Rede von
Dr.
Edith
Niehuis
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Die Weltfrauenkonferenz in Peking ist über ein halbes Jahr vorbei, und erst jetzt haben wir die Gelegenheit, im Bundestag darüber zu debattieren. Ich denke: reichlich spät.
Die Vierte Weltfrauenkonferenz wurde in den ersten Kommentaren als erfolgreich gewertet, und das auch zu Recht. Es ist zu begrüßen, daß es erstmalig gelungen ist, zum Beispiel das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau in einem internationalen Dokument festzuschreiben. Es ist zu begrüßen, daß Gewalt gegen Frauen zu einem Schwerpunktthema gemacht und als Menschenrechtsverletzung eingestuft wurde, und es ist zu begrüßen, daß Versuche, die Anerkennung der Frauenrechte als Menschenrechte einzuschränken, erfolgreich abgewehrt werden konnten.
Dies und vieles mehr in der umfangreichen Aktionsplattform ist hilfreich, begrüßenswert und schreit nach nationaler Umsetzung.
Allerdings ist die Aussage, die Vierte Weltfrauenkonferenz war ein Erfolg, auch zu hinterfragen. Wir würden dann bereits als Erfolg werten, daß schon einmal Beschlossenes nicht ernsthaft in Frage gestellt werden konnte. Wir würden dann bereits als Erfolg werten, daß es gelungen ist, ein weltweites Zurück für Frauen zu verhindern. Kollegen und Kolleginnen, um es deutlich zu sagen: Eine solche politische Bescheidenheit haben die Frauen der Welt nicht verdient.
Weil es aber auf der Vierten Weltfrauenkonferenz massive Versuche gab, eine neue Bescheidenheit und Unterwürfigkeit von Frauen wieder einzufordern, muß uns eines aus Peking in Erinnerung bleiben: Wir Frauen haben erneut gelernt, daß wir uns nie auf einmal errungenen Rechten ausruhen dürfen, sondern daß wir diese Rechte immer wieder neu einklagen müssen. Darum hat die Vierte Weltfrauenkonferenz ganz eindrucksvoll gezeigt, daß wir in jedem Fall auch eine Fünfte Weltfrauenkonferenz brauchen. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich in diesem Sinne bei den Vereinten Nationen einzusetzen.
In Peking wurde eine Aktionsplattform mit 361 Punkten verabschiedet. Die Regierungen dieser Welt haben eine Verpflichtungserklärung abgegeben. Deutschland und Europa haben zugestimmt. Das heißt, Frauen können die Bundesregierung, aber auch Europa beim Wort nehmen und die Umsetzung der einzelnen Beschlüsse einfordern. Allerdings hat sich in der Bundesrepublik, Weltfrauenkonferenz hin, Weltfrauenkonferenz her, bei der Politik seither nichts verändert. Was das bedeutet, hat die Bundesregierung uns gleich ein paar Wochen nach der Weltfrauenkonferenz vorgeführt. Die Tinte unter der Pekinger Aktionsplattform war noch nicht trocken, da legte sie in Brüssel als einziges Land ihren Widerspruch gegen das Vierte Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Chancengleichheit von Frauen und Männern ein.
Schneller und deutlicher konnte man gegenüber der Weltfrauenkonferenz nicht wortbrüchig werden.
Wenn die Bundesregierung meint - was sie behauptet -, die nationale und nicht die EU-Ebene sei hier gefordert, dann frage ich: Wo bleiben die nationalen Programme? Weit und breit ist keine Initiative zu. sehen.
Statt dessen betonte Ministerin Nolte auf der nationalen Nachbereitungskonferenz im März dieses Jahres noch einmal die Wichtigkeit, die Förderung der Chancengleichheit als Ziel für die Union im EG-Vertrag zu verankern. Die Ministerin muß aber zugeben, daß die Bundesregierung bis heute kein Konzept hat, dieses Ziel zu erreichen. Immer nur Worthülsen! Das, denke ich, haben Frauen satt.
Schon ein paar Monate nach Peking haben wir also Grund genug, Sie an die Erklärung von Peking zu erinnern, in der steht:
Dr. Edith Niehuis
Wir verabschieden hiermit die nachstehende Aktionsplattform und verpflichten uns als Regierungen zu ihrer Umsetzung.
Sie als Regierung sind rechenschaftspflichtig und niemand sonst.
Sie müssen sich dieser Verantwortung nur stellen. Fachleuten war immer klar, daß die Weltfrauenkonferenz - so war es seitens der UN auch gewollt - als kompakter Prozeß gesehen werden muß, von der Vorbereitung bis zur Nachbereitung.
Doch von solch einem erfolgversprechenden kompakten Prozeß ist in Deutschland keine Rede. Die Bundesregierung hat alle Strukturen, die in der Vorbereitungsphase ihre Arbeit geleistet haben, nach der Weltfrauenkonferenz zerschlagen. Es gibt keine Geschäftsstelle mehr, es gibt kein nationales Komitee mehr, und es gibt keine der zwölf inhaltlich arbeitenden Gruppen mehr.
