Rede von
Ingrid
Matthäus-Maier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Geißler, Sie haben gerade noch einmal die Verschiebung von Kindergelderhöhung und von Verbesserung des Grundfreibetrages verteidigt und gesagt, es gebe verfassungsrechtlich keine Bedenken. Ich darf Sie hinweisen auf einen Satz in der mittelfristigen Finanzplanung von Theodor Waigel vom August dieses Jahres. Auf Seite 37 beschreibt er, daß die Verschiebung geplant sei. - Herr Bundeskanzler, ich will Sie nicht unterbrechen, aber vielleicht könnten Sie eine Minute zuhören, denn ich möchte gern auf Ihre Rede zurückkommen. - Darin sagt Theo Waigel zu dieser Verschiebung, das Existenzminimum werde berechnet nach dem Sozialhilfebedarf, und dann kommt folgender Satz: „Unter dieser Berücksichtigung ist eine geringfügige Unterschreitung des durchschnittlichen Sozialhilfebedarfs für ein Jahr verfassungsrechtlich hinnehmbar."
Meine Damen und Herren, hier in diesem Bericht steht klar, daß der Sozialhilfebedarf im nächsten Jahr teilweise höher ist als Grundfreibetrag und Kindergeld, wie Sie es vorhaben. Ich halte das verfassungsrechtlich nicht für hinnehmbar.
Jetzt möchte ich Sie zitieren, Herr Bundeskanzler. Sie haben heute morgen sinngemäß den richtigen Satz gesagt: Leistung muß sich lohnen, bzw. Arbeit muß man höher bezahlen als Nichtarbeit, als Tranferleistung. Sie schreiben in diese mittelfristige Finanzplanung ganz deutlich hinein, daß Sie in 1997 das Gegenteil tun. Selbst wenn es gleich wäre, würde es nicht reichen. Lohnabstandsgebot heißt doch: Wenn ich einen Monat zur Arbeit gehe, dann darf ich nicht das gleiche bekommen wie bei der Sozialhilfe, sondern dann muß ich deutlich mehr bekommen als bei der Sozialhilfe. Sie verstoßen gegen das Prinzip des Lohnabstandsgebots. Sie verstoßen gegen das Prinzip: Arbeit muß sich lohnen, Leistung muß sich lohnen. Ich frage Sie, ob Sie es sich wirklich leisten können, nachdem Theo Waigel in seinem mittelfristigen Finanzplan das selber zugesteht, bei dieser verrückten Situation zu bleiben, daß Sie im Jahr 1997 das Sozialhilfeniveau zumindest teilweise unterschreiten. Ich halte das für einen schweren Fehler, verfassungsrechtlich und politisch.