Rede von
Dr.
Helmut
Kohl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nein, Herr Präsident. Ich möchte diese Diskussion jetzt nicht führen. Ich stehe dem Kollegen Scharping nach der Debatte aber gern zur Verfügung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalition und die Bundesregierung haben im 50-Punkte-Programm für Wachstum und Beschäftigung eine Grundlage gelegt,
um die Zukunftsprobleme zu lösen. Wir haben zu keinem Zeitpunkt die Behauptung aufgestellt, daß das, was wir vorschlagen, letztendlich alleinseligmachend ist. Wir sind immer gerne bereit, neue Ideen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie auch zusammenzubringen.
Ich hoffe, daß nach der Abstimmung am Ende dieser Woche ein vernünftiges Gespräch auch mit den Bundesländern im Bundesrat - und über diesen Weg sicherlich auch mit der Sozialdemokratischen Partei - möglich sein wird. Ich will das noch einmal ganz konkret sagen.
Wenn wir über Standortbestimmung reden, müssen wir davon sprechen, wo wir heute stehen. Die neuen Wachstumszahlen sind erfreulich. Sie bestätigen, daß die Konjunktur im zweiten Jahresteil anzieht. Es ist wahr, daß sich die Voraussetzungen in vielen Feldern verbessert haben. Wir haben praktisch Preisstabilität. Das ist im Blick auf die soziale Situation der Menschen einer der wichtigsten Beiträge zur sozialen Stabilität. Die Zinsen sind auf einem historischen Tiefstand.
Wir haben - ich habe die Gewerkschaften in diesem Zusammenhang nicht ohne Grund gelobt - in diesem Jahr Tarifabschlüsse zu verzeichnen, die mehr an der Konkurrenzsituation und der Beschäftigungslage orientiert sind als vieles andere.
Die D-Mark-Aufwertung vom Frühjahr 1995 ist mittlerweile deutlich zurückgegangen, was für die
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Exportlage Deutschlands von größter Bedeutung ist. Wir haben einen erfreulichen, weiterhin soliden Aufwärtstrend im Welthandel. Das ist gut für unseren Export.
Aber all dies kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß das zentrale Problem bleibt: Das ist die bedrückend hohe Arbeitslosigkeit, die nicht akzeptabel ist. Deswegen muß diese Frage im Mittelpunkt all unserer Überlegungen stehen.
Wir wissen auch, daß ein Wiederanziehen der Konjunktur nicht ausreicht - hier hat sich etwas geändert -, um Arbeitslosigkeit abzubauen, daß für mehr Wachstum und Beschäftigung vielmehr zusätzliche strukturelle Impulse notwendig sind. Das ist eine Anstrengung, der sich alle unterziehen müssen: die Arbeitgeber, die Gewerkschaften genauso wie die Politik. Wenn ich sage Politik, dann heißt das nach unserer Verfassungsordnung Bund, Länder und Gemeinden.
Wir haben - das ist keine Erfindung der Bundesregierung, sondern eine gemeinsame Entschließung der Führung der Gewerkschaften, der Führung der Repräsentanten der deutschen Industrie und der Bundesregierung - uns das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2000 die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren. Das ist ein enorm ehrgeiziges Ziel. Aber wenn wir nicht den Ehrgeiz haben, dieses Ziel zu erreichen, haben wir vor dieser großen Aufgabe schon abgedankt. Das ist inakzeptabel.
Im übrigen erinnere ich angesichts der vielerorts verbreiteten Miesmacherei daran, daß wir zwischen 1983 und 1989 rund 3 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen haben; zugegebenermaßen in einer anderen Lage, aber auch damals hieß es: Das schafft ihr nie.
Ich habe eine sehr konkrete Erinnerung: Nach dem Wechsel hier in Bonn hatten wir Landtagswahlen in Hessen. Das Argument einer Verelendung ist damals in Hessen von den Sozialdemokraten immer wieder vorgetragen worden.
Die folgerichtige Antwort für uns lautet, das Land fit zu machen für das nächste Jahrhundert. Wir brauchen dafür ein ganzheitliches Denken, und wir müssen die entsprechenden Maßnahmen in allen Bereichen vorantreiben. Wir werden das versuchen, und dort, wo wir Ihre Unterstützung brauchen und Ihre Verantwortung besonders gefragt ist - im Bundesrat -, bitte ich ausdrücklich darum - was auch immer jetzt gesagt wird -, dieses neu zu bedenken. Wolfgang Schäuble hatte recht, als er davon sprach, daß der, der jetzt auf Zeit spielt, den sich jetzt abzeichnenden Aufschwung schädigt und Investitionen und neue Arbeitsplätze verhindert.
