Rede von
Andrea
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Gerhardt hat es vor einigen Tagen ganz ohne Scheu auf den Punkt gebracht: Die Koalition braucht das Sparpaket in seiner unveränderten Form aus symbolischen Gründen; denn eine Regierung müsse schließlich zeigen, daß sie regieren kann.
Auch der Kollege Blüm hat es eben auf den Punkt gebracht: Heute sei hier keine Debatte in der Sache
Andrea Fischer
angesagt; vielmehr könne die Regierung jetzt demonstrieren, daß sie Mut zur Entscheidung habe.
Für mich ist das eine traurige Demonstration des Zustands dieser Regierung: Sie muß Stärke beweisen im Verfahren, wo ihr Stärke in der Politik fehlt.
Da verkommt dann die verfassungsrechtlich institutionalisierte Auseinandersetzung mit den Bundesländern zu einem Pokerspiel, wo es eigentlich nur noch darum geht, wie man schnell diese lästigen Hürden nehmen kann. Das Hauptziel ist nicht der richtige Weg, sondern nur, die eigene Unbeirrbarkeit unter Beweis zu stellen.
Deswegen hat die Bundesregierung in den letzten Monaten die Ohren verschlossen vor jedem Protest, vor allen Einwänden und auch vor den Ängsten, die dieses Sparpaket bei vielen Menschen auslöst. Sie wollen unbeeindruckt sein von der Angst der Frauen, was das für ihre Lebensplanung bedeutet und welche Auswirkungen das auf ihre Rentenversicherung hat. Sie wollen unbeeindruckt sein von den verheerenden arbeitsmarktpolitischen Folgen der ABM-Kürzungen in Ost-Deutschland. Sie wollen unbeeindruckt sein von der Verunsicherung der Arbeitnehmer durch die Kürzung der Lohnfortzahlung und die Änderungen beim Kündigungsschutz. Und sie wollen natürlich unbeeindruckt sein von jedem fachlichen Hinweis, daß die Krise so nicht zu bewältigen ist.
Da igelt sich eine Regierung ein. Erst hat sie lange tatenlos zugesehen, schließlich ist sie selbst schuld am Stand der Dinge, und dann werden mit den eigenen Versäumnissen die Sparmaßnahmen gerechtfertigt.
Haben Ihnen eigentlich nicht die Ohren gebrannt von der Ohrfeige, die Ihnen der Sozialbeirat, den Sie selber eingesetzt haben, sowie die Rentenversicherungsträger in der Sommerpause gegeben haben? Die haben Ihnen doch ins Stammbuch geschrieben, daß die Finanzkrise der Rentenversicherung genauso weitergehen wird, wenn Sie die Rentenbeiträge wieder einmal nicht in einer realistischen Höhe festsetzen. Aber die Bundesregierung orientiert sich an der magischen Grenze von 20 Prozent Beiträgen. Magie! Womit haben wir eigentlich eine Bundesregierung verdient, die auf Zauber und Magie setzen muß?
Wenn Sie den Fehler der beiden letzten Jahre noch einmal wiederholen und die Beitragssätze zu niedrig ansetzen, dann werden wir bald wieder ein Paket auf dem Tisch haben, an dem wir dann bei den Rentenansprüchen wahllos herumkürzen müssen, um irgendein Finanzloch in der Rentenversicherung kurzfristig zu verhindern oder zu schließen. Das heißt: der selbstverschuldete Fehler wird zur Begründung für die kopflosen Maßnahmen in der Renten-
versicherung, und das ist beispielhaft für die mangelnde politische Kraft der Bundesregierung:
Erst gucken Sie lange zu, dann schreiben Sie der Krise katastrophenhafte, geradezu naturwüchsige Dimensionen zu, und schließlich sind Sie selbst die Getriebenen, die gar nicht anders können, als so und nicht anders auf die Krise zu reagieren.
Aus dieser Sicht der Dinge erscheint dann jeder, der von Alternativen spricht, als einer, der das Ausmaß der Krise nicht verstanden habe. Ich behaupte: Sie haben das Ausmaß der Krise nicht verstanden.
Sie wollen uns mit diesem Sparpaket und auch mit weiteren Maßnahmen, die auf uns zukommen werden, durch ein Tal der Tränen führen. Sie geben uns das leichtfertige Versprechen, an dessen Ende würden Wohlstand, Wachstum und Vollbeschäftigung locken. Nur, den Weg durch dieses Tal gehen Sie seit Jahren. Das Ergebnis ist bekannt.
