Das Wort hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble (von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Scharping, ich bin nicht in Mexiko gewesen. Ich weiß nicht, ob Sie in Mexiko waren. Ich jedenfalls glaube nicht, daß es den Familien in Mexiko besser geht als denen in Deutschland. Das glaube ich nicht.
Sie haben heute morgen viele bedeutende Menschen der Geschichte und der Gegenwart zitiert. Sie haben sich gelegentlich über die Reaktion meiner Kollegen auf solche Zitate echauffiert. Ich finde, das Zitieren von Persönlichkeiten ist gegenüber demjenigen, der zitiert wird, häufig eine unfaire Geschichte.
Sie haben Bischof Lehmann aus seiner Rede auf dem Sozialgipfel des Deutschen Gewerkschaftsbundes zitiert. Ich möchte Ihnen gern zwei Sätze vorlesen, die ebenfalls in dieser Rede enthalten sind. Wenn man richtig zitieren wollte, müßte man das Ganze zitieren.
- Verzeihen Sie. Ich will auf die Fragwürdigkeit der Methode aufmerksam machen
- ja, natürlich - und denjenigen, der von Ihnen zu Unrecht für eine einseitige Position in Anspruch genommen wird, in Schutz nehmen. Deswegen muß es zitiert werden.
Ich zitiere aus der korrigierten Fassung der Rede von Bischof Lehmann vom 9. Mai 1996. Da steht zum Beispiel auf Seite 4:
Bei den gegenwärtigen Auseinandersetzungen muß man mitunter den Eindruck gewinnen, der Sozialstaat sei eine unaufhörlich sprudelnde Quelle, die in unserer Gesellschaft jeden Besitzstand gewährleistet und für alle alle Wohltaten freihält.
Auch bei Ihrer Rede konnte man diesen Eindruck gewinnen.
Auf Seite 5 dieser Rede heißt es:
Die wirtschaftliche und auch absehbare demographische Entwicklung, der hohe Stand der Arbeitslosigkeit, die angespannte Haushalts- und Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte einschließlich der Situation der Sozialversicherungsträger machen weitere einschneidende Einsparungen und die Überprüfung sowohl der Einnahmemöglichkeiten als auch der Ausgaben des Sozialstaats unabweisbar.
Soweit Bischof Lehmann in der von Ihnen zitierten Rede.
Das zeigt doch, daß Sie diesen Mann in einer völlig einseitigen Weise zu Unrecht in Anspruch genommen haben.
- Jetzt lassen Sie mich doch erst einmal anfangen, Frau Matthäus-Maier. Das braucht ja seine Zeit.
Ich habe mir bei Ihrer Rede immer überlegt, Herr Kollege Scharping: Worin unterscheiden wir uns?
Denn ich will versuchen, auf den Kern zu kommen. Sie haben ein Bild von unserem Land und von den Problemen gezeichnet, in dem ich mich nicht wiederfinde. Vielleicht sind Sie dabei doch mehr in Mexiko gewesen. Sie haben davon gesprochen, der Bundeskanzler blockiere weltweit die sozialen und ökologischen Mindeststandards. Ich glaube, wir sind in sozialer wie in ökologischer Hinsicht weltweit eher vorbildlich als an der unteren Grenze.
Sie haben davon gesprochen, der Bundeskanzler blockiere in der Europäischen Union die Stabilität der sozialen Beziehungen. Aber selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund kommt Jahr für Jahr zu Bundeskanzler Kohl und sagt: Bitte setzen Sie in Europa die soziale Dimension durch; das kann keiner besser als Sie. Selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund vertraut also darauf, daß unser weit überdurchschnittliches Niveau sozialer Sicherheit und sozialer Stabilität in Europa möglichst gesichert wird.
