Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ausgerechnet Sie, Herr Kollege Verheugen! Wie haben Sie gesagt? Sie vermissen den roten Faden bei Inhalt, Ziel und Konzeption der deutschen Politik. Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, aber mit Ihrem Namen verbinde ich im Grunde alle grandiosen Fehlleistungen der SPD-Außenpolitik der vergangenen Jahre.
- Mit Ihnen, weil Sie mit Blick auf die Bundeswehr, den Beitrag Deutschlands zur internationalen Friedenssicherung und Konfliktbewältigung immer die falschen Ratschläge gegeben haben.
Den Stellenwert, den Außenpolitik für die SPD hat, haben wir auch daran erkannt, daß in der Rede des Fraktionsvorsitzenden Scharping heute die Außenpolitik praktisch überhaupt nicht vorkam.
- Richtig, Mexiko. Das muß ich ausdrücklich zurücknehmen. Zu Mexiko hat er gesprochen.
Im übrigen, Herr Kollege Verheugen, sollten Sie sich nicht mit irgendeinem Kommentar in dieser oder jener Zeitung auseinandersetzen, sondern mit der Aussage von Hans Koschnick. Sie hatten Hans Koschnick vor kurzer Zeit in Ihrer Fraktion, und Sie loben ihn ja auch sehr. Hans Koschnick hat in einem Interview am 25. August - ich verkürze - gesagt - Herr Verheugen, vielleicht hören Sie einmal zu, was Hans Koschnick über Ihre Außenpolitik sagt -:
Wundert es, daß man der SPD Populismus nachsagt? Warum hat die SPD kein eindeutiges Profil? Warum schwankt sie immer noch zwischen gestrigen nationalstaatlichen und heute doch notwendigen europäischen Antworten? Wo ist die klare Aussage, daß wir keine Sonderrolle spielen wollen, sondern uns im Rahmen europäischer Gemeinsamkeit einbringen bei der Ausformung einer zukunftsgerechten Außen- und Sicherheitspolitik? Soll dies weiterhin nur Helmut Kohl sagen? Ich bin darüber besorgt. Ich empfinde die Situation meiner Partei als eine krisenhaft belastete. Wo ist die grundsätzliche Position der SPD?
Ich finde, damit sollten Sie sich auseinandersetzen. Die SPD findet außenpolitisch überhaupt nicht statt. Das Augenmerk unserer Partner, auch der sozialistischen Regierungen, richtet sich auf uns, auf diese Bundesregierung, auf diesen Bundeskanzler. Das ist gut so. Das liegt im internationalen, aber auch im nationalen deutschen Interesse.
Zu einigen der angesprochenen Fragen.
Erstens. Wir werden alles tun, damit die Regierungskonferenz der Europäischen Union zu einem Erfolg wird. Wir brauchen substantielle Fortschritte. Wir werden nicht alles erreichen können, was wir uns vorgenommen haben. Das weiß ich auch. Aber wir kommen voran. Ich nenne nur das Beispiel der Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat. Nur noch zwei Regierungen sind grundsätzlich dagegen. Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, gemeinsam mit Frankreich neue und weitere Impulse für diese Regierungskonferenz zu geben. Deutschland bleibt unter Führung dieser Koalition weiterhin Motor der europäischen Einigung.
Zweitens. Die Öffnung der Europäischen Union und der NATO ist wichtig nicht nur für die Beitrittskandidaten, sondern auch für die Stabilität in ganz Europa. Wir können auf Dauer weder eine Wohlstandsgrenze in Europa akzeptieren noch Zonen unterschiedlicher Sicherheit.
Ich finde, Sie haben keinen Grund, unsere Haltung zu unseren mittel- und osteuropäischen Nachbarn in Zweifel zu ziehen. Die Polen selbst nennen uns, nennen den Bundeskanzler, nennen diese Bundesregie-
Rudolf Seiters
rung den Anwalt ihrer Interessen, und das sollten wir nicht in Frage stellen lassen, hier im Parlament erst recht nicht.
