Ich weiß genau, was der Dreßler gleich sagen wird. - Ich habe kein Argument von ihm gegen das, was ich hier sage, gehört, nicht ein einziges Argument!
Frage zwei: Wird eine weitere Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge vermieden? Eine Antwort darauf müßte zugleich Aufschluß darüber geben, ob die Rentenkassen endlich von jenen 30 Milliarden entlastet werden, die nicht durch Beiträge gedeckt sind, also gar nicht dorthin gehören. Nichts stand davon im Kürzungspaket, statt dessen nur Herumgefummele.
Es werden Tausende Wohnungen der Rentenversicherung mit der Folge verscherbelt, daß Sozialmieter auf dem teuren freien Wohnungsmarkt landen. Es gibt massive Kürzungen im Bereich der Rehabilitation mit der sicheren Folge einer höheren Invaliditätsrate, also höhere Ausgaben für Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten.
Das Fazit: Eine Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge wird nicht vermieden. Eine Erhöhung auf 20 Prozent oder mehr wird unausweichlich. Allerdings wage ich die Prophezeiung, daß der ständig schönredende Bundesarbeitsminister für den 1. Januar 1997 bei exakt 19,9 Prozent, vielleicht auch 19,99 Prozent landen wird. Jeder weiß: Das ist ein
Rudolf Dreßler
politischer, nicht aber ein notwendiger Beitragssatz. Senkung der Lohnnebenkosten? - Auch hier Pustekuchen.
Er hat auch hier gewußt, was ich sagen werde. Aber es gab in diesem Punkt kein einziges Argument der Entlastung durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Frage drei: Was ist mit den Krankenversicherungsbeiträgen? Nachdem der Bundesgesundheitsminister den Ärzten und der Pharmaindustrie in den letzten Monaten insgesamt mehrere Milliarden Mark hinterhergeworfen hat, nachdem die Krankenversicherung im letzten und im laufenden Jahr ein Milliardendefizit angesammelt hat, greift er zu einem Trick.
Er will die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge per Gesetz festschreiben und am 1. Januar 1997 ebenfalls per Gesetz um 0,4 Prozent senken. Das hat zur Folge, daß die Beiträge am 2. Januar durch die Selbstverwaltung erhöht werden können, um das Defizit auszugleichen. Das erfolgt dann allerdings nicht per Gesetz, sondern per Selbstverwaltungsbeschluß der Krankenkassen. Ein solches Verfahren ist das Gegenteil von dem, was man Wahrnehmung der politischen Aufgaben einer Regierung nennen könnte.
Das wird die Bilanz des Kürzungspakets in Sachen Verbesserung des Standortes Deutschland durch Vermeidung höherer oder Senkung bestehender Lohnnebenkosten sein: höhere Krankenversicherungsbeiträge, höhere Rentenversicherungsbeiträge, mehr Arbeitslose und demzufolge höhere Arbeitslosenversicherungsbeiträge.
Als ich diese Sachlage vorgestern abend auf einer Veranstaltung in Oberhausen-Sterkrade erläuterte, unterbrach mich ein Stahlarbeiter, offenkundig ein Fußballfachmann, mit der Bemerkung: Bei euch in Bonn jeht et ja beim Geld schlimmer zu wie früher bei dem Günter Siebert auf Schalke. - Sie werden verstehen, daß ich Herrn Siebert anschließend gegen diesen ehrenrührigen Vergleich in Schutz genommen habe.
Sie werden verstehen, daß ich auch das „euch" zurückgewiesen habe, weil - damit das klar ist - wir Sozialdemokraten diesen Unfug auch weiterhin nicht mitmachen werden. Wir begrüßen das Ergebnis des Vermittlungsausschusses, diese Gesetze aufzuheben, ausdrücklich.
Die Ziele, die die Regierung mit ihrem Kürzungspaket zu erreichen vorgibt, lauten: Massenarbeitslosigkeit bekämpfen, öffentliche Haushalte konsolidieren und den Standort Deutschland stärken. Nicht nur ich frage mich: Wie kann man Massenarbeitslosig-
keit durch die Fortsetzung einer Politik bekämpfen, die deren Entstehen entscheidend begünstigt hat?