Sie sprechen von Dingen, in denen ich die Wirklichkeit unseres Landes und auch die wirklichen Probleme, die wir haben, nicht erkennen konnte. Ich habe mir überlegt: Woran mag es liegen, daß wir zu
Dr. Wolfgang Schäuble
so unterschiedlicher Betrachtung kommen? Vielleicht liegt es daran, daß Sie zu sehr auf öffentliche Systeme vertrauen, daß Sie Gerechtigkeit mit einem möglichst hohen Anteil an Staatsquote, an Steuern und Sozialabgaben gleichsetzen. Vielleicht kommen Sie deswegen zu dem Satz - von dem ich glaube, daß er falsch ist -, ein Mangel an Gerechtigkeit blockiere die Kräfte in unserem Lande. Ich meine vielmehr, daß ein Übermaß an Bürokratie, ein zu breit gewordener öffentlicher Korridor, zu hohe Steuern und Abgaben die Kräfte der Kreativität in unserem Lande blockieren.
Ich hätte Bischof Lehmann nicht zitiert, wenn Sie ihn nicht in die Debatte eingeführt hätten, weil auch ich ihn nicht einseitig in Anspruch nehmen will.
- Verzeihen Sie, die ist mir während der Rede von Herrn Scharping von Mitarbeitern zugeschickt worden; so funktioniert es in unserer Fraktion.
Angesichts dessen, was notwendig ist, geht es im übrigen nicht darum, die Menschen in unserem Land mit Begriffen wie „Opfer" oder „Schuldige" zu bezeichnen; das tut kein Mensch. Es geht vielmehr darum - das ist auch der Auftrag dieser Debatte, und das erwarten die Menschen in unserem Lande von uns -, daß wir uns mit den Sorgen auseinandersetzen und Antworten auf die Fragen geben, die die Menschen haben: Wie geht es weiter? Was bringt die Zukunft? Die Menschen spüren, es verändert sich viel.
Wenn ich es richtig sehe, sind es im wesentlichen zwei Entwicklungen, die den Menschen Sorge und Angst vor der Zukunft machen. Es ist nicht so, daß es den Menschen heute schlecht geht; das ist ein Zerrbild. Es geht uns gut. Die Frage lautet: Wie können wir dieses Maß an Wohlstand und sozialer Sicherheit zukunftsfest machen und auch in der Zukunft bewahren? Was die Menschen ängstigt, sind Auswirkungen einer technischen Entwicklung, der Rationalisierung und technologischen Revolution, die dazu führen, daß mit immer weniger Arbeitskräften immer mehr produziert wird und daß wir in der industriellen Produktion selbst bei wirtschaftlichem Wachstum nicht mehr so viele Arbeitsplätze haben. Die andere Entwicklung ist, daß der Wettbewerb um Investitionen, Arbeitsplätze, Wohlstand und soziale Sicherheit in der Welt härter geworden ist, daß Entfernungen nicht mehr groß sind, Grenzen nicht mehr trennen, daß die Welt enger zusammenrückt. Das Ganze nennt man Globalisierung. Wie wir mit diesen Auswirkungen fertig werden, das ist die eigentliche Frage. Auf diese Frage müssen wir Antworten schaffen.
Die Menschen sind sehr viel weiter, als Sie in Ihrer Rede zugrunde gelegt haben. In einer deutschen Tageszeitung kann man heute die Untersuchung des Instituts in Allensbach, Frau Köcher, lesen. Es ist hochinteressant, daß während der Wochen verständlicher Auseinandersetzungen um die Notwendigkeit
und Richtigkeit auch von Ausgabenbegrenzungen die Zustimmung zu einer solchen Politik in der Bevölkerung dramatisch gewachsen ist. Frau Köcher schreibt:
Doch während sie - die Mehrheit -
die Proteste begrüßt, orientiert sich die große Mehrheit der Bevölkerung bereits in eine andere Richtung. Die Demonstrationen sind ein Ventil, dem Unbehagen über unpopuläre Maßnahmen Ausdruck zu verleihen. Als Indiz dafür, daß die Bevölkerung Front gegen die angekündigten Maßnahmen macht, taugen sie wenig. Je mehr sich die Kontroverse zuspitzt, desto mehr wächst in der Bevölkerung die Überzeugung, daß die angekündigten Sparmaßnahmen notwendig sind. Im Frühsommer waren davon 44 Prozent überzeugt, Ende August bereits 64 Prozent.
Die Menschen sind viel weiter, Herr Kollege Scharping, als Sie in Ihrer Rede zugrunde gelegt haben.
