Solche Diskussionen in Frankreich, die darauf hinauslaufen, daß man Vorschläge des MIT - hören Sie zu! -
aufgreift, die vor einiger Zeit gemacht worden sind, wonach sich der Franc eventuell abkoppeln sollte und insbesondere auch die französische Nationalbank eine andere Geldpolitik betreiben sollte und sich von der Deutschen Bundesbank und ihrer Politik abkoppeln sollte, sollten doch der Erörterung wert sein.
Meine Damen und Herren, ich habe mich immer gewundert, daß Sie die Schwierigkeiten im deutschfranzösischen Verhältnis einfach übergehen und hier so tun, als gäbe es sie nicht.
Man kann diese Dinge aber nicht einfach übergehen.
Zu dem Jahre 1989 habe ich Ihnen einiges gesagt; ich will das nicht wiederholen. Auch da empfiehlt sich die Lektüre der Bücher, die Sie zitiert haben. Aber wenn beispielsweise in Frankreich Entscheidungen in der Militärpolitik fallen, die nicht abgestimmt sind, sollte man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
- Wollen Sie hier behaupten, daß die Entscheidung, eine Berufsarmee einzurichten, mit Ihnen abgestimmt war?
- Herr Bundeskanzler, das Thema ist zu ernsthaft, als
daß ich es jetzt polemisch aufnehmen möchte. Ich
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
will dann gern einräumen, daß Sie informiert waren. Nur, darum geht es nicht. Es geht darum, daß wir in Europa eine langfristige gemeinsame europäische Verteidigung aufbauen wollen und daß solche Entscheidungen deshalb natürlich konsultiert und abgestimmt sein müssen. Versuchen Sie doch nicht, über dieses Problem hinwegzureden!
Die ökonomische Debatte in Frankreich macht mich besorgt. Sie macht mich deshalb besorgt, weil in Frankreich mehr und mehr erkannt wird, daß der Stolz auf Preisstabilität allein nicht ausreicht, um die ökonomische Debatte in Gesamteuropa zu bestreiten. Stabilität ist wichtig, Sparen ist wichtig - aber Beschäftigung ist genauso wichtig. Ohne ausreichende Beschäftigung wird es ein vereintes Europa, das von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert wird, nicht geben.
Weil wir Beschäftigung in Gesamteuropa brauchen, brauchen wir eine internationale Abstimmung der Wirtschaftspolitik - auch wenn Sie das noch nicht verstanden haben.
Sie meinen, daß diejenigen, die nach einem internationalen Ordnungsrahmen rufen, der Auffassung sind, es gäbe keinen Ideenwettbewerb um bessere Forschung, um bessere Produkte, um bessere Kostensituation in den Betrieben. Ich sage Ihnen: Wir brauchen einen internationalen Ordnungsrahmen - zumindest in einem ersten Schritt - mehr als eine einheitliche Währung auf europäischer Ebene. Wir brauchen Steuerharmonisierung, Harmonisierung der Haushaltspolitiken, Standards für Umweltschutz und Soziales usw. usw. Anders läuft die Währungsunion ins Leere.
Es ist richtig, was die Vorredner kritisch festgestellt haben: daß Sie sich im Rahmen der WTO, daß Sie sich im Rahmen der G 7 und daß Sie sich im Rahmen der europäischen Abstimmung in der Minderheit befinden, Herr Kollege Schäuble, wenn Ihre Gastgeber Ihnen das vielleicht auch nicht so deutlich zeigen. Sie befinden sich mit Ihrem simplen Satz „Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause " nicht nur nicht auf der Höhe der internationalen Wirtschaftspolitik - darüber wollen wir gar nicht reden -; Sie befinden sich auch in der Minderheit, was alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft angeht.
Deshalb brauchen wir endlich neue Beschäftigungsimpulse auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft. Die können wir nicht mit dem Argument „Beschäftigungspolitik machen wir bei uns zu Hause" wegbügeln.
