Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, daß die Bundesregierung auch im Verteidigungshaushalt zu einem gewissen Sparzwang gekommen ist - erst in diesem Jahr und leider nicht unter dem Druck der SPD, wie vorhin Herr Verheugen festgestellt hat.
In dieser Haushaltsdebatte geht es also vornehmlich um das Sparen, um die nach unserer Meinung verfassungswidrige Demontage des angeblich unbezahlbar gewordenen Sozialstaates. Aber trotz dieses Sparzwanges leisten wir uns immer noch einen Verteidigungshaushalt, der nur wenig mehr als 10 Prozent unter dem der letzten Jahre des kalten Krieges liegt: 46,5 Milliarden DM. Nach NATO-Kriterien, wenn also alles das mitgerechnet wird, was sich in anderen Haushalten versteckt, in Wahrheit aber dem Verteidigungshaushalt zuzurechnen wäre, wären es fast 60 Milliarden DM, und das, obwohl der Personalbestand der Bundeswehr erheblich gesenkt wurde.
Der Feind, gegen den sich diese gewaltige Rüstung gerichtet hatte, den man nach einer die breite Öffentlichkeit beherrschenden Meinung in einem gewaltigen Rüstungswettlauf erfolgreich totgerüstet hat, ist entgegen aller Wahrscheinlichkeit und geschichtlichen Erfahrung kampflos von der Weltbühne abgetreten. Die Bedrohung unmittelbar an unseren Grenzen, gegen die man zur Vorwärtsverteidigung, also zum Angriff, fähig sein wollte und mit der die Rüstung gerechtfertigt wurde, ist Ihnen abhanden gekommen. Ist es da ein Wunder, wenn sich die Bürger dieses Landes die Frage stellen, wozu wir in aller Welt noch eine so gewaltige Kampfmaschine wie die Bundeswehr brauchen? Ist es ein Wunder, daß sich jeder dritte Wehrpflichtige eines neuen Jahrgangs weigert, in dieser Bundeswehr zu dienen, obwohl ihm das hierzulande weiß Gott nicht zum Vorteil gereicht?
Nun wird jeder Mensch, der etwas differenzierter und ohne ideologische Scheuklappen über diese Probleme nachdenkt, einsehen, daß es verdammt schwer ist, einen solch gigantischen Apparat wie die Bundeswehr, den man über Jahrzehnte aufgebaut hat - warum auch immer -, unter rechtsstaatlichen Bedingungen auf ein erträgliches Maß zurückzustutzen. Aber Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, machen ja nicht einmal den geringsten Versuch dazu.
Es liegen verschiedene Überlegungen vor, wie eine schrittweise Umwandlung der Bundeswehr von einer Wehrpflichtigenarmee von 340 000 Mann in eine Freiwilligenarmee von höchstens 200 000 Mann möglich wäre, die allein schon eine Ersparnis von 13 bis 15 Milliarden DM im Verteidigungshaushalt ermöglichen würde. Aber selbst eine solch vorsichtige Anpassung der Bundeswehr an die neuen weltpolitischen Bedingungen würde einige Jahre beanspruchen.
Es gibt in den Koalitionsparteien schon vereinzelte Stimmen, die eine Umstrukturierung der Bundeswehr in dieser Richtung befürworten. Trotzdem wehren sich die Regierungsparteien mit höchster Vehemenz gegen solche vernünftigen Einsichten, und das, obwohl sich auch mit einer solchen Armee alle sicherheitspolitischen Erfordernisse, mit denen die Regierung die jetzige Struktur der Bundeswehr verteidigt, befriedigen ließen. Denn auch mit einer solchen Armee wäre die Bundesrepublik ausreichend - ich meine sogar: besser - zu verteidigen, weil eben
Heinrich Graf von Einsiedel
länger und damit besser ausgebildete Freiwillige auch die besser ausgebildete Truppe ergeben, die im schrecklichen Ernstfall erfolgreicher und mit erheblich geringeren Verlusten kämpfen könnte.
Der Bundeskanzler hat heute morgen behauptet, die Opposition sei nicht fähig und nicht willens, sich auf die dramatischen, globalen Veränderungen der letzten Jahre einzustellen. Es ist nicht meine Aufgabe, darauf zu antworten. Unbestreitbar ist allerdings, daß in der Verteidigungspolitik und im Verteidigungshaushalt praktisch überhaupt nicht auf diese dramatischen Veränderungen reagiert wird. Riesige Beschaffungsprogramme werden auf den Weg gebracht. Der Um- und Aufrüstungsprozeß geht nur schwach gebremst weiter. Und im Jahre 2000 will man praktisch schon wieder bei den Ausgaben angelangt sein, die man im kalten Krieg für nötig hielt. Ich bezweifle, daß die überwältigende Mehrheit der Bürger dieses Landes noch lange dafür Verständnis aufbringt. Den Bürgern wird auf unabsehbare Zeit die Last einer Rüstung auferlegt, die der neuen Lage nach der Wende überhaupt nicht Rechnung trägt.
