Rede:
ID1312102200

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 9
    1. Ich: 1
    2. erteile: 1
    3. das: 1
    4. Wort: 1
    5. dem: 1
    6. Bundeskanzler: 1
    7. Dr.: 1
    8. Helmut: 1
    9. Kohl.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/121 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 121. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. September 1996 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 10807 A Absetzung von Tagesordnungspunkten 10807 B, 10894 A Nachträgliche Ausschußüberweisungen . 10807 C Begrüßung einer Delegation des Sozialausschusses des niederländischen Parlaments 10864 B Tagesordnungspunkt 1: a) Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1997 (Haushaltsgesetz 1997) (Drucksache 13/5200) . . 10807 D b) Fortsetzung der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1996 bis 2000 (Drucksache 13/5201) 10808A Rudolf Scharping SPD 10808A, 10865 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 10815 A Otto Schily SPD 10821 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10824 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 10831 A Dr. Christa Luft PDS 10834 A Dr. Gregor Gysi PDS 10837A, 10858 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . . 10840A Rudolf Scharping SPD 10843 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 10850 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 10852 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . 10858C, 10864 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 10860 A Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . . 10863B, C Ingrid Matthäus-Maier SPD 10864 C Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10865 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 10867 C, 10872 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10871 D Günter Verheugen SPD 10872 D Ulrich Irmer F.D.P 10878 C Rudolf Seiters CDU/CSU 10879 B Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 10881 B Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 10883 A Ulrich Irmer F.D.P 10884 D Wolfgang Thierse SPD 10886 A Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 10887 C Willibald Jacob PDS 10889 D Dr. Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 10890 D, 10893 C Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10892 B Dr. R. Werner Schuster SPD 10892 D Manfred Kanther, Bundesminister BMI 10896 C Fritz Rudolf Körper SPD 10899 B Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 10902 D Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10905 A Ina Albowitz F.D.P. 10907 C Ulla Jelpke PDS 10910 B Uta Titze-Stecher SPD 10911 D Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 10913 D Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . 10915 B Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 10916A Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 10918 A Norbert Geis CDU/CSU 10921 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10923 C, 10925 C Dr. Edzard Schmidt-Jortzig 10925 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 10925 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 10927 A Manfred Kolbe CDU/CSU 10928 C Tagesordnungspunkt 2: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 8. September 1976 über die Ausstellung mehrsprachiger Auszüge aus Personenstandsbüchern (Drucksache 13/4995) 10894 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Naturkautschuk-Übereinkommen von 1995 (Drucksache 13/5019) 10894 A c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. November 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gemeinsame Staatsgrenze (Drucksache 13/5020) . 10894 B d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zusammenschluß der deutschen Autobahn A 6 und der tschechischen Autobahn D 5 an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke (Drucksache 13/5049) 10894 B e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes (JStG) 1997 (Drucksache 13/5359) 10894 B f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Altschuldenhilfen für Kommunale Wohnungsunternehmen, Wohnungsgenossenschaften und private Vermieter in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (AHG-Änderungs-Gesetz) (Drucksache 13/5417) . 10894 C g) Antrag der Abgeordneten Antje Hermenau, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mögliche zweckwidrige Verwendung von Steuergeldern durch die Förderung eines Berufsbildungsprojektes in Montevideo (Uruguay) (Drucksache 13/5008) 10894 C h) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Milchquotenregelung in den neuen Ländern (Drucksache 13/4905) . . . 10894 D i) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines Grundstücks in Berlin-Mitte (Drucksache 13/5039) . . 10894 D j) Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung hier: Umwelttechnik und wirtschaftliche Entwicklung (Drucksache 13/5050) 10895 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes und des Waffengesetzes (Drucksache 13/5493) 10895 A b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer (Drucksache 13/5504) . . . . 10895 B Tagesordnungspunkt 3: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 14. Juni 1994 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits (Drucksachen 13/4174, 13/5031) 10895 C b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 9. Februar 1995 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kirgisistan andererseits (Drucksachen 13/4173, 13/5032) 10895 D c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 6. März 1995 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und Weißrußland andererseits (Drucksachen 13/4172, 13/5033) 10895 D e) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses 10896 A - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht über die Mißbrauchsbekämpfung und Anpassung von öffentlichen Leistungen an veränderte Rahmenbedingungen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht über die Mißbrauchsbekämpfung und Anpassung öffentlicher Leistungen an veränderte Rahmenbedingungen (Drucksachen 12/8246, 13/725 Nr. 63, 13/3412, 13/3930 Nr. 1, 13/5294) . . . 10896A Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Zustimmungbedürftige Verordnung zur Einführung des Europäischen Abfallkatalogs (Drucksachen 13/5416, 13/5520) 10896 B Nächste Sitzung 10929 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10930*A 121. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. September 1996 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 11. 9. 96 Bachmaier, Hermann SPD 11. 9. 96 Beck (Bremen), BÜNDNIS 11. 9. 96 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 11. 9. 96 * Borchert, Jochen CDU/CSU 11. 9. 96 Duve, Freimut SPD 11. 9. 96 Gansel, Norbert SPD 11. 9. 96 Glos, Michael CDU/CSU 11. 9. 96 Kurzhals, Christine SPD 11. 9. 96 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 11. 9. 96 Karl-Hans Dr. Lucyga, Christine SPD 11. 9. 96 * Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 11. 9. 96 Hermann Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Regenspurger, Otto CDU/CSU 11. 9. 96 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 11. 9. 96 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 11. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Schönberger, Ursula BÜNDNIS 11. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Thieser, Dietmar SPD 11. 9. 96 Voigt (Frankfurt), SPD 11. 9. 96 Karsten D. Vosen, Josef SPD 11. 9. 96 Wieczorek-Zeul, SPD 11.9.96 Heidemarie Dr. Zöpel, Christoph SPD 11. 9. 96 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Andrea Lederer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gerhardt, Sie haben gerade auf die Überflüssigkeit dieser drei Fraktionen bzw. Gruppe hingewiesen und erklärt, daß Deutschland sie nicht braucht. Ich finde, das sollten wir die Wählerinnen und Wähler entscheiden lassen. Ich muß Ihnen sagen: Wenn überhaupt, dann wird meines Erachtens die F.D.P. am wenigsten in Deutschland gebraucht.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie haben gerade erklärt, daß Sie Solidarität mit den Menschen üben wollen, die beim Aufstehen als erstes daran denken, was sie heute für sich tun können. Das heißt, Sie haben sich mit den Egoisten solidarisch erklärt. So würde die Ellenbogengesellschaft aussehen, die Sie hier predigen.