Man kann es nicht oft genug sagen: Der OECD-Bericht müßte jeden - er wurde gerade zitiert, aber weil er so interessant ist, zitiere ich ihn noch einmal - überzeugen. Die OECD schreibt den Deutschen ins Stammbuch:
Das neue Programm der Bundesregierung stellt einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar, es muß aber voll umgesetzt und
- jetzt kommt der Satz -
wahrscheinlich auch noch verstärkt werden, wenn die deutsche Wirtschaft das gesamte Potential einer hochqualifizierten und motivierten Bevölkerung ausschöpfen soll.
Natürlich wissen Sie bei allem Streit um Einzelheiten so gut wie ich, daß die OECD recht hat. Sie wissen so gut wie ich, daß das, was jetzt erforderlich ist, nicht heißen kann, daß wir sparen um des Sparens willen, sondern um den Weg in die Zukunft zu finden.
Mehr Arbeitsplätze und eine gute Zukunft werden wir nur gewinnen, wenn nicht, wie bisher, jede zweite hier erwirtschafte Mark vom Staat verteilt wird. So einfach und so klar ist das. Deswegen muß unser Ziel bleiben, daß wir, wie wir es uns vorgenommen haben, bis zum Jahre 2000, wiederum mit Blick auf die Staatsquote, wenigstens auf die Größenordnung kommen, die wir im Jahr der Wiedervereinigung mit 46 Prozent erreicht hatten.
- Ich habe nicht gesagt, daß dann der Aufschwung beschlossen ist. Das sind alles Schritte auf diesem Weg. Natürlich werden wir im Jahre 2000 ein Stück weiter auf dem Weg Aufbau Ost sein, aber wir werden auch dann noch erleben, daß es Bereiche gibt, in denen es länger dauert. Aber das ist eigentlich kein Grund zum Jammern. Ich bin glücklich, daß wir diese Notwendigkeit haben.
Wir müssen - dafür können wir eine Menge gemeinsam tun - einfach die Erkenntnis ziehen, daß neue Arbeitsplätze in größerer Zahl nicht von den Großbetrieben geschaffen werden können, die als multinationale Unternehmen einen Teil ihrer Sicherung im internationalen Bereich sehen müssen. Dazu gehören Unternehmen, die in Asien, in der Volksrepublik China oder sonstwo investieren, um insgesamt stabil zu bleiben. Das ist kein Gegensatz.
Zusätzliche Arbeitsplätze müssen im mittelständischen Bereich geschaffen werden. Deswegen ist es kein Schlag gegen die soziale Stabilität, wenn wir sagen, daß man das Kündigungsrecht umgestalten muß, damit in diesen Bereichen neue Arbeitsplätze entstehen.
Die deutschen Sozialdemokraten waren doch über eine lange Zeit hindurch eine Partei, die sich in einer besonderen Weise und mit großer Sympathie um das Handwerk kümmerte. Sprechen Sie doch in irgendeiner Handwerkerversammlung einfach einmal mit
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den Leuten, die vier, fünf Mitarbeiter haben und die in vielen Bereichen mehr Aufträge annehmen könnten, deren Problem im Regelfall nicht die Auftragslage, sondern die Zwischenfinanzierung ist. Hören Sie, was Ihnen diese Leute zu diesem Thema sagen.
Dies ist kein Anschlag auf die soziale Stabilität, sondern einen Akt der Vernunft. Das Handwerk hat uns in einer Umfrage vorgelegt, daß rund 80 000 Handwerksbetriebe bereit seien, sofort bis zu drei Mitarbeiter einzustellen, wenn bestehende Schwellenwerte angehoben würden. Das wären doch 240 000 zusätzliche Arbeitsplätze.
Welchen Grund haben Sie eigentlich, die Ansichten, Bonität und Überzeugung eines Handwerksmeisters, der drei Leute hat und eine solche Erklärung abgibt, zu bezweifeln? Wer gibt Ihnen dieses Recht?
Natürlich gehört zu einer solchen Entwicklung auch eine grundlegende Steuerreform. Daß bei einer Steuerreform, bei der so viele Interessen im Spiel sind, viel geredet wird, auch manches Unnötige, steht außer Frage.
- Beispielsweise Sie, wenn Sie es unbedingt wissen wollen.
Ich glaube nicht, gnädige Frau, daß Sie einen Nachholbedarf in dieser Richtung haben. Ich meine schon, auch Sie und andere können sich betroffen fühlen. Ich schließe mich da mit ein; damit habe ich kein Problem.
