Rede von
Dr.
Günter
Rexrodt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei unserer heutigen Debatte geht es im Kern darum, wie wir die bedrückende Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland senken können. Wir werden daran gemessen, ob wir eine Antwort finden. Im übrigen werden wir alle daran gemessen - nicht nur die Koalition, sondern auch die Opposition. Ich muß zu meinem Bedauern feststellen, daß die SPD-Mehrheit im Vermittlungsausschuß eine
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Antwort oder zumindest eine Teilantwort verweigert hat.
Mir liegt daran, deutlich zu machen: Die Antworten der Bundesregierung auf die Probleme der Arbeitslosigkeit sind in konzentrierter Form in unserem „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" zusammengefaßt. Dabei geht es im Kern um die Kostenentlastung der Unternehmen. Es geht um weniger Staat und mehr Wettbewerb. Es geht um Leistung.
Diese Leistung, Herr Kollege Dreßler, brauchen und wollen wir bei Arbeitnehmern, bei Wissenschaftlern, bei Freiberuflern, im öffentlichen Dienst und auch bei Unternehmern. Es gibt Versagen auch in diesem Bereich. Ich darf aber anmerken, daß das Versagen oder das Gelingen auf unternehmerischer Seite nicht unbedingt von der politischen Einbindung dieser Unternehmer abhängig ist. Das gibt es auf dieser und auf jener Seite.
Meine Damen und Herren, wir wollen die Bedingungen dafür verbessern, daß in Deutschland wieder mehr investiert und geforscht wird.
Wir wollen, daß sich die Menschen selbständig machen.
Dazu gibt es keine Alternative, wenn wir im globalen Wettbewerb bestehen wollen. Mit dieser - ich sage das in aller Deutlichkeit; das gehört in diese Debatte -im Prinzip angebotsorientierten Politik will ich gar nicht in Abrede stellen, daß wir auch auf der Nachfrageseite, wie das von Ihnen immer wieder gefordert wird, etwas machen müssen. Das geschieht aber am besten dadurch, daß wir die Bedingungen für mehr Investitionen und damit für mehr Arbeitsplätze verbessern. Dann wird auch auf der Nachfrageseite das entstehen, was wir alle wünschen.
Die heute anstehenden Themen sind kleine Ausschnitte dessen, was zu tun ist; aber es sind wichtige Ausschnitte. Ich will mich auf wenige Beispiele konzentrieren.
Als erstes Beispiel die Rentenversicherung: Sie alle wissen: Wenn nichts geschieht, müssen wir schon auf Grund der demographischen Entwicklung mit deutlich höheren Beitragssätzen rechnen. Wenn wir nun beispielsweise die Altersgrenze anheben, dann ist das ein erster, unumgänglicher Schritt zur Korrektur. Damit stellen wir das System auf ein stabileres Fundament und leisten einen ersten Beitrag zur Sicherung der Renten. Damit schaffen wir Entlastung bei den Lohnnebenkosten, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen. Bereits an dieser Stelle -ich sage das wieder mit großem Bedauern - paßt die Opposition und verweigert den unumgänglichen Anpassungsschritt.
Das Beispiel Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung: Wenn wir den Schwellenwert von fünf Beschäftigten auf zehn Beschäftigte anheben, erleichtern wir
die Neueinstellung in den Betrieben und erhöhen die Chancen dafür, daß Leute, die keine Arbeit haben, einen Arbeitsplatz finden. Ich kenne Dutzende von Handwerksbetrieben und kleinen Dienstleistern -ich bin überzeugt, auch Sie kennen solche -, die auf Grund ihrer gegenwärtigen Auftragslage gern bereit sind, einen siebenten, achten und neunten Mitarbeiter einzustellen. Sie stellen ihn aber nicht ein, weil sie Angst haben, daß sie - gesetzt den Fall, daß keine Arbeit mehr da ist - diesen Mitarbeiter weiter beschäftigen müssen oder eine Abfindung zahlen müssen, die die Möglichkeiten dieses Betriebes übersteigt. Das zu verhindern ist unser Anliegen; das ist eine Politik für die Arbeitsuchenden, nicht mehr nur eine Politik für diejenigen, die Arbeit haben.