Es nützt doch nichts, Ängste zu schüren angesichts dieser Entwicklungen, die besorgniserregend genug sind: die technische Revolution genauso wie die Globalisierung. Aber was schon gar nichts nützt, Herr Ministerpräsident Lafontaine, ist, zu sagen: Der Standortwettbewerb ist keine Lösung. Wir können aus diesem Wettbewerb nicht aussteigen. Es wäre schön; aber es hilft nichts.
- Sie haben einen ganzen Aufsatz unter dieser Überschrift geschrieben; das ist die Überschrift Ihres Aufsatzes. Dafür sind Sie ja wohl selber verantwortlich, wenn Sie einen solchen Aufsatz veröffentlichen. Sie haben diesen Aufsatz unter der Überschrift „Der Standortwettbewerb ist keine Lösung" veröffentlicht. Wir haben ihn alle gelesen.
Im übrigen ist das der Duktus Ihrer Argumentation. Wenn man ein wenig genauer prüft, was dahintersteckt, dann scheint es mir so zu sein, daß das nicht ungefährlich ist. Es ist nicht das Platte, daß man, wenn man im Fußball zur Halbzeit 2 : 0 hinten liegt, so wie gestern abend eine mir sehr sympathische Mannschaft, sagt: Da gehe ich lieber heim; der Gegner ist mir zu stark; das hat ja keinen Sinn.
Dahinter steckt etwas Gefährlicheres. Dahinter steckt meines Erachtens der Versuch von Oskar Lafontaine, dem SPD-Vorsitzenden, Ängste der Menschen zu schüren.
Herr Kollege Lafontaine, ich erkenne in dieser Polemik gegen Entwicklungen, die stattfinden und denen wir nicht ausweichen können, dieselbe Me-
Dr. Wolfgang Schäuble
thode, mit der Sie Ängste gegen Aussiedler oder gegen die Europäische Währungsunion geschürt haben.
Ich halte das für verantwortungslos.
Im übrigen: Wer sich so gegen weltweite Entwicklungen wehrt, der verschweigt doch zunächst einmal, daß wir in Deutschland, die wir ein höheres Maß an Wohlstand und sozialer Sicherheit als zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte und als die meisten anderen Menschen auf dieser Welt haben, diesen Wohlstand und diese soziale Sicherheit zu einem erheblichen Teil gerade dem technischen Fortschritt und der internationalen Arbeitsteilung verdanken. Wir haben einen viel höheren Exportanteil als alle anderen Industrieländer. Deutschland, bezogen auf die alten Bundesländer, hat einen Exportanteil von 32 Prozent, die Vereinigten Staaten von Amerika von 10 Prozent und Japan von 9 Prozent zum Vergleich. Wir sind in die weltweite Arbeitsteilung viel stärker eingebunden als irgendein anderes Land. Wer aus der Globalisierung aussteigen will, wer neue Handelsschranken errichten will, wer Regionalisierung oder eine Festung Europa will
- Herr Lafontaine; das ist die Politik der SPD; er ist ihr Vorsitzender -, der legt Hand an die Wurzeln unseres Wohlstands. Deswegen halte ich das für den falschen Weg.
Er macht meines Erachtens ein Zweites - man muß ja auf die Gefahren aufmerksam machen -: Er legt Hand an die Fähigkeit und Bereitschaft, unserer weltweiten Verantwortung gerecht zu werden. In unserer einen Welt leben heute sechs Milliarden Menschen, und in 30 Jahren werden es zehn Milliarden sein. Von diesen werden dann noch 10 Prozent Europäer sein. Die 20 Prozent Menschen in den Industrieländern verursachen heute drei Viertel aller Kohlendioxidemissionen. Wenn wir unsere Verantwortung für die ökologische Stabilität und für soziale Gerechtigkeit auf dieser Welt sowie für die Überlebensfähigkeit der Menschen ernst nehmen wollen, dann können wir doch nicht aus unserer globalen Verantwortung aussteigen. Wer sich wie Lafontaine gegen die Globalisierung wendet, der will den Menschen im Grunde einreden: Wir haben für andere Teile dieser Erde keine Verantwortung. - Das eine hängt mit dem anderen zusammen.