    (Beifall bei der PDS - Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So ein Quatsch!)

    Sie haben sich auch widersprochen: Sie haben nämlich gesagt, daß es zur Beschaffung von Arbeitsplätzen erforderlich sei, daß die Gewerkschaften akzeptieren würden, daß die Zeit flächendeckender Tarifverträge vorbei ist. Sie haben in Ihrer Antwort auf die Frage der Kollegin Luft akzeptiert, daß 60 Prozent der Unternehmen in Ostdeutschland durch flächendekkende Tarifverträge überhaupt nicht erfaßt sind. Wenn Ihre Logik stimmen würde, dann müßte es im Osten ja massenhaft Arbeitsplätze geben. In Wirklichkeit aber gibt es dort einen gigantischen Abbau von Arbeitsplätzen. Letztlich steckt hinter Ihrer Theorie nichts anderes als der Versuch einer Schwächung der Gewerkschaften. Denn ohne flächendeckende Tarifverträge geht deren Funktion natürlich deutlich zurück.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie beziehen sich immer auf die internationalen Werte, nehmen aber nur die Statistiken zur Kenntnis, die Ihnen passen. Warum sagen Sie nichts über den Index für Menschlichkeit der UN? Die UN hat am 15. Juli bestätigt, daß Deutschland diesbezüglich von Platz 9 auf Platz 18 zurückgefallen ist. Das heißt, Sie haben den Grad der Menschlichkeit in dieser Gesellschaft erheblich abgebaut.
    Der Bundesfinanzminister hat gestern zu Beginn seiner Rede darauf hingewiesen, daß die Vorschläge aus der Opposition für die Lehrstellenabgabe unsinnig seien und daß es dem Engagement des Kanzlers zu verdanken sein wird, wenn die Jugendlichen doch noch einen Ausbildungsplatz erhalten. Auf diesen Zaubertrick, Herr Bundeskanzler, bin ich gespannt. Ich befürchte, es wird ein statistischer. Tatsache ist, daß noch immer über 100 000 Ausbildungsplätze für Jugendliche fehlen. Ich sage mit Blick auf eine Gesellschaft, die so reich ist wie die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland: Es ist ein einzigartiger Skandal, wenn Schulabgänger in Arbeitslosigkeit statt in Ausbildung entlassen werden.

    (Beifall bei der PDS)

    Was haben wir gefordert? - Wir haben gefordert, daß die Unternehmen, die ausbilden könnten und es nicht tun, eine Abgabe leisten, die von der Bundesanstalt für Arbeit verwaltet wird, um damit Ausbildung zu finanzieren. Daran ist nichts Ungerechtes. Das wäre in höchstem Maße gerecht, auch hinsichtlich der Verteilung der Lasten. Statt dessen geht der Kanzler davon aus, daß es genügt, wenn er den Arbeitgeberverbänden zeigt, daß er beleidigt ist und sich wünscht, daß einer Bitte von ihm schneller und konsequenter entsprochen wird. Das Problem, Herr Bundeskanzler, ist nur: Die werden Ihnen etwas husten, und zwar deshalb, weil sie ein klares Interesse haben. Sie wollen nämlich den Mangel an Ausbildungsplätzen nutzen, um die Kosten für Ausbildung im Interesse ihrer Profite zu reduzieren. Es soll der Boden bereitet werden, um die Ausbildungszeit zu verkürzen, den Anteil an Berufsschulausbildung zu reduzieren, Samstags- und Sonntagsarbeit von Jugendlichen zu ermöglichen und die Ausbildungsbeihilfen zu kürzen.
    Wenn der politische Wille da wäre, wäre dieses Problem längst gelöst, und wir hätten nicht jedes Jahr in den Monaten Juli, August und September die gleichen Probleme bei der Unterbringung der Schulabgänger. Dann wäre es im übrigen auch möglich, den Ausgebildeten wenigstens für zwei Jahre eine Arbeitsplatzgarantie zu geben, damit sie Berufserfahrungen sammeln können und überhaupt erst in die Lage versetzt werden, soziale Sicherungssysteme in Anspruch zu nehmen, was nämlich nicht der Fall ist, wenn man nach der Ausbildung in Arbeitslosigkeit entlassen wird.
    Es gibt eine Fülle von Problemen in der Gesellschaft, über die zu sprechen sich lohnen würde, wozu ich aber nicht die Zeit habe. Man müßte über Außenpolitik sprechen. Man müßte über den internationalen Einsatz der Bundeswehr sprechen, der immer selbstverständlicher wird. Leider werden auch aus den Reihen der SPD inzwischen Kampfeinsätze gefordert. Ich halte diese ganze Militarisierung der Außenpolitik für verheerend.