Überlegen Sie doch einmal, um was es geht! Wir haben beschlossen - das müßte eigentlich wiederum Ihre Unterstützung finden -, daß sich jetzt eine Arbeitskommission der Bundesregierung mit Sachverständigen zusammensetzt und bis Ende dieses Jahres - kürzer geht es nun wirklich nicht - einen Vorschlag erarbeitet. Dann betreibt die Bundesregierung die öffentliche Diskussion mit Anhörungen und all dem, was dazugehört. Wir müssen Gespräche - Steuerreform ist doch gar nicht anders denkbar - mit den Bundesländern, mit den kommunalen Spitzenverbänden, mit den Fachbereichen und vielen anderen mehr führen. Da ist doch die große Stunde für die SPD gekommen, über die Bundesländer, über die Bundestagsfraktion daran teilzunehmen. Dann lassen Sie uns doch miteinander streiten, was der bessere Weg ist. Mein Ziel ist - ich sage es noch einmal -, alles zu tun, daß diese Gesetzgebung bis Ende 1997 abgeschlossen ist. Das heißt für mich: ein Gesetz, das die Unterschrift des Bundespräsidenten trägt, also amtlich verkündet ist. Wir wollen eine neue Kultur der Unternehmensgründung forcieren. Jeder, der in Deutschland investiert und sich etwas vornimmt - etwa ein neues Unternehmen zu gründen -, muß wissen, was auf ihn zukommt. Übrigens ist es auch nützlich, wenn dies der Wähler vor der nächsten Bundestagswahl weiß. Das ist ein Vorschlag. Ich verstehe gar nicht, warum es da eine solche Aufregung gibt. Lassen Sie uns doch dann um den besten Weg miteinander ringen!
Genau das gleiche gilt für das Thema „Umbau des Sozialstaats ". Die meisten hier im Saal wissen doch - nach dem, was wir von Herrn Gysi gehört haben, weiß er es vielleicht nicht -, daß der Sozialstaat nur so gut sein kann wie sein wirtschaftliches Fundament. Das heißt, wir brauchen möglichst viele Mitarbeiter in den Unternehmungen - das sind letztlich auch Steuerzahler. Wenn sich die Rahmenbedingungen entsprechend verändern, hat das doch Konsequenzen. Ich habe mit großem Interesse den Beschluß der Hamburger SPD vor ein paar Tagen gehört; er ist, wie ich finde, leider nicht genug publiziert worden. Auch da war plötzlich eine ähnliche Formulierung, wonach sich Arbeit mehr lohnen müsse als Nichtarbeit.
Wenn ich das gesagt habe, war das immer gleich „Sozialdemontage". Was gab es für ein Feldgeschrei im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung! Das ist doch ein praktisches Beispiel dafür, daß es eben nicht um Abbau, sondern um Umbau in unserem Gemeinwesen geht.
Unstreitig ist eigentlich auch, daß wir die Lohnzusatzkosten vermindern wollen. Auch da haben wir uns ganz konkrete Ziele gesetzt. Jetzt stilisieren Sie ein Thema - Wolfgang Schäuble sprach schon davon - schlechthin zum Anschlag auf den Sozialstaat hoch. Es geht um die 100prozentige Lohnfortzahlung. Wolfgang Schäuble hat recht, es gibt sie in keinem anderen Land, alle haben Relativierungen vorgenommen. Außerdem ist es wahr, daß durch Verzicht auf einen Urlaubstag bei fünf Krankheitstagen Lohneinbußen vermieden werden können. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Als das Lohnfortzahlungsgesetz von 1959 nach schweren Auseinandersetzungen endlich zustande kam - ich bekenne mich dazu -, betrug der Jahresurlaub drei Wochen. Jetzt beträgt der Jahresurlaub sechs Wochen. Das ist doch ein elementarer Unterschied auch im Sinne der Verbesserung der Lage der Arbeitnehmer. Das kann man doch nicht so einfach abtun.
Es ist auch unbestreitbar - Sie können das doch nicht leugnen -, daß sich im Blick auf die Alterssicherung die Dinge elementar verändert haben. Als Otto von Bismarck die Rentenversicherung einführte und das Rentenalter auf 65 Jahre festgelegt wurde, lag die durchschnittliche Lebenserwartung des Mannes bei 45 Jahren. Jetzt beträgt sie 75 Jahre.
Wenn sich unter Vorsitz von Norbert Blüm eine Kommission von erstklassigen Fachleuten an das Werk macht und das Thema „soziale Sicherungssysteme" auf den Prüfstand stellt, dann werden wir im neuen Jahr - ich hoffe, das wird bis Januar, Februar sein - über dieses Thema eine Vorlage haben und
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mit Ihnen sowie allen Interessierten darüber diskutieren. Ich setze hier auch darauf, daß die Gewerkschaften ein Wort dazu äußern.
Aber wenn wir darüber sprechen, müssen wir doch alle von den Realitäten ausgehen. Die Realität ist eben, daß es eine enorme Veränderung unseres Landes gibt. Wenn in einer deutschen Großstadt rund 50 Prozent der Wohnungsinhaber Singles sind, hat das enorme Wirkungen auf Lebensgewohnheiten und Lebensentscheidungen. Wenn die Zahl der über 80jährigen in wenigen Jahren auf fast vier Millionen steigt, hat das Wirkungen auf das Gesundheitssystem und auf vieles andere. Wenn das alles richtig ist
- Sie können das doch nicht bestreiten -, heißt das, daß wir jetzt entscheiden müssen.
