Rede von
Claudia
Nolte
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(CDU)
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, daß wir heute im Deutschen Bundestag erneut über Frauenpolitik diskutieren. Denn es bietet doch die Möglichkeit, aufbauend auf bisher Erreichtes darüber zu sprechen, wo unsere nächsten Schwerpunkte liegen.
Nicht erst seit der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking machen wir aktive Frauenpolitik. Aber sie hat uns wertvolle Impulse gegeben. Nun kommt es darauf an, die Aktionsplattform, die wir gemeinsam mit erarbeitet und beschlossen haben, auch umzusetzen.
Mit der Deklaration von Peking und der Aktionsplattform liegt erstmals ein in sich geschlossenes Konzept zur Gleichberechtigung vor, auf das sich die Frauen weltweit berufen können - was vor dem Hintergrund der Befürchtungen vor Beginn der Konferenz längst nicht zu erwarten gewesen wäre.
Ohne die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an allen Ressourcen sowie an den politischen Entscheidungen können zentrale Zukunftsprobleme nicht gelöst werden. Auf der Konferenz wurde deutlich, daß die Teilhabe an Entwicklung und Macht, Armutsbekämpfung, Sicherung des Friedens und die Achtung der Menschenrechte die Themen von Frauen auf allen Kontinenten sind.
Von den 1,2 Milliarden armen Menschen in der Welt sind 70 Prozent Frauen. Ihnen ist der Zugang zu Bildung, Eigentum an Boden und Kapital, zu Beschäftigung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit verwehrt, und oft ist Ursache und Folge gleichermaßen die Armut.
Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen. Deshalb berücksichtigen wir gerade im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit die spezifischen Belange von Frauen. Unsere Konzeption zur Förderung von Frauen in Entwicklungsländern hat sich bei allen Schwierigkeiten, die es auch heute noch gibt, bewährt. Wir werden auf der Basis der Aktionsplattform dieses Konzept in diesem Jahr fortschreiben und dafür sorgen, daß die Interessen der Frauen in einer noch stärkeren geschlechtsspezifischen Differenzierung der Programm- und Projektarbeit zum Ausdruck kommen. Ich habe in Peking ein 40-Millionen-US-Dollar-Programm zur Sozial- und Rechtsberatung angekündigt. Wir haben für das laufende Jahr bereits drei Projekte vereinbart.
Meine Damen und Herren, Demokratie ist auf eine breite Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Es wird in der Deklaration der 4. Weltfrauenkonferenz ganz deutlich betont, daß nicht nur die Regierungen für die Durchsetzung der Gleichberechtigung verantwortlich sind, sondern auch alle anderen gesellschaftlichen Gruppen, Institutionen, Verbände, Tarifpartner, letztendlich jeder einzelne.
Aus diesem Grunde habe ich vor einigen Wochen in Bonn die Nachbereitungskonferenz durchgeführt, zu der ich neben Vertreterinnen aus zahlreichen Frauen- und anderen Nichtregierungsorganisationen Verantwortliche aus allen Bereichen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eingeladen habe. Ich denke, diese Konferenz war ein wichtiger Baustein für den Umsetzungsprozeß hier in Deutschland.
Ich will die gute Zusammenarbeit und den konstruktiven Dialog fortführen, der sich zwischen den deutschen Nichtregierungsorganisationen und der Bundesregierung sowohl im Vorfeld in China selber als auch im Nachgang entwickelt hat. Die NGOs waren auch bei der Vorbereitung der Nachbereitungskonferenz beteiligt und haben aktiv mitgewirkt. Ich möchte von dieser Stelle aus diesen Verbänden, die auch vor Ort unendlich viel gute Arbeit leisten, ganz herzlich für ihr Engagement danken.
Mit der Nachbereitungskonferenz haben wir den Austausch darüber vorangebracht, was wir in unserem Land noch leisten müssen und welche Wege zur Umsetzung erforderlich sind. Sie hat dazu beigetragen, bereits vorhandene Vorstellungen zu bündeln und zusammenzuführen. Mein Ziel ist es, daß wir am Ende dieses Jahres die Aufstellung nationaler Strategien beendet haben. Sie werden den Handlungsrahmen für die nächsten Jahre aufzeigen, indem wir die Maßnahmen der Aktionsplattform umsetzen wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen in Deutschland vor großen Aufgaben.
Allein die Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen zeigt es am deutlichsten. Gerade die Menschen in den neuen Bundesländern stehen vor großen Umstrukturierungsprozessen, von denen Frauen wieder in besonderem Maße betroffen sind.
In ganz Deutschland wollen Frauen heute in aller Regel erwerbstätig sein. Sie wollen Familie und Erwerbsarbeit miteinander verbinden. Sie bekommen allerdings den Druck auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Maße zu spüren. Deshalb waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Nachbereitungskonferenz darüber einig, daß wir im Bereich der akti-
Bundesministerin Claudia Nolte
ven Arbeitsmarktpolitik für Frauen viel unternehmen müssen, daß diesem Bereich eine große Bedeutung zukommt.