    (Zuruf von der SPD)

    - Doch, Karsten Voigt hat das klar unterstützt. - Und es ist für ein Land auch besonders heuchlerisch: Wenn man an dritter Stelle der Waffenexporteure der Welt steht, dann kann man nicht gleichzeitig behaupten, man schicke seine Soldaten friedenstiftend hinterher. Wer wirklich Frieden will, der muß erst einmal den Waffenexport und damit das Geschäft mit Krieg und Bürgerkrieg verbieten.

    (Beifall bei der PDS)

    Man könnte darüber nachdenken, weshalb es der Bundesregierung gelungen ist, in der Frage der Gleichstellung der Geschlechter einen Rückwärtsgang einzulegen; weshalb es gelungen ist, die ökologische Umgestaltung völlig in den Hintergrund der politischen Diskussion zu rücken; weshalb es - leider - gelungen ist, die linken und liberalen Intellektuellen aus der Mitbestimmung des Zeitgeistes zu verdrängen; weshalb über Chancengleichheit beim Zugang zu Kultur und Bildung kaum noch gespro-

    Dr. Gregor Gysi
    chen wird; weshalb überhaupt Kunst und Kultur in dieser Gesellschaft immer stärker an den Rand gedrückt werden.
    Und es lohnt sich, über die Frage des deutschen Einigungsprozesses nachzudenken. Eines der Probleme besteht darin, daß nicht wenige in der Koalition und auch außerhalb der Koalition Ostdeutschland immer wie eine zu versteigernde Immobilie behandelt haben, in der sich unglücklicherweise auch noch Menschen tummeln. Hier bei der Haushaltsdebatte haben wir wieder erlebt, daß in erster Linie auf den Geldtransfer von West nach Ost verwiesen wird. Abgesehen davon, daß der Bundesfinanzminister jedes Mal unzulässigerweise mit Bruttozahlen statt mit Nettozahlen operiert, das heißt, nie erwähnt, was im Osten eingenommen wird, erwähnt er vor allem nicht, daß dieses Geld über den Verkauf von Dienstleistungen und Waren wieder in westliche Unternehmen zurückfließt. Und er erwähnt nicht, daß dieser Geldtransfer verbunden ist mit einem Vermögenstransfer von Ost nach West. Denn hier hat mit Hilfe der Treuhandanstalt eine geradezu gigantische Verschleuderung des ehemaligen Volkseigentums zugunsten einer kleinen Schicht Vermögender in den alten Bundesländern stattgefunden.

    (Beifall bei der PDS)

    Mit dem Prinzip Rückgabe vor Entschädigung haben Sie zusätzlich dafür gesorgt, daß sich heute insgesamt ein Großteil des Grundeigentums in den neuen Bundesländern in den Händen Westdeutscher befindet.
    Ihre Politik ist dafür verantwortlich, daß die Arbeitslosigkeit im Osten Deutschlands überdurchschnittlich hoch ist und dort auch wiederum der Frauenanteil weit über dem Durchschnitt liegt. Ihrer Politik ist es zu verdanken, daß das Strafrecht im Rentenrecht fortwirkt, die Siegerjustiz fortgesetzt wird, zahlreiche Jugend- und Kultureinrichtungen geschlossen wurden, ein riesiges intellektuelles Potential im Osten brachliegt und die Arbeitgeberverbände immer dreister werden. Sie kündigen inzwischen Tarifverträge im Osten schon wenige Wochen nach ihrem Abschluß. Das würden sie sich in den alten Bundesländern - glücklicherweise - noch nicht wagen. Von einer Lohnangleichung ist aus den Koalitionsreihen nichts mehr zu hören. Offensichtlich gibt es dort die Hoffnung, daß, wenn es schon zu einer Angleichung kommt, diese im Westen auf Ostniveau erfolgt; das würde ich für den verkehrten Weg halten.
    Wenn Sie wissen wollen, wann die deutsche Einheit vollendet ist - das werde ich häufig gefragt -, dann kann ich Ihnen das ziemlich einfach beantworten. Die deutsche Einheit ist an dem Tage vollendet, an dem die juristische Sonderbehandlung der Ostdeutschen aufhört, an dem in Ost und West gleichverdient wird, an dem es auf Sylt so viele ostdeutsche Immobilieneigentümer wie gegenwärtig westdeutsche auf Rügen gibt

    (Beifall bei der PDS)

    und an dem die erste Ostdeutsche in einem westlichen Bundesland zur Ministerpräsidentin gewählt
    wird - und sich über all das niemand in Ost und West wundert. Dann ist die deutsche Einheit vollendet. Daran können Sie sehen, wie weit wir noch von diesem Prozeß entfernt sind.