In der Zeit dieser Bundesregierung wurden die Unternehmen in einem nie gekannten Ausmaß steuerlich entlastet. Was ist passiert? Die Unternehmen haben von dieser Entlastung Rationalisierungs- und nicht Erweiterungsinvestitionen getätigt. Woher nehmen Sie die Annahme, das alles könne sich ändern und unglaublich viele neue Arbeitsplätze würden geschaffen, wenn Sie ein weiteres Mal entlasten?
Wir sind konfrontiert mit tiefgreifenden Umbrüchen in der Produktion, im internationalen Handel und deswegen auch im Erwerbsleben. Da ist eine Rückkehr zu den Leitbildern und Zuständen der 70er und 80er Jahre nicht möglich. Aber das ist es, was Sie mit diesem Sparpaket anstreben.
Das Heilsversprechen der Angebotspolitiker in der Bundesregierung, allerdings auch das Heilsversprechen der klassischen keynesianischen Nachfragepolitiker ist, das hohe Wirtschaftswachstum werde es schon richten. Nun wird uns Grünen ja gerne eine tiefe Feindschaft gegenüber dem Wirtschaftswachstum nachgesagt. Aber erstens waren wir in den vergangenen Jahren bekanntermaßen an der Bundesregierung nicht beteiligt. Zweitens ist mir aus der ökonomischen Theorie nicht bekannt, daß das Wachstum allein deswegen vor sich hinkümmert, weil ihm übel nachgeredet wird. Also, an uns kann es nicht hegen, wenn wir seit vielen Jahren damit konfrontiert sind, daß die Wachstumsraten ständig fallen. Darauf muß sich die Politik einrichten. Das ist das Neue, und da sind uns alte Wege verbaut. Einer dieser alten Wege ist die Angebotspolitik, die Sie mit diesem Sparpaket machen wollen.
Am eigenen Leib spüren die Menschen zur Zeit besonders, was sich alles - gerade auch im Erwerbsleben - verändert. Gerade weil sie spüren, daß sich etwas ändert und dementsprechend nicht alles so bleiben kann, wie es ist, zeigt sich immer wieder, daß
Andrea Fischer
sie bereit sind, ihren Teil zu diesen Reformen beizutragen, wenn es denn für eine Gesellschaft ist, die sich auf diese Veränderungen wirklich einläßt. Aber Sie haben diese Bereitschaft nicht genutzt, sondern die Menschen verprellt, weil Sie nur noch Getriebene, aber nicht mehr Handelnde sind.
Ich möchte gerne eine persönliche Anmerkung machen: Ich habe erst in den 80er Jahren mit Sozialpolitik begonnen. Das heißt: Zeiten, in denen es scheinbar unbegrenzten finanziellen Spielraum für soziale Sicherung gab, waren schon damals für mich nur eine Kunde aus einer fernen Zeit. Aber selbstverständlich war ich beeindruckt von der Tradition des bundesdeutschen Sozialstaates, die nicht zuletzt -um nicht zu sagen: sehr entscheidend - geprägt wurde von christdemokratischen und christlichen Politikern. Zu ihnen gehörten der verstorbene Hans Katzer genauso wie Nell-Breuning, Wilfried Schreiber und andere.
Heute erlebe ich Sozialpolitik nicht mehr als Willen zur Gestaltung einer sich verändernden Gesellschaft. Es gibt keine Auseinandersetzung um zukunftsweisende Lösungen. Es gibt auch kein Ringen um Gerechtigkeit. Heute ist die Sozialpolitik vielmehr degeneriert zu dem Versuch, eine möglichst plausibel klingende Begründung für das jeweilige Kürzungsvorhaben zu finden.
Zugespitzt wird das Ganze durch die Strategie: Man suche sich Gruppen aus, die möglichst leicht zu treffen sind, weil sie entweder keine Lobby haben, weil sich gegen sie die Mißbrauchsvorurteile besonders gut mobilisieren lassen oder weil sie auf Grund ihres jugendlichen Alters noch zu weit davon entfernt sind, die Kürzungen am eigenen Leibe zu spüren, und deswegen gar nicht wissen, wogegen sie protestieren müßten.
Dieser Mangel an Mut und Gestaltungswillen ist
es doch, der die Menschen so verdrossen und auch zornig macht auf das Sparprogramm der Bundesregierung. Man muß doch erkennen können, wofür man die Opfer bringt. Sie ignorieren - wenn Sie jetzt wieder an die Opferbereitschaft appellieren - völlig die Erfahrung, die ganz viele Menschen in den vergangenen Jahren gemacht haben: Reallohnverluste, eine steigende Abgabenlast und auch viele Kürzungen.
