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    Plenarprotokoll 13/121 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 121. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. September 1996 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 10807 A Absetzung von Tagesordnungspunkten 10807 B, 10894 A Nachträgliche Ausschußüberweisungen . 10807 C Begrüßung einer Delegation des Sozialausschusses des niederländischen Parlaments 10864 B Tagesordnungspunkt 1: a) Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1997 (Haushaltsgesetz 1997) (Drucksache 13/5200) . . 10807 D b) Fortsetzung der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1996 bis 2000 (Drucksache 13/5201) 10808A Rudolf Scharping SPD 10808A, 10865 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 10815 A Otto Schily SPD 10821 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10824 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 10831 A Dr. Christa Luft PDS 10834 A Dr. Gregor Gysi PDS 10837A, 10858 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . . 10840A Rudolf Scharping SPD 10843 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 10850 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 10852 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . 10858C, 10864 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 10860 A Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . . 10863B, C Ingrid Matthäus-Maier SPD 10864 C Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10865 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 10867 C, 10872 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10871 D Günter Verheugen SPD 10872 D Ulrich Irmer F.D.P 10878 C Rudolf Seiters CDU/CSU 10879 B Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 10881 B Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 10883 A Ulrich Irmer F.D.P 10884 D Wolfgang Thierse SPD 10886 A Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 10887 C Willibald Jacob PDS 10889 D Dr. Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 10890 D, 10893 C Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10892 B Dr. R. Werner Schuster SPD 10892 D Manfred Kanther, Bundesminister BMI 10896 C Fritz Rudolf Körper SPD 10899 B Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 10902 D Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10905 A Ina Albowitz F.D.P. 10907 C Ulla Jelpke PDS 10910 B Uta Titze-Stecher SPD 10911 D Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 10913 D Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . 10915 B Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 10916A Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 10918 A Norbert Geis CDU/CSU 10921 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10923 C, 10925 C Dr. Edzard Schmidt-Jortzig 10925 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 10925 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 10927 A Manfred Kolbe CDU/CSU 10928 C Tagesordnungspunkt 2: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 8. September 1976 über die Ausstellung mehrsprachiger Auszüge aus Personenstandsbüchern (Drucksache 13/4995) 10894 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Naturkautschuk-Übereinkommen von 1995 (Drucksache 13/5019) 10894 A c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. November 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gemeinsame Staatsgrenze (Drucksache 13/5020) . 10894 B d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zusammenschluß der deutschen Autobahn A 6 und der tschechischen Autobahn D 5 an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke (Drucksache 13/5049) 10894 B e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes (JStG) 1997 (Drucksache 13/5359) 10894 B f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Altschuldenhilfen für Kommunale Wohnungsunternehmen, Wohnungsgenossenschaften und private Vermieter in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (AHG-Änderungs-Gesetz) (Drucksache 13/5417) . 10894 C g) Antrag der Abgeordneten Antje Hermenau, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mögliche zweckwidrige Verwendung von Steuergeldern durch die Förderung eines Berufsbildungsprojektes in Montevideo (Uruguay) (Drucksache 13/5008) 10894 C h) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Milchquotenregelung in den neuen Ländern (Drucksache 13/4905) . . . 10894 D i) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines Grundstücks in Berlin-Mitte (Drucksache 13/5039) . . 10894 D j) Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung hier: Umwelttechnik und wirtschaftliche Entwicklung (Drucksache 13/5050) 10895 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes und des Waffengesetzes (Drucksache 13/5493) 10895 A b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer (Drucksache 13/5504) . . . . 10895 B Tagesordnungspunkt 3: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 14. Juni 1994 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits (Drucksachen 13/4174, 13/5031) 10895 C b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 9. Februar 1995 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kirgisistan andererseits (Drucksachen 13/4173, 13/5032) 10895 D c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 6. März 1995 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und Weißrußland andererseits (Drucksachen 13/4172, 13/5033) 10895 D e) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses 10896 A - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht über die Mißbrauchsbekämpfung und Anpassung von öffentlichen Leistungen an veränderte Rahmenbedingungen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht über die Mißbrauchsbekämpfung und Anpassung öffentlicher Leistungen an veränderte Rahmenbedingungen (Drucksachen 12/8246, 13/725 Nr. 63, 13/3412, 13/3930 Nr. 1, 13/5294) . . . 10896A Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Zustimmungbedürftige Verordnung zur Einführung des Europäischen Abfallkatalogs (Drucksachen 13/5416, 13/5520) 10896 B Nächste Sitzung 10929 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10930*A 121. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. September 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 11. 9. 96 Bachmaier, Hermann SPD 11. 9. 96 Beck (Bremen), BÜNDNIS 11. 9. 96 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 11. 9. 96 * Borchert, Jochen CDU/CSU 11. 9. 96 Duve, Freimut SPD 11. 9. 96 Gansel, Norbert SPD 11. 9. 96 Glos, Michael CDU/CSU 11. 9. 96 Kurzhals, Christine SPD 11. 9. 96 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 11. 9. 96 Karl-Hans Dr. Lucyga, Christine SPD 11. 9. 96 * Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 11. 9. 96 Hermann Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Regenspurger, Otto CDU/CSU 11. 9. 96 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 11. 9. 96 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 11. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Schönberger, Ursula BÜNDNIS 11. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Thieser, Dietmar SPD 11. 9. 96 Voigt (Frankfurt), SPD 11. 9. 96 Karsten D. Vosen, Josef SPD 11. 9. 96 Wieczorek-Zeul, SPD 11.9.96 Heidemarie Dr. Zöpel, Christoph SPD 11. 9. 96 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Dr. Heiner Geißler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Sie, aber er nicht!


