Rede von
Rudolf
Dreßler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Erfahrungen der letzten Jahre in diesem Hause mit Kooperationspolitik, die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gerade über den Tag hinaus eingefordert hat, fällt mir die Fabel vom Huhn und vom Schwein ein.
Die geht so: Eines Tages trifft das Huhn das Schwein und schlägt ihm vor, man möge sich zwecks Gründung einer Kooperationsgemeinschaft zusammentun, um gemeinsam Ei auf Schinken anbieten zu können. Das leuchtet dem Schwein ein, es unterschreibt einen Vertrag, und das Huhn legt ein Ei und
Rudolf Dreßler
bestellt den Metzger. Als der Metzger erscheint, guckt das Schwein ziemlich verdutzt und sagt zum Huhn: „Aber mein liebes Huhn, bei dieser Art von Kooperation gehe ich ja drauf." „Tja", sagt das Huhn, „mein liebes Schwein, beim Kooperieren geht immer einer drauf."
Herr Blüm, wir haben 1989 bei der Rentenreform kooperiert, einer wegweisenden Gesetzgebung, die Sie mit diesem hier zur Verabschiedung stehenden Gesetzgebungsverfahren auflösen und zerschlagen, und dies ohne Rücksprache.
Sie verabschieden sich aus dieser Kooperation und rufen neuerlich zu Kooperationen auf, um diese dann wieder mit Ihrer eigenen Mehrheit zu korrigieren. Solche Kooperationen, Herr Blüm, nach der Melodie „Huhn und Schwein" lehnen wir ab.
Das müssen Sie wissen. Sie sind, bezogen auf diese Kooperationspolitik, nachweisbar nicht mehr tariffähig.
Wenn wir heute über die Ergebnisse des Vermittlungsverfahrens zu den Kürzungsgesetzen der Regierung beraten, so hat sich an deren Bewertung in der Tat durch die SPD gegenüber der zweiten und dritten Lesung am 28. Juni nichts geändert. Sie sind wirtschaftspolitisch falsch, finanzpolitisch unsolide, verteilungspolitisch einseitig und sozialpolitisch ungerecht.
Kurz gesagt: Sie schaden dem Standort Deutschland und beschädigen die Symmetrie und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Das ablehnende Ergebnis des Vermittlungsverfahrens liegt in der Logik dieser Bewertung. Das mag die Koalition ärgern, ändert aber nichts an den Sachverhalten. Vor allen Dingen aber berechtigt dies nicht zu verbalen Rundumschlägen. In diesem Zusammenhang von einer Blokkadepolitik der SPD zu sprechen kommt einer groben Irreführung der Öffentlichkeit gleich.
In Wahrheit dienen solche markigen Worte eher als Ablenkungsmanöver von der aus koalitionshygienischen Gründen vorexerzierten Verhandlungsunwilligkeit der Regierungsmehrheit. Diese Regierung darf und will sich nicht bewegen, weil sie sonst ins Straucheln käme, meine Damen und Herren.
Besonders beim gesundheitspolitischen Teil der Kürzungsgesetze wird deutlich, daß der kleinere Koalitionspartner F.D.P. eine echte Sachverhandlung mit der SPD scheut wie der Teufel das Weihwasser, aus Furcht, sich bei solchen Verhandlungen als politisch überflüssig zu erweisen.
Also darf nicht verhandelt werden, das heißt, es wird nach dem Motto gehandelt, wir demonstrieren mit unserer Mehrheit Stärke, um die eigene Schwäche zu überdecken, meine Damen und Herren.
- Ich würde den Zwischenruf wegen des Protokolls, aber auch wegen der Verbalinjurie, die sich darin befand, Herr Kollege von der F.D.P., lauter machen. Ich möchte ihn nicht wiederholen, weil ich sonst von der Präsidentin eine Rüge erhalten würde.
