Frau MatthäusMaier, jetzt machen Sie wieder denselben Fehler.
Die betriebliche Vermögensteuer wollen offenbar auch Sie abschaffen, oder Sie halten sie wenigstens für unsinnig. Dann bleiben, wenn ich das richtig verstanden habe, mit 48 Prozent 3,7 oder 3,8 Milliarden DM für die private Vermögensteuer übrig.
: Aber bei
Kompensation haben Sie die doch!)
Aber Herr Schleußer und alle Finanzminister der SPD sagen, daß man dafür ungefähr 2 Milliarden DM für Verwaltungs- und Personalaufwand braucht. Dies kapiert in meinem Wahlkreis jeder Winzer, jeder Bauer und jeder Arbeiter, daß man einen solchen Unsinn nicht machen kann. Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten, dies den Leuten zu erklären. Wir sagen nun aber gar nicht, daß wir die private Vermögensteuer ersatzlos streichen. Wir wollen sie mit der Erbschaftsteuer zusammenlegen. Auch dies hat Wolfgang Schäuble vorhin erklärt.
- Entschuldigung, da sagen Sie dummes Zeug. Genau denselben Vorschlag hat der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, gemacht - aber nicht auf Druck von Herrn Brüderle, sondern offenbar aus eigener Einsicht -, indem er gesagt hat, die private Vermögensteuer habe er schon immer als einen Unfug angesehen.
Dies hat er schon immer aus eigener Einsicht gesagt, also offenbar schon vor Bildung der Koalition mit der F.D.P - leider mit der F.D.P.; ich muß sagen, das ist keine schöne Tat gewesen. So groß kann der Unsinn nun nicht sein, wenn er sogar in Ihrem hehren Gebäude steuerpolitischer Reinheitsvorstellungen Fuß gefaßt hat. Wenn ein Ministerpräsident der SPD sagt, was wir sagen, kann dies nicht ganz verkehrt sein.
Zu einem weiteren Punkt: Gewerbekapitalsteuer und Senkung der Gewerbeertragsteuer. Seit einem Jahr liegen die Vorschläge auf dem Tisch. Das alles interessiert Sie offenbar überhaupt nicht. Sie erwähnen nur den Grundfreibetrag und das Kindergeld. Sie wissen doch ganz genau, daß wir die Erhöhung des Kindergeldes um 20 DM nur verschieben, aber das Kindergeld nicht kürzen. Ich sage es zum viertenmal: Sie und die, die damals Verantwortung getragen haben, haben das Kindergeld im Jahre 1980 gekürzt.
Kinder von Arbeitslosen haben nämlich das Kindergeld bis zum 21. Lebensjahr bekommen. Sie haben das Alter auf 18 Jahre heruntergesetzt. Wir haben dies nach 1982 wieder reparieren müssen, Solche Kürzungen in einer Zeit, in der die Lebenshaltungskosten eines Kindes bei 7 Prozent lagen, haben wir nicht gemacht.
Wir verschieben jetzt die zusätzliche Erhöhung des Grundfreibetrages und die Erhöhung des Kindergeldes um 20 DM aus haushaltspolitischen Gründen. Wir können dies verantworten, weil wir im Monat September - heute ist der entsprechende Bericht herausgekommen - die größte Preisstabilität seit der deutschen Einheit haben. Die Preissteigerungsrate beträgt 1,4 Prozent. Das heißt, das Existenzminimum für Kinder wird sich im Verhältnis von 1996 zu 1997 nur marginal verändern. Die Preisstabilität ist der eigentliche Grund, daß sich das Existenzminimum nicht verschoben hat und daß wir sagen: Wir können es steuer- und sozialpolitisch verantworten, die Erhöhung um ein Jahr zu verschieben. Wenn das die Wahrheit ist - das ist die Wahrheit und die Realität; das wissen Sie auch -, dann können Sie doch nicht
Dr. Heiner Geißler
ein solches Getöse veranstalten. Sie verbreiten hier Irrtümer; die SPD-Leute haben sich nach Ihrer Rede gefreut. Zu Ihrer Rede fällt mir ein Zitat aus Faust I ein: „Oh glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen. "
Herr Lafontaine, ich muß noch etwas zu Ihrer Rede bemerken: Sie haben Wolfgang Schäuble nicht geantwortet. Im Bundesrat haben Sie die Frage gestellt - ich will sie noch einmal vorlesen -:
Wohin sind wir eigentlich in diesem Staat gekommen, wenn auf der einen Seite diejenigen, die wochenlang und monatelang darüber diskutieren, was im Sozialhilferecht zumutbar ist, als „Besitzstandswahrer" diskreditiert werden, während auf der anderen Seite Einkommensmillionäre die Einkommensteuern über Abschreibungsbedingungen eben gegen Null führen können.