Rede von Ingrid Matthäus-Maier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Dabei habe ich gesagt: Über die betriebliche Vermögensteuer lassen wir mit uns sprechen,

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Und was hat Herr Lafontaine gesagt?)

aber doch nicht ohne Kompensation, nicht ohne Ausgleich. Wenn uns alle Fachleute, alle Institute sagen, daß der Anteil der Unternehmensteuern am gesamten Kuchen immer weiter zurückgegangen ist, dann kann man mit uns über die betriebliche Vermögensteuer reden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Frage! Frage!)

- Nun hören Sie mit Ihrer ewigen Quatscherei mal auf.
Man kann mit uns darüber reden. Aber dann sagen Sie uns, welche Kompensation Sie vorsehen. Auf all das haben Sie überhaupt nicht geantwortet. Damit sich die Kollegen nicht aufregen, frage ich Sie: Meinen Sie nicht auch, daß Sie in einer Zeit, in der wir hinten und vorne nicht wissen, woher wir das Geld nehmen sollen, in der Sie sagen: „Die 3,7 Milliarden DM fürs Kindergeld habe ich nicht, aber auf die 9 Milliarden DM kann ich verzichten" , etwas differenzierter über das Thema reden könnten?

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


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    Rede von Dr. Heiner Geißler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau MatthäusMaier, jetzt machen Sie wieder denselben Fehler.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein!)

    Die betriebliche Vermögensteuer wollen offenbar auch Sie abschaffen, oder Sie halten sie wenigstens für unsinnig. Dann bleiben, wenn ich das richtig verstanden habe, mit 48 Prozent 3,7 oder 3,8 Milliarden DM für die private Vermögensteuer übrig.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]): Aber bei

    Kompensation haben Sie die doch!)
    Aber Herr Schleußer und alle Finanzminister der SPD sagen, daß man dafür ungefähr 2 Milliarden DM für Verwaltungs- und Personalaufwand braucht. Dies kapiert in meinem Wahlkreis jeder Winzer, jeder Bauer und jeder Arbeiter, daß man einen solchen Unsinn nicht machen kann. Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten, dies den Leuten zu erklären. Wir sagen nun aber gar nicht, daß wir die private Vermögensteuer ersatzlos streichen. Wir wollen sie mit der Erbschaftsteuer zusammenlegen. Auch dies hat Wolfgang Schäuble vorhin erklärt.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch dummes Zeug! Sie lenken doch nur ab!)

    - Entschuldigung, da sagen Sie dummes Zeug. Genau denselben Vorschlag hat der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, gemacht - aber nicht auf Druck von Herrn Brüderle, sondern offenbar aus eigener Einsicht -, indem er gesagt hat, die private Vermögensteuer habe er schon immer als einen Unfug angesehen.

