Rede von
Christoph
Matschie
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einmal mit dem Punkt beginnen, in dem wir uns wahrscheinlich einig sind: in der Feststellung, daß wir an Boden unter den Füßen verlieren. Ich sage das bewußt in diesem doppelten Sinn; denn der Verlust an Boden ist Verlust an Lebensraum, Verlust an Nahrungsmittelgrundlage, an biologischer Vielfalt, an Regelungsfunktion. Der Beirat hat uns deutlich gemacht, wie ernst das Problem ist.
In diesem Zusammenhang ist es natürlich schade, daß wir über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung reden, der nicht auf dem Tisch liegt. Auch ist es schade, wenn Sie, Herr Kollege Rochlitz, von einem Gesetzentwurf der Grünen berichten, der ebenfalls nicht auf dem Tisch liegt. Es wäre für diese Debatte gut, wenn wir die Entwürfe auf dem Tisch liegen hätten und sie dann ausführlich im Detail beraten könnten.
Ich möchte mich einem Thema zuwenden, das bisher nur sehr verkürzt eine Rolle gespielt hat, nämlich die internationale Bodenschutzpolitik. Der Beirat hat deutlich gemacht, daß zwar einerseits die Ursachen für den Verlust und die Schädigung von Böden sehr vielfältig sind, aber andererseits klare Ansätze für politisches Handeln erkennbar sind. Er hat sogar unterstrichen, daß viele Formen der Bodenzerstörung Folge von Politikversagen sind.
Wenn wir über den internationalen Bodenschutz reden wollen, stellt sich natürlich zunächst die Frage: Wie glaubwürdig sind wir selber in dem, was wir tun? Auch wenn hier in der Vergangenheit einiges erreicht worden ist - die Defizite sind ebenfalls deutlich benannt worden -, müssen wir uns klarmachen, daß der Naturverbrauch in den Industriestaaten immer noch zehnmal so hoch ist wie der Naturverbrauch pro Kopf in den Entwicklungsländern.
Ein wesentlicher Faktor im Zusammenhang mit der Überbeanspruchung von Böden ist das Bevölkerungswachstum. Dieses Problem stellt sich besonders stark in den Ländern, die schon jetzt über eine nur unzureichende Ernährungsbasis verfügen. Ich nenne dieses Problem zuerst, da es den Druck auf andere Problemfelder immer weiter verstärkt. Es gilt zwar generell, daß das ein sehr sensibles Thema in der internationalen Politik ist. Nichtsdestoweniger gibt es auch hier relativ klare Handlungsmöglichkeiten.
Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung hat in einem Bericht deutlich gemacht, daß das Weltbevölkerungswachstum zu fast einem Drittel aus ungewollten Schwangerschaften herrührt und daß einer der Hintergründe dafür auch wieder der ungenügende Zugang zu Familienplanungsmöglichkeiten ist. Die
Christoph Matschie
Weltbevölkerungskonferenz in Kairo hat deshalb einen Aktionsplan beschlossen, der die Industriestaaten dazu verpflichtet, ein Drittel der weltweit benötigten Mittel für den Zugang zu Familienplanungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Damit bin ich bei einem Defizit der jetzigen Politik der Bundesregierung. Nach dem gültigen Schlüssel müßte die Bundesregierung im Zieljahr 2000 umgerechnet 540 Millionen DM für diesen Bereich aufbringen. Dazu hat sie sich verpflichtet. Dies würde bedeuten, daß die Mittel von heute - etwa 208 Millionen DM - Jahr für Jahr um etwa 83 Millionen DM aufgestockt werden müßten, um diese Zielgröße zu erreichen. Tatsache ist allerdings, daß die Bundesregierung zur Zeit plant, die Mittel - gegen einen gültigen Beschluß des Bundestages - auf dem gegenwärtigen Stand einzufrieren.
Die Bundesregierung sagt selbst in ihrem Bericht zum Jahresgutachten:
Die Bundesregierung sieht, wie der Beirat, im starken und regional unterschiedlichen Bevölkerungswachstum die Hauptgefährdungsquelle für die Bodenfunktionen.
Dann stellt sich die Bundesregierung hier hin und unterläuft die Verpflichtungen, die sie in Kairo eingegangen ist, und gleichzeitig einen gültigen Beschluß des Bundestages, indem sie die Gelder einfrieren will. Das ist doch nur noch schizophren zu nennen.
Ein zweiter Bereich in der internationalen Politik, der eine erhebliche Rolle spielt, ist die Auseinandersetzung mit der zunehmenden Wüstenbildung. Ein Viertel der gesamten Erdoberfläche und damit ein Sechstel der Weltbevölkerung sind davon betroffen. Hier ist zunächst einmal anzuerkennen, daß es im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit einige positive Beispiele gibt, wie die Kooperation mit Namibia oder Mali. Unbefriedigend ist allerdings, daß auch die Bundesregierung trotz des Problemdrucks in den Verhandlungen um die Wüstenkonvention keine weiteren finanziellen Zugeständnisse gemacht hat.