Wir müssen die mittel- und osteuropäischen Länder auf ihrem Weg in die EU noch gezielter unterstützen, indem wir die Zusammenarbeit weiter ausbauen, aber auch den Mut aufbringen, unsere Märkte weiter zu öffnen. Damit alle Beitrittskandidaten klare und eindeutige Perspektiven haben, würde ich es jedenfalls begrüßen, wenn die Beitrittsverhandlungen sechs Monate nach Ende der Regierungskonferenz mit allen assoziierten mittel- und osteuropäischen Staaten sowie mit Malta und Zypern gemeinsam eröffnet würden,
um sie im Anschluß daran entsprechend der bis dahin von den einzelnen Staaten erreichten Integrationsfähigkeit differenziert und individuell fortzuführen. Das wäre nämlich das richtige Signal der Ermutigung an diese Länder, damit sich keines ausgeschlossen fühlt. Ein solches Vorgehen würde auch der - zum Teil dynamischen - Entwicklung in den einzelnen Beitrittsländern gerecht werden.
Drittens: unser Verhältnis zu Rußland. Verehrter Herr Kollege Lippelt, ich weiß nicht, ob die Bemerkung, die Sie zu dem Verhältnis des Bundeskanzlers zu Präsident Jelzin gemacht haben, wirklich angebracht war. Wir sollten es doch begrüßen - und es wird auch international begrüßt -, daß sich bei dem steinigen Weg Rußlands zu Demokratie und Marktwirtschaft dieses Vertrauensverhältnis zwischen Rußland und Deutschland herausgebildet hat.
- Ja, und das hat auch mit der Person des Bundeskanzlers zu tun.
Natürlich müssen wir unter Freunden und Partnern Rußland immer wieder sagen, daß es die Verpflichtungen erfüllen muß, die es mit seinem Beitritt zum Europarat eingegangen ist. Und natürlich haben wir immer darauf gedrängt, daß der Tschetschenienkonflikt zu Ende gebracht wird, weil ein Krieg keine Lösung darstellt, weil diese Probleme militärisch nicht gelöst werden können und weil sie im übrigen auch viele Kräfte binden, die Rußland bei seiner wirtschaftlichen Gesundung und bei seinem weiteren Weg zur Demokratie braucht. Deswegen begrüßen wir auch den Friedensschluß. Wir fordern Rußland auf, die Friedensbemühungen konsequent fortzusetzen.
Dies ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit des russischen Präsidenten. Dies öffnet auch den Weg für die von uns nachdrücklich angestrebte besondere Partnerschaft, für eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit, aber auch für eine konkrete und institutionalisierte Zusammenarbeit in den Fragen der europäischen Sicherheit.
Rußland hat kein Veto gegen die Öffnung der NATO; aber es hat Anspruch darauf, daß sich diese Öffnung in einem schrittweisen, auch für Rußland
transparenten und parallelen Prozeß zur Entwicklung der privilegierten Partnerschaft zwischen der NATO und Rußland vollzieht.
Eine vierte Bemerkung aus der Sicht meiner Fraktion zum Thema Tschechien. Ich finde, daß der Bundeskanzler heute in einer sehr einfühlsamen Art dieses Problem dargestellt hat, und zwar mit einer klaren Zeitperspektive. Ich will das nachdrücklich unterstreichen. Ich möchte im übrigen in Erinnerung rufen, was in den letzten Tagen über den guten Stand der deutsch-tschechischen Beziehungen die beiden Präsidenten, Havel und Herzog, gesagt haben - ohne jede Aufgeregtheit. Die Botschaft der beiden Präsidenten lautet: Beide Seiten wollen die gemeinsame deutsch-tschechische Erklärung, aber sie wissen, daß die Erklärung schwierige Probleme - vor allem psychologische - zum Gegenstand hat. Deshalb sei „größte Sorgfalt am Platze". Da dürfe es auf einige Wochen nicht ankommen.