Sie wissen genau wie ich, daß der Vorsitzende der SPD und der Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion im Januar an den Bundeskanzler einen Brief geschrieben haben, unsere erarbeiteten Vorschläge eingebracht und zur Verhandlung mit Ihnen zu einer gemeinsamen Anstrengung unter dem Titel „Bündnis für Arbeit" aufgerufen haben. Beide, die Antwort der Regierung und die der sie tragenden Parteien, waren negativ. Am 2. Februar habe ich in diesem Hause für die SPD-Fraktion an dieser Stelle einen Rentengipfel angeregt und unsere Bereitschaft zur Verhandlung erklärt. Reaktion der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung: negativ. Eine Regierung und Koalitionsfraktionen, die sich solchen Angeboten ständig entziehen und im Vermittlungsausschuß jede Verhandlung mit der Begründung „Wir ziehen durch" ablehnen, haben nicht die Legitimation, in diesem Hause zu erklären, die SPD betreibe Blockade. Die Wahrheit ist: Sie wollen überhaupt nicht verhandeln. Das ist die Wahrheit!
Der Vorwurf, wir betrieben eine Blockadepolitik, ist ohne Beleg. Die Damen und Herren von der Koalition mögen in dieser Debatte die Gesetzentwürfe benennen, die eine SPD-Mehrheit im Bundesrat in den letzten Jahren blockiert, das heißt, verhindert hätte. Ich bin gespannt auf die Aufzählung in den kommenden zweieinhalb Stunden, meine Damen und Herren.
Was es hingegen gibt, ist etwas völlig anderes: Regierungsentwürfe sind im Vermittlungsausschuß nachhaltigen Verbesserungen unterzogen worden, in denen die Handschrift der SPD zu erkennen war. Das mag der Koalition als wunderlich erscheinen. Aber es ist eine schiere Selbstverständlichkeit, daß wir, wenn wir vermitteln, auch versuchen zu verbessern. Daß das nicht von montags bis dienstags geht, sollte Ihnen klar sein.
Rudolf Dreßler
Es gibt also keine Blockadepolitik. Statt dessen hat die SPD mehrfach erfahren: Diese Regierung ist weder bereit noch willens, Vereinbarungen, die sie mit der SPD im Bundestag oder mit den SPD-geführten Regierungen im Bundesrat getroffen hat, einzuhalten. Das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 und die Vereinbarung über die Erhöhung des Kindergeldes zum 1. Januar 1997 sind besonders prominente Beispiele, bei denen diese Regierung gemeinsam mit der SPD Beschlossenes in einem zweiten Schritt im Alleingang in das Gegenteil verkehrt hat oder noch verkehren will. Die CDU/CSU und die F.D.P. sind als Fraktionen in diesem Hause politisch nicht mehr vertrauenswürdig.
Erst mit der SPD die Erhöhung des Kindergeldes oder die Einführung von Arzneimittellisten zu vereinbaren und sie gesetzlich festzulegen, sie dann aber gegen die SPD abzuschaffen oder abschaffen zu wollen, zeigt: Diese Koalition kalkuliert gezielt den politischen Wortbruch ein. Sie ist ein unzuverlässiger Vertragspartner.
Deshalb: Statt die SPD im Bundestag oder die SPD-Regierungen im Bundesrat zu beschimpfen, sollten CDU/CSU, F.D.P. und die Bundesregierung besser zu den Grundregeln des parlamentarischen Anstands zurückkehren, damit man sich wieder auf deren Wort verlassen kann.
Diese Regierung und die Koalitionsparteien wollen offenkundig die Konfrontation. Das zeigt nicht nur ihr Verhalten im Vermittlungsausschuß; das zeigen auch die politischen Inhalte der Kürzungsgesetze. Das zeigen ebenso die weiteren gesellschaftlichen Vorhaben: vom Jahressteuergesetz 1997 bis hin zum sogenannten Arbeitsförderungsreformgesetz. Sie wollen die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung um den Sozialstaat; eine Auseinandersetzung, die nicht um das Wie, sondern um das Ob des Sozialstaates geführt werden soll. Diese Koalition will weg von den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Grundlagen, die den beispiellosen Aufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg erst ermöglicht haben. Es geht ihr nur vordergründig um aktuelle ökonomische Problem- oder Krisenbewältigung. In Wahrheit muß das alles nur als Anlaß herhalten, um das eigentliche Ziel zu vernebeln: Die Grundrichtung dieser Republik soll verändert werden.
