Rede von
Prof.
Monika
Ganseforth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Brunnhuber hat eben in seiner Rede für die Koalitionsfraktionen wieder richtig angefangen, von den Chancen und Möglichkeiten zu schwärmen, die die Telematik bietet. Es klang so, als ob sie alle Probleme im Verkehrsbereich löst. Herr Minister Wissmann hatte zwar heute schon in den einführenden Worten diese Haltung etwas
Monika Ganseforth
korrigiert. Aber ich habe doch den Eindruck gehabt, die leuchtenden Augen, die er bei dem Thema immer wieder hat, waren nicht zu übersehen.
Sie halten Telematik für den Schlüssel zur Lösung der Verkehrsprobleme. Es gibt genügend Verkehrsprobleme: verstopfte Städte, die Belastung der Menschen durch Lärm und Emissionen, Verkehrsunfälle, die Versiegelung von Flächen, die Zerschneidung der Landschaft, das Sterben der Wälder und die Gefährdung des Klimas. Probleme haben wir genug. Die prognostizierten Zuwachszahlen an Menschen und Gütern im Verkehrssektor übersteigen jede Vorstellung und sind nicht zu verkraften. Die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber weiterem Straßenbau sinkt. Auch fehlt das Geld im Haushalt. Herr Wissmann kann ein Lied davon singen, wo die Mittel für die Bereitstellung weiterer Verkehrsinfrastruktur herkommen sollen. Die ökologischen Probleme will ich hier gar nicht ansprechen.
Es ist verständlich, daß eine Regierung und die sie tragende Koalition, die der Verkehrsentwicklung tatenlos zusehen, nun nach dem Strohhalm greifen und versuchen, Zeit zu gewinnen. Mehr ist es nämlich nicht; denn die Hoffnungen, die Sie hier äußern, werden sich nicht erfüllen. Der automobile Kollaps wird durch eine Vergleichmäßigung der Auslastung der Verkehrsinfrastruktur allenfalls hinausgezögert, wenn nicht Verkehrsvermeidung und -verlagerung hinzukommen, wenn die Verlagerung von der Straße auf die Schiene und auf den Umweltverbund nicht endlich in den Mittelpunkt der Politik gestellt wird.
Optimisten erwarten zum Beispiel, daß durch Telematik die großen Zahlen der Leerfahrten im LkwVerkehr beseitigt werden. Dabei wird vergessen, daß ein Drittel der Leerfahrten durch den Transport von Spezialgütern entsteht. Zum Beispiel bei Tankfahrzeugen, Fahrzeugen für chemische Produkte, Kühlfahrzeugen für Lebensmittel usw. lassen sich Leerfahrten nicht vermeiden. Sie können nicht mit demselben Lkw Lebensmittel hin- und Benzin und Treibstoff zurücktransportieren. Insofern lassen sich Leerfahrten nicht vermeiden. Dasselbe gilt bei Transportströmen in die Ballungszentren und in die Städte hinein, die unpaarig sind. Auch dort ist das Verlagerungspotential relativ gering.
Teilleerfahrten sind ebenfalls unvermeidbar, wenn bei Verteiltouren die Güter sukzessive abgeladen werden. Das kann man nicht gänzlich vermeiden. Dazu kommen Fahrten, bei denen Ziel- und Abholorte versetzt sind. Der Teufel steckt also im Detail. Man muß sich das sehr genau anschauen und darf nicht allgemein sagen: Telematik löst alle diese Probleme. Will man zum Beispiel im Werkverkehr die Leerfahrten verhindern, dann muß man das Verbot der Ladungsaufnahme für Dritte beseitigen. Dort also muß etwas getan werden.
In allen diesen Fällen kann das Zauberwort Telematik allein wenig bewirken. Wichtig ist nach wie vor eine Anlastung der externen Kosten im Lkw-Verkehr. Ohne diese werden Sie Ihre Wünsche und Wunschvorstellungen überhaupt nicht erfüllen.
Ein anderes Beispiel für die Mogelpackung ist die Erwartung, daß die Umweltbelastungen verringert und der Kraftstoffverbrauch gesenkt werden, weil durch Telematik der Verkehrsfluß verbessert wird. Das hat Herr Friedrich gesagt. Das hat auch Herr Brunnhuber gesagt. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Kürzere Tür-zu-Tür-Zeiten, Verkehrsleitsysteme, die die Verkehrsströme nur anders verteilen und womöglich noch durch Wohngebiete führen - Herr Hiller hat darauf hingewiesen, daß das nicht sein darf -, und eine Maximierung der Automobilität werden die Attraktivität der Straße eher steigern und so die Verkehrs- und Umweltprobleme noch verschärfen.
Auch wenn Sie gesagt haben, die Unfallzahlen gingen durch Telematik zurück - es gibt noch andere Möglichkeiten. Zum Beispiel wurden auf der total überlasteten A 2 im Raum Hannover-Lehrte-Braunschweig durch Überholverbote für Lastwagen und ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern die Unfallzahlen in vergleichbarer Größenordnung zurückgeführt. Auch die Stauzeiten sind durch solche Maßnahmen zurückgegangen.
Es gibt also einige Möglichkeiten mehr.