Es ist schon das Recht der Opposition, ungeduldig zu sein und zu drängen. Das ist in Ordnung. Aber es ist noch viel wichtiger, daß eine gemeinsame deutsch-tschechische Erklärung von allen Beteiligten und Betroffenen als ein Akt der Versöhnung und Vertrauensbildung empfunden wird, daß alle Beteiligten, auch die Sudetendeutschen, in einen Dialog der Versöhnung einbezogen werden, weil das dem inneren Frieden dient, und daß entsprechend dem Rechtsstandard in Europa und analog der gemeinsamen Erklärung der tschechischen und deutschen Bischöfe ein klares und unmißverständliches Wort - davon gehen wir auch aus - zum Unrecht von Vertreibungen und Enteignungen, wo immer sie stattgefunden haben oder stattfinden, erfolgt.
Dies hat nichts mit Aufrechnung zu tun, denn wir Deutschen wissen sehr wohl um die Verbrechen, die Nazi-Deutschland an den Tschechen verübt hat. Wir wollen die Beziehungen zu Tschechien auf eine gute, positive und tragfähige Grundlage stellen, auch mit Blick auf den bevorstehenden Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union, für den wir uns nachdrücklich einsetzen.
Schließlich eine letzte Bemerkung aus unserer Sicht zu Bosnien und zu den Wahlen, die am 14. September dort stattfinden, die nicht den Abschluß des Dayton-Prozesses darstellen, weil es in Bosnien - das ist gesagt worden - noch keine selbsttragende Entwicklung zu Frieden und Stabilität gibt. Deswegen ist es auch richtig, wenn die Staatengemeinschaft sagt, niemand unter den Hardlinern solle darauf hoffen, daß der Dayton-Friedensprozeß ausgesessen werden und man auf den 20. Dezember 1996 warten könne.
Deswegen ist absehbar, daß die Staatengemeinschaft beschließen wird, das IFOR-Mandat durch ein neues zu ersetzen, um Gewalt und Übergriffe unter den Volksgruppen einzudämmen und den Weg zu einem friedlichen Zusammenleben der Volksgruppen zu ebnen. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die ausdrücklich der Bundeswehr und den Soldaten dankt, ist es nur selbstverständlich, daß sich auch die Bundeswehr dann an einem solchen neuen Mandat
Rudolf Seiters
beteiligen wird, genauso wie unsere europäischen Partner.
Dies gilt um so mehr, als die Sicherung des Friedens in Bosnien unmittelbare Rückwirkungen auf eine wichtige innenpolitische Frage hat, nämlich die Frage der Rückführung der Bürgerkriegsflüchtlinge. Der bosnische Präsident Izetbegović hat noch einmal dringend an die Bürgerkriegsflüchtlinge appelliert, in ihre Heimat zurückzukehren. Das sollte auch für uns Veranlassung sein, erneut festzustellen: Angesichts von Mitverantwortung der Flüchtlinge für den Aufbau ihrer Heimat kann Freiwilligkeit nicht das entscheidende Kriterium für die Rückführung sein.
Wir übersehen nicht die Probleme, mit denen die Rückkehrwilligen konfrontiert sind. Aber grundsätzlich kann die Lösung dieses Problems nicht darin bestehen, die Rückführung immer weiter zu verschieben. Vielmehr muß sie darauf gerichtet sein,
den Schutz ethnischer Minderheiten in Bosnien-Herzegowina rechtlich und politisch durchzusetzen.
Lassen Sie mich noch einmal feststellen: Wo immer Sie -• das ist doch die Realität und die Wahrheit; Herr Kollege Verheugen, Sie sind auch viel unterwegs, Sie werden das im Grunde nicht bestreiten können - gegenwärtig politische Gespräche führen, ob in Kairo oder in Jerusalem, in Warschau oder in Paris, in Washington oder in Moskau, in Den Haag oder in Madrid, niemals war in der Welt das Vertrauen in das demokratische Deutschland größer als heute und niemals war bei unseren Partnern der Wunsch zur Zusammenarbeit mit uns stärker ausgeprägt, und zwar völlig unabhängig davon, ob es sich um konservative oder sozialistische Regierungen handelt. Wir sind dafür sehr dankbar.
Die Bundesrepublik genießt in der Welt hohes Ansehen. Die deutsche Außenpolitik ist beständig und verläßlich. Die Politik des Bundeskanzlers, aber auch die des Außenministers, des Verteidigungsministers und des Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben die volle Unterstützung der CDU/CSUBundestagsfraktion.