Rede von
Anke
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte, bevor ich mich mit dem Wirtschaftsminister auseinandersetze, noch einmal an die Katastrophe von Tschernobyl erinnern und der zahlreichen Opfer gedenken, die dieses schlimmste Unglück in der Geschichte der friedli-
Anke Fuchs
chen Nutzung der Kernenergie gefordert hat. Leider müssen wir damit rechnen, daß auch in Zukunft viele tausend Menschen an den Folgen der radioaktiven Verstrahlung noch sterben werden. Heute leiden etwa eine Million Menschen an den Folgen der Katastrophe, darunter 400 000 Kinder und Jugendliche. Ihnen muß unsere Anteilnahme gelten.
Aber Anteilnahme ist nicht genug. Angesichts der bedrückenden wirtschaftlichen Verhältnisse gerade in den Ländern der GUS muß der Westen die humanitäre Hilfe ausweiten, die heute bei weitem nicht ausreicht, um den Opfern von Tschernobyl medizinisch zu helfen, meine Damen und Herren.
Insbesondere in Weißrußland und in der Ukraine fehlt es an Geld für qualifiziertes Fachpersonal, für Medikamente, für medizinische Geräte und für die notwendige, Jahre dauernde Betreuung der Opfer. Wir haben heute schon über die zahllosen privaten Initiativen in Deutschland geredet, die gegründet worden sind. Sie leisten bewundernswerte Beiträge, um den von der Reaktorkatastrophe betroffenen Menschen beizustehen. Aber ich denke, es geht auch hier langfristig um mehr Einsatz, und es geht auch um mehr öffentliche Unterstützung all dieser privaten Initiativen.
Wir brauchen sicherlich auch Finanzmittel, um die wissenschaftlichen Untersuchungen der Folgen der Strahlenbelastung der betroffenen Regionen um Tschernobyl international abzusichern. Immerhin ist ein Gesamtareal von mehr als 10 000 Quadratkilometern betroffen, das sich über weite Teile der Ukraine, der Russischen Föderation und Weißrußlands erstreckt. Langzeituntersuchungen der Folgen von Hiroschima und Nagasaki haben übrigens damals erhebliche Erkenntnisse bezüglich der Gefährlichkeit radioaktiver Strahlungen gebracht. So werden auch wissenschaftliche Arbeiten zu den Strahlenfolgen dieses Unfalls für mehr Aufklärung sorgen, und dabei sollten wir helfen.
Nun komme ich im Grunde fast schon zur Innenpolitik. Ich dachte, wir wären da eigentlich schon einmal weiter gewesen. So bedrückend die Zahl der Opfer und ihre unzureichende Versorgung ist, so erdrückend ist für mich auch, daß die Folgerungen nicht richtig gezogen werden. Daß sich angesichts des maroden Zustands der osteuropäischen Kernkraftwerke bis heute noch kein weiterer GAU ereignet hat, verdanken wir, so hat es neulich ein Wissenschaftler gesagt, allein Gottes Gnade. Darauf mag jeder vertrauen, aber was Atomkraftwerke anbelangt, würde ich es uns nicht anraten. Es ist deswegen außerordentlich bedauerlich, daß auf der jüngsten G-7- Tagung in Moskau der Westen nicht mehr eindeutig die Stillegung aller Reaktoren vom Bautyp des Tschernobyl-Atomkraftwerkes gefordert hat. Auf den G-7-Gipfeln vor vier Jahren in München und vor zwei Jahren in Rom war dies noch eine Selbstverständlichkeit. Ich frage mich: Warum hat der Westen nicht einmal die Kraft, diese Vorschläge umzusetzen, meine Damen und Herren?
Wir haben nicht einmal mehr die Kraft, diese Reaktoren ohne Containment und mit der Gefahr des Graphitbrandes stillzulegen. Ich frage die Bundesregierung: Was hat sie eigentlich auf dem G-7-Gipfel in Moskau gemacht, um zu helfen, daß dieser Vorschlag auch umgesetzt werden kann?