Niemand streitet ab, daß unser Land Probleme hat, die gelöst werden müssen. Diese Koalition, die nun seit fast 14 Jahren regiert, tut so, als habe sie mit den Ursachen dieser Probleme nichts zu tun. Offenkundig müssen in den letzten 14 Jahren lauter Marsmännchen oder Außerirdische am Kabinettstisch gesessen und über die Geschicke unseres Landes bestimmt haben. Offenbar muß ein außerirdischer Bundesarbeitsminister durch politisches Nichtstun die Arbeitsmarktprobleme maßgeblich mit hervorgeru-
fen haben, von denen jetzt sein realer Kollege Blüm sagt, sie müßten gelöst werden. Offensichtlich muß ein Marsmensch mit dem Vornamen Theo Unordnung im Bundeshaushalt angerichtet und maßlose Schulden aufgehäuft haben, von denen ein Bundesfinanzminister namens Waigel heute meint, daß sie beseitigt oder abgebaut werden müssen.
Zehn Jahre haben CDU/CSU und F.D.P. von der angeblichen Erblast der Regierung Helmut Schmidt gelebt, die angeblich getilgt werden müsse, wenn es um Begründungen für ihre sozial einseitigen Kürzungsmaßnahmen ging. Seit vier Jahren sind es wieder andere - diesmal undefinierbare Wesen -, die für die politischen Ergebnisse von Regierungshandeln herhalten müssen. Mit Verlaub frage ich: Was tun Sie eigentlich noch hier, wenn Sie für nichts verantwortlich sind? Mitglieder einer Regierung, die ohnehin für nichts verantwortlich sind, sollten besser nach Hause gehen. Sie sind hier nämlich überflüssig.
Die Wahrheit ist doch: Diese Regierung drückt sich vor ihrer Verantwortung für die Ergebnisses ihrer Politik. Denn das ist die maßgebliche Ursache für den Zustand, in dem sich unser Land befindet: Diejenigen, die hier Feuerwehr zu spielen vorgeben, sind in Wirklichkeit die Brandstifter.
Die Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung ist doktrinär und dogmatisch am Prinzip der Angebotsorientierimg ausgerichtet. Sie verleugnet jeden gesellschaftspolitischen Anspruch. CDU/CSU und F.D.P. betreiben nicht Wirtschaftspolitik, um unsere Gesellschaft zu gestalten und allen zu ihrem Anteil an der nationalen Wohlfahrt zu verhelfen; sie mißverstehen vielmehr die ökonomischen Prozesse als Gebot und wollen dafür sorgen, diese Gesellschaft so zu verändern, daß diese Prozesse reibungslos ablaufen können.
Ich räume ein: Das entspricht dem ökonomischen Zeitgeist. Die Ökonomisierung unseres gesellschaftlichen Denkens ist weit fortgeschritten. Ich denke, Johannes Rau hat recht: Man kennt von allem den Preis, aber von kaum etwas mehr den Wert.
Wenn Mitglieder dieser Regierung in ihren zahlreichen Sonntagsreden eine stärkere Wertorientierung unserer Gesellschaft einfordern, so klingt das wie Hohn. Mangelnde Wertorientierung ist doch das Ergebnis dieser Regierungspolitik!
CDU/CSU und F.D.P. setzen diese Politik fort. Schlimmer noch, sie intensivieren sie, indem sie die gesetzlich vorgesehene Kindergelderhöhung strei-
Rudolf Dreßler
chen und gleichzeitig die Vermögensteuer für Vermögensbesitzer senken. Wir brauchen über mangelnde Wertorientierung regierungsamtlicher Politik nicht theoretisch zu philosophieren; in dieser Politik wird sie ganz konkret, sie ist gleichsam mit Händen zu greifen.