Wer meint, er könne uns, die Menschen, in der plumpen Art Ihrer Zwischenrufe davor bewahren
- ja, Sie; genau Sie meine ich -, daß wir uns mit Entwicklungen in anderen Teilen der Erde auseinandersetzen müssen - das ist nämlich der tiefere Grund der Lafontaineschen Argumentation -, der legt Hand an unsere Fähigkeit, unserer Verantwortung für diese eine Welt, für globale, soziale und ökologische Entwicklung gerecht zu werden.
Deswegen sage ich Ihnen: Ich glaube nicht, daß dies der richtige Weg ist. Ich bin anderer Meinung, und ich begründe, warum ich einer anderen Meinung bin. Ich glaube, wir können diese Probleme, diese Entwicklungen nicht dadurch lösen, daß wir uns davor abschotten. Wir können auch nicht aussteigen; wir müssen vielmehr unserer Verantwortung gegenüber der europäischen Entwicklung gerecht werden.
Niemand setzt sich mehr als diese Bundesregierung und dieser Bundeskanzler dafür ein, daß der Weg zur europäischen Einigung unumkehrbar ist, aber nicht mit dem Ziel, daß Europa eine Festung wird und sich gegen Entwicklungen auf anderen Kontinenten abschottet, sondern mit dem Ziel, daß Europa eine stärkere Fähigkeit erlangt, seine Verantwortung für diese eine Welt wahrzunehmen.
Niemand setzt sich stärker als die Union, die Koalition und die Bundesregierung dafür ein, daß wir auch in Zukunft unserer außenpolitischen Verantwortung gerecht werden.
Wenn wir über die Grundfragen deutscher Politik diskutieren, gehört auch diese Feststellung dazu: Wir sind in dieser Legislaturperiode große Schritte gegangen, um unsere Beiträge für den Frieden in Europa zu leisten und um zu erreichen, daß die gewaltigen Spannungen zwischen den Kontinenten nicht immer weiter wachsen, daß wir vielmehr eine Chance haben, auch in Zukunft Frieden und Freiheit zu sichern und zu bewahren. Der Weg der Bundesregierung ist richtig, und wir werden sie dabei weiter unterstützen.
Das weltweite Zutrauen in die Politik dieser Bundesregierung, mit der wir diesen Beitrag leisten, ist ungebrochen. Die Erwartungen sind manchmal so groß, daß man fast schon die Sorge haben könnte, Herr Bundeskanzler, unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten würden überschätzt. Wir müssen den Erwartungen gerecht werden und dazu gehört, daß wir auch in Zukunft unsere wirtschaftliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit, unsere soziale Stabilität und auch unsere innere Sicherheit bewahren.
Die Menschen in vielen europäischen Ländern schauen in diesen Tagen auf diese Debatte und die Entscheidungen des Deutschen Bundestages, weil sie eine Antwort auf die Frage suchen: Gibt es in Deutschland die politische Kraft, die die notwendigen Veränderungen durchsetzt? Wenn wir dies nicht schaffen, werden viele Menschen ihre Hoffnungen zurücknehmen müssen.
Dr. Wolfgang Schäuble
Wenn wir darüber reden, daß wir unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten müssen - woran kein Weg vorbeiführt, weil wir aus dem Standortwettbewerb nicht aussteigen können -, dann muß man die Frage anschließen, woran es liegt, daß der Anteil ausländischer Direktinvestitionen an den Investitionen insgesamt für den Zeitraum 1990 bis 1993 - nach dem Gutachten des Ifo-Instituts - in den Niederlanden 13 Prozent, in Großbritannien 12 Prozent, in Frankreich 8 Prozent und in Deutschland 1,5 Prozent beträgt.
Woran liegt es, daß zehnmal soviel deutsches Kapital im Ausland investiert wird wie ausländisches Kapital in Deutschland? Dies verursacht einen Transfer von Arbeitsplätzen ins Ausland und schwächt unsere Wettbewerbsfähigkeit.
- Es hat zum Beispiel damit zu tun, daß die Gewerbekapitalsteuer immer noch nicht abgeschafft ist. Genau damit hat es zu tun.