Im Rahmen der Reform des Arbeitsförderungsgesetzes gehört die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen für mich zum Zielkatalog. Es muß und es wird auch in Zukunft dabei bleiben, daß Frauen an Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und der beruflichen Fortbildung und Umschulung ihrem Anteil an Arbeitslosen entsprechend beteiligt werden.
Die Anforderungen an eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit müssen sich auch auf Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktförderung übertragen lassen. Daher ist es mir wichtig, daß zum Beispiel bei der Kinderbetreuung und bei der zeitlichen Gestaltung von Fortbildungsmaßnahmen bessere Rahmenbedingungen erfüllt werden.
Ebenso brauchen wir - das fällt mit in dieses Gebiet - bessere Rückkehrchancen für Frauen, die auf Grund der Familienphase unterbrochen haben. Damit im Zuge der stärkeren Dezentralisierung der Arbeitsverwaltung, die ich sehr begrüße, weil sie mehr Effektivität und Synergieeffekte möglich macht, auch die Berücksichtigung der frauenspezifischen Interessen sichergestellt ist, muß die Arbeit der Frauenbeauftragten auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden.
Zur wirklichen und nachhaltigen Verbesserung der Chancen von Frauen auf dem ersten Arbeitsmarkt brauchen wir aber mehr als nur die Instrumente der Arbeitsmarktförderung. Frauen sind heute ebenso qualifiziert wie Männer, aber wir wissen, daß gleiche Qualifikation noch längst nicht zu gleichen Karriereverläufen führt.
Immerhin hat sich der Anteil - ich will nur ein Beispiel nennen - der C-4-Lehrstühle, die Frauen innehaben, von 1991 bis 1993 um 39 Prozent erhöht. Das besagt aber noch nicht allzuviel; denn der Anteil lag im Jahre 1993 bei 3,7 Prozent. Auch das zeigt, vor welchem Aufgabenfeld wir stehen.
Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß vor allem die Tarifparteien, die für die Gestaltung des ersten Arbeitsmarktes verantwortlich sind, ihre Verantwortung für die Herbeiführung von Chancengerechtigkeit wahrnehmen. Dazu gehört vorrangig die Sicherstellung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Familienarbeit ist wertvolle Arbeit und deshalb auch in der Arbeitswelt zu respektieren. Sie ist auch nicht ausschließlich Frauen zuzurechnen. Damit Frauen Familie und Erwerbsarbeit unter einen Hut bringen können, müssen Männer mitziehen und selbstverständlicher Erziehungs- und Hausarbeit übernehmen.
Flexible Arbeitszeiten haben hier natürlich eine besondere Bedeutung. Ich weise auf eine Reihe von wirksamen, guten Modellen hin; wir haben eine Reihe von Belegen dafür, daß sich flexible Arbeitszeit rentiert und für beide Seiten wichtig ist. Was wir nicht haben, ist eine breite Anwendung in der Praxis. Deshalb müssen wir das mehr unterstützen. Aus diesem Grund haben wir die Mobilzeitkampagne durchgeführt, aus diesem Grund werde ich in diesem Jahr zum zweitenmal den Bundeswettbewerb „Der familienfreundliche Betrieb" durchführen.
Wir beraten kleine und mittelständische Unternehmen bei der Übertragung von Know how im Rahmen der Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle in ihrem Unternehmen. Hier gilt es für mich, vor allen Dingen Teilzeitarbeit in qualifizierten Positionen möglich zu machen; denn sonst wird Teilzeit nicht wirklich gesellschaftlich als vollwertige Arbeit akzeptiert. Sie darf nicht nur bei niedrig bezahlten Jobs möglich sein, sondern es muß sie auch bei qualifizierten Arbeiten geben.
Für jeden muß klar sein: Teilzeitarbeitsplätze sind sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Daß zunehmend reguläre Arbeitsplätze in 590-DM-Jobs umgewandelt werden, ist Mißbrauch geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse.
Wir müssen diesen Mißbrauch gemeinsam bekämpfen. Natürlich ist hier die Politik gefragt, aber genauso stehen auch die Tarifpartner mit in der Pflicht, und sie haben eher Möglichkeiten, regelnd einzugreifen und dem entgegenzuwirken; denn es geht schließlich um eine Altersabsicherung für Frauen, die durch solche Jobs gefährdet wird.
