Rede von
Dr.
Peter
Ramsauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, am Ende dieser Debatte ist, abgesehen von irgendwelchen Unverbesserlichen, allen klar geworden, daß der Sozialstaat so, wie wir ihn bisher in Deutschland praktiziert haben, realistischerweise nicht weiter finanzierbar ist.
Deswegen woben wir mit diesem Reformprogramm alles daransetzen, damit die Belastungen auf allen Seiten wieder in Einklang mit dem gebracht werden, was auf der anderen Seite ausgegeben wird.
Ich fasse die Ziele noch einmal zusammen: Rückführung der Belastung durch Abgaben sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber, Abbau von Einstellungshemmnissen und Bekämpfung von Mißbrauch.
Jetzt ein Wort an Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Auch die heutige Debatte hat gezeigt: Eines Ihrer großen Probleme besteht darin -
Dr. Peter Ramsauer
sehen Sie sich die Meinungsumfragen an -, daß die Menschen Ihnen nicht mehr zutrauen, mit den Problemen der Zukunft in diesem Land fertigzuwerden.
In großen Scharen laufen Ihnen die Arbeitnehmer davon, den Gewerkschaften natürlich auch. Die Arbeitnehmer trauen Ihnen nicht mehr zu, zukunftsfähige Lösungen für unser Land zu finden.
Sie fühlen sich von der SPD und auch von den Gewerkschaften immer weniger vertreten.
Ein Beitrag, den Sie selbst liefern, ist das ständige Hü und Hott in Ihrer eigenen Partei. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das, was sich in Hamburg in den letzten Tagen an Streit im Hinblick auf die Praxis bei der Sozialhilfe abgespielt hat, ist für die ganze SPD symptomatisch: Der eine sagt dies, der andere das. Ausgerechnet Sie wollen dieser Koalition sagen, welches der richtige Weg in der Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ist! Wo denken Sie hin? Sie leiden ja an totaler politischer Selbstüberschätzung; Sie sollten die Dinge jetzt wieder ins Lot bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, maßgebend für sozialpolitisches Handeln kann heute nicht mehr allein sein, was aus isolierter, inländischer Sicht wünschenswert wäre. In dieser Debatte ist viel von den globalen Auseinandersetzungen die Rede gewesen, denen wir ausgesetzt sind. Im weltweiten Wettbewerb müssen sich alle bewähren, die am wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Geschehen in diesem Land Anteil nehmen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können sich heute nicht mehr klassenkämpferisch bekriegen; der Klassenkampf ist passe. Sie alle sind Mitglieder einer Schicksalsgemeinschaft, einer Risikogemeinschaft, die sich im weltweiten Wettbewerb bewähren muß.
Es ist keineswegs so, daß sich in diesem globalen Wettbewerb nur große Industrieunternehmen wie Daimler oder Siemens bewähren müßten. Nein, es sind inzwischen unzählige Zehntausende kleiner und mittlerer Unternehmen. Schauen Sie einmal in Ihre eigenen Wahlkreise! Viele kleine und mittelständische Unternehmen sind bereits von diesem globalen Wettbewerb betroffen - als Zulieferer oder als solche, die sich in die Märkte begeben. Von der SPD muß man manchmal glauben, daß sie sich in ihren eigenen Wahlkreisen nicht mehr auskennt.
Meine Damen und Herren, es geht heute also nicht mehr um Klassenkampf. Es stellt sich vielmehr die Frage, welche und wieviel Arbeit wir in Deutschland in fünf oder zehn Jahren haben werden. Die Arbeit wird weltweit neu verteilt. Mit dieser Frage müssen wir uns heute weichenstellend auseinandersetzen. Wenn wir dies nicht tun, kommen wir unserer Aufgabe nicht nach.
Zu den notwendigen Veränderungen in unserem Sozialsystem gibt es keine Alternative. Die Sozialsy-
steme sind anpassungsfähig, ohne daß wir die Grundprinzipien aufgeben müßten. Eines dieser Grundprinzipien ist die Solidarität, nicht aber nur die Solidarität mit den Leistungsbeziehern, sondern auch die Solidarität mit den Leistungserbringern.