Sie werden doch nicht im Ernst bestreiten wollen, daß investiertes Kapital in Deutschland höher besteuert wird als in irgendeinem anderen vergleichbaren europäischen Land, jedenfalls in einem eben von mir erwähnten europäischen Land. Wenn investiertes Kapital in Deutschland höher besteuert wird als in anderen Ländern, dann ist dies die Ursache für die Entwicklung, daß immer mehr Investitionen und damit Arbeitsplätze aus Deutschland abwandern. Dies müssen wir ändern, wenn wir unsere Verantwortung im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ernst nehmen.
Folgender Satz - Herr Scharping hat ihn heute morgen gesagt; Frau Matthäus-Maier hat ihn gesagt - ist bezeichnend: Der Sozialstaat ist nicht zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit ist zu teuer; deswegen müssen wir sie bekämpfen. - Schon richtig. Aber dann lassen Sie sie uns bekämpfen. Was müssen wir tun, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen? Wir müssen die Rahmenbedingungen für Investitionen verbessern. Das ist das erste.
Das heißt: Es muß jetzt endlich die Unternehmenssteuerreform zustande kommen. Die Gewerbekapitalsteuer muß abgeschafft werden.
Es wurde auch gesagt, daß der Weg der Sozialdemokraten, die Besteuerung unternehmerischer Erträge weiter zu erhöhen, falsch ist. Dies ist Gift für die Arbeitsplätze und für die wirtschaftliche Entwicklung.
- Sie haben Ihr Programm nicht gelesen.
- Wahrscheinlich haben sie es gar nicht gelesen.
Ihr Programm läuft darauf hinaus, unternehmerische Erträge höher zu besteuern - mit Hilfe der Vermögensabgabe oder indem Sie den Spitzensteuersatz nicht senken - als nach dem heutigen Stand. Sie vergessen gelegentlich, daß auf Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Spitzensteuersatz heute schon 47 Prozent beträgt. Wenn Sie 50 Prozent nicht unterschreiten wollen, dann kommen Sie nicht zu einer Senkung. Wenn Sie gleichzeitig noch die Bemessungsgrundlage im unternehmerischen Bereich nachhaltig verbreitern wollen, dann führt das zu einer höheren Unternehmensbesteuerung. Das ist nach unserer Überzeugung der falsche Weg.
Im übrigen will ich Ihnen zu der Vermögensteuerdiskussion folgendes sagen. Ich weiß, diese Diskussion verführt Oppositionspolitiker. Sie glauben, daß die Argumentation, daß die Vermögensteuer gesenkt, aber das Kindergeld nicht erhöht werde, in der Öffentlichkeit ankommt.
- Ja, das ist die demagogische Untergrenze dessen, was noch erträglich ist.
- Lassen Sie mich doch einmal versuchen, ein paar Argumente wenigstens anderen darzulegen, auch wenn Sie diese nicht hören wollen.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist - Theo Waigel hat das gestern ausführlich und überzeugend dargelegt - eine weitere Erhebung der Vermögensteuer nur in engen Grenzen und im Grunde nur bei mittleren Einkünften möglich. Wir sind uns, wenn ich das richtig verstanden habe, immer noch einigermaßen einig, daß wir Betriebsvermögen, also investiertes Kapital, in Zukunft nicht mehr der Vermögensteuer unterwerfen wollen. Sie sollten bitte akzeptieren - der Bundesfinanzminister hat die Zahl gestern genannt -: 58 Prozent der Vermögensteuer entfallen heute auf Betriebsvermögen. Sie sollten bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß die Länderfinanzminister, von denen Sie die Mehrheit stellen, darauf hingewiesen haben, daß dann, wenn man nur noch die restlichen 42 Prozent des Vermögens besteuert, die Erhebungskosten der Vermögensteuer ungefähr die Hälfte des Steuerertrags auffressen. Das macht keinen Sinn.
- Sie können anderer Meinung sein, aber lassen Sie mich doch unsere Position begründen, und lassen Sie uns dann abwägen, wer die besseren Argumente hat.
Dr. Wolfgang Schäuble
Unser Vorschlag ist nicht, die Vermögensteuer auf Nichtbetriebsvermögen ersatzlos abzuschaffen, sondern unser Vorschlag ist, die Vermögensteuer mit der Erbschaftsteuer zusammenzufassen. Das ist eine Steuervereinfachung, die denselben Ertrag bringen soll. Der Vorschlag kann so blöd nicht sein, denn auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck von der SPD hat genau diesen Vorschlag gemacht.