    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Aus eigener Einsicht!)

    Dies hat er schon immer aus eigener Einsicht gesagt, also offenbar schon vor Bildung der Koalition mit der F.D.P - leider mit der F.D.P.; ich muß sagen, das ist keine schöne Tat gewesen. So groß kann der Unsinn nun nicht sein, wenn er sogar in Ihrem hehren Gebäude steuerpolitischer Reinheitsvorstellungen Fuß gefaßt hat. Wenn ein Ministerpräsident der SPD sagt, was wir sagen, kann dies nicht ganz verkehrt sein.
    Zu einem weiteren Punkt: Gewerbekapitalsteuer und Senkung der Gewerbeertragsteuer. Seit einem Jahr liegen die Vorschläge auf dem Tisch. Das alles interessiert Sie offenbar überhaupt nicht. Sie erwähnen nur den Grundfreibetrag und das Kindergeld. Sie wissen doch ganz genau, daß wir die Erhöhung des Kindergeldes um 20 DM nur verschieben, aber das Kindergeld nicht kürzen. Ich sage es zum viertenmal: Sie und die, die damals Verantwortung getragen haben, haben das Kindergeld im Jahre 1980 gekürzt.

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mexiko hat das Kindergeld erhöht!)

    Kinder von Arbeitslosen haben nämlich das Kindergeld bis zum 21. Lebensjahr bekommen. Sie haben das Alter auf 18 Jahre heruntergesetzt. Wir haben dies nach 1982 wieder reparieren müssen, Solche Kürzungen in einer Zeit, in der die Lebenshaltungskosten eines Kindes bei 7 Prozent lagen, haben wir nicht gemacht.
    Wir verschieben jetzt die zusätzliche Erhöhung des Grundfreibetrages und die Erhöhung des Kindergeldes um 20 DM aus haushaltspolitischen Gründen. Wir können dies verantworten, weil wir im Monat September - heute ist der entsprechende Bericht herausgekommen - die größte Preisstabilität seit der deutschen Einheit haben. Die Preissteigerungsrate beträgt 1,4 Prozent. Das heißt, das Existenzminimum für Kinder wird sich im Verhältnis von 1996 zu 1997 nur marginal verändern. Die Preisstabilität ist der eigentliche Grund, daß sich das Existenzminimum nicht verschoben hat und daß wir sagen: Wir können es steuer- und sozialpolitisch verantworten, die Erhöhung um ein Jahr zu verschieben. Wenn das die Wahrheit ist - das ist die Wahrheit und die Realität; das wissen Sie auch -, dann können Sie doch nicht

    Dr. Heiner Geißler
    ein solches Getöse veranstalten. Sie verbreiten hier Irrtümer; die SPD-Leute haben sich nach Ihrer Rede gefreut. Zu Ihrer Rede fällt mir ein Zitat aus Faust I ein: „Oh glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen. "

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Lafontaine, ich muß noch etwas zu Ihrer Rede bemerken: Sie haben Wolfgang Schäuble nicht geantwortet. Im Bundesrat haben Sie die Frage gestellt - ich will sie noch einmal vorlesen -:
    Wohin sind wir eigentlich in diesem Staat gekommen, wenn auf der einen Seite diejenigen, die wochenlang und monatelang darüber diskutieren, was im Sozialhilferecht zumutbar ist, als „Besitzstandswahrer" diskreditiert werden, während auf der anderen Seite Einkommensmillionäre die Einkommensteuern über Abschreibungsbedingungen eben gegen Null führen können.
    Das haben Sie im Bundesrat gesagt. In derselben Bundesratssitzung

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Eine Stunde später!)