Unzureichend ist ebenso die bisherige Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen. Denn die Wüstenkonvention ist eines der wenigen internationalen Abkommen, bei dem die Partizipation der betroffenen Bevölkerung an den Projekten, und zwar völkerrechtlich verbindlich, im Zentrum steht. Ohne Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen ist die Umsetzung der Konvention in Frage gestellt.
Eine Gefahr besteht natürlich auch dann, wenn man die Aktivitäten im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu stark auf den Bereich der Wüstenbildung einengt. Damit bin ich bei einem dritten Komplex, der hier eine Rolle spielt. Der Wissenschaftliche Beirat macht gerade am Fallbeispiel des Großraums Sahel deutlich, daß weltwirtschaftliche Gegebenheiten, zum Beispiel die Agrarsubventionen der Industriestaaten, unsere Exportpolitik, die internationale Verschuldung oder die von uns geförderten Strukturanpassungsprogramme, negative Auswirkungen auf die Böden haben.
Nicht zuletzt die hohe Verschuldung vieler Entwicklungsländer hat dort den Trend zu agrarischer Exportproduktion verstärkt. Dies führt auf der einen Seite in vielen Fällen zu Monokulturen und starker Technisierung mit all den bekannten Auswirkungen auf die Böden und zum anderen - nicht minder gravierend - zu einer Verdrängung der landwirtschaftlichen Subsistenzwirtschaft auf marginale Böden, was auch zu einer Übernutzung und zu Verlust an Boden führt.
Die G-7-Staaten sind ja übereingekommen, angesichts der dramatischen Verschuldungssituation umfassende Lösungen zu finden. IWF und Weltbank haben deshalb kürzlich vorgeschlagen, für eine Reihe von hochverschuldeten armen Ländern einen 90prozentigen Schuldenerlaß durchzuführen. Bislang - damit bin ich bei einem weiteren Versäumnis der Bundesregierung - blockiert der Bundesfinanzminister jede weitere multilaterale Entschuldungsinitiative, aber auch eine Ausweitung des bilateralen Schuldenerlasses. Beim jüngsten Treffen der Finanzminister der G 7 wandte sich Waigel auch gegen den von Großbritannien und den USA getragenen Vorschlag, Goldbestände des IWF zu verkaufen, um die Entschuldung damit voranzutreiben. Er blockiert somit auch diesen Weg.
Nun ist nach Ansicht sehr vieler Entwicklungsexperten gerade die Entschuldung eines der Hauptprobleme, das eine tragfähige Entwicklung behindert. In dem Zusammenhang muß man dann am Ende fragen: Was nützen all die Beteuerungen der Bundesregierung, dem internationalen Bodenschutz ein größeres Gewicht zu geben, ohne konkrete Maßnahmen, ohne konkrete Finanzierung? So kann sich nichts verbessern. Den Prüfstein für die wohlmeinenden Worte stellen die konkreten Projekte, die vorliegen, und die konkrete Finanzierung, die angeboten wird, dar.
Wenn ich die Liste der Empfehlungen des Beirates noch einmal durchgehe, dann muß ich feststellen: Fehlanzeige bei der Lösung der Verschuldungskrise; Fehlanzeige bei der Finanzierung der Bevölkerungspolitik; Rückgang der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, gerade auch im Bereich der Landwirtschaft. Die vom Wissenschaftlichen Beirat empfohlene Anhebung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit auf 1 Prozent gehört für die Bundesregierung - ich zitiere - „nicht zu den Zielsetzungen". Ja, es ist sogar geplant, im nächsten Haushalt weitere deutliche Einschnitte vorzunehmen.
Was die Bodenkonvention betrifft, so führt die Bundesregierung neben einigen anderen Begründungen zum Beispiel auf - ich zitiere -: „... im Hinblick auf die derzeitigen Finanzierungsmöglichkeiten sieht die Bundesregierung derzeit keinen unmittelbaren Bedarf, eine besondere Bodenkonvention vorzuschlagen."
Christoph Matschie
Ich meine, wir brauchen nicht weiter über eine internationale Bodenschutzpolitik zu reden, wenn wir eine internationale Bodenschutzkonvention mit dem Argument blockieren, wir können es sowieso nicht finanzieren. Nein, meine Damen und Herren von der Koalition, ich glaube, auf diese Art und Weise kann man keinen Boden gutmachen.
Die Bundesregierung fordert in ihrer Stellungnahme, daß die in unseren Industriegesellschaften ausgeprägte Bodenvergessenheit überwunden werden muß. Dazu kann ich nur sagen: Richtig so! Bitte, meine Damen und Herren, fangen Sie damit an. Keiner hindert Sie daran.