Denken wir an die Lohnfortzahlung: Wenn wir auf eine Fortzahlung von 80 Prozent des Lohnes gehen, dann wirkt das in die gleiche Richtung. Wir entlasten dabei in besonderer Weise die Mittelständler - Mittelständler, die durch die Lohnfortzahlung häufig an die Grenze des Zumutbaren getrieben werden. Die Fortzahlung von nur 80 Prozent ist aus meiner Sicht keine unzumutbare Härte, zumal die Absenkung durch die Inanspruchnahme von Urlaubstagen ausgeglichen werden kann. Ein Blick - der Kollege Blüm hat das schon angedeutet - über den Zaun zeigt, daß die europäischen Nachbarn Regeln eingeführt haben, die über das, was wir machen, deutlich hinausgehen. Einige von ihnen -z. B. Schweden oder die Niederlande - haben dabei aus leidvoller Erfahrung gelernt. Heute sind die Krankenstände in diesen Ländern auf einem Niveau angelangt, das wir als Normalmaß bezeichnen. Das sind nicht mehr die überhöhten Krankenstände, die wir in weiten Bereichen unserer Wirtschaft haben.
Nehmen Sie ein drittes Beispiel - ich weil das nur ganz kurz ansprechen -: die Gesundheitsreform. Wenn wir bei den Krankenhäusern Anreize für mehr Wirtschaftlichkeit schaffen und in der Krankenversicherung den mündigen Patienten fördern, dann sind das wesentliche Beiträge, die hohe Qualität unseres Gesundheitswesens zu sichern. Wie elementar wichtig dies im konkreten Fall sein kann, kann ich - ich darf das einmal als persönliches Wort einfügen - am Beispiel der Intensivmedizin aus meiner eigenen Erfahrung der letzten Wochen sagen. Was da an Kompetenz, an Präsenz und an apparativer Ausstattung vorhanden ist, ist beeindruckend, das macht die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitswesens aus. Das ist ein wichtiger Teil, das Kernstück des deutschen Gesundheitswesens. Das müssen wir erhalten; das müssen wir sichern.
Meine Damen und Herren, ich sage einmal etwas überspitzt: Wenn wir dies im Kern sichern wollen, dann müssen wir bei Aspirin-Tabletten, bei Massagen, bei Bandagen und auch bei Kuren etwas kürzertreten. Wenn wir im Kern leistungsfähig und von aller Welt im Gesundheitswesen bewundert bleiben wollen, dann müssen wir denen, die zu mehr Selbst-
Bundesminister Dr. Gunter Rexrodt
beteiligung und zu mehr Mündigkeit in der Lage sind, diesen persönlichen Beitrag abverlangen.
Die pauschalen Vorwürfe der Opposition greifen hier viel zu kurz.
Lassen Sie mich nur ein Wort zu den Kurorten sagen, weil dieses Thema heute angesprochen worden ist: Wir sehen sehr wohl die Probleme. Wir sehen auch die Probleme, die durch erhöhte Arbeitslosigkeit in strukturschwachen Gebieten entstehen. Dies müssen wir uns noch genau angucken.
Gut wäre es allerdings, wenn Sie bei Ihrer Argumentation den entscheidenden Schritt nicht vergäßen: Sie müssen die Kostenentlastungen beachten. Diese erhöhen unsere Chancen auf zusätzliche Arbeitsplätze, zum Beispiel in modernen Technologien, im Mobilfunk oder bei Chip-Fabriken.
Herr Dreßler, Sie haben vorhin gesagt, es gehe den Koalitionsfraktionen um das Ob, nicht mehr nur um das Wie des Sozialstaates. Ich sage: Das ist richtig, aber in ganz anderem Sinne, als Sie es gemeint haben. Wir müssen den Sozialstaat im Kern sichern. Dazu sind Korrekturen an der richtigen, an der unvermeidbaren Stelle unumgänglich. Wir haben gerungen und glauben, daß wir an der richtigen Stelle ansetzen. Dies ist nicht vermeidbar.
Meine Damen und Herren, ich weiß sehr wohl: Viele Arbeitsuchende setzen all ihre Kraft ein, um auf dem Arbeitsmarkt wieder Tritt zu fassen - viel zu oft ohne Erfolg. Es kann aber auch nicht so sein wie in Oberhausen; ich glaube, der Kollege Blüm hat darauf schon angespielt.
Diese Stadt, in der 15 Prozent arbeitslos sind, hat einen Einkaufspark, der mehrere tausend Arbeitsplätze anbietet, von denen bisher noch nicht einmal die Hälfte besetzt worden ist.
Als Grund wird öffentlich bekanntgegeben, viele Arbeitslose seien - ich zitiere - „finanziell nicht ausreichend motiviert". Solange so etwas in einer solchen Region möglich ist, sollte man mit dem Vorwurf des sozialen Kahlschlags sehr vorsichtig umgehen.