Wir verlangen, daß der Westen die Verhandlungen zur drastischen Verringerung der Risiken der nuklearen Versorgung in Osteuropa und der GUS intensiv fortsetzt und dazu auch die umfassenden Hilfen bereitstellt. Darum dürfen die Hilfeleistungen - das ist heute morgen schon angesprochen worden - nicht auf den Nuklearsektor beschränkt werden, sondern sie müssen auch für die Modernisierung und ökologische Verbesserung der Energiewirtschaft in diesen Staaten verwendet werden. Beide Maßnahmen gehören zusammen, und ich erinnere daran, daß genügend Vorschläge zur Sanierung der nichtnuklearen Energieversorgung in diesen Ländern vorliegen, die endlich von den G-7-Staaten aufgegriffen und in konkrete Hilfsprogramme umgesetzt werden müssen. Nur wenn dies geschieht, werden wir weitere enttäuschende Ergebnisse von G-7-Gipfeln vermeiden können. Ich finde, es ist nicht länger hinnehmbar, daß diese Gipfel zu Foto- und Presseterminen der beteiligten Staatsmänner verkommen, ohne daß in Sachfragen konkrete Fortschritte erzielt werden. Dann sollte man das Geld lieber den kranken Menschen zur Verfügung stellen!
Wir sind im übrigen der Meinung, daß auch alle anderen Reaktoren westlichen Sicherheitsanforderungen nicht genügen und deshalb Schritt für Schritt stillgelegt werden müssen. Wir machen uns keine Illusionen, daß dies angesichts der unübersehbar großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in diesen Ländern nicht von heute auf morgen geschehen kann. Deswegen müssen wir auch akzeptieren, daß bis zur Stillegung auch mit westlicher Hilfe Sicherheitsnachrüstungen getätigt werden, um weitere schwere Unfälle zu verhindern. Das artikulieren wir auch in unserem Antrag, dem Sie damit gerne zustimmen können, meine Damen und Herren.
Nun blicke ich zurück und frage, wie bei uns die innenpolitische Debatte ist. Meine erste Frage ist: Was hat die Bundesregierung auf diesem G-7-Gipfel eigentlich als Position eingebracht? Wenn wir zehn Jahre zurückblicken, dann stellen wir fest, daß wir seitdem immerhin ein Umweltministerium haben. Das kämpft zwar immer noch um seine Existenzberechtigung - aber immerhin. Wir haben das Meßsy-
Anke Fuchs
stem des Strahlenschutzes verbessert. Wir haben auch Konferenzen abgehalten und wissenschaftliche Studien und Gutachten erstellt, in denen Wege zu einer nichtnuklearen Energiezukunft aufgezeigt werden - Wege, Herr Minister Rexrodt, die wirtschaftlich und finanziell verkraftbar sind, die neue, risikoärmere Technologien fördern und durch eine Umstrukturierung der Energieversorgung auch mehr Klimaschutz bewirken könnten. Das ist sogar einvernehmlich in allen einschlägigen Enquete-Kommissionen zu Papier gebracht worden, unter Einschluß der Kolleginnen und Kollegen von CDU und F.D.P. Daran möchte ich hier heute noch einmal nachdrücklich erinnern. Wir waren also schon mal weiter.
Dann hat die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" zwei dicke Berichte vorgelegt, die in ihrer Substanz ebenfalls von der Kernenergie weggehen, die aber leider von dieser Bundesregierung nicht umgesetzt worden sind.
Ich glaube, daß wir weltweit einen geordneten Rückzug aus der Kernenergie brauchen und ihn auch hinbekommen können. Immerhin haben wir den Schnellen Brüter abgebrochen. Immerhin haben wir den Hochtemperaturreaktor stillgelegt. Immerhin haben wir die Kernkraftwerke Greifswald, Stendal und Würgassen abgeschaltet. Ich wundere mich eigentlich, daß die Bundesregierung von einer Renaissance der Kernenergie spricht. Ich erinnere mich an manche Beschlüsse bei Ihnen, mit denen Sie gesagt haben: Raus aus der Kernenergie, sie ist nicht verantwortbar.
