Rede von
Dr.
Günter
Rexrodt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Wissen Sie, die Sicherheitsstandards werden laufend weiterentwickelt und immer höher gezogen. Das ist gut und richtig. Aber aus der Tatsache, daß die Standards heute höher sind als zum Zeitpunkt der Genehmigung dieser Kraftwerke, kann nun nicht abgeleitet werden, daß die Kraftwerke, die sich auf einem niedrigeren, aber immerhin hohen Standard - einem höherem Standard als anderswo - befinden, als unsicher zu bezeichnen sind. Das ist eine unlogische Folgerung.
Meine Damen und Herren, die Kernenergie ist heute in unserem Land ein bedeutender Energieträger. Dies belegen nicht zuletzt ihre Anteile von knapp einem Drittel an der Stromerzeugung und 10 Prozent am Primärenergieverbrauch. Aber im Energiemix kommt ihr zunächst keine Sonderrolle zu. Ziel der Bundesregierung ist es, Energie noch mehr einzusparen als bisher,
Energie noch effizienter zu nutzen und den erneuerbaren Energien mehr Raum zu geben.
Wir haben eine Menge dafür getan. Wir haben zinsverbilligte Kreditprogramme zur Förderung der Wärmedämmung aufgelegt, das Programm im Milliardenumfang zur Fernwärmeversorgung in den neuen Ländern kann wohl nicht unerwähnt bleiben, und wir haben ein Marktanreizprogramm für erneuerbare
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Energien und das Stromeinspeisungsgesetz beschlossen. Dazu gehören auch die Verbesserung der Rahmenbedingungen und die Beseitigung von Hemmnissen bei erneuerbaren Energien, beispielsweise im Bauplanungsrecht. Die Ergebnisse kann doch niemand bezweifeln. Sehen Sie sich doch das an, was bei der Windenergie geschehen ist!
Fest steht aber auch - das will ich mit Nachdruck sagen -: Das alles, selbst wenn man mehr hinzufügte - man kann da immer noch mehr hinzufügen -, kann die Kernenergie nicht überflüssig machen. Es wäre eine Illusion, den durch Kernenergie erbrachten Beitrag zur Stromerzeugung, aber auch zur Reduzierung von CO2 einfach zu negieren. Energieeinsparung ist wichtig und gut, aber Energieeinsparung kann die Probleme, die wir in der Versorgung haben, nicht lösen.
Herr Abgeordneter Müller, es gehört schon eine Menge Akrobatik dazu, sich eine gedankliche Kette vorzustellen, die besagt: Die Tatsache, daß es die CO2-freie Kernenergie gibt, führt dazu, daß andere CO2-freie Energien, regenerierbare Energien nicht in den Markt kommen. Da muß ich doch zunächst einmal fragen: Warum gilt denn das für die Kernenergie? Gilt das denn nicht auch für Gas und Öl? Und vor allem: Warum gilt das nicht für die Kohle, die von Ihnen, von der Opposition, immer wieder so laut und nachhaltig propagiert wird?
- Herr Müller, wir haben mit der Kernenergie eine Energie, die CO2-frei ist, die wirtschaftlich ist und einen wichtigen Beitrag leistet.
Wir wollen ja andere Energien danebensetzen, aber nun gerade diese zu beseitigen, bevor wir beispielsweise die Kohle zurückgeführt haben,
das ist Gehirnakrobatik, die nachzuvollziehen große Schwierigkeiten bereitet,
und zwar nicht nur mir, sondern allen, die klar und gerade denken können und nicht auf verschlungenen Wegen, Herr Müller.
Ich kann als Verantwortlicher für die Wirtschaftspolitik im übrigen nicht akzeptieren, daß eine wesentliche Stütze in der sogenannten Grundlast der Elektrizitätsversorgung permanent in Frage gestellt wird.