Wir sollten keinen Weg gehen, der keinen Sinn macht und die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindert. Wir sollten auch nicht in dieser demagogischen Art diskutieren, sondern uns mit der Sache auseinandersetzen.
Wie toll das gelegentlich geht, ist mir bei der Lektüre des Protokolls des Bundesrates vom 5. Juli dieses Jahres aufgestoßen. Sie reden davon - auch Sie, Herr Scharping, haben das heute wieder getan -, man solle endlich die Schlupflöcher schließen, die Sonderabschreibungen beseitigen und dafür sorgen, daß die Reichen auch wirklich Steuern bezahlen. Herr Voscherau hat vor einiger Zeit einmal törichterweise gesagt, in Hamburg würde kein Millionär mehr Steuern bezahlen, woraufhin ihn sein Finanzsenator darauf hingewiesen hat, das solle er nicht sagen.
Aber der Vorgang ist bemerkenswert. Der Ministerpräsident des Saarlands, Lafontaine, der zugleich SPD-Vorsitzender ist, hat in der Bundesratssitzung am 5. Juli 1996 gesagt: „Blockieren Sie nicht länger - das habe ich hier schon zehnmal vorgetragen - den Abbau überflüssiger Steuersubventionen ...". Eine Weile später sagte er, daß „Einkommensmillionäre die Einkommensteuer über Abschreibungsbedingungen eben gegen Null führen können" . Eine Stunde später hat die Bundesratsmehrheit mit der Stimme des Saarlandes den Antrag, Sonderabschreibungen für Flugzeugbau und Schiffbau abzuschaffen, abgelehnt.
- Ich habe das Protokoll da.
- Wir sind ja von Ihnen gewohnt, daß Sie jeden Tag das Gegenteil von dem sagen, was Sie am vorherigen Tag gesagt haben, aber innerhalb einer Stunde ist ein wenig zu schnell.
Die Lateiner sagen: Venire contra factum proprium. Das Handeln gegen das, was man selbst als Ursache gesetzt hat, ist eine derartige Zumutung für das Funktionieren unserer demokratischen Prozesse, daß ich wirklich meine, man sollte jetzt endlich damit aufhören. Die SPD sollte endlich aufhören zu beklagen, daß die Neuverschuldung im Haushalt 1996 zu groß ist, zumal uns die sozialdemokratische Mehrheit daran gehindert hat, rechtzeitig notwendige Spargesetze durchzusetzen.
- Aber Herr Kollege Fischer, nach dem Grundgesetz brauchen wir für die Mehrzahl der Steuergesetze und für viele andere Gesetze die Zustimmung des Bundesrates. Derzeit hat die SPD im Bundesrat die Mehrheit, und sie hat viele Gesetze blockiert.
- Aber Herr Kollege Lafontaine, wenn Sie das auch noch bestreiten, dann ist es ja auch gut. Aber ich sage Ihnen, die Wahrheit ist, daß beispielsweise die Unternehmenssteuerreform seit mehr als einem Jahr mangels Zustimmung im Bundesrat blockiert ist. Das ist unverantwortlich.
Wenn wir Antworten auf die Frage suchen, wie wir angesichts der Entwicklungen, die wir nicht bestreiten können und die vielen Menschen Sorge machen, deren Ängste wir aber nicht ausbeuten sollten, die Probleme lösen können, dann bin ich im Gegensatz zu Ihrer Argumentation ganz sicher, daß wir nur dann mehr Kräfte für notwendige Dynamik und Kreativität freisetzen werden, wenn wir die Staatsquote senken und das Geflecht öffentlicher Apparate und Strukturen von den öffentlichen Haushalten in Bund, Ländern und Gemeinden bis hin zu den Sozialversicherungsträgern ein wenig verringern. Wenn wir die Staatsquote senken wollen - und das müssen wir -, dann führt kein Weg an einer Ausgabenkürzung vorbei. Die Sozialdemokraten haben bis auf den heutigen Tag nicht einen einzigen Vorschlag gemacht, wie man Ausgaben kürzt. Sie machen gelegentlich Vorschläge zur Umschichtung, wie man die eine Einnahme durch die andere ersetzt, wie man Steuern und Abgaben da und dort erhöht. Aber wenn Sie die Staatsquote senken wollen - nach unserer Überzeugung muß sie gesenkt werden, wenn wir langfristig die Probleme lösen wollen -, führt kein Weg an Ausgabekürzungen oder an einer Begrenzung des Ausgabeanstiegs vorbei. Das ist die bittere Wahrheit; aber schon Kurt Schumacher hat gesagt: Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität - und der können Sie nicht ausweichen.