Nicht nur ich frage mich: Wie kann man Haushalte durch eine Politik konsolidieren, die sie erst in Unordnung gebracht hat? Wie kann man den Standort Deutschland durch eine Intensivierung der Politik stärken, die ihn erst in Gefahr zu bringen droht?
Wer diese Ziele wirklich erreichen will, muß bezogen auf die Politik der Regierung umdenken und umkehren, er darf nicht weitermachen wie bisher. Für alle erkennbar ist die Bundesregierung zur Umkehr nicht bereit, die Kürzungsgesetze beweisen das. Die Forderungen an CDU/CSU und F.D.P., ihren Kurs zu korrigieren und umzukehren, kann man auch ganz plastisch ausdrücken. Wir Sozialdemokraten verlangen von dieser Koalition: Kehren Sie zu den Grundlinien der Sozialen Marktwirtschaft zurück!
Kehren Sie zurück zu einer marktwirtschaftlichen Politik, bei der Parlament und Regierung ihrer Verpflichtung gerecht werden und dem Marktgeschehen sittliche! humane und soziale Normen beigeben!
Ich sage Ihnen: Wer als Politiker den Markt sich selbst überläßt, wer gar der Gesellschaft zumuten will, sich unbesehen - und das heißt wertneutral -dessen Gesetzmäßigkeiten zu unterwerfen, handelt pflichtvergessen. Der Markt ist der Ort zur optimalen Organisation und Befriedigung der ökonomischen Bedürfnisse einer Gesellschaft. Aber er ist kein Prinzip für die Ordnung der Gesellschaft.
Diese Überzeugung war ehedem eine Gemeinsamkeit zwischen allen politischen Gruppierungen des Hauses. Die Gemeinsamkeit jedoch droht zu zerbrechen oder ist vielleicht schon zerbrochen. Ich denke, wir müssen zu dieser Gemeinsamkeit zurückkehren, wollen wir den Zusammenhalt und die Chance auf eine erfolgreiche Fortentwicklung unserer Gesellschaft nicht aufs Spiel setzen. Mit dem vorliegenden Kürzungspaket ist diese Rückkehr nicht möglich. Im Gegenteil: Dieses Gesetzessammelsurium führt weg von dem, was gesellschaftspolitisch notwendig ist.
In weiten Kreisen der Unternehmerschaft hat sich offenbar der Eindruck festgesetzt, Politik und Parlament hätten gegenüber der Wirtschaft gefälligst die Rolle eines zur Verfügung stehenden Dienstleisters zu übernehmen. Zu diesem irrigen Eindruck kann eigentlich nur der gelangen, der annimmt, alle Mitglieder des Deutschen Bundestages seien so, wie die
Rudolf Dreßler
Kolleginnen und Kollegen der F.D.P. neuerdings sind. Aber das ist nicht so.
Das Parlament ist trotz reichlich forscher Worte des BDI-Präsidenten zu diesem Thema kein Dienstleister für Dritte.
Hier im Hause fallen die Entscheidungen über die Grundlinien deutscher Politik eigenständig, unabhängig und mit ausschließlicher Legitimation. Alles andere ist als anmaßendes Geschwätz zurückzuweisen.
Welch perverse Bewußtseinslage sich mittlerweile eingestellt hat, zeigt doch, daß in Unternehmensund Börsenkreisen vor allem jene Manager als besonders erfolgreich gefeiert werden, die Tausende von Arbeitsplätzen abbauen und den Beschäftigten den Stuhl vor die Tür setzen. Nicht der, der Arbeitsplätze schafft, nein, der, der sie abbaut, gilt als erfolgreich. Sollen das die neuen Maßstäbe für unsere Gesellschaft sein? Für Sozialdemokraten jedenfalls wäre dies nicht nur inhuman; es wäre letztlich ein Schritt in eine entmenschlichte Gesellschaft.
