Rede von
Dr.
Peter
Paziorek
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Reaktorunfall von Tschernobyl ist wegen des großen Leids vieler Menschen und wegen der langandauernden Schäden in der Umwelt ein Ereignis von historischer Dimension. Die vielen Opfer mahnen, das Unglück nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Da das unbestreitbar so ist, Frau Schönberger, möchte ich den Vorwurf des Zynismus gegenüber unserer Bundesumweltministerin Frau Merkel zurückweisen.
Zehn Jahre nach dem Unglück von Tschernobyl ist das gewaltige Ausmaß der Schadensfolgen offenkundig, aber in vielen Detailpunkten leider immer noch nicht genau bekannt. Auch wenn die schlimme Situation, die gekennzeichnet ist durch Tod, Evakuierungen, Selbstmorde, Verstrahlungen und natürlich auch Milliardenschäden für die Wirtschaft in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, zutiefst betroffen macht, darf es keine einseitige Instrumentalisierung dieser Katastrophe auf Grund unwissenschaftlicher Extremaussagen auf der einen Seite, aber auch keine Verharmlosung und Verdrängung auf der anderen Seite geben.
Genau das, Frau Schönberger, war heute morgen die Linie der Rede unserer Bundesumweltministerin Frau Merkel. Es gab an keiner Stelle Ihrer Rede Anlaß, ihr Zynismus vorzuwerfen. Deshalb kann ich Ihnen nur empfehlen, Frau Schönberger: Nehmen Sie Ihre haltlosen Vorwürfe gegenüber Frau Merkel zurück!
Zwei Fragen werden nach Tschernobyl immer wieder gestellt: einmal die Frage nach der Mitverantwortung der internationalen Staatengemeinschaft für eine neue Energiepolitik in Osteuropa und zum zweiten die Frage, welche Konsequenzen wir hier in Deutschland aus dieser Katastrophe ziehen wollen.
Ziele unserer Strategie zur Umstrukturierung des Energiesektors in den mittel- und osteuropäischen Staaten müssen sein: die Abschaltung von gefährlichen und nicht mehr nachrüstbaren Kernkraftwerken, die Reduzierung des Risikos auf ein aus der Sicht des Westens akzeptables Maß und die Hilfe zur Selbsthilfe.
Zur Ausgangslage müssen wir feststellen, daß in den betroffenen Nachfolgestaaten noch zirka 50 Kernkraftwerke in Betrieb sind, die teilweise von überragender Bedeutung für die Versorgung einzelner Regionen mit Energie sind. Gleichzeitig müssen wir feststellen, daß viele Verantwortliche vor Ort weiter auf Kernenergie setzen, wobei die Anforderungen an die Sicherheit - im Vergleich mit unserer Haltung - teilweise unterschiedlich gesehen und auch definiert werden.
Somit sind die entscheidenden Fragen, die ich heute morgen auch an die Opposition stellen will: Wie können wir diese abweichende Haltung, die wir nicht teilen, ändern? Wie können wir erreichen, daß unsere Sicherheitsstandards von den politischen und fachlichen Entscheidungsträgern in diesen Staaten übernommen werden? Das sind doch die entscheidenden Fragen!
Dazu hat die Opposition heute morgen in all ihren Beiträgen keinen einzigen überzeugenden Vorschlag gemacht. Sie hat nur Rhetorik betrieben, aber nicht den Weg aufgezeigt, wie wir den Verantwortlichen in den osteuropäischen Staaten unsere Grundvorstellungen nahebringen können.
Dies werden wir nicht durch massiven politischen
Druck, der eventuell von einer gewaltigen Rhetorik
Dr. Peter Paziorek
der Opposition hier in diesem Hause begleitet wird, ändern können. Daß eine Politikstrategie des großen öffentlichen Drucks nicht immer erfolgreich ist, das haben wir und auch die Österreicher bei der Diskussion über das Kernkraftwerk Mochovce schon erfahren.
Wenn wir vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und einigen Verantwortlichen in den osteuropäischen Staaten - das ändert sich jetzt glücklicherweise - einen tatsächlichen Sicherheitsgewinn erreichen wollen, dann müssen wir - das richtet sich an die Opposition - alles Sinnvolle tun, um eine sogenannte innere Sperre bei den Verantwortlichen für diese Anlagen - die vielleicht auch durch eine völlig maßlose Rhetorik hervorgerufen wird - zu vermeiden.
Frau Fuchs, Sie haben nicht zwischen dem Export von Waffen, bei denen wir nicht im Rahmen einer Sicherheitspartnerschaft den späteren Einsatz kontrollieren können, und dem Export von Kernenergie zum Zwecke friedlicher Nutzung im Rahmen einer Sicherheitspartnerschaft, bei der wir auch Vereinbarungen hinsichtlich des Einsatzes treffen, differenziert. Wenn Sie heute morgen noch nicht einmal in der Lage sind, die Unterschiede hinsichtlich der Einsatzkontrollen darzulegen, dann ist das inhaltlich und intellektuell beschämend. Das muß ich Ihnen an dieser Stelle einmal ganz deutlich sagen.