Das muß im Interesse des Standorts Deutschland zurückgewiesen werden. Die Verfechter des Ausstiegs aus der Kernenergie erzeugen in der Wirtschaft, bei den Energieunternehmen und bei den Verbrauchern permanent Unsicherheit. Das ist ihr Anliegen. Das darf und kann nicht akzeptiert werden.
Meine Damen und Herren, der Streit um die langfristige Nutzung der Kernkraft führt zu Attentismus in dieser Technologie, aber auch weit über diese Technologie hinaus. Dies hat verheerende Wirkungen für unser Land. Wir brauchen in den Unternehmen verläßliche Rahmenbedingungen, auch und gerade in der Energieversorgung.
- Herr Fischer, die Hauptsache im Sinne des Standorts Deutschland ist zunächst einmal, daß Sie mit Ihren Ideologien und Ihren Vorstellungen, die selbst in Ihrer Partei, wie neueste Umfragen zeigen, immer weniger auf Verständnis stoßen, nicht die Fähigkeit und nicht die Gelegenheit bekommen,
Politik zu machen. Das ist das Entscheidende.
Sie schaffen durch Ihre Art, bestimmte Genehmigungsverfahren für kerntechnische Anlagen zu „handlen", den sogenannten ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug, ständig eine Situation, die darauf hinausläuft, daß durch die Hintertür - auch das ist rechtsstaatlich über alle Maßen problematisch - der Ausstieg versucht wird. Das führt zu zusätzlicher Unsicherheit in den Unternehmen, die von Ihnen gewollt wird, aber die ich mit allem Nachdruck zurückweisen möchte.
Natürlich weiß ich, daß heute ausreichend Kraftwerke vorhanden sind. Es muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß keiner heute Kraftwerke bauen will und bauen muß.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Aber je nach Entwicklung des Strombedarfs - das ist das Entscheidende -
werden die Stromunternehmen zu gegebener Zeit über Ersatz- und Neubauten zu entscheiden haben. Worüber heute gesprochen werden muß, ist: Wenn später solche Bauentscheidungen vorbereitet und getroffen werden, dann muß die gesamte Palette
- jawohl - der technischen Optionen offenstehen,
und sie darf nicht nur auf dem Papier stehen. Das heißt, wir müssen die Möglichkeit zum Bau von Kernkraftwerken wirklich haben.
Das bedeutet, daß wir in der Technologie über diese Fähigkeiten verfügen müssen und daß wir auch in der Genehmigungspraxis, in der Administration diese Fähigkeiten nicht verlieren dürfen.
Zu wenig einbezogen werden in die deutsche Diskussion meist auch die internationalen Aspekte. Dabei stünde es gerade Ihnen, den Befürwortern eines Ausstiegs, gut an, auch über den nationalen Tellerrand hinauszublicken. Alle Prognosen sehen einen weltweit stark ansteigenden Energieverbrauch voraus. Die zusätzliche Nachfrage wird nur zu bewältigen sein, wenn alle Energieträger zur Verfügung stehen: die fossilen Energien, aber auch die CO2-freien Energieträger Kernenergie und erneuerbare Energien.
Die hochindustrialisierten Staaten tragen mit Verantwortung für den globalen Energiehaushalt. Deswegen sind sie schon heute aufgerufen, für die künftigen Herausforderungen ihre ökonomische Kraft und ihr technisches und administratives Potential einzusetzen. Unternehmen in Deutschland können dazu beitragen durch hier entwickelte energiesparende Anlagen und Geräte sowie durch effiziente, umweltschonende Techniken in modernen Kohlekraftwerken und durch die hier entwickelten Solartechnologien, Windenergietechniken und Biogastechniken.