Lassen Sie uns doch darüber streiten und darum kämpfen, wer den besseren Weg hat. Ich vermute, bei gutem Willen auf allen Seiten werden wir eine Menge Dinge sogar gemeinsam tun können. Es gibt andere Fragen, bei denen Sie sagen - da mache ich Ihnen keinen Vorwurf -, sie seien so unbequem und so unpopulär, deshalb sollte die Regierung das lieber selber machen. Auch das gehört zum Bild einer Demokratie.
- Aber jetzt tun Sie doch nicht so heuchlerisch, als wäre es nicht so. Wenn wir auf den Oppositionsbänken sitzen würden, wären wir vielleicht in einer ähnlichen Lage. Lassen Sie uns also vor der Bevölkerung ehrlich darüber reden, und tun Sie nicht so, als sei es nicht so.
Mit einem Wort: Wir werden ganz entschieden diesen Reformkurs fortsetzen. Dann werden wir ja sehen, welches Urteil die Bürger dazu abgeben werden. Ich möchte nur ganz nüchtern und einfach sagen: Wer da glaubt über ein Hinausschieben oder gar ein Verhindern von Entscheidungen politisches Profil gewinnen zu können, der wird sich täuschen. Die große Mehrheit im Lande ist zwar gegen alle diese Maßnahmen im einzelnen; aber in der Summe wissen die Menschen, daß es so nicht weitergehen kann, und sie werden uns als einzelne Parteien dazu befragen.
Ein klassisches Beispiel für diese Fragestellung ist
- ich sage dies, weil ich darauf angesprochen wurde - das Thema Lehrstellen. Ich bin schon sehr erstaunt, Herr Scharping, was Sie dazu gesagt haben. Mein Eindruck ist, daß Sie sich nie mit diesem Thema beschäftigt haben, sonst hätten Sie solche Äußerungen nicht machen können.
Um was geht es denn? Es geht darum, daß wir mit dem dualen System ganz unbestreitbar das beste Ausbildungssystem in der Welt haben, daß dieses System nur funktionieren kann - da hat der Vorsitzende der F.D.P. mit seinen Äußerungen völlig recht -, wenn auch die Wirtschaft es trägt. Es kann keine Zweiteilung geben: Man ist für das duale System, und, wenn es darum geht, Lehrstellen zur Verfügung zu stellen, ruft man nach dem Staat.
Natürlich können wir nicht gänzlich auf den Staat verzichten. Wie wollen Sie dieses Problem im dualen System lösen, wenn wir in weiten Teilen der neuen Länder eine entsprechende betriebliche Infrastruktur noch gar nicht haben? Übrigens: Um so gewaltiger ist beispielsweise die Leistung im Handwerk in den neuen Ländern. Hier ist eine große Zahl neuer Ausbildungsplätze geschaffen worden.
Es ist ebenfalls wahr, daß es auch zu früheren Zeiten - übrigens in Zeiten der Vollbeschäftigung - bei der Lehrstellenfrage enorme regionale Unterschiede gab. In meiner Heimatstadt war es über viele Jahre hin selbstverständlich, daß sich der Großbetrieb, der dort angesiedelt ist, im Bayerischen Wald um Nachwuchs bemüht hat und daß man damals auch mit staatlicher Hilfe Zwischenlösungen gefunden hat. Ich finde, das ist überhaupt kein Problem, wenn es vernünftig geschieht und nicht zu einer Dauereinrichtung wird.
Jetzt geht es doch darum, jungen Menschen eine Ausbildungschance zu geben. Denn ich hielte es für ein zutiefst moralisches Versagen - diesen Satz nehme ich gerne auf -, wenn ein Land von der wirtschaftlichen Statur Deutschlands seinen jungen Leuten nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen könnte. Deswegen haben wir wieder große Anstrengungen unternommen - ich auch. Es ist in Ordnung, daß Sie mißgünstig beobachten, wie diese Anstrengungen eine breite Zustimmung in der Bevölkerung finden.
- Ich mache es trotzdem so; ich brauche Sie dabei nicht zu fragen. Sie hätten es genauso machen können.
Wir werden auch in diesem Jahr diese Herausforderung meistern. Die, die hier einfache Patentrezepte angeboten haben, sollen mir erst einmal erläutern, wie man zu einer Regelung kommen kann, mit der man nicht gleichzeitig das Prinzip der Wahlfreiheit einschränkt.
Laden Sie doch einmal Herrn Jagoda in ihre Fraktion ein und lassen Sie sich von ihm die Lage erläutern: Ein Teil der jungen Leute meldet sich beispielsweise bei drei verschiedenen Arbeitsstellen, nimmt eine Arbeitsstelle an und denkt im Traum nicht daran, die anderen abzusagen. Deswegen ist die Terminnot jedes Jahr die gleiche. Ich bin völlig offen für Verbesserungsvorschläge, wenn diese nicht die Freiheit der Wahl einschränken. Das ist für mich ein wichtiges Prinzip.