Das ist der Unterschied, den Sie nicht herausgearbeitet haben.
Sicherheitspartnerschaft - das will ich Ihnen noch sagen - bedeutet konkrete Zusammenarbeit, den Austausch von Wissen und Information, keine Bevormundung. Eine echte Sicherheitspartnerschaft bedeutet auch, daß wir den rhetorischen Hammer, den wir manchmal innenpolitisch benutzen, zur Seite legen und im Sinne des Aufbaus von Partnerschaft mit den Verantwortlichen in diesen Staaten ganz anders argumentieren.
Dabei spielen natürlich finanzielle Hilfen eine große Rolle. Frau Fuchs, wir können doch sagen, daß wir finanziell für die nachträgliche Sicherung der Kernenergieanlagen in den mittel- und osteuropäischen Ländern mehr getan haben als alle anderen Staaten zusammen.
Frau Schönberger, was Sie gesagt haben, stimmt doch nicht. Sie sagten, daß wir Geld nur zur Verfügung stellen, wenn es um die Nachrüstung von Kernkraftwerken geht. Wie kommen Sie überhaupt zu dieser Aussage? Sehen Sie sich doch die ganzen Erklärungen zur Ukraine an! Sehen Sie sich doch an, was die Verantwortlichen der Ukraine in den letzten Tagen gesagt haben! Wenn die Hilfen zur Umstrukturierung im Energiesektor für die Ukraine nicht vereinbart worden wären, hätte es keine Alternative zu einer Vereinbarung der Abschaltung des Tschernobyl-Reaktors bis zum Jahre 2000 gegeben. Warum haben Sie diesen Aspekt in Ihrem Redebeitrag völlig vernachlässigt? Ich weiß genau, daß Sie das wissen. Ich gebe Ihnen die Antwort: Weil das nicht in Ihre rhetorische Richtung paßt. Das ist unredlich.
Deshalb, meine Damen und Herren: Keine falschen Aussagen zu dieser Sicherheitspolitik!
Ich möchte auch einiges zu dem zweiten Stichwort, „Politik nach innen", sagen. Die Opposition hat heute immer wieder behauptet, daß auch bei einer nur äußerst geringen theoretischen Gefahr der Ausstieg aus der Kernenergie dringend notwendig ist. Selbstverständlich wäre es unzulässig, auf Grund einer Technikeuphorie sehenden Auges in eine beträchtliche Risikolage zu geraten. Natürlich brauchen wir bei der Großtechnologie eine Technikfolgenabschätzung. Natürlich benötigen wir eine Risikoabwägung. Eine abwägende Technikfolgenabschätzung ist aber etwas anderes als eine grundsätzliche Ablehnung von Großtechnologie, was auch letztlich für den Wirtschaftsstandort eine gefährliche Innovationsverweigerung darstellte.
Deshalb sage ich ganz deutlich: In der globalen Energiepolitik und ihrer Umsetzung in vielen Staaten dieser Welt gibt es eben noch keinen Weg, der ganz ohne Risiko ist. Somit müssen wir uns daran beteiligen, das Risiko in diesen Staaten so gering wie möglich zu halten. Deshalb sage ich: Ich halte es für ethisch bedenklich, wenn sich Deutschland aus der Erarbeitung und Entwicklung sicherer Standards bei der Kernenergie verabschiedet, mit der Folge - das wäre ethisch unverantwortlich -, daß wir dadurch bei dem Ringen um eine weltweite Verbesserung von Sicherheitsstandards international handlungsunfähig würden.
Somit gilt aus meiner Sicht für uns in Deutschland: Wollen wir weiterhin die Sicherheitsstandards weltweit beeinflussen, dann dürfen wir uns aus dieser Technologie nicht verabschieden. Deutschland wird im Rahmen der internationalen Gemeinschaft nur dann ernst genommen, wenn im eigenen Land die entsprechenden Voraussetzungen weiter bestehen. Ein Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland würde das Gegenteil bewirken. Das Ergebnis wäre kein Sicherheitsgewinn, sondern ein Sicherheitsverlust. Deshalb, Frau Fuchs, auch die Sozialdemokraten sollten bitte die Blockade der Untersuchung hinsichtlich der Entsorgung in Gorleben aufgeben. Das wäre verantwortungsbewußt. Tun Sie nicht so, als ob die Entsorgung noch nicht ausreichend untersucht sei, um so zu unterschlagen, daß Sie vor Ort blockieren. Das ist eine unverantwortliche Politik.
Vielen Dank.