    (Beifall bei der PDS)

    Sicherlich aber ist das alles überlagernde Thema das Thema der Massenarbeitslosigkeit und des Sozialabbaus. Millionen Menschen sind aus dem Erwerbsleben gedrängt und haben kaum noch eine reale Chance, in dieses zurückzukehren. Millionen Menschen fühlen sich dadurch überflüssig - mit allen Folgen, die das auch für ihre sozialen Beziehungen in den Familien hat.
    Dann höre ich in diesem Bundestag, daß auch noch den Arbeitslosen und den Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern - inzwischen auch den Jugendlichen und den Rentnerinnen und Rentnern - vorgehalten wird, daß sie an Besitzständen festhalten würden. Denen, die wirklich viel besitzen, wird das niemals vorgehalten; nur jenen, die relativ wenig besitzen. Darin kommt schon die gesamte Ungerechtigkeit zum Ausdruck.

    (Beifall bei der PDS)

    Wenn dann von Sozialneid gegenüber den angeblichen Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern geredet wird, dann kann einem wirklich übel werden. Gestern hat der Bundesfinanzminister in die Gruppe der Leistungsträgerinnen und Leistungsträger auch die Bundestagsabgeordneten einbezogen. Soweit er mich damit meinte, gehe ich noch mit. Aber ich will nur darauf hinweisen, daß es auch hier große Unterschiede gibt; vor allem aber, daß sämtliche sogenannten Spargesetze, die Sie verabschieden, immer die gleichen sozialen Gruppen betreffen, uns selbst nie. Eine Sozialgesetzgebung, die darauf hinausläuft, die Lohnabhängigen und die sozial Schwachen ständig zu strangulieren und die Besserverdienenden außen vorzulassen, ist eben in höchstem Maße sozial ungerecht.

    (Beifall bei der PDS)

    Fakt ist doch, daß Deutschland das teuerste und zugleich unfähigste Management weltweit besitzt. Irgendwie gewinnt man den Eindruck, daß der Grad an Ideenlosigkeit eng mit der Höhe des Gehalts verbunden ist. Bei den Reichen und Besserverdienenden in dieser Gesellschaft stellt man Ideenfülle nur noch in Fragen der Kapitalflucht und Steuerhinterziehung fest.

    (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das ist sehr pauschal!)

    - Nicht bei allen.
    Diese Bundesregierung will Armut nicht ernsthaft bekämpfen. Im Gegenteil: Sie leistet jeden Tag einen Beitrag dazu, sie zu vergrößern; denn es ist und bleibt eine Tatsache, daß Armut nur wirksam bekämpfen kann, wer wirksam Reichtum begrenzt. Anders wird es nicht möglich sein.

    (Beifall bei der PDS)


    Dr. Gregor Gysi
    Seit 1990 gehöre ich diesem Bundestag an. Seit 1990 gab es noch kein einziges Gesetz in dieser Bundesrepublik, das Reichtum in irgendeiner Form beschnitten oder begrenzt hätte. Im Gegenteil: Die Steuergeschenke nahmen zu. Das nächste geplante Steuergeschenk ist die Abschaffung der Vermögensteuer ab 1997. Wenn eine Regelung - wie der Solidarzuschlag - auch einmal Spitzenverdiener betrifft, dann gibt es eine permanente Diskussion, wie man diese Regelung wieder reduzieren oder ganz loswerden kann.
    In der gleichen Zeit habe ich aber eine Fülle von Gesetzen erlebt, die die Bezüge der sozial Schwachen und der Lohnabhängigen beschränkt haben. Das reichte vom Wehrsold und von der Vergütung für Zivildienstleistende über Regelungen zur Sozialhilfe, zur Arbeitslosenhilfe, zur Arbeitslosenunterstützung, zur Abschaffung des Schlechtwettergeldes für Bauarbeiter bis hin zu dem jetzt vorliegenden umfassenden sogenannten Sparpaket, das nun fast alle sozial Schwachen und Lohnabhängigen auf einmal trifft.
    Wie diese Bundesregierung in Anbetracht dieser Tatsachen leugnen kann, daß es um Sozialabbau geht, ist mir schleierhaft. Ich muß allerdings hinzufügen, daß Graf Lambsdorff wenigstens in einem Interview ehrlicherweise gesagt hat, daß es gar nicht um den Umbau des Sozialstaates, sondern um seinen Abbau gehe. Diese Art von Ehrlichkeit schätze ich, weil man sich damit dann wenigstens auseinandersetzen kann.
    Wir haben zum Beispiel vorgeschlagen, eine Abgabe für Besserverdienende, die monatlich 5 000 DM netto oder mehr verdienen, festzulegen. Wir wollten nicht mehr, als daß sie auf ihre bisherige Steuerschuld noch 10 Prozent drauflegen. Alles, was in diesem sogenannten Sparpaket beschlossen werden soll, hätte man sich ersparen können, wenn man diesem Vorschlag gefolgt wäre. Aber in Wirklichkeit ist es eben so, daß Sie die Abgaben und die Steuern für kleinere und mittlere Einkommen stets erhöhen und die für hohe und höchste Einkommen stets begrenzen und auch noch weiter senken.
    Ich räume ein, daß allein ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit das Problem der Massenarbeitslosigkeit noch nicht wirksam bekämpfen würde. Aber auch diesbezüglich gibt es doch in Wirklichkeit gar keine Strategie dieser Bundesregierung für die nächsten Jahre, die das Problem auch nur lindern könnte. Indem Sie jetzt über das sogenannte Sparpaket den Lohnabhängigen und sozial Schwachen 40 Milliarden DM entziehen, entziehen Sie 40 Milliarden DM Kaufkraft, und das bedeutet nicht mehr Arbeitsplätze, sondern etwa 150 000 Arbeitsplätze weniger. Das ist die Realität!