In den 80er Jahren und auch in den 90er Jahren haben wir miteinander um die Frage gerungen: Kernenergie - ja oder nein? Wenn Sie sich einbilden, Sie könnten diese von uns abgeschlossene gesellschaftliche Debatte wieder zu Ihren Gunsten entscheiden, dann machen Sie sich etwas vor, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.
Umweltminister Töpfer hat damals von einer kernenergiefreien Zukunft geredet und auch entsprechende Anträge eingebracht. Leider wurde das alles nicht aufgegriffen. Und die F.D.P. - na ja, die kann man nicht ganz ernst nehmen, die macht's gerade, wie es kommt. Aber damals wollte auch sie aus der Kernenergie aussteigen. Jetzt will Herr Rexrodt wieder einsteigen - wir haben das heute gehört -, statt endlich mit uns die Fragen zu erörtern, die wir gemeinsam regeln könnten, zum Beispiel die Frage der Restlaufzeiten oder endlich die Frage der Entsorgung.
Das war für mich heute interessant: Kein Wort zu der nichtgelösten Frage der Entsorgung. Wir verbrennen munter weiter weltweit in steigender Tendenz atomare Brennstäbe, und kein Mensch weiß, wie die eigentlich entsorgt werden sollen. Wenn jemand wie ich, der mit der Befürwortung von Kernenergie aufgewachsen ist, gelernt hat, daß die Entsorgung nicht geregelt ist, dann wird mich keiner jemals wieder auf den Pfad der Kernenergie bringen, wenn mir nicht wissenschaftlich ordentlich nachgewiesen werden kann, wie die Entsorgung von abgebrannten Brennstäben praktisch organisiert werden kann.
Darauf fehlt von Ihnen die Antwort, und Frau Merkel hofft, allein durch Weisung an SPD-regierte Länder dieses Problem lösen zu können. Das wird ihr nicht gelingen. Deswegen bleibt die gemeinsame Verantwortung für die Entsorgung auch ihr Problem. Ich finde es schon beachtlich und bezeichnend, daß dazu von den Regierungsparteien heute morgen kein Wort gesagt worden ist. So werden Sie mit diesem schwierigen Thema nicht fertigwerden.
Nun gibt es von Herrn Rexrodt immer die Aussage, auch er wolle Energie sparen. Nur, all das, was beweisen könnte, daß wir ohne Kernenergie auskommen, wird von Ihnen nicht nachhaltig unterstützt und gemacht. Sie lassen vielmehr die öffentliche Förderung des Energiesparens auslaufen. Sie kürzen immer dort, wo es eigentlich angebracht wäre, mehr zu tun. Wenn Sie zum Beispiel das Stichwort Solarenergie in den Mund nehmen, dann kann ich nur lachen, denn in unserer Bundesrepublik findet gerade der Exodus der Solarenergie statt, weil wir nicht die Instrumente für ihre öffentliche Förderung zur Verfügung stellen, um in der Solarenergie so zu powern, wie es diese Energiequelle eigentlich verdient hätte, meine Damen und Herren.
Alle diese Vorschläge haben Sie nicht aufgegriffen. Alle diese Vorschläge machen Sie deswegen nicht, weil Sie in Wirklichkeit das Energiesparen nicht wollen, weil Sie in Wirklichkeit an der Kernenergie festhalten wollen. Und wer nicht energisch spart, auch mit öffentlicher Unterstützung, der kann natürlich immer den Nachweis erbringen, daß das alles nicht funktioniert. Wir fordern Sie deswegen auf, endlich unsere Vorstellungen zum Energiesparen und zu einer anderen Energiepolitik, auf die ich gleich kurz zu sprechen kommen werde, aufzugreifen.
Herr Rexrodt, ich bin jetzt ein bißchen gemein, ich weiß das.