Der nächste Schritt ist, daß wir darauf setzen müssen, technischen Fortschritt zu fördern und uns in Spitzenprodukten neuer Technik neue Märkte zu erschließen. Wir müssen die Blockade von technologischen Neuerungen durch die Opposition, durch die Linke, durch Rot-Grün endlich aufheben.
Dr. Wolfgang Schäuble
- Der uralte Hut ist leider immer noch auf Ihren Köpfen, denn nach wie vor versuchen die beteiligten SPD-Landesregierungen den Bau der Transrapidstrecke mit allen Mitteln zu verhindern. Dabei geht es dort konkret um Zukunftsfähigkeit.
Das können Sie doch nicht bestreiten.
- Sie lenken immer ab. Man muß ja auch einmal konkrete Beispiele nennen. Es hilft nichts, mit den allgemeinen Sprüchen von Augustin bis sonstwohin die Debatten zu bestreiten. Lassen Sie uns doch über konkrete Sachverhalte reden.
Wenn wir die Transrapidstrecke zwischen Hamburg und Berlin nicht bald zustande bringen, wenn der Transrapid nicht bald fährt, dann werden Sie erleben, daß wir den Wettlauf um diese Technologie wieder gegen die Japaner verlieren. Dann haben wir wiederum Arbeitsplätze verspielt.
Deswegen ist Ihre Politik der Verzögerung und der Blockade gefährlich für die Chance, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Deswegen bitte ich Sie, sie aufzugeben und bei Ihren Landesregierungen darauf hinzuwirken, daß dieser Versuch nicht fortgesetzt wird.
Das ist ja Ihr Problem. Sie halten auf der einen Seite die großen Reden, wie der Herr Lafontaine in bezug auf die Sonderabschreibungen, aber wenn es konkret wird, stimmen Sie dagegen. Wir sind uns im Grundsatz manchmal alle einig. Selbst Herr Scharping hat von Flexibilisierung gesprochen. Aber wenn es darum geht, zu flexibilisieren, sind Sie dagegen. Wir haben im Bundestag Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie beschlossen. Im Bundesrat hat man große Reden zugunsten der Entbürokratisierung gehalten, und anschließend hat man den Vermittlungsausschuß angerufen und das Gesetz vorläufig blockiert. Als wir um den Ladenschluß gerungen haben, hat die SPD sich verweigert.
- Sie können ja andere Flexibilisierungsvorschläge machen. Aber machen Sie doch mal einen,
so wie Sie auch einmal einen Vorschlag machen
könnten, wie wir Ausgaben senken. Blockieren Sie
nicht alles! Es wird auch über den Kündigungsschutz geredet.
- Überstundenabbau, das Thema eignet sich für die Demonstrationen am Samstag. Da kann man Überstundenabbau fordern. Aber wenn man konkret darüber reden will und sich den Kopf zerbricht, was man tun könne, und nicht nur die Menschen beschimpft, dann ist es doch wohl besser, die Arbeitsbedingungen zu flexibilisieren und dafür zu sorgen, daß ein Handwerksmeister, der vielleicht für die nächsten sechs Monate eine bessere Auftragslage hat, auch jemanden einstellen kann und sich nicht sagen muß, das könne er nicht, weil er ihn lebenslänglich anstellen müßte. Dann kann er ihn nämlich nicht einstellen.
- Entschuldigung, das weiß ich. Auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet; denn das haben Sie schon gestern gesagt. Natürlich könnte man dies über befristete Arbeitsverhältnisse regeln. Die aber, gnädige Frau, haben Sie allerdings auch im Bundestag abgelehnt.
- Sie haben sie abgelehnt.