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Wenn Sie den Besserverdienenden und Vermögenden etwas entziehen würden, dann würden Sie nicht deren Kaufverhalten reduzieren, sondern deren Sparverhalten, und das wäre ausgesprochen nützlich, weil die Banken sowieso zuviel Geld haben. Wenn man denen nicht Geld entzieht, dann vergeben die kaum Kredite, auch nicht an Existenzgründer.
    Es gibt zahlreiche Vorschläge, wie man auch mit den Lohnnebenkosten wesentlich flexibler umgehen kann. Wieso berechnen wir die Unternehmensleistungen in die Versicherungssysteme nicht auch unter Berücksichtigung von Umsatz und Gewinn und machen das Ganze damit wesentlich flexibler, als starr nur an der Bruttolohnsumme festzuhalten? Es gäbe doch Möglichkeiten zur Veränderung, wenn man das wollte.
    Aber das Hauptproblem der verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik bleibt die Tatsache, daß in der Bundesrepublik in erster Linie Geld aus Geld und nicht aus Produktion und Dienstleistungen gemacht wird.

    (Beifall bei der PDS)

    Wenn Sie das nicht verändern, wird es keine Investitionen geben.
    Herr Schäuble hat heute wieder ein anderes Investitionsklima gefordert. Aber nichts dergleichen geschieht in der Politik! Es gäbe doch die Möglichkeit, solche Investitionen steuerlich zu begünstigen, mit denen Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen werden, solche Investitionen neutral zu stellen, die eher Arbeitsplätze vernichten, aber jenen Anteil an Gewinnen steuerlich ganz hoch zu belasten, der nur zur Bank getragen wird, mit dem nur spekuliert wird. Aber Sie haben sogar die Börsensteuer abgeschafft.
    In Wirklichkeit haben Sie die Grundlage dafür geschaffen, daß aus einem großen Teil von Unternehmerinnen und Unternehmern etwas ganz anderes geworden ist, nämlich Spekulanten. Aber Spekulanten gehören einer anderen Berufsgruppe an und sollten hinsichtlich der Ergebnisse ihrer Spekulationen hoch besteuert werden. Genau das lehnen Sie ab.

    (Beifall bei der PDS - Zuruf)

    - Ja, das hat aber andere Auswirkungen. Das ist schlecht zu besteuern. Sie müßten versuchen, dagegen politisch wirksam aufzutreten. Aber mit der Politik, die Sie betreiben, wird Ihnen das mit Sicherheit nicht gelingen. Deshalb bin ich diesbezüglich ganz beruhigt.

    (Beifall bei Abgeordneten der PDS)

    Ich denke, daß es sehr wohl möglich wäre, eine veränderte Steuerpolitik zu machen - Steuern heißen ja „Steuern", weil man damit steuern kann -, die Wirtschaftstätigkeit und Dienstleistungen wieder erleichtert und damit Arbeitslosigkeit deutlich abbaut. Das, was Sie betreiben, ist nichts anderes als Spekulationsförderung.
    Bejammern Sie doch nicht immer, daß der Staat zuwenig Geld habe. Sie haben den Staat mit Ihren Steuergeschenken doch erst arm gemacht, um das jetzt als Begründung zu benutzen, die Armut in dieser Gesellschaft zu verschärfen.

    (Beifall bei der PDS)

    Sagen Sie nicht immer, daß es in dieser Gesellschaft zuwenig Geld gebe. Das private Geldvermögen hat im letzten Jahr um 8 Prozent zugenommen.

    Dr. Gregor Gysi
    Wir haben ein frei vagabundierendes Kapital von über 700 Milliarden DM. Wir haben in der Bundesrepublik Geldgeschäfte in den Banken und an den Börsen für über 2 Billionen DM. All das verläuft in dieser Gesellschaft steuerfrei. Solange Sie sich von dort das Geld nicht holen, haben Sie nicht das Recht, den sozial Schwachen und den Lohnabhängigen in die Tasche zu greifen.

    (Anhaltender Beifall bei der PDS)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich erteile das Wort dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß in der SPD-Fraktion bei meinem bloßen Auftauchen sofort Bewegung zu verzeichnen ist.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Denn heute war bislang nicht viel Bewegung bei Ihnen.
    Die Generalaussprache zum Etat des Regierungschefs sei die Stunde der Opposition, so wird immer gesagt. Das ist gute parlamentarische Tradition. Wenn ich mich daran erinnere, was ich, was wir alle, gehört haben - ich verweise besonders auf das, was die Kollegen Scharping und Fischer gesagt haben -, dann hat, muß ich sagen, Wolfgang Schäuble schon recht: Wir leben offenbar in zwei verschiedenen Ländern. Wenn man Ihre alten Verelendungstheorien hört, dann weiß man nicht, wo sich die Deutschen heute aufhalten. Ich kann Ihre Theorien nicht bestätigen, und ich lebe doch so wie Sie in diesem Land.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In ein paar Punkten habe ich allerdings heute etwas dazulernen können. Ich fand es sehr gut, daß der Sprecher der Grünen, Herr Fischer, den Sozialdemokraten Mut zugesprochen hat,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das war auch nötig!)

    daß er sie aufgefordert hat, an die Zukunft zu glauben. Das war immerhin etwas.
    Herr Scharping hat in seiner Rede einen weiten Weg von der Antike über den Heiligen Augustinus bis zu Augstein genommen. Das ist eine Reihe, die ich nicht nachvollziehen kann.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber eines ist bei diesen Äußerungen deutlich geworden: Weder die Sozialdemokraten - jedenfalls nicht Ihre Sprecher - noch der Sprecher der Grünen haben einen Beitrag, der realisierbar ist, zu den Themen, die wir an der Schwelle des 21. Jahrhunderts zu lösen haben, mitgebracht.