Das alles, was wir hier bereden, ist nicht neu; es ist nur ein weiterer Schritt. Aber die Menschen empfinden das so, als seien sie jedesmal wieder um die Früchte ihrer eigenen Opferbereitschaft gebracht worden, weil sich die Dinge nicht zum Positiven entwickelt haben. Sie denunzieren als Beharrungsvermögen und Besitzstandswahrerei das, was doch eigentlich einer konkreten persönlichen Erfahrung entspricht und was nur Mißtrauen gegen zu große und leichtfertige Versprechungen ist, die Sie hier machen. Die Bundesregierung macht sich doch selbst unglaubwürdig.
Schauen wir uns das sächsische Spektakel um die Subventionen an! Sie reden immer vom umfassenden Sparzwang.
Dann kommt ein großer Konzern, und sofort geben Sie der Erpressung nach. Gestern noch haben Sie über die „Subventionitis" in der Europäischen Union geklagt, europäische Kartellämter gefordert und über die hohen finanziellen Verpflichtungen Deutschlands in der Europäischen Union geklagt. Dann drehen Sie sich um und sagen heute: Was schert uns unser ordnungspolitisches Geschwätz von gestern! Wir fordern Sonderbehandlung, die wir natürlich bei jedem anderen Land als eine Wettbewerbsverzerrung anprangern würden.
Damit hat - nur nebenbei - der Musterschüler der europäischen Integration nicht nur reichlich internationales Porzellan zerschlagen, sondern mit der Botschaft nach innen - dieser Inkonsequenz, diesem Opportunismus, der Ergebenheit gegenüber den Mächtigen, gepaart mit Gleichgültigkeit gegenüber den Schwachen - zerstören Sie auch die Bereitschaft zum Mitmachen bei großen Veränderungen.
Das sächsische Spektakel ist noch in anderer Hinsicht für die Politik der Bundesregierung mit ihrem Verharren in alten Denkmustern und überholten politischen Prioritäten beispielhaft. Können Sie uns wirklich einen guten Grund nennen, die Autoindustrie weiterhin mit Subventionen zu fördern? Sie machen in Sachsen eine Insel, ein Werk mit einem hohen Rationalisierungspotential und mit einem auslaufenden Produkt. Soll das wirklich der Ausgangspunkt für eine sich selbst tragende zukunftsfähige Wirtschaftsentwicklung in Sachsen sein? Wenn Sie die Subventionen in die Förderung von neuen Technologien sowie in die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen umlenken würden, dann bekämen Sie mehr Arbeitsplätze für weniger Geld.
Aber die Bundesregierung geht immer nach dem gleichen Muster vor: Jetzt ist Krise, jetzt bloß keine Experimente!
Mit diesem Argument verwehren Sie auch die Debatte um die Ökosteuer. Aber haben Sie wirklich Besseres zu bieten? Die Menschen, die seit langem einen völlig berechtigten Unmut über die Kompliziertheit und die Ungerechtigkeiten des Steuersystems haben, behelligen Sie in der Sommerpause mit einer wirklich schlechten Debatte über die Steuerpolitik. Nur, Sie können diesen Unmut nicht mobilisieren, als hätten Sie damit nichts zu tun. Sie sind schließlich seit Jahren an der Regierung
und können nicht plötzlich die eigene Opposition geben.
Andrea Fischer
Für die F.D.P. ist die Steuersenkung inzwischen ein heiliger Gral. Da wird dann einfach nonchalant verschwiegen, daß es, wenn man die Steuersätze rabiat senkt, dramatische Steuerausfälle geben wird. Auch bei der CDU/CSU mehren sich die Stimmen, daß die Steuerreform nach dem Motto laufen wird: Niemandem wird es schlechtergehen, aber allen wird es bessergehen.
So darf man uns nicht hinters Licht führen. Wir wissen doch ganz genau: Die erste Voraussetzung für eine richtige, wegweisende Steuerreform wäre eine Neudefinition der Bemessungsgrundlage, also dessen, was zu besteuern ist. Wenn man sich daranmacht, dann wird man damit konfrontiert werden, daß das deutsche Einkommensteuerrecht auch Ausdruck einer Geschichte des deutschen Lobbyismus ist. Die Äußerungen aus der Koalition in der Sommerpause machen mich wenig optimistisch, daß wirklich genug Mut und Rückgrat vorhanden sind, sich mit diesem Lobbyismus anzulegen. Aber billiger ist es nicht zu haben. Denn es wird welche geben müssen, die zahlen, nämlich diejenigen, die heute, weil sie hohe Einkommen haben, überproportional von diesem Steuerrecht profitieren.