Nicht jeder Unternehmer kann das gesellschaftspolitische Kaliber eines Walther Rathenau haben. Aber wenn nicht derjenige gewürdigt wird, der Arbeitsplätze schafft, sondern der, der rauswirft, dann stellt sich doch die Frage, ob die Manager sich bei der Wahrnehmung ihrer unternehmerischen Aufgabe noch eine gesellschaftlichspolitische Funktion zumessen oder ob sie für sich den „Shareholder value", wie es neudeutsch heißt, also die Mehrung des Wertes von Aktien und Geschäftsanteilen, heute schon als alles definieren. Dann nämlich wären wir wirklich bei einer Zustandsbeschreibung der Gesellschaft, die Karl Marx schon vor über hundert Jahren vorgenommen hat und die wir bisher gemeinsam mit voller Überzeugung zurückgewiesen haben.
Diesem Geist, der in manchen Unternehmensetagen herrscht, dem Volk, Gesellschaft und Nation fast nichts und dem das eigene Unternehmen fast alles bedeutet, hat diese Regierung sich nicht nur widerstandslos gebeugt; sie hat ihn durch ihre Politik gefördert, ja, erst hoffähig gemacht.
Wenn an dieser Stelle von Vertretern der Koalition entgegengehalten wird, so sei das Kürzungspaket nicht gemeint, und so Weitgehendes stehe auch gar nicht darin, dann halte ich dem drei Dinge entgegen:
Erstens: Die politischen Absichten dieser Koalition zeigen, unbeschadet mancher Einzelregelung, genau in diese von mir aufgezeigte Richtung.
Zweitens: Es gibt ausreichend Vertreter der Koalition, vor allem bei der F.D.P., die ausdrücklich einräumen, daß das gewollt ist.
Vor allem aber drittens: Es bleibt doch nicht bei diesem Kürzungspaket; in Wahrheit soll es weitergehen. Habe ich eigentlich nur geträumt, daß der F.D.P.-Vorsitzende Gerhardt Arm in Arm mit Herrn Stihl die Streichung des § 77 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes gefordert hat?
- Bevor Sie aus den Koalitionsreihen mich weiter so verständnislos angucken, will ich Sie darüber aufklären, was dort steht:
Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.
Die Herren Gerhardt und Stihl wollen also in Wahrheit Tarifverträge abschaffen, wenn sie diese Bestimmung streichen wollen. Dann nämlich gäbe es nur noch Betriebsvereinbarungen, und es gäbe Gewerkschaften, die nur noch so heißen, die nichts mehr gestalten oder bewegen können, die, statt mitzuverantworten, zu einer Versammlung räsonierender Maulhelden verkommen würden.
Ich weiß ja, daß es auf Seiten der Koalition in ausreichender Zahl Mitglieder in diesem Hause gibt, denen nichts lieber wäre als das. Sie wollen englische oder amerikanische Verhältnisse in den Sozialbeziehungen. Da mögen CDU/CSU und vor allem F.D.P. im Hinblick auf das Kürzungspaket mit noch so treuem Augenaufschlag beteuern, das sei alles nicht so gemeint, wie die SPD behauptet; angesichts solchen Geredes über weitergehende Maßnahmen wie zum Beispiel das der Herren Gerhardt und Stihl - jeder weiß, sie sind nicht die einzigen - halte ich Ihnen entgegen: Wir glauben Ihnen nicht.
Sie führen etwas im Schilde. Sie wollen diese Republik von den Füßen auf den Kopf stellen.
Was das konkrete Vorhaben zur Abschaffung des § 77 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes angeht, will ich mit meiner Wertung nicht hinter dem Berg halten: Sollte dies mehr sein, Herr Gerhardt, als ebenso schwach- wie leichtsinniges Gefasel, sollten CDU/CSU und F.D.P. je versuchen, das wahrzumachen, so kündige ich Ihnen an, daß die deutsche Sozialdemokratie dieses Land durcheinanderwirbeln wird, daß Sie es nicht wiedererkennen werden.