    (Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch billig! Gegenruf von der CDU/CSU: Aber wahr!)

    Sie wollen einfach nicht zugeben, wie dramatisch sich die Welt, in der wir leben, verändert hat, und daß wir - was immer gestern oder vorgestern war - dieser dramatischen Veränderung Rechnung tragen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich glaube nicht, daß Sie mit dieser Politik, die Sie hier gemeinsam vertreten - es ist ja das erklärte Ziel, daß Sie mit Rot-Grün und möglichst mit Unterstützung, laut oder leise, der PDS

    (Widerspruch bei der SPD)

    - das ist doch nun ganz eindeutig - an die Macht wollen -, den Zukunftsvisionen Rechnung tragen werden.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Blockflöten!)

    Wir haben doch den Modellfall vor Augen. Dieses Haus und die Bundesstadt Bonn liegen mitten in Nordrhein-Westfalen. Wenn ich die Nachrichten und Meldungen eines jeden Tages lese, so soll das doch ein Modell für Bonn sein. So ist es doch angepriesen worden. Was ist das jetzt, was in NordrheinWestfalen stattfindet? Ein permanenter Vorgang der Reformverweigerung, der Perspektivlosigkeit und des Mißmuts. Das ist der Beitrag, der von dort kommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Nordrhein-Westfalen ist immer noch das größte und wichtigste Bundesland. Es kann uns bei allem Respekt vor föderalen Strukturen nicht gleichgültig sein, was in diesem wichtigen Industrieland und vor allem in diesem Zentrum an Rhein und Ruhr vonstatten geht. Es ist doch offenkundig, daß die Arbeitnehmer an Rhein und Ruhr für diese völlig verfehlte Politik die Zeche bezahlen. Ich sage Ihnen: Wir werden alles tun, damit die Menschen in Deutschland begreifen, daß das Modell, das wir in Düsseldorf sehen, völlig ungeeignet ist, die Zukunft Deutschlands zu sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will bei diesem Anlaß gerne die Gelegenheit wahrnehmen, ein Wort zu den Gewerkschaften zu sagen, weil ich meine, daß es wichtig ist, uns darüber auszusprechen. Denn die Gewerkschaften sind ein wichtiger Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Wenn ich dies sage, so habe ich im Verhältnis zu den Gewerkschaften nie in der Illusion gelebt, daß ich dort sozusagen erste Wahl bin. Ich habe erleben müssen - auch noch in der Zeit meiner Amtsvorgänger aus der Union -, daß die Gewerkschaften vor Bundestagswahlen große Aufrufe verfaßt haben, uns nicht zu wählen. Ich sage Ihnen ganz einfach: Wenn

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    wir bei der Arbeitsteilung bleiben und sie sagen, wählt uns nicht, die Leute dies aber tun, so ist dies eine gute, geordnete Entwicklung für die Zukunft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich habe viel Respekt vor dem Recht auf Demonstrationen. Das ist ein Grundrecht in einer freiheitlichen Demokratie. Aber wenn man solche Demonstrationen veranstaltet, so finde ich, sollte man wenigstens auch bei den Tatsachen bleiben und sollte einmal, wenn man das Banner der Loyalität und der Solidarität mit den Arbeitnehmern entrollt, zu dem sprechen, was man als. eigenen Beitrag dazu leistet. Mit roten Fahnen und Feldgeschrei ist den Arbeitslosen in Deutschland nicht zu helfen.

    (Zurufe von der SPD)

    Es ist überhaupt kein Problem auf diese Weise zu lösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In unserer Erinnerung ist doch das Bild präsent, wie 1983 ein Teil derer, die da jetzt geredet haben - auch aus Ihrem Lager -, auf Straßen und Plätze zogen und gegen die Stationierung der Mittelstreckenwaffen protestiert haben. Wenn wir damals Ihrer Politik gefolgt wären, hätte es die deutsche Einheit nie gegeben, Abrüstung nie gegeben,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, damals!)

    hätten wir die - in der damaligen Zeit unvorstellbare - weltweite Friedenspolitik nicht auf den Weg bringen können.
    Ich respektiere das, was die Gewerkschaften sagen. Wir müssen es natürlich auch ertragen, wenn sie gegen uns oder gegen mich demonstrieren. Aber das ist nicht mein Thema. Ich wünsche mir nur eines: daß die Gewerkschaftsführungen - es gibt hier sehr nachdenkliche und gute Stimmen, auch heute noch, trotz aller Demonstrationen - mit uns, die wir in manchen Punkten anderer Meinung sind, auch in Zukunft bereit sind, zu sprechen, zu diskutieren und zu Ergebnissen zu kommen.
    Wir brauchen auf diesem Weg in das 21. Jahrhundert starke Gewerkschaften und starke, auch aktionsfähige Unternehmerverbände. Das gehört auch dazu. Dazu gehört, Herr Kollege, daß die Gewerkschaften und die Unternehmer fähig sind, Veränderungen bei den Flächentarifen vorzunehmen. Dazu gehört aber nach meiner Überzeugung nicht, Flächentarife abzuschaffen. Auch das ist ein Unterschied, den ich hier deutlich ausgesprochen haben möchte.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muß man beklatschen!)