Aber ohne einen Beitrag in der Kernenergie in den Industrie- und teilweise auch in den Schwellenländern wird der Weltenergiebedarf langfristig nicht zu decken sein. Ohne Nutzung der Kernenergie in Deutschland und ohne Aussichten auf Forschung und Weiterentwicklung vor allem bei den Sicherheitstechniken müßten wir uns aus dieser Zukunftsaufgabe abmelden. Wir müßten dies anderen Anbietern überlassen, die im Zweifel unseren Sicherheitsanforderungen nicht gerecht werden. Wir könnten dann auch nicht mehr mitreden, wenn es um die Verbesserung der Sicherheitstechnik von Kernkraftwerken in Osteuropa und in Rußland geht. Ein Auftrag wie der gerade abgeschlossene über Sicherheitstechnik des slowakischen Kernkraftwerks Mochovce wäre dann nicht möglich.
Das gilt auch bei einem Ausstieg auf Zeit.
Wer ausländische Käufer für ein Produkt interessieren will, das im Lieferland vom Markt genommen wird, der läuft fehl und wird niemals diesen Auftrag erhalten.
Wer auf der internationalen Bühne nähme deutsche Vorschläge zur Verbesserung der Reaktortechnik im Land X noch zur Kenntnis, wenn in Deutschland auf Grund angeblicher Sicherheitsbedenken Kernkraftwerke abgeschaltet würden? Das müssen Sie sich vor Augen halten; das ist die Konsequenz. Ich weiß ja, daß Sie diese Konsequenz wollen. Wir wollen sie nicht; darin unterscheiden wir uns.
Wer läßt sich noch zum Kernkrafttechniker ausbilden, wer studiert noch dieses Fach, wenn er in Deutschland, politisch verordnet, sehr bald arbeitslos sein würde?
Schon heute gibt es - das betrifft auch die Sicherheitstechnologie - besorgniserregende Engpässe. Dieser Verlust an Know-how führt zu einem Verlust und zu einem Mangel an Fachleuten für Betreiber, Gutachter und Genehmigungsbehörden. Ein späterer Wiedereinstieg wäre damit unmöglich. Das ist die Strategie, die Sie verfolgen, nämlich einen späteren Wiedereinstieg unmöglich zu machen. Denn wer sollte dann die Sicherheit eines modernisierten, eines hochwertigen Reaktorkonzepts überhaupt noch beurteilen können?
Meine Damen und Herren, die Politik der Bundesregierung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie ist und bleibt verantwortbar. Sie ist darauf gerichtet, in Deutschland verläßliche Rahmenbedingungen für Energieerzeugung und für Energieversorgung zu erhalten. Sie ist darauf gerichtet, über unsere hohen Sicherheitsstandards die Kraftwerke auch bei unseren östlichen Nachbarn sicherer zu machen. Sie hält künftigen Generationen die Option auf eine weitere friedliche Nutzung der Kernkraft offen.
Ich halte es für unverantwortbar, der nachfolgenden Generation die freie Entscheidung über die Ausfüllung dieser Option - nicht mehr und nicht weniger -, die nicht zuletzt unter Umweltaspekten, unter CO2-Aspekten, getroffen werden muß, von vornherein zu verweigern.
Das ist etwas, was wir vor der nachfolgenden Generation nicht verantworten können, auch unter dem
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Aspekt einer erfolgreichen und nachhaltigen Umweltpolitik und Wirtschaftspolitik.
Deshalb sage ich für die Bundesregierung noch einmal: Keiner will und wird heute in Deutschland Kernkraftwerke bauen wollen. Wir brauchen keine Grundlastkraftwerke.
Wir brauchen diese Kraftwerke nicht. Wir wollen und werden aber diese Option offenhalten, und zwar im Sinne der nachfolgenden Generation, die aus dieser Offenhaltung, aus dieser Entscheidungsfreiheit machen kann, was sie will.
Das ist eine verantwortliche Politik vor dem Hintergrund, daß wir eine bessere Umwelt sowie eine sichere und preisgünstige Energieversorgung in diesem Land auch im nächsten Jahrzehnt, auch im nächsten Jahrhundert brauchen.
Ich danke Ihnen.