Ich rede davon, daß Sie jedes Maß an Flexibilisierung, jeden konkreten Schritt in diese Richtung boykottieren. Herr Scharping, Sie haben unser Programm für Wachstum und Beschäftigung hier in einer Weise karikiert, die für Ihren Stil spricht.
Ich will Ihnen noch einmal unser Ziel vortragen: Wir setzen in dem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung darauf, daß die Chance besteht, insbesondere bei kleineren Unternehmen, Neugründern und Selbständigen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dort wollen wir ansetzen, von der Kapitalausstattung bis hin zu Förderprogrammen. Der Finanzminister hat gestern berichtet, daß von der Kreditanstalt für Wiederaufbau bis September schon so viele Kredite vergeben worden sind wie im gesamten Vorjahr.
Im Niedersächsischen Landtag hat der Kollege Stock von der CDU kürzlich die Frage eingebracht, warum das Land Niedersachsen seine Mittel für Eigenkapitalhilfeprogramme zurückgefahren habe. Daraufhin hat der niedersächsische Wirtschaftsminister Fischer am 4. September 1996 - ich habe das Protokoll da - geantwortet:
Die Konditionen des Eigenkapitalhilfeprogramms des Bundes sind so hervorragend, insbesondere bei Laufzeit und Zins- und Tilgungsgestaltung, daß wir töricht wären, mit unseren ohne-
Dr. Wolfgang Schäuble
hin knapp bemessenen Landesmitteln dagegen anzukonkurrieren.
Herr Scharping ist gerade hinausgegangen, was auch in Ordnung ist.
- Das ist auch schön. Ich bitte um Entschuldigung für meinen Irrtum. Wenn mir aber Schlimmeres nicht geschieht, können Sie ganz gut damit leben.
Wenn Sie sich ein bißchen mehr mit der Wirklichkeit in unserem Lande beschäftigen, können Sie nicht solche verzerrten Bilder darstellen, wie Sie es heute morgen getan haben. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg.
Ich will mich jetzt nicht mit der Frage beschäftigen, warum Niedersachsen seine eigenen Anstrengungen, Existenzgründer zu fördern, einstellt; denn das ist ein gesondertes Problem. Aber die Würdigung unserer Politik und unserer Bemühungen ist immerhin der Erwähnung wert.
Ich glaube übrigens auch nicht, daß wir in unserem Land einen Mangel an Beschäftigung haben. Wir haben vielmehr einen Mangel an Nachfrage nach Arbeit zu den Preisen, die reguläre Arbeit in Deutschland kostet.
Deswegen glaube ich nicht, daß Ihre Theorie, die Sie auch heute morgen vertreten haben - Sie haben La-fontaines Ansicht übernommen; das ist bei Scharping neu -, daß man nämlich durch die Stärkung der Massenkaufkraft unsere strukturellen Probleme lösen könne, bei der heutigen Problemlage die richtige Lösung bietet.
Meiner Meinung nach ist die Arbeit in Deutschland zu teuer. Wenn Arbeit noch teurer wird - und Stärkung der Massenkaufkraft heißt in Wahrheit Arbeit teurer machen -, dann werden wir noch weniger Nachfrage nach Arbeit haben. Das Ergebnis wird eine noch höhere Arbeitslosigkeit sein.
- Ich lasse Ihnen das Recht, anderer Ansicht zu sein. Im Gegensatz zu Ihnen schreie ich auch nicht jedesmal dazwischen, wenn Sie andere Meinungen vertreten. Ich nenne Ihre Meinung und begründe, warum ich anderer Ansicht bin. So wünsche ich mir die parlamentarische Auseinandersetzung.
In den Wettbewerb, wer am lautesten schreien kann, möchte ich ungern eintreten.
Ich bleibe dabei: Meine Überzeugung ist - dafür argumentiere ich; daran werden Sie mich nicht hindern -, daß wir bessere Chancen haben, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen - in diesem Ziel sind wir uns doch einig -, wenn wir versuchen, die Arbeit nicht weiter zu verteuern, wenn wir versuchen, flexibler zu werden, auch Angebote zu schaffen, die dafür sorgen, daß sich die Nachfrage nach Beschäftigung tatsächlich ausweiten kann. Dort setzen wir an.