Das haben Sie im Bundesrat gesagt. In derselben Bundesratssitzung
- also offenbar eine Stunde später - hat das Saarland den entsprechenden Vorschlag, die Steuersubvention für Flugzeuge und Container zu streichen, abgelehnt. Das sind Widersprüche, zu denen Sie einmal hätten Stellung nehmen sollen.
Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung, die Sie mit dem Bundeskanzler über das Beschäftigungspaket geführt haben, haben Sie auf Grund der Schwierigkeiten und Probleme, die wir zu lösen haben - dies ist auch die Hoffnung der Grünen gewesen; da ist die PDS noch einbezogen worden -, ein Fünkchen Hoffnung entdeckt. Es hat Zeitungsberichte und Kommentare gegeben, die Vergleiche mit der Zeit von Ronald Reagan und der Entwicklung unter George Bush gezogen und festgestellt haben, daß sich nach den Reaganomics die Gegenbewegung formiert habe, die wieder mehr die Solidarität in den Vereinigten Staaten in den Vordergrund geschoben habe, und daß dies schließlich den Machtwechsel zugunsten von Bill Clinton verursacht habe.
Eine Zeitung, der „Kölner Stadt-Anzeiger", hat die Frage gestellt: „Der DGB-Protest als Vorbote des Machtwechsels in Bonn?" Aber dazu müßte es einen deutschen Clinton geben, und den Clinton gibt es nicht. Sie sind es nicht, er ist es nicht, und der andere ist es auch nicht.
Deswegen wird Ihnen das, selbst wenn Sie weiterhin diese Reden halten und versuchen, das soziale Klima aufzuputschen, nicht gelingen. Nun greife ich den Gedanken auf, den Sie schon im Bundesrat geäußert haben -: Es geht um die Situation, in der wir uns mit unserem Sozialstaat befinden. Im Gegensatz zu dem einen oder anderen auch in meiner Partei glaube ich, daß wir diese Frage angesichts der Umbrüche, der
Globalisierung und der damit zusammenhängenden Probleme diskutieren müssen.
Ich möchte an Ihre Adresse zunächst einmal sagen: Was die soziale Marktwirtschaft anbelangt, müssen wir uns wieder über ihre Grundsätze klarwerden. Daß es zur dezentralen Koordination durch den Markt keine funktionsfähige Alternative gibt, wird, glaube ich, inzwischen nicht mehr bestritten. Daß der Wettbewerb - das hat Herr Gerhardt gesagt - ein Entmachtungsinstrument und insoweit auch demokratiefreundlich ist, ist auch richtig. Aber Egoismus ist von der menschlichen Natur her unmoralisch, und ökonomischer Egoismus ist es ebenfalls. Deswegen haben die Schöpfer der sozialen Marktwirtschaft das Soziale nicht als Appendix angesehen, sondern der Wirtschaft angesichts des Problems, daß der Markt nicht Gerechtigkeit schaffen kann, ganz eindeutig und klar ein sozialethisches Telos, ein Ziel gegeben. Die Wirtschaft existiert nicht für sich selber.
Deswegen ist die ganze Shareholder-value-Diskussion verkehrt. Ein Unternehmen existiert nicht ausschließlich und allein zu dem Zweck, daß Dividenden erwirtschaftet werden, sondern es gibt auch noch den Kunden und den Arbeitnehmer. Daimler-Benz könnte mit seinem Kapital nicht ein einziges Auto bauen, wenn es nicht die Ingenieure und die Arbeitnehmer gäbe und wenn es nicht die Kunden gäbe, die diese Autos kaufen.
Soziale Marktwirtschaft ist eben etwas anderes. Also brauchen wir eine soziale Ordnung. Aber - Ludwig Erhard war das Problem bewußt; Sie haben ihn zitiert -: Es braucht eine staatliche Rahmenordnung, von der Geldpolitik über die Steuerpolitik bis hin zur Sozialpolitik und zum Arbeitsrecht. Das heißt, wir haben einen geordneten Wettbewerb. Wir haben nicht Catch-as-catch-can, sondern einen geordneten Wettbewerb, wie es auch im Grundsatzprogramm der CDU beschrieben ist. Wir haben eine Sozialordnung. Um dies zu gewährleisten, ist ein leistungsfähiger und ein entscheidungsfähiger Staat konstitutiv.