Im übrigen, wenn ich ein Europäer aus einem anderen Land wäre, würde ich Ihnen sagen: Bewahren Sie uns vor den „Erfolgen" der Beschäftigungspolitik, die Sie in den letzten Jahren zu Hause mit Ihrer hausgestrickten Politik gemacht haben.
Das mindeste, was wir dabei brauchen, ist Steuerharmonisierung. Es nützt nichts, wenn überall geklagt wird, daß wir die Zinsbesteuerung in verfassungsmäßig zufriedenstellender Weise nicht hinbekommen, weil von der deutschen Bundesregierung versäumt wurde, auf europäischer Ebene rechtzeitig auf eine Vereinheitlichung zu drängen.
Es nützt auch nichts, wenn Sie ein großes Gejammere veranstalten, daß Steuerflüchtlinge nach Osterreich oder in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gehen - auch wenn das die Boulevardpresse besonders interessiert. Was wir brauchen, ist eine Harmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft bei der Vermögensteuer, bei der Kapitalertragsteuer und bei der Unternehmensbesteuerung. Das muß spätestens im Jahre 1999 verhandelt werden, wenn auch über die Beiträge zur Europäischen Gemeinschaft weiter gesprochen wird. Anders ist die Währungsunion nicht machbar.
Die Empfehlungen der Europäischen Kommision zur Steuerpolitik sind viel weiter als Ihre Debatte. Der zuständige Kommissar Monti hat darauf hingewiesen, daß die Souveränität nur noch eine scheinbare ist und daß durch den Wettlauf um Unternehmensteuersenkungen, durch die Kapitalflucht und den Wettlauf um die Abschaffung der Vermögensteuer usw. die Arbeit immer weiter besteuert worden ist, und zwar mit allen negativen Folgen für den gesamten europäischen Arbeitsmarkt.
Auch wenn Sie das noch nicht erkennen, ist das ein Schlüssel für mehr Wachstum und Beschäftigung in Gesamteuropa. Es nützt nichts, sich nur zu Europa zu bekennen. Wir bezweifeln Ihr Bekenntnis überhaupt nicht. Ich schließe mich dem an, was Joschka Fischer hier gesagt hat. Es müssen aber auch die ökonomischen, fiskalischen und steuerrechtlichen Entscheidungen getroffen werden, um die Europäische Gemeinschaft funktionsfähig zu erhalten und für mehr Wachstum und Beschäftigung zu sorgen.
Wir lesen die Zeitungen aufmerksam. Demnach wollen Sie den Weg weitergehen, daß Sie glauben,
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
es entsteht mehr Beschäftigung, wenn Sie soziale Leistungen kürzen, Unternehmensteuern senken, Umweltstandards zurückhaltend festlegen und nur ja nicht an die ökologische Steuerreform herangehen. Das ist eine hoffnungslos veraltete Politik, eine Politik, die zu immer mehr Arbeitslosigkeit und zu immer mehr Umverteilung von unten nach oben geführt hat.
Die Proteste in der Bevölkerung - von Rentnerinnen und Rentnern, von Gewerkschaftern oder Arbeitnehmern, die arbeitslos geworden sind oder lange Zeit arbeitslos waren - richten sich dagegen, daß das, was Sie Wachstums- und Beschäftigungsprogramm nennen, im Grunde genommen ein nicht sozial vertretbares Programm ist, das die Arbeitslosigkeit in unserem Land weiter steigert. Sie veröffentlichen das in Ihrem eigenen Wirtschaftsbericht und in den Prognosen Ihrer eigenen wirtschaftspolitischen Sprecher ja selber.
Deshalb ist es nicht an der Zeit, hier in Selbstgefälligkeit zu verfallen, sondern es ist an der Zeit, über die zehn Reformprojekte zu diskutieren, die wir Ihnen vorschlagen und die teilweise auch aus Ihren eigenen Reihen vorgeschlagen worden sind. Solange der Reformstau in dieser Republik anhält und solange die verfehlte Wirtschaftspolitik als Allheilmittel angepriesen wird, werden immer mehr Menschen arbeitslos werden und wird die soziale Ungerechtigkeit zunehmen. Damit werden und damit können wir uns nicht abfinden.