Ein weiterer Punkt ist, daß wir zum Teil von Bildern ausgehen, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben. In ein paar Tagen wird in Niedersachsen gewählt. Dort werden bei der Kommunalwahl die Jugendlichen mit 16 Jahren, ein klassisches Lehrlingsalter, zum erstenmal wählen. Es handelt sich also um junge wahlberechtigte Bürger. Aber in der
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Frage, ob ihnen an einem Berufsschultag mittags um 12 noch zugemutet werden kann, in ihren Betrieb zurückzukehren, tut man so, als seien sie noch Kleinkinder. Das ist absurd; die Bilder stimmen doch gar nicht mehr in der Gesellschaft.
Für mich - das muß ich einmal sagen, weil die Schuld immer auf andere geschoben wird - war die unangenehmste Erfahrung, die ich dieses Jahr in meinen Gesprächen gemacht habe, daß inzwischen alle Sachverständigen der Meinung sind, rund 10 Prozent der Abgänger dieses Schulsystems seien auf Grund ihres Ausbildungsstandes nicht mehr in der Lage, einen Lehrvertrag zu erfüllen. Wolfgang Schäuble hat es schon gesagt, und ich will es wiederholen: Es handelt sich hier um normale Schulabgänger.
Man muß sich die Frage stellen: Ist dies das Ergebnis von 30 Jahren Schulreform in Deutschland? Man muß dazu bemerken, daß dies keine Angelegenheit des Bundes ist. Wenn wir 490 Millionen DM aus dem Bundesetat ausgeben - eine wirklich versicherungsfremde Leistung; das will ich bei dieser Gelegenheit noch einmal nachtragen -, dann können wir doch erwarten, daß sich die Kultusministerkonferenz dieses Themas auch einmal annimmt.
Ich habe diesen Sachverhalt wirklich freundlich formuliert; ich klage auch niemanden an. Es wäre töricht zu sagen, zwischen A- und B-Ländern gebe es wesentliche Unterschiede; das will ich auch gar nicht untersuchen. Wir müssen vielmehr gemeinsam etwas tun und dürfen uns nicht mit irgendwelchen Parolen anöden.
Ein Wort zum Thema Außenpolitik: Dies gehört auch zur Debatte über den Standort Deutschland. Sie erwarten dazu vom Bundeskanzler zu Recht ein paar Bemerkungen.
Wir können froh sein, daß es seit den letzten Jahren - das gilt auch für dieses Jahr - weltpolitische Entwicklungen gibt, durch die wir viele Ängste aus früheren Zeiten nicht mehr zu haben brauchen. Es ist wahr, daß wir noch eine Menge Probleme haben. Aber insgesamt ist die weltpolitische Entwicklung, soweit sie vor allem Europa betrifft, sehr viel günstiger als früher.
In unmittelbarer Nachbarschaft haben wir die Probleme im früheren Jugoslawien. Wir werden weiter unseren Beitrag leisten, um den Dayton-Friedensprozeß erfolgreich fortzuführen. In der weiteren Nachbarschaft - aber in bezug auf die Geschichte unseres Volkes doch ganz nah - haben wir die Probleme im Nahen Osten, in der Region um Israel. Wir können nur hoffen, daß sich dort die Vernunft auf beiden Seiten durchsetzt. Eines haben wir aber ganz gewiß: Wir haben eine bessere Chance auf Frieden als noch vor wenigen Jahren.
Das gilt nicht zuletzt für unseren wichtigsten Nachbarn im Osten, nämlich Rußland. Ich habe in den vergangenen Tagen die Gelegenheit zu einem recht wichtigen Gespräch mit Präsident Jelzin gehabt. Ich will hier als erstes sagen - da spreche ich sicher auch in Ihrer aller Namen -: Wir wünschen Boris Jelzin angesichts seiner Erkrankung und seiner schwierigen Operation, daß er möglichst bald wieder gesund zu seinen Amtsgeschäften zurückkehren kann.
Er ist als Präsident Rußlands hinsichtlich der Machtfülle dieses Amtes im Weltmaßstab in einer einzigartigen Lage. Deswegen ist es besonders wichtig, daß dieses Amt mit Besonnenheit, mit Weitblick und auch mit der inneren Kraft im Hinblick auf die weiterhin dringend notwendigen Reformen auf dem Weg zu mehr Rechtsstaat, zu mehr Demokratie sowie zu wirtschaftlicher und sozialer Stabilität geführt wird.
Für mich ist wichtig, daß in diesem Gespräch deutlich wurde, daß Präsident Jelzin ganz entschieden bereit ist, nach seiner Rückkehr ins Amt die notwendigen Gespräche wiederaufzunehmen und bestimmte Themen dringlicher zu behandeln, zum Beispiel die NATO-Erweiterung und die deutsch-russische Situation im Bereich der Rückgabe von Kulturgütern, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Ich bin auch sehr froh, daß ich nach meiner Rückkehr in den telefonischen Gesprächen mit Präsident Clinton, mit Präsident Chirac und mit Premierminister Major Übereinstimmung darüber erzielen konnte, daß wir die wichtige Frage der NATO-Erweiterung jetzt auf gar keinen Fall in irgendeinem Gremium behandeln, damit in Moskau nicht der Eindruck entsteht, hier würden Faits accomplis geschaffen.