Jetzt kommt Ihr Problem. Bei einer Globalisierung der Märkte beginnt die Wirtschaft, sich dieser staatlichen Ordnung zu entziehen. Deswegen sagen Sie völlig zu Recht: Wir brauchen auf der europäischen, möglicherweise sogar auf der globalen Ebene Institutionen, die das auffangen. Das ist eine schwere Aufgabe. Aber in Europa sind wir dabei, beschäftigen wir uns mit dieser Aufgabe. Man muß überlegen, ob wir nicht solche Institutionen durch den Ausbau der Institutionen der UNO auch weltweit bekommen. Das halte ich nicht einmal für unmöglich.
Aber wir haben noch ein anderes Problem: Mit der sozialen Marktwirtschaft war immer auch Wachstum verbunden. In einer Zeit des Wachstums war es leichter, sogar relativ einfach, diese soziale Ordnung darzustellen und zu finanzieren. Nun besteht aber Konsens - das ist das, was Joschka Fischer angedeutet hat, und dem stimme ich völlig zu; dem stimmen wir alle zu -, daß die Erde eine Globalisierung des Standards der Industrieländer nicht verkraften würde und daß wir das den nach uns kommenden Generationen auch nicht zumuten dürften. Wenn das richtig ist, dann stellt sich doch die Frage, ob wir das Pro-
Dr. Heiner Geißler
blem der Massenarbeitslosigkeit, so wie es früher der Fall war, heute noch mit Wachstum lösen können. Wenn wir das richtig sehen, dann scheint es doch so zu sein, daß im Zuge der Globalisierung der Märkte die Wachstumschancen eher zugunsten der Schwellen- und der Reformländer als zugunsten der Industrieländer verteilt werden. Jetzt komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Das heißt aber doch, daß, wenn wir trotzdem die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, dieses Solidarprinzip, das integrativ zur sozialen Marktwirtschaft gehört, heute stärker beansprucht wird. Dieses Sozialprinzip muß anders gesehen werden, und auch der Begriff der sozialen Gerechtigkeit muß anders ausgelegt werden, als es früher der Fall war. Das heißt, wir müssen den Begriff der Solidarität stärker beanspruchen. Wir haben hier in Deutschland noch das zusätzliche Problem, daß wir die Aufgaben der deutschen Einheit bewältigen müssen. Darauf geben Sie keine Antwort.
Wie soll diese Solidarität aussehen? Inwieweit können und müssen wir sie beanspruchen? Das bedeutet natürlich auch, sie einzuschränken. Etwas anderes ist auch klar. Sie sprechen in der Rede im Bundesrat von Standards. Ich habe bei der letzten Debatte schon gesagt, daß das einmal von Ihnen ausdiskutiert werden muß. Wenn wir Standards anstreben, dann mag es ja sein, daß wir irgendwo anders soziale Standards anheben wollen. Das wird nach meiner Auffassung auch gelingen. In Portugal ist es schon der Fall; es wird auch in anderen Ländern der Fall sein. Es wird aber gleichzeitig auch die Erkenntnis bedeuten, daß wir nun nicht alle - ich habe es gerade gesagt - auf unseren Standard anheben können. Wenn Sie also wollen, daß wir dieser Globalisierung der Märkte eine Globalisierung der Sozialpolitik und der Sozialordnung folgen lassen - so schwierig das auch immer sein mag -, dann bedeutet dies, daß wir uns auf das Wachstum allein nicht verlassen können, sondern daß wir in einer bestimmten Form eben auch das, was wir bisher als Sozialstaat gehabt haben, einschränken müssen.
Jetzt frage ich Sie aber - Sie sind das letzte Mal nicht dagewesen; ich habe es dem Kollegen Scharping gesagt und auch ihn gefragt -: Wie wollen Sie denn das erreichen - das ist nun wirklich eine große Aufgabe -, wenn Sie schon bei der Reduzierung unserer Sozialleistungen, die einen Umfang von 1,2 Billionen DM haben, um 40 Milliarden DM ein solches Theater veranstalten, wie Sie das heute getan haben?