    - also offenbar eine Stunde später - hat das Saarland den entsprechenden Vorschlag, die Steuersubvention für Flugzeuge und Container zu streichen, abgelehnt. Das sind Widersprüche, zu denen Sie einmal hätten Stellung nehmen sollen.
    Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung, die Sie mit dem Bundeskanzler über das Beschäftigungspaket geführt haben, haben Sie auf Grund der Schwierigkeiten und Probleme, die wir zu lösen haben - dies ist auch die Hoffnung der Grünen gewesen; da ist die PDS noch einbezogen worden -, ein Fünkchen Hoffnung entdeckt. Es hat Zeitungsberichte und Kommentare gegeben, die Vergleiche mit der Zeit von Ronald Reagan und der Entwicklung unter George Bush gezogen und festgestellt haben, daß sich nach den Reaganomics die Gegenbewegung formiert habe, die wieder mehr die Solidarität in den Vereinigten Staaten in den Vordergrund geschoben habe, und daß dies schließlich den Machtwechsel zugunsten von Bill Clinton verursacht habe.
    Eine Zeitung, der „Kölner Stadt-Anzeiger", hat die Frage gestellt: „Der DGB-Protest als Vorbote des Machtwechsels in Bonn?" Aber dazu müßte es einen deutschen Clinton geben, und den Clinton gibt es nicht. Sie sind es nicht, er ist es nicht, und der andere ist es auch nicht.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen wird Ihnen das, selbst wenn Sie weiterhin diese Reden halten und versuchen, das soziale Klima aufzuputschen, nicht gelingen. Nun greife ich den Gedanken auf, den Sie schon im Bundesrat geäußert haben -: Es geht um die Situation, in der wir uns mit unserem Sozialstaat befinden. Im Gegensatz zu dem einen oder anderen auch in meiner Partei glaube ich, daß wir diese Frage angesichts der Umbrüche, der
    Globalisierung und der damit zusammenhängenden Probleme diskutieren müssen.
    Ich möchte an Ihre Adresse zunächst einmal sagen: Was die soziale Marktwirtschaft anbelangt, müssen wir uns wieder über ihre Grundsätze klarwerden. Daß es zur dezentralen Koordination durch den Markt keine funktionsfähige Alternative gibt, wird, glaube ich, inzwischen nicht mehr bestritten. Daß der Wettbewerb - das hat Herr Gerhardt gesagt - ein Entmachtungsinstrument und insoweit auch demokratiefreundlich ist, ist auch richtig. Aber Egoismus ist von der menschlichen Natur her unmoralisch, und ökonomischer Egoismus ist es ebenfalls. Deswegen haben die Schöpfer der sozialen Marktwirtschaft das Soziale nicht als Appendix angesehen, sondern der Wirtschaft angesichts des Problems, daß der Markt nicht Gerechtigkeit schaffen kann, ganz eindeutig und klar ein sozialethisches Telos, ein Ziel gegeben. Die Wirtschaft existiert nicht für sich selber.
    Deswegen ist die ganze Shareholder-value-Diskussion verkehrt. Ein Unternehmen existiert nicht ausschließlich und allein zu dem Zweck, daß Dividenden erwirtschaftet werden, sondern es gibt auch noch den Kunden und den Arbeitnehmer. Daimler-Benz könnte mit seinem Kapital nicht ein einziges Auto bauen, wenn es nicht die Ingenieure und die Arbeitnehmer gäbe und wenn es nicht die Kunden gäbe, die diese Autos kaufen.
    Soziale Marktwirtschaft ist eben etwas anderes. Also brauchen wir eine soziale Ordnung. Aber - Ludwig Erhard war das Problem bewußt; Sie haben ihn zitiert -: Es braucht eine staatliche Rahmenordnung, von der Geldpolitik über die Steuerpolitik bis hin zur Sozialpolitik und zum Arbeitsrecht. Das heißt, wir haben einen geordneten Wettbewerb. Wir haben nicht Catch-as-catch-can, sondern einen geordneten Wettbewerb, wie es auch im Grundsatzprogramm der CDU beschrieben ist. Wir haben eine Sozialordnung. Um dies zu gewährleisten, ist ein leistungsfähiger und ein entscheidungsfähiger Staat konstitutiv.
    Jetzt kommt Ihr Problem. Bei einer Globalisierung der Märkte beginnt die Wirtschaft, sich dieser staatlichen Ordnung zu entziehen. Deswegen sagen Sie völlig zu Recht: Wir brauchen auf der europäischen, möglicherweise sogar auf der globalen Ebene Institutionen, die das auffangen. Das ist eine schwere Aufgabe. Aber in Europa sind wir dabei, beschäftigen wir uns mit dieser Aufgabe. Man muß überlegen, ob wir nicht solche Institutionen durch den Ausbau der Institutionen der UNO auch weltweit bekommen. Das halte ich nicht einmal für unmöglich.
    Aber wir haben noch ein anderes Problem: Mit der sozialen Marktwirtschaft war immer auch Wachstum verbunden. In einer Zeit des Wachstums war es leichter, sogar relativ einfach, diese soziale Ordnung darzustellen und zu finanzieren. Nun besteht aber Konsens - das ist das, was Joschka Fischer angedeutet hat, und dem stimme ich völlig zu; dem stimmen wir alle zu -, daß die Erde eine Globalisierung des Standards der Industrieländer nicht verkraften würde und daß wir das den nach uns kommenden Generationen auch nicht zumuten dürften. Wenn das richtig ist, dann stellt sich doch die Frage, ob wir das Pro-