Meine Damen und Herren, die unbequeme Wahrheit ist: In Wirklichkeit ist derjenige unsozial, der vor Entscheidungen zurückweicht, die zunächst unbequem wirken, an denen aber kein Weg vorbeiführt. Wer das tut, gefährdet die Grundvoraussetzung für Wachstum und Beschäftigung und damit die langfristige Sicherung des Standorts Deutschland.
Mit dem Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung haben wir ein geschlossenes, ein in sich schlüssiges, ein ausgewogenes Gesamtkonzept vorgelegt. Mit dem, was wir bislang bei der Umsetzung
erreicht haben, können wir uns sehen lassen. Wir werden darüber in Kürze in der Haushaltsdebatte ausführlich sprechen.
Auch bei den jetzt anstehenden Maßnahmen werden wir uns nicht beirren lassen. Die Kostenkrise am Standort Deutschland, die auch von Ihnen gesehen und beschrieben wird, meine Damen und Herren von der Opposition, bedeutet eine Überforderung der Staats- und Sozialhaushalte. Das sind Fakten, denen wir uns stellen müssen.
Arbeitsplätze entstehen nicht am grünen Tisch. Sie entstehen am Markt durch Leistung und wirtschaftliche Dynamik. Sie entstehen in den Unternehmen, in denen Menschen erfolgreich arbeiten. Manchmal habe ich den Eindruck - das sage ich ohne jede Polemik -, daß die SPD auf halbem Wege zwischen Analyse und Therapie steckengeblieben ist.
Wie anders wäre es zu erklären, daß sich Ihr sogenanntes neues Denken in der Wirtschaftspolitik bei näherem Hinsehen zu einem Teil als Kopie unserer Standortpolitik entpuppt - Sie sprechen, wie auch wir, von Innovation und vom Umbau der Sozialsysteme -, aus der Sie jedoch falsche, zum Teil sogar obskure Konsequenzen ziehen?
- Ich bringe die Beispiele. - Sie wollen immer noch die Zinspolitik der Bundesbank in den Dienst der Konjunktursteuerung stellen. Meine Damen und Herren, die Bundesbank ist kraft Gesetzes verpflichtet, die Bundesregierung prinzipiell in ihrer Wirtschaftspolitik zu unterstützen. Aber ich finde es gut -und die anderen übernehmen das deutsche Modell -, daß sie dabei unabhängig ist und der Geldwertstabilität erste Priorität gegeben hat.
Einige von Ihnen - ich sage das bewußt vorsichtig -wollen über keynesianische Fiskalpolitik die Binnennachfrage stärken. Ich sage dazu nur soviel: Dann können wir uns von der Europäischen Währungsunion gleich verabschieden. Noch gestern hat Herr Lafontaine Thesen zum Standortwettbewerb vorgetragen und dabei eine Wende in der Wirtschaftspolitik gefordert.
Dazu kann ich nur sagen: Mit der von Ihnen vorgeschlagenen internationalen Angleichung von Sozial- und Umweltstandards verfolgen Sie einen hehren Anspruch. Aber solche Staatskartelle, wie Sie sie wünschen, würden unsere Probleme nur verschärfen. Glaubt denn ernsthaft jemand von Ihnen, daß irgendein Entwicklungsland oder auch nur ein Schwellenland bereit wäre, auf seine Kostenvorteile zu verzichten, damit die Industrieländer ein hohes Beschäftigungsniveau halten können? Das ist doch eine absurde Annahme.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Internationale Abstimmung soll und muß sein, gerade wenn es um Umweltfragen oder den Abbau von Handelshemmnissen geht. Wer aber glaubt, ein neues Weltmodell entwickeln zu können, mit dem die Gefahren der Globalisierung für uns, die Industrieländer, abgewendet werden können, der entwikkelt aus meiner Sicht schon wieder Wunschbilder, die an der Realität der Menschen und der Realität der internationalen Staatengemeinschaft vorbeigehen.
Das funktioniert nicht, auch wenn es ein hehres Ziel ist. Die Märkte sind dynamischer, ob man das nun will oder nicht, und da müssen wir uns als Anbieter behaupten und als Standort für Investoren interessant bleiben. Deshalb unsere Politik zur Verbesserung der Standortqualität; deshalb unsere angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Dabei verstehen wir Globalisierung eben nicht nur als eine Bedrohung, sondern auch als eine Chance.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, den Menschen in unserem Land ist klar, daß zu den Maßnahmen, über die wir hier diskutieren, eine verantwortungsvolle Alternative nicht vorhanden ist. Dies ist der einzig gangbare Weg, damit sich die Leistungspotentiale unserer Volkswirtschaft entfalten können. Es ist der einzig gangbare Weg für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in unserem Land. Die Bundesregierung wird diesen Weg unbeirrt gehen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.