Aber richtig Energie steckt die Bundesregierung immer dann in die Debatte, wenn es um ein Nein zur Ökosteuer geht. Das kann nur ideologische Gründe haben; denn steuersystematisch ist eine Ökosteuer eine Steuer auf den Verbrauch, genauso wie die Mehrwertsteuer. Diese scheinen Sie locker erhöhen zu können, auch wenn die Zwecke dieser Erhöhung unklar sind und die Verwendungszwecke, die Sie für diese zusätzlichen Einnahmen vorschlagen, von Tag zu Tag wechseln. Der Witz bei der Ökosteuer ist aber, daß damit nicht jeder Verbrauch gleich erfaßt wird, sondern durch den hohen Preis für umweltschädliche Produktionen und Konsumtion ein Lenkungseffekt eintritt. Deswegen ist dies das zukunftsweisende Projekt, anstatt nur mit einer Mehrwertsteuererhöhung den Leuten mehr Geld aus der Tasche zu holen.
Ich will noch ein Argument für die Ökosteuer anfügen: Gerade weil unser Erwerbssystem im Umbruch ist, müssen wir natürlich auch die Finanzierungsgrundlagen des Sozialstaats überdenken. Zur Zeit ist die Finanzierung überwiegend an den einzelnen Arbeitsplatz bzw. das Arbeitseinkommen gekoppelt. Seit Jahren haben wir erfahren: Bei millionenfacher Erwerbslosigkeit und auch bei veränderten Mustern von Erwerbstätigkeit - Arbeitszeitverkürzungen und -flexibilisierung - stößt diese Finanzierungsbasis an ihre Grenzen. Deswegen werden wir in Zukunft einen größeren Teil der Sozialausgaben über Steuern bereitstellen müssen. Da weist die Ökosteuer in die richtige Richtung.
Die Bundesregierung weigert sich, hinsichtlich dieses Sparpakets ihre eigenen Fehler zuzugeben und daraus Konsequenzen zu ziehen - wie man an den Kürzungen der ABM-Stellen in Ostdeutschland sieht. Es ist bekannt, welche dramatischen arbeitsmarkt-
politischen Folgen dieses Vorgehen in Ostdeutschland haben wird.
Ich will noch auf eines hinweisen, was bislang meist übersehen wurde: Ein Gutteil der sozialen Infrastruktur in Ostdeutschland muß heute gezwungenermaßen über ABM und Arbeitsförderungsgelder finanziert werden. Das ist Ausdruck einer Finanzschwäche der Kommunen - daran ist die Bundesregierung bekanntermaßen auch nicht unschuldig -; und es ist Ausdruck einer mangelnden Bereitschaft, über einen sozialen Sektor, seine Regeln und seine Finanzierung nachzudenken und sich dazu zu bekennen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat, wie ich finde, einen sehr vernünftigen Vorschlag gemacht: Die Gelder des Solidaritätszuschlags - der selbstverständlich nicht abgeschafft gehört - sollten in einen Fonds umgeleitet werden, um daraus reguläre Beschäftigung in der sozialen Infrastruktur in Ostdeutschland zu finanzieren. Allein die sich daraus ergebenden Sozialversicherungsabgaben würden bis zu einem gewissen Grade zur Refinanzierung dessen beitragen.
Dies wäre eine konstruktive Lösung für das ordnungspolitische Dilemma, daß die Arbeitsförderungsgelder als Regelfinanzierung für soziale Infrastruktur und zur Verhinderung der arbeitsmarktpolitischen Folgen, der Kürzungen, wie Sie sie anstreben, eigentlich systematisch falsch sind. Ich bin, ehrlich gesagt, wenig optimistisch, daß sich die Koalition an diesem Punkt besinnen wird. Gleichwohl fordere ich sie dazu auf.
Nicht nur in der Umwelt, auch im sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gibt es Ressourcen, die nicht unerschöpflich sind. Die Bundesregierung betreibt aber Raubbau an diesen Ressourcen. Sie zerstört die sozialen Netze; sie zerstört auch die Veränderungsbereitschaft.
Dieses Paket, das wir heute zurückweisen - hoffentlich -, ist mit seiner Art, Sozialabbau zu organisieren, die Menschen zu demoralisieren, zu verunsichern und zu verängstigen, ein sicherer Schritt zurück und garantiert keinen Weg in die Zukunft. Deswegen lehnen wir es ab.