Rede von
Albert
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Hiller hat schon recht: Es war ein bemerkenswerter Unterschied in der Tonlage, in den Nuancen in Ihren Ausführungen, Herr Minister Wissmann, zu erkennen. Während Sie in den vergangenen Jahren eigentlich einer Euphorie der Telematik ein bißchen das Wort geredet haben - drücken wir es mal ganz sanft aus -, haben Sie heute schon viel nachdenklicher und meiner Ansicht nach auch viel realistischer die Chancen und den Stellenwert dieses Instruments, eingebettet in ein gesamtes verkehrspolitisches Konzept, zu erkennen gegeben.
Zu dieser Ernüchterung hat, so meine ich - Herr Kollege Hiller hat es schon angesprochen -, vor allem der Versuch auf der Autobahn vor den Toren Bonns, zwischen Köln und Bonn beigetragen. Denn die hochfliegenden Erwartungen, die Sie selber jahrelang mit genährt haben, daß sich über diese Form der elektronischen Mauterhebung auf Autobahnen letztlich die Löcher in den Haushaltskassen von Theo Waigel würden stopfen lassen und daß man damit die neuen Straßen würde bauen können, mußten Sie selber begraben. Das Ergebnis dieses Großversuchs war niederschmetternd; die Unternehmensberatung Roland Berger ist ja zitiert worden. Sie hat klar gemacht, daß es nicht nur im Pkw-Bereich in absehbarer Zeit keine elektronische Maut geben wird. Vielmehr mußten Sie selber sogar eines draufsetzen und sagen, auch im Lkw-Bereich werde sie vor dem nächsten Jahrtausend nicht kommen, weil man es datenschutzrechtlich nicht hinbekomme und weil es auch von den Kontrollen her gar nicht realisierbar sei.
Jetzt hätte ich eine Bitte an Sie, Herr Minister Wissmann: Seit letzter Woche gibt es in diesem Kabinett wieder einen Minister, der die elektronische Maut ins Spiel bringt und propagiert. Der Mann recycelt sozusagen Ihre Ideen. Der versteht etwas vom Recycling; er war nämlich früher einmal Umweltminister. Auch dem Herrn Töpfer sollten Sie jetzt klarmachen, daß er, nachdem Sie das hohe Lied auf die Autobahnmaut nicht mehr anstimmen, Ihnen nachahmen sollte. Er muß doch den Abgesang verstanden haben.
Er sollte sich nicht länger zum getreuen Eckart der Baulobby machen und Erwartungen wecken, die nachher nicht erfüllt werden können. Also: Klären Sie das in der Bundesregierung; Sie haben da Abstimmungsbedarf: hü oder hott, Maut oder nicht Maut. Ich bin gespannt auf das Ergebnis dieser Diskussion.
Wir wollen jetzt zurückkehren zu einer nüchternen Bestandsaufnahme, und die heißt ganz klar, auch aus unserer Sicht: Telematik ist kein Ziel, sondern ein Instrument, und ein Instrument kann immer nur so intelligent sein, wie derjenige ist, der es anwendet.
Solange Sie Ihre verkehrspolitischen Ziele falsch setzen und falsch definieren, werden Sie auch mit den intelligentesten Instrumenten letztlich in die Irre laufen. Solange Sie nämlich Telematik - ihr Staubeispiel war ein gutes Beispiel in dieser Richtung - dazu einsetzen wollen, um letztlich den alltäglichen Stau auf Deutschlands Straßen nicht ursächlich zu bekämpfen, sondern auf knapper werdendem Verkehrsraum noch mehr Autos unterzubringen, werden Sie die Verkehrsvermeidung und -verlagerung niemals hinbekommen, sondern nur das Chaos auf höherer Ebene organisieren.
Das sage nicht nur ich, sondern das bestätigen auch Ihre eigenen Parteikollegen, zum Beispiel der CDU-Europaabgeordnete Georg Jarzembowski. Ich zitiere wörtlich - jetzt hören Sie genau zu, Herr Brunnhuber; das ist Ihr Kollege -:
Ich fürchte, Telematik ist ein magisches Wort, das die Mißstände der Vergangenheit verbergen soll.
Das genau ist der Grund, warum sich das Europäische Parlament fraktionsübergreifend von dieser Telematikeuphorie verabschiedet hat.
Ich will Ihnen gern sagen, in welchen Bereichen wir seitens unserer Fraktion durchaus für eine verstärkte Entwicklung und für den konsequenten Einsatz telematischer Instrumente - aber eingebettet in die richtige Zielsetzung - eintreten. Es geht nämlich genau um die Optimierung - Herr Kollege Hiller hat es teilweise schon angesprochen - der öffentlichen Verkehrsträger, bei Bus und Bahn.