Was die Kindergelderhöhung und den Versuch, sie wieder zu streichen, angeht, so fällt nicht nur mir auf, daß das dafür zuständige Kabinettsmitglied beharrlich schweigt. Wir hätten gerne von Frau Nolte gewußt, was sie davon hält. Zu den Familienverbänden gehen und die Notwendigkeit einer besseren Familienförderung predigen, aber gleichzeitig bei den Steuergesetzen für eine Kürzung dieser Förderung stimmen, geht nicht, Frau Nolte. Das paßt nicht zusammen.
Was die Weigerung der Regierung angeht, für die Folgen ihrer Politik einzutreten, gebe ich ein weiteres Beispiel. Es gibt das Schlagwort vom Standort Deutschland; ein Schlagwort, das bei CDU/CSU und F.D.P. für die Begründung einer angeblichen Notwendigkeit der Kürzungsgesetze eine maßgebliche Rolle spielt. Die dazu von der Regierung und ihren Stichwortgebern in den Verbänden von Industrie und Handwerk inszenierte öffentliche Debatte hat dem Standort Deutschland und dem internationalen Ansehen der deutschen Wirtschaft schweren Schaden zugefügt.
Zudem: Sie spricht dem tatsächlichen Rang Deutschlands in der Weltwirtschaft und unserer Wettbewerbsfähigkeit geradezu Hohn.
Meine Damen und Herren, tun wir einmal so, als gäbe es das ausgezeichnete außenwirtschaftliche Ergebnis Deutschlands nicht, tun wir so, als gäbe es die jüngste Untersuchung des Ifo-Instituts mit ihren positiven Wertungen des Standortes Deutschland nicht, tun wir ferner so, als sei alles so mies, wie es Regierung und Industrieverbände ständig öffentlich behaupten: Wo, bitte, sind dann im Kürzungspaket der Koalition, über das wir heute abermals beraten, jene Elemente - etwa die Höhe der Lohnnebenkosten, die doch ständig als besonderes Standorthindernis angeführt wird die die Sicherung des Standortes Deutschland verbessern?
Prüfen wir also, was zur Senkung der Lohnnebenkosten getan wird, und vergessen wir dabei für einen kurzen Moment, daß es in Deutschland seit 1990 nur einen Verursacher von höheren Lohnnebenkosten gegeben hat: nämlich die Politik dieser Bundesregierung.
Frage eins: Werden die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt oder wird eine Senkung mög-
lich gemacht? Als Maßnahme in den Kürzungsgesetzen findet sich dazu die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Diese bewirkt bekanntlich, daß ältere Arbeitnehmer länger auf ihren Arbeitsplätzen verbleiben und den nachrückenden Jüngeren Arbeitsplätze fehlen. Eine solche Maßnahme führt demzufolge zu mehr und nicht zu weniger Arbeitslosen, also zu Mehr- und nicht zu Minderausgaben der Bundesanstalt für Arbeit. Mehrausgaben bedeuten aber steigende und nicht sinkende Beiträge.
Als weitere Maßnahme finden wir den Wegfall des Kündigungsschutzes von geschätzt 10 bis 12 Millionen Arbeitnehmern. Wer das Feuern erleichtert, schafft keine neuen Arbeitsplätze, sondern gefährdet bestehende Arbeitsplätze. Also auch hier: mehr Arbeitslose, höhere Ausgaben und höhere Beiträge.
Selbst wenn ich die geplante brutale Streichung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Ostdeutschland gar nicht berücksichtigte - auch hier gibt es Mehrkosten; denn die Finanzierung von Arbeitslosigkeit ist immer teurer als die Finanzierung von Arbeit -,
zeigte sich: das Kürzungspaket führt eher zu höheren als zu niedrigeren Arbeitslosenversicherungsbeiträgen. Senkung der Lohnnebenkosten? - Pustekuchen, meine Damen und Herren.