Wir sind entschieden der Meinung, daß wir diese Gespräche im neuen Jahr aufnehmen sollten, daß in der Zwischenzeit die NATO-Gremien selbst über die innere Entwicklung und Ausgestaltung der NATO sprechen sollten - die NATO des Jahres 1997 ist nicht mehr die NATO des Jahres 1987; hier müssen Veränderungen vorgenommen werden -, daß wir für eine NATO-Erweiterung mit denkbaren Kandidaten in Ost- und Südosteuropa sprechen, aber daß wir das Ganze so anlegen, daß erstens niemand, auch nicht Rußland, in dieser Frage ein Vetorecht gegenüber einem anderen Land hat, daß wir aber zweitens keine neuen Gräben aufreißen, sondern in einem vernünftigen Miteinander auch das Sicherheitsbedürfnis Rußlands, um ein Beispiel zu nennen, aber genauso das der Ukraine - das sage ich nach meinem Besuch nicht ohne Grund - mit aufnehmen.
Ich bin ziemlich sicher, daß es eine Chance gibt, vor allem dann - was ich sehr hoffe -, wenn dieses Thema nicht in den amerikanischen Wahlkampf gerät; denn das wäre mit Sicherheit keine förderliche Entwicklung.
Wir haben natürlich auch über Tschetschenien gesprochen. Der Präsident hat mir noch einmal versichert, daß er das, was dort jetzt ausgehandelt wird, von wenigen mehr marginalen Dingen abgesehen, unterstützt und daß er die entsprechenden Anweisungen gegeben hat. Ich hoffe sehr, daß diese Zwi-
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schenstation zu einem wirklichen Erfolg wird, daß das Schießen und das kriegerische Geschehen aufhören und damit auch die Leiden der Bevölkerung beendet werden.
Ich will mit einem Satz sagen: In der Frage der Rückführung von Kulturgütern wird sich, glaube ich, eine Regelung finden lassen. Dies ist ein sehr emotionales Thema nicht zuletzt im Parlament. Wir stoßen hier wieder auf Folgen des Zweiten Weltkrieges und der Nazi-Untaten. Ich bin sicher, wir kommen hier zu Regelungen. Ich will aber gleich hinzufügen: Ich könnte mir auch vorstellen, daß wir in dem einen oder anderen Fall auch zu neuen Wegen kommen. Ich kann nicht verstehen, warum es nicht möglich sein sollte, etwas, was letztlich Kulturgut der Menschheit ist, für einige Jahre dort und dann für einige Jahre in Deutschland in einem Museum zu präsentieren.
Ich glaube schon, daß wir mit einer solchen Denkweise nicht nur das Miteinander zwischen den Völkern fördern können, sondern vielleicht auch die Weltverantwortung für Kulturgüter überhaupt in eine neue Dimension bringen könnten.
Ich bin mehrfach auf das Thema Tschechien angesprochen worden. Die erste Feststellung, die ich hier treffen will: Es bleibt bei dem, was ich im Mai für die Bundesregierung gesagt habe. Wir wollen in diesem Jahr die Vereinbarung abschließen. Ich habe nie etwas anderes gesagt. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Ich weiß auch, daß dieses ein ungewöhnlich schwieriges Feld ist, weil es uns mit einem Abschnitt der Geschichte unseres Volkes und der Geschichte unserer Nachbarn konfrontiert, der mit Emotionen und bitteren Erfahrungen aufgeladen ist. Es leben noch viele aus der Generation, für die die Schreckensereignisse von Lidice noch präsent sind. Es leben aber auch genauso viele aus der Generation, die den Sonntag in Aussig nicht vergessen haben und all das, was dort geschehen ist. Nun können wir die Weltgeschichte nicht zurückdrehen. Wir können auch nicht als Deutsche, die wir Urheber dieser ganzen Entwicklung waren - es waren Deutsche, die die Tschechoslowakei überfallen haben, es war die Politik Hitlers -, Aufrechnung betreiben. Das bringt uns überhaupt nichts.
Aber wir können und, ich denke, müssen mit Geduld immer wieder miteinander sprechen und den Versuch unternehmen, auch für die Position des anderen zu werben, nicht für radikale Positionen. Wer das Staatsoberhaupt in dieser unflätigen Weise beschimpft, ist so zu behandeln und zu sehen, wie es hier auch zu Recht gesagt worden ist. Das ist eine absolut unmögliche Weise, mit solchen Begriffen gegenüber dem Staatsoberhaupt aufzutreten. Das ist ein Rückfall in eine politische Barbarei, die wir nicht ertragen wollen.