Die Bundesregierung beschränkt sich darauf - wie auch Sie, Frau Nolte, in Ihrer Rede -, mit dem mahnenden Finger auf alle anderen zu zeigen - auf Länder, auf Arbeitgeber, auf Gewerkschaften, auf die ganze Gesellschaft -, um die Umsetzung der Aktionsplattform von Peking einzufordern, vermeidet es aber, eine verbindliche Zusage zu machen. Das können wir aber erwarten.
Frau Nolte, Sie haben auch die nationale Nachbereitungskonferenz erwähnt. Das war doch nur eine Eintagsfliege. Heute bestehen die Fragen, die es auch vor der Konferenz gab, fort. Niemandem ist klar, was die Bundesregierung selber aus der Aktionsplattform für Frauen gesetzgeberisch umsetzen will. Niemandem ist klar, wie die nationale Umsetzungsstrategie mit termingebundenen Zielen und Richtwerten bis Ende dieses Jahres aussehen soll. Ich denke, es wird Zeit, daß Sie nicht nur an andere appellieren, sondern daß Sie selber Maßnahmen und Vorschläge einbringen und dann auch umsetzen.
In der Aktionsplattform heißt es:
Die Umsetzung der Aktionsplattform ist in erster Linie eine Aufgabe der Regierungen. Engagement auf höchster Ebene ist dafür unabdingbar.
Was im Moment von Ihrem Engagement für Frauen zu halten ist, zeigt anschaulich Ihr politischer Umgang mit dem Thema „Gewalt gegen Frauen". Unbestritten war das Thema „Gewalt gegen Frauen" eines der Hauptthemen auf der Vierten Weltfrauenkonferenz. Auch die Situation in Deutschland ist bedenklich.
Eine vom Bundesfrauenministerium in Auftrag gegebene Untersuchung hat ergeben, daß jede siebte Frau zwischen 20 und 59 Jahren seit ihrer Kindheit mindestens einmal vergewaltigt oder sexuell genötigt worden ist. Etwa drei Viertel der Gewaltakte sind im sozialen Nahbereich angesiedelt. Etwa 350 000 Frauen sind zwischen 1987 und 1991 von ihrem Ehemann vergewaltigt worden. Das sind Gewaltopfer, die von unserem Strafrecht nicht geschützt werden, sondern unser Strafrecht schützt die Gewalttäter.
Seit Jahren legt die SPD-Bundestagsfraktion Anträge vor, die Vergewaltigung in der Ehe wie jede andere Vergewaltigung unter Strafe zu stellen. Doch CDU/CSU und F.D.P. lehnen bis heute eine angemessene strafrechtliche Regelung ab.
Ihr Verhalten, meine Damen und Herren von der Koalition, macht mir deutlich, daß unser Strafrecht in den Paragraphen zur sexuellen Gewalt einen systematischen und für Frauen verhängnisvollen Fehler hat. Vergewaltigung ist nicht, wie unser Strafrecht suggeriert, eine abartige Form des Sexualaktes, sondern ist schlicht und einfach ein Gewaltakt.
Darum müssen wir nicht nur die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellen, sondern müssen auch darüber nachdenken, wie wir Vergewaltigung im Strafrecht neu definieren können.
Auch in einem zweiten Fall begünstigt unser Recht, daß Frauen den Gewalttaten ihres Ehemannes schutzlos ausgesetzt sind. Das gilt für ausländische Ehefrauen, denen wir auch in solchen Härtefällen kein eigenständiges Aufenthaltsrecht zugestehen. Wir erwarten vielmehr immer eine bestimmte Dauer der Ehe.
Wissen Sie, was wir diesen Frauen im Moment sagen? Blaugeschlagene Augen wirst du in Deutschland hinnehmen müssen, ein paar Jahre noch, bis die Frist abgelaufen ist. Willst du das in deiner Ehe nicht hinnehmen, dann weisen wir dich einfach aus. - Eine skandalöse Menschenrechtsverletzung ist das.
Weil dies so ist, weil den betroffenen Frauen schnellstens geholfen werden muß und weil sich Politik nicht nur auf folgenlose Worthülsen beschränken darf, stellt die SPD-Bundestagsfraktion heute einen entsprechenden Antrag zur Änderung des § 19 des Ausländergesetzes zur Abstimmung. Ich weiß, daß viele Frauen in der CDU-Fraktion - von Frau Süssmuth bis hin zu Frau Nolte - und in der F.D.P.-Fraktion mit uns einer Meinung sind. Darum appelliere ich an Sie: Denken Sie an die mißhandelten Frauen, geben wir ihnen heute gemeinsam das Menschenrecht, das ihnen auch in Deutschland zusteht! Lassen Sie sich bei dieser Entscheidung von Ihrem Gewissen als Abgeordnete leiten!
Frieden, Demokratie und Entwicklung sind ohne die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen nicht mög-
Dr. Edith Niehuis
lich. Das ist der Geist, der von der Aktionsplattform ausgeht. Darum formuliert die Aktionsplattform - ich zitiere -:
Die Machtgleichstellung der Frau und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sind Grundvoraussetzungen für die Herbeiführung politischer, sozialer, wirtschaftlicher, kultureller und ökologischer Sicherheit unter allen Völkern.