Wenn Sie sagen, da ist eine Technik, die ist ganz toll, die können wir exportieren, aber das können wir nur, wenn wir sie in unserem Land anwenden und entwickeln, dann müßten Sie eigentlich auch dafür sein, daß wir Waffen exportieren, denn technisch hochleistungsfähige Waffen haben wir auch. Sie dürften dann eigentlich nicht den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnen. Denn auch dies hat für unsere Volkswirtschaft ökonomische Konsequenzen, die Sie, wie ich glaube, nicht wollen. Aber Ihr Argument, daß wir Kernenergie ruhig exportieren könnten, da dies an-
Anke Fuchs
gesichts unseres Sicherheitsstandards auf diesem Gebiet weniger gefährlich sei als bei anderen, finde ich eine zynische Begründung. Ich fordere Sie auf, mit dieser Begründung nicht weiter Energiepolitik zu betreiben.
- Es handelt sich um eine innenpolitische Debatte, Herr Kollege, weil Sie nicht in der Lage sind, zu lernen, weil Sie aus Tschernobyl nichts gelernt haben, weil Sie die gesamte gesellschaftliche Debatte verschlafen haben und weil Sie in der schwierigen Situation heute meinen, die Renaissance der Kernenergie verkünden zu können.
Deswegen weise ich noch einmal auf unsere Vorstellungen hin, die wir hier wiederholt eingebracht haben: Wir haben einen ökologisch verträglichen Energieordnungsrahmen sowie ein Klimaschutzprogramm vorgelegt, mit dem die technisch und wirtschaftlich vorhandenen Energieeinsparmöglichkeiten genutzt und gefördert werden können und die Förderung erneuerbarer Energien endlich auf ganzer Breite erfolgt, wir haben ein umfassendes Ökosteuerkonzept in den Bundestag eingebracht, das zu einer schrittweisen Anhebung der Energiepreise führt und damit ausreichende Anreize zum umfangreichen Energiesparen gibt. Ohne Energiesparen ist ein Verzicht auf Kernenergie nicht möglich. Deswegen dient auch dieses Ökosteuerkonzept unserem Ziel, langfristig auf Kernenergie verzichten zu können.
Wir haben ein Gesetz zur Förderung der Solarzellentechnologie vorgelegt, mit dem mittelfristig die Wirtschaftlichkeit der Sonnenenergie erreicht wird. Damit wird ein Beitrag zu einer umweltverträglichen und risikolosen Energieversorgung geleistet. Mir ist nicht klar, warum wir so viel Geld für Atomenergie ausgeben und die Nutzbarkeit und Anwendbarkeit der Sonnenenergie nicht so forcieren, daß daraus ein Exportschlager wird. Das wäre eine Aufgabe für deutsche Energiepolitik.
Ich betone - selbst wenn Sie darüber schmunzeln -: Wir setzen uns auch für die Beibehaltung des Anteils heimischer Stein- und Braunkohle an der Energieerzeugung ein, um auf umweltverträgliche Weise die heimische Energieversorgung zu sichern. Wir haben nicht zuletzt mit unserem Kernenergieabwicklungsgesetz einen rechtlichen Rahmen vorgeschlagen, um zu einer schrittweisen Stillegung der in Deutschland am Netz befindlichen Kernkraftwerke zu kommen, ohne daß dies zu hohen öffentlichen Entschädigungsaufwendungen führen würde.
Meine Damen und Herren, ich stelle nach dieser Debatte fest, daß wir inhaltlich hinter eine Debatte zurückfallen, die wir miteinander bereits zehn Jahre lang geführt haben. Ich dachte, wir wären in unserer Gemeinsamkeit angesichts der Risiken und der Herausforderungen weiter. Gleichwohl bleiben Fragen, die auch bei unterschiedlichen Ausgangspositionen gemeinsam gelöst werden müssen. Ich erinnere an die Entsorgungsfrage. An deren Lösung müssen auch Sie ein Interesse haben. Sie werden sie nicht allein durch Weisungen an SPD-geführte Landesregierungen lösen. Deswegen fordere ich Sie auf, hierzu Ihre Vorstellungen zu nennen.
Danke schön.