    Dr. Heiner Geißler
    blem der Massenarbeitslosigkeit, so wie es früher der Fall war, heute noch mit Wachstum lösen können. Wenn wir das richtig sehen, dann scheint es doch so zu sein, daß im Zuge der Globalisierung der Märkte die Wachstumschancen eher zugunsten der Schwellen- und der Reformländer als zugunsten der Industrieländer verteilt werden. Jetzt komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Das heißt aber doch, daß, wenn wir trotzdem die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, dieses Solidarprinzip, das integrativ zur sozialen Marktwirtschaft gehört, heute stärker beansprucht wird. Dieses Sozialprinzip muß anders gesehen werden, und auch der Begriff der sozialen Gerechtigkeit muß anders ausgelegt werden, als es früher der Fall war. Das heißt, wir müssen den Begriff der Solidarität stärker beanspruchen. Wir haben hier in Deutschland noch das zusätzliche Problem, daß wir die Aufgaben der deutschen Einheit bewältigen müssen. Darauf geben Sie keine Antwort.
    Wie soll diese Solidarität aussehen? Inwieweit können und müssen wir sie beanspruchen? Das bedeutet natürlich auch, sie einzuschränken. Etwas anderes ist auch klar. Sie sprechen in der Rede im Bundesrat von Standards. Ich habe bei der letzten Debatte schon gesagt, daß das einmal von Ihnen ausdiskutiert werden muß. Wenn wir Standards anstreben, dann mag es ja sein, daß wir irgendwo anders soziale Standards anheben wollen. Das wird nach meiner Auffassung auch gelingen. In Portugal ist es schon der Fall; es wird auch in anderen Ländern der Fall sein. Es wird aber gleichzeitig auch die Erkenntnis bedeuten, daß wir nun nicht alle - ich habe es gerade gesagt - auf unseren Standard anheben können. Wenn Sie also wollen, daß wir dieser Globalisierung der Märkte eine Globalisierung der Sozialpolitik und der Sozialordnung folgen lassen - so schwierig das auch immer sein mag -, dann bedeutet dies, daß wir uns auf das Wachstum allein nicht verlassen können, sondern daß wir in einer bestimmten Form eben auch das, was wir bisher als Sozialstaat gehabt haben, einschränken müssen.
    Jetzt frage ich Sie aber - Sie sind das letzte Mal nicht dagewesen; ich habe es dem Kollegen Scharping gesagt und auch ihn gefragt -: Wie wollen Sie denn das erreichen - das ist nun wirklich eine große Aufgabe -, wenn Sie schon bei der Reduzierung unserer Sozialleistungen, die einen Umfang von 1,2 Billionen DM haben, um 40 Milliarden DM ein solches Theater veranstalten, wie Sie das heute getan haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Frage müssen Sie beantworten, sonst ist Ihre Argumentation in sich nicht schlüssig, und Sie werden unglaubwürdig.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, Joschka Fischer und die Grünen, denen ich mich damit kurz zuwenden möchte, haben nun im Zusammenhang mit dieser ganzen Globalisierung ihre Visionen und ihr Modell entwickelt. Jetzt fange ich einmal mit dem Bereich der Beschäftigungslage an. NRW ist als typisches Beispiel für rot-grüne Zukunftskooperation und Realisierung von Visionen genannt worden. Es wird ja wohl erlaubt sein, darüber zu reden.
    Ich fange mit einem ganz einfachen Beispiel an. Der Bundeskanzler kennt die Geschichte um den Holiday-Park in Haßloch in der Südpfalz.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Der hat da den Wahlkreis!)