Viele wissen, daß der Fortbestand dieser Welt an dem überdurchschnittlichen Arbeitseinsatz der Frauen hängt, an ihren Erfahrungen, an ihrem Wissen. Zugleich werden Frauen an der Entfaltung ihrer Möglichkeiten durch von Menschen, oder besser: von herrschenden Männern gemachte diskriminierende Rahmenbedingungen gehindert.
Zu Recht ist darum das Wort „empowerment" zu einem Schlüsselwort nicht nur der Vierten Weltfrauenkonferenz geworden. „Empowerment" kann man vielleicht als den Auftrag umschreiben: Räumt die von Männern gemachten, Frauen behindernden und diskriminierenden Rahmenbedingungen und Strukturen weg, damit auch Frauen ihre Möglichkeiten, ihre Autorität, ihre Macht, ihre Menschenrechte entfalten können.
Dieses Wegräumen, sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, ist nicht ein Auftrag an irgend jemanden, sondern zuallererst der Auftrag an die herrschende Politik.
Wir stehen vor einer Situation, in der Frauen die Erinnerung an die Weltfrauenkonferenz ganz dringend brauchen werden. Viele von ihnen erleben schon seit Jahren die zunehmende soziale Kälte in der Republik: die Alleinerziehende, die mangels Alternativen auf Sozialhilfe angewiesen ist; die Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten, die für ihre Arbeit durchschnittlich nur zwei Drittel des Lohnes eines Mannes bekommen; die über 65jährigen Frauen, von denen viel zu viele von der Rente nicht leben können; die Millionen Frauen, für die diese Gesellschaft nur noch sogenannte geringfügige Beschäftigungsverhältnisse anbietet, wodurch eine neue Altersarmut der Frauen vorprogrammiert wird; die Millionen arbeitslosen Frauen, die gar nicht die Chance bekommen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Diese Frauen erleben seit langem, daß sich bei uns die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet und daß insbesondere Frauen und Kinder immer mehr Opfer bringen müssen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, in einer Zeit, in der Frauen, ob erwerbstätig oder nicht, spätestens im Rentenalter merken, daß an ihnen als Mütter alles hängengeblieben ist, nur keine gute Rente, wollen Sie als CDU/CSU und F.D.P. gerade bei den Frauen sparen und das Rentenalter für diese sofort hochsetzen. Deutlicher kann man die Geringschätzung der Lebensleistung von Frauen nicht zum Ausdruck bringen.
Sie als Bundesregierung sind auf dem besten Wege, die Rahmenbedingungen für Frauen, ob alt oder jung, nicht zu verbessern, sondern weiterhin zu verschlechtern.
Mutterschaft, Elternschaft und die Rolle der Frau bei der Fortpflanzung dürfen weder als Grund für Diskriminierung dienen noch die volle Teilhabe der Frauen in der Gesellschaft einschränken.
Um diesen Satz aus der Aktionsplattform umzusetzen, brauchen Frauen eine helfende Politik - auch bei uns.
Frau Nolte, natürlich sind außer dem Staat noch viele andere gefordert, mitzumachen: Institutionen aller Art, Tarifparteien und jeder einzelne Mensch, insbesondere die Männer. Glauben Sie aber wirklich, irgend jemand nimmt Ihre Appelle zum Mitmachen ernst, wenn Sie als Bundesregierung nicht als Vorbild voranschreiten und zum Nachmachen motivieren?
Wir brauchen das Engagement auf höchster Ebene und kein Blockieren. Wenn dies nicht kommt, dann werden viele, die wir für das Mitmachen so dringend brauchen, das tun, was Ihnen eine Sprecherin der Nichtregierungsorganisationen auf der nationalen Nachbereitungskonferenz gesagt hat. Sie hat gesagt:
Selbstorganisierte Frauengruppen an der Basis möchten jedoch nicht als frauen- und sozialpolitische Feuerwehr eingesetzt werden, wo der Staat sich aus seiner sozialen Verantwortung verabschiedet.
Verbände vor Ort, die Sie gelobt haben, sind nicht diejenigen, die für Sie die Arbeit machen. Dies kann viel besser hier in Bonn gemacht werden; vor Ort kann es viel schwieriger aufgefangen werden.
Damit es nicht soweit kommt, daß sich alle, nicht nur die Bundesregierung, verweigern, die Aktionsplattform der Weltfrauenkonferenz umzusetzen, erwarten wir von Ihnen einen nationalen Aktionsplan - und den hätte ich schon heute erwartet -, dessen Umsetzung wir im Parlament jährlich überprüfen können.
Wenn Sie meinen, die Frauenfrage auch einfach irgendwo hinschieben zu können: Nein, das können Sie nicht. Die Vierte Weltfrauenkonferenz erwartet, daß es den Frauen im Jahre 2000 erheblich besser gehen soll. Also fangen Sie an!