    Mit anderen Worten, meine Damen und Herren: Ich werde auch in Zukunft das Gespräch mit den Gewerkschaften suchen. Das entspricht unserer Tradition und unserer Vorstellung. So wird es auch bleiben.
    Die Repräsentanten der Gewerkschaften wie auch Sie im Hause haben in Wahrheit doch erkannt - das zeigt die Debatte heute -, daß bei allem Protest, der kommt und inszeniert wird, der teilweise auch verständlich ist, die große Mehrheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger längst erkannt hat, daß um der Sicherung der Zukunft willen Veränderungen - und das heißt auch einschneidende Maßnahmen - notwendig sind. Wolfgang Schäuble hat ja die neuesten Umfragedaten bekanntgegeben.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, Noelle-Neumann!)

    - Die Umfragedaten gefallen Ihnen nicht,

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Doch!)

    aber sie sind doch da. Im übrigen werden wir irgendwann bei Wahlen abmessen können, inwieweit Sie sich mit den Daten auseinandersetzen. Jedenfalls sind es erheblich über 60 Prozent der Bevölkerung - das entspricht auch der Erfahrung, die jeder von uns draußen im Land macht -, die bei aller Kritik sagen, daß etwas in diese Richtung geschehen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Im übrigen brauchen Sie keine Umfragen. Wenn Sie durch das Land gehen und sehen, an wie vielen Orten jetzt - in den allermeisten Fällen mit Billigung der Gewerkschaften - Betriebstarife abgeschlossen werden, wie es möglich ist, sich über Dinge zu einigen, bei denen es vor drei Jahren völlig undenkbar war, sie auch nur zu diskutieren, dann wissen Sie, daß das eine vernünftige Entwicklung ist. Deswegen bin ich dafür, daß wir auf diesem Weg weiter vorangehen, auch wenn das Feldgeschrei noch so groß ist.
    Auch das ist doch wahr: Die allermeisten Ihrer Ministerpräsidenten in den Bundesländern haben längst begriffen, daß es gar nicht darum geht, den Sozialstaat zu demontieren - hören Sie doch mit diesen altmodischen Sprüchen auf -, sondern daß es darum geht, den Sozialstaat zu sichern und zukunftssicher zu machen. Die meisten von denen, die ich eben angesprochen habe, hätten ja das Thema auch längst aufgegriffen, wenn sie nicht aus ihrem Parteiverständnis heraus vorerst daran gehindert worden wären oder sich gehindert gesehen hätten, dieses Thema jetzt aufzunehmen.
    Am Freitag dieser Woche, irgendwann gegen 15 Uhr, wird hier abgestimmt. Dann werden Sie sehen, daß eine klare Mehrheit die richtige Entscheidung trifft

    (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist die Sprache der Macht! Abwarten!)

    und eine ganze Reihe von Kollegen aus den Bundesländern, die Sozialdemokraten sind, sagen: So, jetzt
    haben wir genug gezeigt, daß wir einig sind, auch

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    wenn der Weg falsch ist; jetzt gehen wir den richtigen Weg und führen vernünftige Gespräche.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Eigentlich, meine Damen und Herren, ist das auch gar keine Frage des parteipolitischen Streits. Jeder, der sich die Welt genau betrachtet, wird mir zustimmen, wenn ich sage: Die dramatischen Veränderungen in der Weltwirtschaft erfordern Konsequenzen in einer Volkswirtschaft wie der deutschen. Geld und Technologien, Informationen und Waren überwinden Grenzen mit einer Leichtigkeit und Geschwindigkeit wie nie zuvor.
    Zwischen 1964 und 1994 steigerten die Industrieländer die Produktion jährlich um 9 Prozent, die Ausfuhr weltweit um 12 Prozent und grenzüberschreitende Bankkredite um 23 Prozent. Die ausländischen Direktinvestitionen der Industrieländer erhöhten sich seit Mitte der 80er Jahre mit Raten von bis zu 30 Prozent pro Jahr.
    Die Gewichte haben sich verschoben. Der Anteil der asiatischen Länder - ohne Japan - am Welthandel lag damals bei 8 Prozent, jetzt liegt er bei rund 20 Prozent. Er hat sich mehr als verdoppelt. Und jetzt kommt die Zahl, die uns doch eigentlich beunruhigen muß: Der deutsche Anteil ist im gleichen Zeitraum von gut 10 Prozent auf rund 9 Prozent geschrumpft. Das heißt, wir haben mit dem Wachstum anderer nicht mithalten können, sondern es ging zurück.

    (Hans-Peter Kemper [SPD]: Wer regiert denn?)