Aber sehen Sie, meine Damen und Herren, ich habe von Geduld gesprochen. Der Entwurf ist ein gutes Stück weiter vorangekommen. Aber ich stehe nicht an zu sagen, der Entwurf sei fertig. Darüber wird man doch noch reden können. Ich erinnere mich bei manchen der jetzt hier Anwesenden - ich will jetzt keine Namen nennen - an meine Erfahrungen im Jahr 1990. Ich habe 1990 nie einen Hehl daraus gemacht, daß es für uns notwendig war, nachdem der Vorbehalt eines denkbaren Friedensvertrages im Zuge der deutschen Einheit weggefallen war, die Oder-Neiße-Grenze in dem entsprechenden Vertrag anzuerkennen. Ich erinnere mich noch daran, wie es im Dezember 1989 und in den folgenden Wochen und Monaten war, wie eine internationale Druckkulisse aufgebaut wurde. In dem gerade erschienenen Buch von François Mitterrand über Deutschland können Sie darüber sehr interessante Einzelheiten nachlesen. Damals habe ich gesagt, ich halte es für einen schweren Fehler, wenn wir die Verbindung zwischen diesen beiden großen historischen Ereignissen nicht finden.
Zu den großen Leistungen dieser Zeit gehört für mich die Abstimmung vom 21. Juni 1990. Damals wurden im Deutschen Bundestag bei nur 18 Gegenstimmen 486 Stimmen für diesen Vertrag abgegeben. Die, die da abgestimmt haben - ich war ja dabei wie auch die meisten der hier Anwesenden - haben das ja nicht leichtfertig getan. Wir haben sehr wohl zur Kenntnis genommen und gewußt, was dies für Millionen Menschen bedeutet, daß ein Drittel des Reichsgebietes, nicht eines angemaßten Reichsgebietes, damals endgültig abgetrennt wurde. Wir wußten aber auch, daß die Verschiebung Polens nach Westen durch Stalin Ähnliches für weit über 1 Million polnische Bürger bedeutet hat. Das ganze Elend dieses Jahrhunderts ist doch in dieser Entscheidung wieder angeklungen. Trotzdem haben wir diese Entscheidung getroffen. Weil sie auch vom Zeitpunkt her klug getroffen wurde, war es eine Entscheidung, die zum inneren Frieden beigetragen hat.
Ich möchte erreichen, um es ganz klar und einfach zu sagen, daß das, was wir jetzt noch zu besprechen haben und was zum Abschluß kommen muß - ich sage es noch einmal -, am Ende von einem Ereignis gekrönt wird, wie wir es hier schon einmal erlebt haben. Wir haben erlebt, und wer dabei war, wird die innere Bewegung beim Redner und bei vielen, die hier saßen, nicht vergessen, wie der polnische Außenminister Bartoszewski zum Verhältnis zwischen Deutschen und Polen sprach. Eine ähnliche Rede wünsche ich mir in Deutschland oder in Prag, besser aber noch zuerst in Deutschland - eine Rede, die diese Frage nicht nur im Ansatz anspricht, sondern ganz offen in die Debatte einbringt und den Weg in die Zukunft weist.
Ich bin froh, daß ein Abkommen über den Jugendaustausch unterzeichnet wurde. In diesem Zusammenhang möchte ich aber, weil viele darüber reden und schreiben, auch einmal darauf hinweisen, daß die Beziehungen in der Realität überhaupt nicht schlecht sind. Einige Zahlen belegen dies: Der deutsch-tschechische Handel hat sich seit 1990 verdoppelt. Die Bundesrepublik Deutschland ist der
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wichtigste Handelspartner der Tschechischen Republik; der Anteil macht fast ein Drittel aus. Umgekehrt ist die Tschechische Republik nach Polen unter den mittel- und osteuropäischen Ländern der wichtigste Handelspartner für Deutschland. Tschechien ist neben Ungarn und Polen der bevorzugte Industriestandort für neue Investitionen deutscher Unternehmen in Mittel- und Osteuropa.
Ich könnte, weil hier meistens ein antibayerischer, törichter Klang mitschwingt, darauf eingehen, was es allein in der bayerischen Grenzregion an wirtschaftlicher Zusammenarbeit gibt. Dort ist man weit davon entfernt, neue Gräben aufzureißen. Dort entstehen in einer wirklich respektablen und bewundernswerten Weise - dies gilt übrigens auch für Sachsen - grenzüberschreitende Handelsbeziehungen.
