 die Zahl der Einkommensmillionäre in den alten Bundesländern um 40 Prozent erhöht hat. Dies fällt genau in diese Umbruchzeit, in der sich viele bedient haben - leider nicht die Masse der Bevölkerung in den alten Ländern, das will ich ausdrücklich sagen; das ist vielmehr eine ganz bestimmte Schicht gewesen.
Sie haben das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung bis heute unverändert gelassen, was erhebliche Investitionshemmnisse darstellt. Sie haben die Einheit unverantwortlich teuer gestaltet, dem westdeutschen und dem ostdeutschen Steuerbürger unverantwortlich viele Lasten aufgehalst.
Nun leiten Sie eine zweite Welle der Abwicklung in den neuen Bundesländern ein und wollen nicht einmal jenen Hunderttausenden von Menschen, die heute über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein leidliches Auskommen haben, ihre Beschäftigung belassen. Aber Sie wollen beibehalten, was sich als Phänomen in der Wendezeit entwickelt hat, nämlich lebenslange Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zum Beispiel für Juristen, für Notare, für Sequester, für Liquidatoren, für Treuhänder. Das sind Erscheinungen,
die hier angesprochen werden müssen. Die dafür Verantwortlichen müssen gefunden werden.
Ich komme zum Schluß. Der Kollege Adolf Roth meinte am Dienstag, der Haushalt von 1997 sei der fünfzehnte Etat in Folge, der von der Regierung Kohl erarbeitet und hier verteidigt werde. Ich meine aber, alle Kolleginnen und Kollegen von der Koalition sollten sich in Erinnerung rufen: Was wir hier debattieren, das ist der Etat für das siebente Jahr der deutschen Einheit. Der Volksmund weiß: Das siebente Jahr, das ist häufig ein verflixtes. Heute kann niemand sagen, wie dieses Land Ende 1997 aussehen wird, wenn der Etat bzw. dieses Sparpaket, das sich dann im Etat niederschlägt, beschlossen werden.
Meine Damen und Herren von der Koalition, leiten Sie Ihren Wahrheitsanspruch nicht von Ihrer knappen Vier-Stimmen-Mehrheit ab, sondern hören Sie auf die Stimmung der Menschen, die um ihren Arbeitsplatz zittern oder gar keinen mehr haben. Hören Sie auf die Stimmung der vielen, vielen in bedrohten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigten Frauen und der Jugendlichen, die auf einen Ausbildungsplatz hoffen. Noch ist es Zeit, daß Sie sich umstimmen lassen.
Danke schön.