    - Das ist ja nun wirklich absurd. Wir haben doch Tarifautonomie. Ich sage es ja auch gar nicht anklagend. An diesen Entwicklungen haben nahezu alle in irgendeiner Form mitgewirkt.
    Schauen Sie sich doch einmal den Unterschied bei den Lohnkosten an! Die Arbeitsstunde eines Facharbeiters im Druckereibereich, entsprechend den jeweiligen Tarifen, kostet bei uns in Deutschland 51 DM, in England 25 DM, in Ungarn 9 DM. Die vergleichbare Zahl in Prag ist ähnlich. Das hat doch Konsequenzen, darüber muß man doch reden. Es hat doch nichts mit Sozialabbau zu tun, wenn wir sagen, wir müssen besser werden; denn jeder von uns weiß, daß wir die Löhne nicht absenken können. Jeder von uns weiß auch, daß die anderen ihre niedrigen Löhne nicht halten werden. Aber wir müssen auf diesem Feld mehr tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In meiner Nachbarschaft, in Baden, schlägt die Sonntagsnachtschicht in einer Druckerei mit 700 DM zu Buche. Wenige Kilometer entfernt, im Elsaß, sind es 350 DM. Sie müssen also nicht nach Asien gehen, Sie können in derselben Region bleiben, wo die Menschen die gleiche Mundart sprechen, und auch da haben wir diese Unterschiede.
    Wir haben erhebliche Veränderungen im Altersaufbau unserer Bevölkerung. Das ist unübersehbar. Das hat doch Folgen für Arbeitsmarkt und Sozialsysteme. Das ist keine Frage des Sozialabbaus. Gegenwärtig sind rund 15 Prozent unserer Bevölkerung über 65 Jahre. In über 30 Jahren wird der Anteil auf 27 bis 30 Prozent angestiegen sein. Es ist doch nicht zu leugnen, daß das bei den Beitragszahlern bis hin zu den Rentenbeziehern elementare Auswirkungen haben muß.
    Wenn ich diese Punkte nenne, dann ist auch wahr, daß alle unsere Nachbarn daraus Konsequenzen ziehen. Ich brauche jetzt gar nicht die Sozialsysteme im einzelnen zu vergleichen, aber in etwa sind doch die Niederlande, Schweden, Frankreich oder andere in bezug auf bestimmte Positionen mit uns vergleichbar. In all diesen Ländern ist man auf dem Weg zur Lösung dieser Fragen unterwegs, egal ob der Ministerpräsident oder der Staatspräsident dieser oder jener Partei angehört. Wenn wir also darüber reden und Vorschläge machen - und wenn Sie keine Vorschläge machen -, dann müssen Sie doch wenigstens den Vorwurf ertragen, daß Sie sich aus der Verantwortung verabschiedet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist nicht nur eine Frage der deutschen Innenpolitik. Deutschland ist mehr als jedes andere Land, zumindest in Europa, darauf angewiesen - weil wir geopolitisch und geographisch in Europa die Mitte darstellen -, daß die Nachbarn zu uns Vertrauen haben, und zwar in vielfältiger Hinsicht. Vertrauen hat auch etwas zu tun mit wirtschaftlicher Stabilität. Ich mag das Wort nicht, wonach die deutsche Volkswirtschaft Traktor der Entwicklung für andere Länder ist. Aber es ist doch unübersehbar - ich werde es nachher am Beispiel Tschechien deutlich machen -, wie sehr unsere Beziehungen miteinander verwoben sind. Wir sind mit einer Einwohnerzahl von 80 Millionen, ob es uns gefällt oder nicht, von besonderer Bedeutung in Europa. Wir sind ein stark exportorientiertes Land, und wir haben - das ist doch ganz unbestreitbar - große Chancen, wenn wir nur bereit sind, sie zu nutzen, und wenn wir uns jetzt dieser Aufgabe stellen.
    Sehen Sie, Herr Scharping, ich habe mir nur eine einzige Zahl mitgeschrieben, weil sie so unglaublich war. Ich habe mich jetzt einmal genau vergewissert, wie die Lage ist. Ich meine den Vergleich mit dem mexikanischen Industriearbeiter. Nun bin ich kein Spezialist auf diesem Gebiet und daher auf die Hilfe anderer angewiesen. Nach den Daten im Handbuch der OECD hatte ein deutscher Industriearbeiter, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, 1994 einen Nettojahresverdienst von 41 000 DM. Ein entsprechender mexikanischer Industriearbeiter hatte im selben Jahr einen Nettojahresverdienst von 5 500 DM; das ist ein Siebtel.
    Das hat meine klugen Mitarbeiter nicht ruhen lassen. Es gibt nämlich sehr viel bessere Beispiele. Sie haben dann dort angerufen, wo einer Ihrer politischen Freunde regelmäßig Einsichten und Unterstützung bekommt, nämlich in Wolfsburg. Es gibt eine Automobilfabrik in Wolfsburg, und eine Automobilfabrik gleichen Namens gibt es auch in Mexiko. Im vergleichbaren Fall - Industriefacharbeiter, verheiratet, zwei Kinder - beträgt der Nettolohn in Mexiko -

    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    das ist für mexikanische Verhältnisse ein Superlohn knapp 9 000 DM und in Wolfsburg 50 000 DM.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Brutto oder netto?)

    - Ja, das habe ich ja schon gesagt; das weiß inzwischen auch Herr Scharping.
    Vom Sprecher der PDS haben wir soeben seine steuerpolitischen „Visionen" gehört. Die Steuervorstellungen, die er eben hier entwickelt hat, bedeuten, daß der Industriefacharbeiter in Wolfsburg mit 50 000 DM schon zu den Spitzenverdienern gehört. Aber dies nur nebenbei; wir brauchen nicht länger dabei zu verweilen.

    (Dr. Gregor Gysi [PDS] Nein, ab 5 000 DM netto!)

    Mit einem Wort, Herr Scharping: Lassen Sie uns doch nicht mit solchen Argumenten arbeiten!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ein mexikanischer Industriefacharbeiter weiß ganz eindeutig, daß sein Kollege in Wolfsburg mehr verdient; der Arbeiter in Wolfsburg will auch nicht mit seinem Kollegen in Mexiko tauschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat er doch gar nicht gesagt!)