Ich habe die Staats- und Regierungschefs dieser Länder - darunter auch Tschechien - während der deutschen Präsidentschaft der EU als Vorsitzender zum Gipfel nach Essen eingeladen. In meiner Begrüßungsansprache in Essen habe ich damals den tschechischen Kollegen besonders angesprochen. Jeder von uns spürt - ich hoffe, auch in diesem Augenblick -, daß wir eine neue Beziehung, eine neue Nachbarschaft erreicht haben. Viele Kapitel haben wir - im übrigen auch unter allen meinen Amtsvorgängern; das möchte ich bei dieser Gelegenheit gerne einmal sagen - im Laufe der letzten Jahrzehnte versucht wiederaufzuarbeiten und vernünftiger zu gestalten. Das Wort Wiedergutmachung wäre nicht ganz zutreffend, weil menschliches Elend dieser Art nicht einfach wiedergutgemacht werden kann. Noch besser wäre es, wenn irgendwann einmal jemand an meiner Stelle, dann vielleicht in Berlin, stehen würde und schon von guter Nachbarschaft und Freundschaft sprechen könnte. Diesem gemeinsamen Ziel muß unsere Arbeit dienen.
Erlauben Sie mir zum Schluß noch zwei kurze Bemerkungen. Ich habe das Thema „Abkommen von Dayton" schon anklingen lassen. Zehn Monate nach dem Abschluß des Abkommens sehen wir, wie schwierig die Aufgabe ist, sehr viel schwieriger, als manche gedacht hatten. Sein Gelingen ist aber eine entscheidende Voraussetzung für eine dauerhaft friedliche Zukunft der ganzen Region.
Die massive Präsenz internationaler Friedenstruppen hat den Waffenstillstand erreicht, die verfeindeten Kräfte zurückgedrängt. Deswegen ist es gut und richtig, daß wir hier und heute unseren Respekt und unseren Dank an die Soldaten der internationalen Friedenstruppe richten. Sie haben einen wichtigen Friedensdienst geleistet.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß ich in diesen Dank in einer ganz besonderen Weise deutsche Soldaten einbeziehen kann. Wir alle können
uns über die anerkennenden Bezeugungen über die Leistungen und das Auftreten der deutschen Soldaten dort freuen, die ich in den letzten Wochen vernommen habe. Ich denke, wir sollten ganz besonders den deutschen Soldaten danken.
Ohne daß es heute zur Entscheidung ansteht - ich würde es auch für falsch halten, wenn wir jetzt versuchten, Entscheidungen zu treffen -, ist erkennbar, daß dieser schwierige Friedensprozeß nach dem Abschluß der IFOR-Mission abgesichert werden muß. Ich lasse einmal den Umfang und die Größenordnung weg, will aber für mich und natürlich die ganze Bundesregierung sagen, daß ich mir nicht denken kann, daß sich die Deutschen aus dieser Verantwortung zurückziehen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir am Heiligen Abend in diesem Jahr über den Frieden sprechen und möglicherweise vorher im Fernsehen Bilder sehen, die das genaue Gegenteil zeigen.
Neben den unmittelbar Betroffenen sind auch wir - vielleicht mehr als alle anderen Länder - berührt, weil wir in Deutschland über 400 000 Flüchtlinge aus dieser Region aufgenommen haben. Da gelegentlich gesagt wird, wir würden zu wenig für die internationale Solidarität tun, will ich darauf hinweisen: Bei uns gibt es mehr Bürgerkriegsflüchtlinge aus dieser Region als in jedem anderen Land in Europa.
Wir geben immerhin 15 Milliarden DM für die Aufnahme von Flüchtlingen und für Hilfsleistungen aus. Ich sage Ihnen ganz offen: Dies ist für mich - Sie verstehen das bitte richtig - ärgerlich, weil es sehr viel klüger wäre, diese Leute - natürlich unter gesicherten Verhältnissen - nach Hause zu bringen, nicht um dieses Geld einzusparen, sondern es für Werke des Friedens, für Neubauten, das Zurverfügungstellen von Material und neue Industrieanlagen, einzusetzen. Das wäre viel sinnvoller, als Menschen hier zurückzuhalten.
Die Rückkehr von Vertriebenen und Flüchtlingen in ihre Heimatorte ist existentiell für den Wiederaufbau. Natürlich gilt auch, daß dort eine friedliche Entwicklung Voraussetzung ist. Wir können niemanden dort hinschicken, wenn er um sein Leben und seine Existenz fürchten muß.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Lage Deutschlands, sein Ansehen, seine Stellung in der Welt heute betrachten, dann können wir gemeinsam sagen: Wir sind in einer Situation wie nie zuvor in diesem Jahrhundert. Wir haben sehr gute, herzliche und freundschaftliche Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien und Rußland. Wann je hat es das je so in der deutschen Geschichte gegeben?
Das enthält für mich auch die Verpflichtung, daß wir selbst das Notwendige tun, um das Vertrauen - das mit der Statur unserer Republik zusammen-
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hängt - unserer ausländischen Freunde und Partner in Zukunft zu rechtfertigen. Das ist eine besondere Verantwortung. Ich will für die Bundesregierung - sicherlich auch für die Koalition - sagen, daß wir uns dieser Verantwortung stellen.
Ich möchte Sie alle herzlich einladen, wenn irgend möglich, sich daran zu beteiligen.