Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluß der Haushaltsdebatte des heutigen Tages kann man, die letzten beiden Tage zusammenfassend, sagen, daß diese Haushaltsdebatte ganz im Zeichen des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung der Bundesregierung stand. Bei allem Streit um diese Maßnahmen im einzelnen ist unstreitig, daß die Bundesrepublik Deutschland vor der Aufgabe steht, sich auf die dramatischen Veränderungen im internationalen Wettbewerb einzustellen und den Standort Deutschland für das 21. Jahrhundert vorzubereiten.
Für den engeren staatlichen Bereich, den wir heute abend behandeln, bedeutet die Standortdebatte eine Überprüfung der Zuständigkeiten und Verfahren in Verwaltung und Justiz gegenüber vielfältigen Verkrustungen, Effizienzmängeln und übersteigerten Ansprüchen an den Staat. Nur ein effektiv organisierter staatlicher Bereich und ein entsprechend effizienter öffentlicher Dienst sichern die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Dies, Herr Bundesjustizminister - Sie haben das dankenswerterweise in Ihrer Rede ausgeführt -, gilt auch für die Justiz.
Die verantwortlichen Rechtspolitiker müssen dem steuerzahlenden Bürger Rechenschaft über die Kosten des Rechtsstaates und der Justiz ablegen. Da muß man mit einem gewissen Erstaunen registrieren - ich habe mich um das Thema in den letzten Monaten etwas gekümmert -, daß wir offenbar keinen Überblick über die Kosten unserer Justiz haben.
Wir beraten heute den Bundeshaushalt, Einzelplan 07. In ihm haben wir aber auch justizfremde Kapitel wie das gesamte Patentwesen und anderes. Wir haben die Etats der Länder mit 16 Milliarden DM. Aber die Länderetats enthalten weder die Pensionslasten noch die Gebäudekosten. Ich glaube, Herr Bundesjustizminister, es ist einmal an der Zeit, festzustellen, was uns eigentlich unsere Justiz effektiv mit allen damit zusammenhängenden Lasten kostet. Damit möchte ich anregen, daß Sie dazu in Ihrem Hause einmal einen Überblick erstellen lassen, nicht um der Erbsenzählerei Vorschub zu leisten, sondern um Transparenz zu gewinnen und der Öffentlichkeit einen Überblick zu geben.
Im Zuge der Globalisierung sollten wir auch einen Blick über unsere Grenzen werfen. Ich nenne einmal ein paar Zahlen. Wir haben in Deutschland 75 000 zugelassene Rechtsanwälte, 20 600 Richter, 5 000 Staatsanwälte und 12 500 Rechtspfleger. Ich nehme einen vergleichbaren Industriestaat wie Japan, der bei 120 Millionen Einwohnern mit 14 000 zugelassenen Rechtsanwälten, mit 2 800 Richtern und 1 200 Staatsanwälten auskommt, ohne daß Japan deswegen ein Hort des Verbrechens ist oder
Manfred Kolbe
seine Wirtschaft nicht funktioniert. Dieses Thema, Herr Bundesjustizminister, sollten wir einmal angehen. Hier besteht Untersuchungsbedarf, wenn nicht gar Handlungsbedarf.
Lassen Sie mich nun zum Haushalt selber kommen, zum Einzelplan Justiz. Mit 702 Millionen DM umfaßt er 0,16 Prozent des Bundeshaushalts. Der Bundesfinanzminister wird hier nicht die Milliarden finden, die er zum Haushaltsausgleich braucht. Ich möchte mich deshalb auf drei Einzelpunkte beschränken.
Zunächst beruhen die geringfügigen Ausgabensteigerungen 1997 um 0,5 Prozent allein auf der Umsetzung der Beschlüsse der Föderalismuskommission. Das ist sehr erfreulich. Kein anderer Geschäftsbereich, Herr Minister, hat sich wie die Justiz um eine der wichtigsten Voraussetzungen für die innere Einheit Deutschlands gekümmert, nämlich die Verlegung des Sitzes von Bundesgerichten und Bundesbehörden in den östlichen Teil Deutschlands. Dafür habe ich schon Ihrer Vorgängerin gedankt; ich möchte das auch Ihnen gegenüber tun.
Das Bundesverwaltungsgericht kommt nach Leipzig. Zu den beiden Wehrdienstsenaten haben Sie schon das Notwendige gesagt, Herr Kleinert.
Das Bundesarbeitsgericht kommt nach Erfurt. Am schnellsten aber kommt die Verlegung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs von Berlin nach Leipzig in Gang. Bereits 1997 - das ist nächstes Jahr - wird der 5. Strafsenat dort sein neues Domizil beziehen. Es wird die erste oberste Bundeseinrichtung sein, die außerhalb Berlins im Osten Deutschlands ihre Arbeit aufnimmt. Ich glaube, das ist ein gutes Ereignis für die Justiz im Jahre 1997.
In diesem Zusammenhang, Herr Bundesjustizminister, möchte ich auch eine leidige Problematik erwähnen, die wir in den nächsten Monaten einmal engagiert angehen sollten, nämlich die Problematik um die Bibliothek des ehemaligen Reichsgerichts. Diese Bibliothek wurde nach der Einheit unter heute nicht mehr ganz nachvollziehbaren Umständen nach Karlsruhe verbracht, ohne daß in Sachsen oder Leipzig - es handelt sich im wesentlichen um Kunstgegenstände - irgend jemand gefragt wurde. Um hier nicht irgendwelche Vergleiche aufkommen zu lassen, sollten wir uns gemeinsam um eine Lösung dieser Standortfrage bemühen.
Lassen sie mich abschließend noch auf ein ernstes Thema kommen. Das ist der Vollzug des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes. Dieses Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz betrifft die verwaltungsrechtliche und berufsrechtliche Rehabilitierung der Opfer der SED-Diktatur. Obwohl hier nach Jahrzehnten der SED-Herrschaft Zehntausende von Opfern auf Rehabilitierung hoffen - jede Woche habe ich in meiner Bürgersprechstunde solche Menschen am Tisch sitzen - sinken die Veranschlagungen im Bundeshaushalt: 1995 waren es 36 Millionen DM, 1996 20 Millionen DM, und 1997 sind gar nur 12 Millionen DM im Einzelplan 60 Kapitel 03 veranschlagt. Die Zahlungen der Rentenversicherung lasse ich hier mal außer Betracht, Herr Minister.
Ein echter Skandal sind dann aber die tatsächlichen Abflüsse: 1995 wurden von den veranschlagten 36 Millionen DM ganze 28 000 DM ausbezahlt! 1996 wurden bis Anfang September von den veranschlagten 20 Millionen DM ganze 52 000 DM ausbezahlt! In eindreiviertel Jahren, also zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, sind außerhalb der Zahlungen der Rentenversicherung ganze 80 000 DM an alle SED-Opfer ausbezahlt worden! Dies ist etwa so viel, wie die ehemalige Treuhandpräsidentin, Frau Breuel, heute jeden Monat den Steuerzahler kostet.
Dieser Vollzug des zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes kann uns alle nicht befriedigen. Hier besteht Handlungsbedarf. Ich darf deshalb alle Seiten des Hauses bitten, hier mitzuwirken. Die entsprechenden Initiativen liegen schon vor, damit wir diesen Menschen helfen, und zwar schnell helfen.
Danke schön.