Die Abschaffung der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes würde übrigens einen sehr positiven Effekt für die demokratische Kultur dieses Landes haben.
Ich, wir - meine Partei - sind, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, kompromißlose Verteidiger der Gewissensfreiheit. Und zur Gewissensfreiheit gehört eben auch die Freiheit, freiwillig als Soldat zu dienen, wenn diese Gesellschaft meint, Soldaten zu brauchen. Aber zur Gewissensfreiheit gehört eben auch die Freiheit, ein fundamentaler Pazifist zu sein.
Der vor fast 70 Jahren geschriebene Satz „Soldaten sind Mörder", der zu den schrecklichen Diskussionen geführt hat, hatte damals seine völlige Berechtigung. Er umfaßte die schrecklichen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, der den Absturz Europas in barbarische Zustände herbeiführte. Er war eine leider nur allzu berechtigte Warnung vor einem - damals besonders auch in der Reichswehr gepflegten - Zeitgeist, der in die noch größere Katastrophe des Zweiten Weltkrieges führte.
Wer will denn ernsthaft bestreiten, daß die Massenabschlachtungen von Feinden, unter welchem Titel auch immer - Juden, Kulaken, Polen, Russen, Deutsche, Armenier, Serben, Kroaten, Kommunisten, Pazifisten, Faschisten - erst durch den Krieg 1914/18 vorstellbar und damit realisierbar geworden sind und im Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt fanden?
Ich wundere mich übrigens, daß in der hysterischen Diskussion über das Buch von Goldhagen dieser psychologische Aspekt, diese Voraussetzung, die dieses Massenabschlachten möglich gemacht hat, nie erwähnt wird.
Also damals, Ende der 20er Jahre, hatte der grob vereinfachende Satz von Tucholsky seine volle Berechtigung. Aber inzwischen sind 70 Jahre vergangen. Wir leben nicht mehr in der Weimarer Demokratie, dieser Republik ohne Republikaner, sondern in einem Staat, in dem die demokratische Grundüberzeugung fest verankert ist und nur von unbedeutenden Randgruppen bestritten wird. In einem solchen Staat halte ich die generelle Ächtung des Soldaten, der der Verteidigung seines Landes dienen will, für genauso unangebracht wie die generelle Ächtung des Pazifisten, der überzeugt ist, daß jeder Krieg, auch der gerechteste, ein schlimmes Verbrechen an der Menschheit darstellt. Ächtung des Nächsten - unter welchem Vorwand auch immer - ist eben genau der Weg, der in Konflikte führte, die dann letztlich mit Gewalt, mit Krieg gelöst werden.
Meine Damen und Herren, wir sehen mit großer Sorge, welcher Aufwand jetzt wieder betrieben wird, um die „Gestalt des Soldaten" - dieser unsägliche Begriff von Ernst Jünger - wieder wie ein Denkmal auf die Plattform zu heben. Ich habe überhaupt etwas gegen Plattformen.
In zahlreichen Veröffentlichungen aus dem Umfeld der Bundeswehr wird das Soldatentum an sich, die bedingungslose Bereitschaft zu kämpfen, zu töten und zu sterben, in der meine Generation so erfolgreich erzogen worden ist, wieder in unerträglicher Weise gefeiert und sozusagen als die höchste Bürgerpflicht gelobt.
Die unbestreitbaren militärischen Leistungen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg werden als ein Wert an sich gefeiert, ohne auch nur einmal die Frage nach der Verantwortung des Soldaten zu stellen. Man kann die Wehrmacht nicht von der Mitverantwortung freisprechen für die Verbrechen hinter der Front. Die Wehrmacht hat den SS-Mördern den Weg durch ganz Europa freigeschossen.
Es ist wahr: Die Wehrmacht hat unter fürchterlichen Verlusten zunächst für die Eroberung des angeblich dringend benötigten Lebensraums gekämpft und dann, als sie schon geschlagen war, noch jahrelang unter vielfachen Verlusten den verbrecherischen und obendrein längst verlorenen Krieg weitergeführt bis auf die Trümmer der Reichskanzlei.
Und ich frage mich, wie man einerseits die Verschwörer des 20. Juli feiern kann und praktisch im gleichen Atemzug an anderen Stellen diese Verschwörung als die Tat verantwortungsloser Gesinnungsethiker hinstellt, die nur zum Zusammenbruch der Fronten geführt hätte. Ja, hätte sie mal! Wäre das gelungen, wären Deutschland an die 5 Millionen Tote erspart geblieben. Und hier rede ich nur von Deutschen, nicht von den Millionen, die noch auf anderer Seite gefallen sind, und von den Verbrechen, die in diesen letzten schrecklichen neun Monaten begangen worden sind. Aber das ist die Doppelzüngigkeit der Traditionspflege der Bundeswehr, die je-
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den von Ihnen, meine Damen und Herren, in diesem Hause mit Sorge erfüllen müßte.
Danke.