Rede von
Klaus
Lennartz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die zurückliegenden Debatten anläßlich dieses traurigen Ereignisses vor Augen führe, sehe ich stets dasselbe Bild. Die Bundesregierung äußert tiefe Betroffenheit über die zahlreich zu beklagenden Opfer von Tschernobyl, nutzt aber gleichzeitig ihre Redezeit, um ihr Festhalten an der Atomenergie um jeden Preis zu rechtfertigen.
Es hört sich in der Tat wie blanker Zynismus an, wenn auf der einen Seite die tödlichen Folgen atomarer Nutzungen am Beispiel Tschernobyls in ihren schrecklichen Ausmaßen bedauert werden, auf der anderen Seite aber die Atomenergie von der Regierung nachhaltig befürwortet und gefordert wird und - wie wir in dem letzten Beitrag gehört haben - die Gefahren auch noch absolut verniedlicht werden, meine Damen und Herren.
Bei allem Mitgefühl, Frau Kollegin Schuchardt, für die Opfer und allem Verständnis für Ihre Betroffenheitsäußerungen in der Gesamtheit: Betroffenheit allein reicht nicht aus. Den vielen Worten müssen auch die Taten folgen.
Mit dem letzten G-7-Treffen mußten wieder einmal alle Hoffnungen auf einen Einstieg in den Ausstieg aus der Atomenergie begraben werden. Die nukleare Bedrohung findet weiter statt, und dies an 434 Standorten dieser Welt. 62 weitere Standorte sind im Bau. Gerade weil die Nuklearenergie technisch und menschlich nicht beherrschbar ist, muß die atomare Bedrohung beendet werden. Wer übernimmt die Verantwortung für die zukünftigen Generationen, meine Damen und Herren?
Die Verantwortung für künftige Generationen, von der Ethiker und Politiker, gerade heute morgen von der CDU, gesprochen haben oder gern reden, war in der bisherigen Geschichte die Sache der Menschheit noch nie. Wann hat es diese langfristige Verantwortung gegenüber den Generationen je gegeben? Statt dessen setzen die G-7-Staaten ihre traurige Tradition weiter fort und versperren den Ländern in Osteuropa und den Schwellenländern den Weg aus der Atomenergie.
Wir brauchen ein europäisches Programm, dessen Ziel die weltweite Sanierung der Stromversorgung ist, um die Menschheit endlich von der Fessel, ja von der gefährlichen Geißel der Atomenergie zu befreien. Dazu müssen, auch von der EU, zusätzliche finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Dies kann zum Beispiel auch durch die Streichung überflüssiger Subventionen erreicht werden. Ich denke dabei beispielsweise auch an den Agrarmarkt. Hierbei sind aber auch die Weltbank und die Osteuropabank gefragt.
Meine Damen und Herren, damit wir uns bitte richtig verstehen: Wir reden hier nicht von Pfennigbeträgen, sondern von Finanzmitteln in Milliardenhöhe, die den Schwellenländern den Ausstieg aus der Atomenergie und den Einstieg in andere, sichere Energieträger zu wirtschaftlichen Preisen ermöglichen.
Wir alle wissen, welches enorme Energieeinsparungspotential im Osten brachliegt, dessen Nutzbarmachung nicht zuletzt durch deutsches Know-how erst ermöglicht werden kann. Doch was macht diese Bundesregierung? Sie verschleudert dreistellige Millionenbeträge für die Sanierung maroder Atomkraftwerke, ohne eine Perspektive für eine sichere Energiezukunft aufzuzeigen.
Wer die Debatten in den letzten Jahren hier verfolgt hat, der weiß, daß Übereinstimmung in diesem Haus darüber besteht, daß manche Atomkraftwerke absolut nicht zu sanieren sind. Finanzmittel werden sinnlos hierfür ausgegeben, anstatt sie weltweit auf andere, regenerative Energien zu fokussieren. Nennen Sie das eine zukunftsorientierte, zukunftssichere und umweltverträgliche Politik?
Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, die Notwendigkeit der Sanierung dieser Atomkraftwerke in Zweifel zu ziehen, sondern es geht darum, diesen Ländern überhaupt eine Chance zum Ausstieg aus der Atomenergie zu ermöglichen. Dazu brauchen wir eine europäische Initiative zur Sanierung der osteuropäischen und russischen Stromversorgung, die eng mit einer Stillegung dieser Kraftwerke verbunden sein muß. Aber wo bleibt das europäische strategische Gesamtkonzept, das vorsieht, nach dem Beispiel Dänemarks, Schwedens und anderer Länder den Ausstieg aus der Atomenergie voranzutreiben? Die Menschen hier und auch anderswo wollen doch diesen Ausstieg. Sie wollen nicht mehr der Gefahr, die sich in Tschernobyl aufs Schrecklichste bestätigt hat, ausgeliefert sein. Aber die rückwärtsgewandte Energiepolitik der führenden Industrienationen zwingt die Schwellenländer, weiter an dieser Atomenergie festzuhalten und weitere Atomkraftwerke zu bauen, weil erst gar keine alternativen Technologien gefördert werden, und zwar in einem Umfang, der den praktischen und auch wirtschaftlichen Einsatz zuläßt. So ist es auch, Herr Rexrodt und Frau Merkel, auf die politische Willenlosigkeit der Bundesregierung zurückzuführen, daß bisher keine Wende in der Energiepolitik herbeigeführt wurde.
Meine Damen und Herren, keine politischen Signale sind in diesem Falle auch Signale, allerdings mit verheerenden Folgen. Das immerwährende Ritual derartiger Debatten - Rede, Gegenrede - hilft uns und vor allem den nachfolgenden Generationen nicht, der atomaren Bedrohung zu entkommen.
Wir müssen intelligente Brücken aus Deutschland heraus schlagen, die den weltweiten Ausstieg aus der Atomenergie durch mehr umweltverträgliche
Klaus Lennartz
Energietechniken wie aus Sonne, Wind und aus Wasser ermöglichen. Damit sichert sich Deutschland nicht nur diesen gewaltigen Zukunftsmarkt, sondern auch Optionen auf zukunftssichere Arbeitsplätze. Denn auch für diese Regierung gilt: Wer zu spät kommt, den bestrafen die Märkte.
Eine solche innovative Energiepolitik muß auch eine Energieeffizienz-Revolution bewirken und muß auf vier Grundpfeilern stehen: Energieeinsparung, Förderung erneuerbarer Energien, schonende Nutzung fossiler Brennstoffe mit moderner Umwelttechnologie, Verzicht auf Atomenergie.
Das funktioniert aber nur, wenn die regenerativen Energien von der Bundesregierung die Förderung bekommen, die den praktischen und wirtschaftlichen Einsatz zur Folge hat, und damit in vielen Ländern eingesetzt werden können.
Eine weitere wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung regenerativer Energien muß ein Stromeinspeisungsgesetz sein, das diese politischen Ziele auch unterstützt. Herr Minister Rexrodt, Ihre Aufgabe wäre es, mit dafür zu sorgen, daß alle EVUs in ein derartiges Programm mit einsteigen, daß hier Mittel zur Verfügung gestellt werden, die diese Technologie weiter nach vorne treiben und ermöglichen, daß damit auch Exporte durchgeführt werden können.
Wenn wir diesen Weg nicht gehen, versperren wir uns und den Schwellenländern alle Optionen auf einen Ausstieg aus der Atomenergie. Wer heute nicht handelt, trägt die Verantwortung für ein zweites Tschernobyl - wo immer es auch sein mag. Deshalb müssen wir heute mit dem Einstieg in ein neues Energiezeitalter beginnen, um morgen das Atomzeitalter überwinden zu können.
Ich danke Ihnen.