    - Er war wahrscheinlich auch schon drin. - Es gibt dort 1,8 Millionen Besucher. Keiner läßt dort weniger als 50 DM. 600 Personen sind dort beschäftigt. Kein Staat und keine Kommune investiert dort etwas. Jetzt komme ich zu NRW. NRW hat, um einen ähnlichen Freizeitpark ins Ruhrgebiet zu locken, 62 Millionen DM an Steuermitteln dem betreffenden Bewerber zugesagt. Das ist nun das typische sozialdemokratische Hinausschmeißen von Geldern für eine Investition in diese Wachstumsbranche, die aber eben keine Steuergelder braucht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich fahre mit Beispielen aus Nordrhein-Westfalen fort. Ich würde gerne einmal mit den Grünen darüber diskutieren. Es gibt in der Nähe des Klinikums Aachen und der Universität ein Feld, auf dem Rüben, Mangold und was weiß ich noch wachsen - Hanf sogar auch, also alles mögliche.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ringelblumen!)

    Wenn Sie dorthin kommen, sehen Sie elektronische Sicherungsanlagen, künstliche Beleuchtung usw. Was passiert da? Dort werden Rüben gezüchtet, um pestizidresistente Früchte zu erzeugen, und zwar mit Hilfe der Gentechnologie. Dort sollen gesunde Lebensmittel erzeugt werden, Lebensmittel, bei denen weniger Chemie eingesetzt wird.
    Joachim Bartsch, der Gentechnologe von der TH Aachen, sagt, das Gebiet müsse gesichert werden, weil die Gentechnologiegegner ansonsten das ganze Zeug herausrissen. Ohne Feldforschungen aber können diese Lebensmittel nicht auf den Markt gebracht werden. Also wird dies außerhalb Deutschlands gemacht, in Belgien und in Holland. Wir wiederum kaufen dann das, was dort produziert wird, weil wir es dringend brauchen.
    Die BASF sagt etwas Ähnliches zur Biotechnologie. Sie sagt: Wissenschaftlich gesehen halten wir in der Biotechnologie einen Spitzenplatz. Wir schaffen es aber nur unzureichend, die Ergebnisse der Grundlagenforschung in Produkte umzusetzen.
    Ungefähr 8 Prozent aller Arbeitsplätze in Europa hängen mittelbar von der Gentechnik ab; das sind 15 Millionen Arbeitsplätze. Jetzt frage ich Sie einmal, wie wir eigentlich die Zukunft der Arbeitsplätze sichern sollen, wenn wir Gefahr laufen, bei der Gen-und Biotechnologie dieselben Fehler zu machen, die wir uns in der Vergangenheit bei der Informationstechnologie geleistet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will nicht von den ausländischen Arbeitnehmern in der Landwirtschaft reden; das ist eine Sache für sich. Aber ich war neulich in Nürnberg und habe gesehen, daß die Nürnberger Bratwürste von Koreanern verkauft werden. Weil ich ein Anhänger der

    Dr. Heiner Geißler
    multikulturellen Gesellschaft bin - das weiß jedermann -, habe ich nichts dagegen, daß wir chinesische, koreanische, taiwanesische, italienische und portugiesische Restaurants haben. Ich habe noch nicht einmal etwas dagegen, wenn Koreaner deutsche Bratwürste verkaufen. Ich habe ebenfalls nichts dagegen, daß 3 Milliarden DM Umsatz durch Gyros und Döner-Buden der Türken erzielt werden, durch Zehntausende von Beschäftigten. Ich habe aber etwas dagegen, daß die Deutschen zu vornehm sind, um mit diesen Jobs ordentliches Geld zu verdienen. Dagegen habe ich etwas.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)