Ich möchte auf einen Punkt in der Großen Anfrage eingehen. In Frage 12 wollen Sie wissen, inwieweit die Telematik zu einer klimaverträglichen Verkehrspolitik beiträgt, und zielen auf das ab, was die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" im Bereich Klima und Verkehr empfohlen hat. Jetzt möchte ich einmal aus der Antwort der Bundesregierung vorlesen; denn diese zeigt das Wunschdenken. Da heißt es:
So können z. B. im Personenverkehr zu Hause verfügbare Verkehrsinformationen zum Verzicht auf die Benutzung des eigenen Fahrzeugs und zur Wahl öffentlicher Verkehrsmittel bewegen . . .
Glauben Sie das wirklich? Wird nicht vielmehr der potentielle Nutzer das eigene Fahrzeug verwenden, solange ihm durch die Information freie Kapazität angezeigt wird? Wenn die Anzeige ausweist, daß es keine freie Kapazität gibt, wird er doch nicht etwa ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen - soll er vielleicht den Bus nehmen, mit dem er dann in demselben Stau steht? -, sondern er wird so lange warten, bis wieder Kapazität frei ist. Es ist also reines Wunschdenken, daß diese Informationen zu Hause am Computer dazu führen, daß ein potentieller Nutzer umsteigt.
Außerdem heißt es in der Antwort: „Dynamische, d. h. situationsabhängige Parkleitsysteme" werden helfen. Sie werden helfen, eben nicht umzusteigen. Genau an diesen Stellen zeigt sich das Wunschden-
Monika Ganseforth
ken, und man merkt, wie wenig realistisch Ihre Vorstellungen sind.
Zum Beispiel wird im Rahmen des Telematik-Projektes STORM, das in Stuttgart läuft, dem Autofahrer P + R angedient, „bevor er in einen Stau gerät oder in der überlasteten City erfolglos nach einem Parkplatz sucht". Genau das führt aber dazu, daß der Verkehrsverbund sozusagen zum Überlaufsystem für den Straßenverkehr wird. Das darf nicht sein.
Der Verkehrsverbund hätte dann die Funktion eines Ersatzes oder einer Ergänzung für die Straße; so würde das jedenfalls funktionieren. Der Verkehrsverbund wird bei Ihrem Ansatz nicht gewinnen.
Schauen Sie sich die Große Anfrage einmal an, von der Sie hier eben so begeistert erzählt haben. Die Hälfte der Fragen zu den Verkehrsträgern beziehen sich auf Telematik auf der Straße. Die restlichen Fragen stellen Sie zum Luftverkehr - der auch nicht besonders umweltfreundlich ist -, und dann kommen unter „ferner liefen" noch Schiene, Schiff und öffentlicher Personenverkehr. Es spricht für sich, wie Sie das aufgeteilt haben. So ist Ihr Denken in bezug auf Telematik.
Dabei - wir haben es gehört - gibt es gerade im Bereich von Schiene und öffentlichem Nahverkehr erhebliche Potentiale und große Notwendigkeiten für eine sinnvolle und intelligente Nutzung der Telematik. Ähnlich ist es, wenn die Regierung von der Verknüpfung der Verkehrssysteme durch Telematik spricht, wobei es dann immer heißt, jeder Verkehrsträger solle entsprechend seinen Stärken eingesetzt werden. Ich stelle mir einen Nutzer vor, der sich wie ein Fisch im Wasser durch Europa bewegt, mit dem Flugzeug, mit dem Auto, mit der Bahn, mit dem Bus, je nachdem. Der pfiffige Nutzer wird Mobilität durch Telematik hervorragend nutzen können.
Sie haben es gesagt, Herr Minister: Die Schnellen werden die Langsamen besiegen. Aber wo bleiben die anderen? Damit meine ich nicht die Jäger, Sammler und Fallensteller, Herr Friedrich, sondern ich meine die alten Menschen, die Behinderten und die Kinder. Wo sollen diese in Ihrer schönen, mobilen neuen Welt bleiben? Wir müssen eine Verkehrspolitik machen, die umwelt- und sozial verträglich ist. Das, was Sie hier zugrunde legen, ist das keineswegs. So, wie Sie das ansetzen, geht es in die falsche Richtung. Wir brauchen dezentrale Strukturen, Stärkung der Nähe, eine Nutzungsmischung und Erhöhung der Raumwiderstände. Das sichert Arbeitsplätze. Telematik ist nur im Rahmen eines umfassenden Gesamtverkehrskonzepts sinnvoll, das alle Verkehrsträger einschließt und den Schwerpunkt auf eine Verkehrspolitik des Vermeidens und Verlagerns legt.
Schluß mit dem Wunschdenken! Wir fordern von Ihnen eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen der Telematik, wie sie in unserem Antrag vorgenommen wird. Es ist übrigens erstaunlich, daß Sie zwar permanent von Telematik reden, aber noch nicht einmal einen Antrag zustande gebracht haben. Das erklärt auch, warum hier unterschiedliche Positionen dargelegt worden sind. Das liegt daran, daß Sie nicht genau sagen, was Sie nun meinen. Wir wollen eine Telematik-Anwendung im Verkehr in sinnvoller Weise. Telematik darf nicht das Alibi für verkehrspolitische Untätigkeit werden.
Schönen Dank.