Albert Schmidt
Wir befinden uns da in voller Übereinstimmung mit dem Deutschen Städtetag und dem VDV, dem Verband der Deutschen Verkehrsunternehmen, die beide im letzten Herbst auf der Konferenz in Freiburg ausgeführt haben: Es muß darum gehen, Telematik zu nutzen, um den Vorrang für den Umweltverbund zu organisieren. Das muß die Zielsetzung sein, und dann haben Sie sofort unsere Unterstützung.
- Es darf durchaus zwischendurch auch geklatscht werden. - Erst vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung machen die Instrumente Sinn.
Wir brauchen auch die moderne Elektronik auf der Schiene. Denn das ist, wie Sie zu Recht ausgeführt haben, nicht nur eine Frage der Kapazitätserhöhung von bestehenden Strecken, sondern das ist auch eine fiskalische Frage, eine Frage der Haushaltsmittel. Denn wenn ich bestehende Strecken besser ausnutzen kann, dann muß ich weniger neue Strecken bauen; auch das schont die Kassen.
Das ist auch eine Frage der Sicherheit. Das schwere Unglück im Dezember letzten Jahres in Garmisch-Partenkirchen zum Beispiel wäre möglicherweise durch modernere Elektronik vermeidbar gewesen.
Wir brauchen also vor allem Telematik für den öffentlichen Verkehr, auch in den Städten - ich möchte ein paar Stichworte nennen: Busspuren, Vorrangschaltungen bei Ampeln für den öffentlichen Verkehr, Pförtnerampeln -, innovative Organisation von Bedarfs-ÖPNV, zum Beispiel von Rufbussen, von Anrufsammeltaxen. Hier kann die Telematik überall Beiträge leisten. Rechnergestützte Kundeninformationen sind ebenso wichtig wie bargeldloses Zahlen. Die Pay-Card, die es demnächst bei der Deutschen Bahn AG gibt, müßte es eigentlich in jedem Umweltverbund geben.
Zu Recht hat übrigens der VDV darauf hingewiesen, daß im Bereich der öffentlichen Verkehrsträger ein Riesenpotential für eine sinnvolle Industrieproduktion vorhanden ist. Täglich sind in Deutschland 24 Millionen Menschen mit öffentlichen Verkehrssystemen unterwegs. Diese würden davon profitieren. Auch im Produktionsbereich und im Dienstleistungsbereich gibt es ein Riesenpotential an hochqualifizierten und zukunftsorientierten Arbeitsplätzen, das wir allerdings nur dann erschließen können, wenn von den Gemeinden, von den Ländern und auch vom Bund die nötigen Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden.
Der Güterverkehr kann nur noch ganz kurz angesprochen werden. Es geht hier vor allem um die Optimierung der Logistikketten und auch um eine verbesserte Sicherheit im Gefahrguttransportbereich. Auch hier kann die Telematik wichtige Beiträge leisten.
Ich komme zum Schluß; Stichwort: Güterverkehr, Schwerlastverkehr. Die Vignette ist eine Krücke; das ist eine Notlösung. Am Ende dieses Jahrtausends, wo man in der Lage ist, auf den Mond zu fliegen, muß es ein zentrales Projekt dieser Regierung sein, eine leistungsbezogene Schwerverkehrsabgabe zu erheben, die differenziert nach Zeit, nach Strecke, nach Gewicht und nach Emission erhoben werden kann. Das geht mit Hilfe der elektronischen Technik. Die Kosten dafür hat nach unserer Auffassung die Transportwirtschaft verursachergerecht zu tragen. Das müßte das Zentralprojekt bei der Telematik sein.
Setzen Sie also ruhig auf modernste Technik. Sie haben dazu jederzeit unsere Unterstützung. Verfolgen Sie dabei aber die richtigen Ziele, und vergessen Sie nicht: Es gibt ganz einfache untechnische Instrumente, die man ebenfalls einsetzen kann, die in Sachen Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung wesentlich mehr bringen würden, weil sie sich nämlich ursächlich auf den Stau beziehen. Solange Sie aber den Mut nicht haben, Tempolimits konsequent umzusetzen, solange Sie den Mut nicht haben, über eine Erhöhung der Mineralölsteuer steuernd in das Verkehrsgeschehen einzugreifen, so lange werden Sie mit der Telematik alleine auch nicht zum Ziele kommen.