Im Ifo-Gutachten vom Frühjahr dieses Jahres ist ausgeführt, daß die durchschnittliche Abgabenbelastung bei Arbeitseinkommen mittlerweile bei 48 Prozent liegt. Ich halte dies auf Dauer für vollkommen unzumutbar. Deswegen müssen wir diese Quote zurückschrauben. Die Solidarität mit den Leistungserbringern ist auch eine Frage der sozialen Symmetrie. Wir dürfen nicht nur auf die Leistungsbezieher schauen, sondern müssen auch diejenigen berücksichtigen, die den Kuchen, der verteilt wird, erwirtschaften.
Meine Damen und Herren von der SPD, offensichtlich würden Sie sich freuen, wenn wir die Hände in den Schoß legten und nichts tun würden. Was würde dann passieren? Wir wissen genau, daß dann der Gesamtsozialversicherungsbeitrag im nächsten Jahr deutlich über 42 Prozent ansteigen würde. Deswegen müssen wir dieses Reformpaket ohne jegliche Abstriche umsetzen. Es ist ohnehin ein knapp geschneiderter, vorweggenommener Kompromiß, der keinerlei Abstriche mehr duldet. Das Ifo-Institut hat errechnet, daß mit jedem Prozentpunkt, den wir beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag wegschmelzen, etwa 100 000 Arbeitsplätze neu geschaffen werden.
Jetzt noch einmal ein Blick darauf, um was es überhaupt in den Globalrechnungen, die auch heute angestellt worden sind, geht. Wir erzielen mit diesem Reformpaket ein Reduktionsvolumen von 21 bis 22 Milliarden DM. Im heurigen Jahr betragen die Ausgaben der Pflegeversicherung insgesamt 31 Milliarden DM. Der Familienleistungsausgleich erfordert durch die Neuregelung noch einmal 7 Milliarden DM. Das sind 38 Milliarden DM, die das Sozialsystem allein durch Pflegeleistungen und Familienleistungsausgleich heuer mehr ausschüttet. Wir kürzen im nächsten Jahr um 21 bis 22 Milliarden DM durch dieses Reformpaket. Es bleibt ein positiver Saldo von 16 bis 18 Milliarden DM. Da reden Sie von sozialem Kahlschlag, meine Damen und Herren von der Opposition!
Weiterhin wird jede dritte Mark in Deutschland für soziale Zwecke ausgegeben. Da reden Sie, Herr Dreßler, von „Kapitalismus pur". Das kann doch nicht sein! Noch nie wurde in Deutschland so viel für soziale Zwecke ausgegeben, wie dies heute der Fall ist. Wir werden im nächsten Jahr etwa 1 200 Milliarden DM soziale Transferzahlungen leisten. Jede dritte Mark wird dafür ausgegeben.
Aber, meine Damen und Herren, es geht nicht nur ums Geld. Viel Geld ist nicht gleichzusetzen mit viel Sozialstaat. Es ist der Schluß gerechtfertigt, daß es am Geld allein nicht liegt. Sozialstaat bedeutet mehr als finanzielle Aufwendungen. Er bedeutet auch menschliche Hinwendung zu denen, die sozialer Hilfe bedürfen. Gerade in dieser Situation müssen wir die Chance zu einer Neuabgrenzung zwischen Eigenverantwortung einerseits und dem, was die Solidargemeinschaft andererseits für die von irgendwelchem Leid Betroffenen zu tragen hat, nutzen.
Dr. Peter Ramsauer
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben ja gestern in Bad Godesberg eine große Wirtschaftstagung abgehalten. Eine der Forderungen, die Sie an sich selbst gestellt haben, war, für die SPD mehr wirtschaftspolitisches Profil zu gewinnen. Mit der Haltung, die Sie in der heutigen Debatte wieder an den Tag gelegt haben, werden Sie diesem selbstgestellten Anspruch überhaupt nicht gerecht. Sie hätten aber reichlich Gelegenheit, diesem Anspruch etwas mehr gerecht zu werden und etwas mehr Profil in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik zu zeigen, indem Sie unseren Weg auf der Basis des Reformpaketes mitgehen.
Sie haben statt dessen mit den anderen in der Opposition die Verweigerung zum politischen Prinzip im Vermittlungsausschuß erhoben. Verweigerung ist ein vollkommen untaugliches politisches Prinzip. Deswegen lehnen wir heute die Empfehlungen des Vermittlungsausschusses ab.