Die Frage müssen Sie beantworten, sonst ist Ihre Argumentation in sich nicht schlüssig, und Sie werden unglaubwürdig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Joschka Fischer und die Grünen, denen ich mich damit kurz zuwenden möchte, haben nun im Zusammenhang mit dieser ganzen Globalisierung ihre Visionen und ihr Modell entwickelt. Jetzt fange ich einmal mit dem Bereich der Beschäftigungslage an. NRW ist als typisches Beispiel für rot-grüne Zukunftskooperation und Realisierung von Visionen genannt worden. Es wird ja wohl erlaubt sein, darüber zu reden.
Ich fange mit einem ganz einfachen Beispiel an. Der Bundeskanzler kennt die Geschichte um den Holiday-Park in Haßloch in der Südpfalz.
- Er war wahrscheinlich auch schon drin. - Es gibt dort 1,8 Millionen Besucher. Keiner läßt dort weniger als 50 DM. 600 Personen sind dort beschäftigt. Kein Staat und keine Kommune investiert dort etwas. Jetzt komme ich zu NRW. NRW hat, um einen ähnlichen Freizeitpark ins Ruhrgebiet zu locken, 62 Millionen DM an Steuermitteln dem betreffenden Bewerber zugesagt. Das ist nun das typische sozialdemokratische Hinausschmeißen von Geldern für eine Investition in diese Wachstumsbranche, die aber eben keine Steuergelder braucht.
Ich fahre mit Beispielen aus Nordrhein-Westfalen fort. Ich würde gerne einmal mit den Grünen darüber diskutieren. Es gibt in der Nähe des Klinikums Aachen und der Universität ein Feld, auf dem Rüben, Mangold und was weiß ich noch wachsen - Hanf sogar auch, also alles mögliche.
Wenn Sie dorthin kommen, sehen Sie elektronische Sicherungsanlagen, künstliche Beleuchtung usw. Was passiert da? Dort werden Rüben gezüchtet, um pestizidresistente Früchte zu erzeugen, und zwar mit Hilfe der Gentechnologie. Dort sollen gesunde Lebensmittel erzeugt werden, Lebensmittel, bei denen weniger Chemie eingesetzt wird.
Joachim Bartsch, der Gentechnologe von der TH Aachen, sagt, das Gebiet müsse gesichert werden, weil die Gentechnologiegegner ansonsten das ganze Zeug herausrissen. Ohne Feldforschungen aber können diese Lebensmittel nicht auf den Markt gebracht werden. Also wird dies außerhalb Deutschlands gemacht, in Belgien und in Holland. Wir wiederum kaufen dann das, was dort produziert wird, weil wir es dringend brauchen.
Die BASF sagt etwas Ähnliches zur Biotechnologie. Sie sagt: Wissenschaftlich gesehen halten wir in der Biotechnologie einen Spitzenplatz. Wir schaffen es aber nur unzureichend, die Ergebnisse der Grundlagenforschung in Produkte umzusetzen.
Ungefähr 8 Prozent aller Arbeitsplätze in Europa hängen mittelbar von der Gentechnik ab; das sind 15 Millionen Arbeitsplätze. Jetzt frage ich Sie einmal, wie wir eigentlich die Zukunft der Arbeitsplätze sichern sollen, wenn wir Gefahr laufen, bei der Gen-und Biotechnologie dieselben Fehler zu machen, die wir uns in der Vergangenheit bei der Informationstechnologie geleistet haben.
Ich will nicht von den ausländischen Arbeitnehmern in der Landwirtschaft reden; das ist eine Sache für sich. Aber ich war neulich in Nürnberg und habe gesehen, daß die Nürnberger Bratwürste von Koreanern verkauft werden. Weil ich ein Anhänger der
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multikulturellen Gesellschaft bin - das weiß jedermann -, habe ich nichts dagegen, daß wir chinesische, koreanische, taiwanesische, italienische und portugiesische Restaurants haben. Ich habe noch nicht einmal etwas dagegen, wenn Koreaner deutsche Bratwürste verkaufen. Ich habe ebenfalls nichts dagegen, daß 3 Milliarden DM Umsatz durch Gyros und Döner-Buden der Türken erzielt werden, durch Zehntausende von Beschäftigten. Ich habe aber etwas dagegen, daß die Deutschen zu vornehm sind, um mit diesen Jobs ordentliches Geld zu verdienen. Dagegen habe ich etwas.