Schon seit langem ist der Bundesregierung die eigenständige Rente von Frauen ein wichtiges Anliegen. Deshalb haben wir die Anerkennung von Erziehungs- und Pflegezeiten bei der Rente durchgesetzt. Das sind wichtige Weichenstellungen. Wir haben um Verständnis zu werben, daß notwendige Verbesserungen und Weiterentwicklungen in diesem Bereich auf Grund der schwierigen Situation in unseren Haushalten nicht in dem Maß möglich sind, wie wir uns das wünschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen sind auch zunehmend diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen. Jedem dritten neugegründeten Unternehmen steht eine Frau vor. Mit einem umfangreichen Fördersystem unterstützen wir als Bundesregierung den Weg in die Selbständigkeit. Mein Ministerium will im Rahmen eines Projektes zur „Förderung der beruflichen Selbständigkeit von Frauen als Beitrag zur kommunalen Wirtschaftsentwicklung" Voraussetzungen schaffen, unter denen sich Frauen anspruchsvolle Tätigkeitsfelder in ihrem eigenen Umfeld aufbauen können. Dazu gehört, daß die kommunale Wirtschaftspolitik hierfür sensibilisiert wird und das als ihre Aufgabe empfindet. Wir haben die Aufgabe, Frauen so zu unterstützen, daß sie gut auf die Selbständigkeit vorbereitet sind.
Neue Arbeitsplätze entstehen jedoch nicht nur in Betrieben und Unternehmen, auch in privaten Haushalten steckt ein großes Potential an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Es gibt Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft, daß bis zu 870 000 neue Arbeitsplätze familien- und haushaltsbezogen im Dienstleistungsbereich möglich wären.
Bundesministerin Claudia Nolte
Für mich ist wichtig, daß wir dieses Potential auch nutzen. Dazu gehören Verbesserungen sowohl bei der administrativen Behandlung dieser Beschäftigungen als auch durch attraktivere steuerliche Rahmenbedingungen. Wir haben diesen Teil deshalb ja auch in das Aktionsprogramm für Investition und Beschäftigung aufgenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zentrum der kontroversen Verhandlungen in Peking standen die Themen Menschenrechte, sexuelle Rechte von Frauen, Bekämpfung der Armut von Frauen in Entwicklungsländern sowie Finanzfragen.
Für mich stand von Anfang an die Wahrung der Menschenrechte und damit die Wahrung der Rechte der Frauen im Vordergrund. Deshalb war es mir wichtig, sie auch mit Blick auf das gastgebende Land vor dem Plenum der UN-Konferenz einzufordern.
Gewaltausübung muß ein gesellschaftliches Tabu sein. Noch nie ist in einem internationalen Dokument Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung so umfassend definiert und so vehement verurteilt worden.
Wir müssen allerdings dafür sorgen, daß die Existenz von Gewalt nicht tabuisiert wird. Das Problem der Gewalt gegen Frauen vor allem auch im engeren familiären Umfeld existiert in jedem Land, auch im vereinten Deutschland, und es hat auch in der damaligen DDR existiert, wo es allerdings totgeschwiegen wurde, weshalb es dort auch keine Hilfseinrichtungen gab.
Wir haben deshalb mit einer Anschubfinanzierung beim Aufbau von Frauenhäusern und Frauenschutzwohnungen in den neuen Bundesländern geholfen und auch unsere Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen mit einem beachtlichen Erfolg durchgeführt, weshalb ich entschieden habe, diese Kampagne weiterzuführen.
Für mich bleibt es dringend, daß wir die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellen.
Die Ehe darf kein rechtsfreier Raum sein, und wir müssen den Gang der Gesetzgebung noch vor der Sommerpause endlich abschließen.
Gewalt gegen Frauen ist ein internationales Phänomen, und deshalb müssen wir es auch über die Grenzen hinweg bekämpfen. Gegen den internationalen Sextourismus sind die Möglichkeiten, die wir im nationalen Strafrecht neu geschaffen haben, auch konsequent anzuwenden. Ausländische Frauen, die in Deutschland als Zeuginnen auftreten, brauchen den dazu nötigen Schutz, und wir müssen auch beim Aufenthaltsrecht im Ausländergesetz eine sachgerechte Härtefallregelung schaffen.
Wo Frauen Opfer von Gewalt werden, brauchen sie Hilfe und Unterstützung, wozu es - was bis heute noch nicht so selbstverständlich ist - der Zusammenarbeit aller im Bereich der Polizei, der Justiz, der Verwaltung, der Beratungs- und Schutzeinrichtungen bedarf. Deshalb erproben wir in Berlin ein umfassendes und für Deutschland neues Konzept der Zusammenarbeit in der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen.
Gleichberechtigungspolitik ist Gesellschaftspolitik mit Bezügen zu allen Politikfeldern. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß sich das nicht auf Diskriminierungsverbote beschränken darf, sondern daß wir eine aktive Förderung brauchen - weshalb ja auch die Grundgesetzänderung vorgenommen wurde.
Es bleibt für mich wichtig, daß wir es auch bei der Überarbeitung des bisherigen Vertragswerkes der Europäischen Union schaffen, die Förderung der Chancengleichheit als ein Ziel für die Union im EG-Vertrag zu verankern. Über die Europäische Union wollen wir erreichen, daß Frauenpolitik auch innerhalb der ECE in die unterschiedlichen Politikbereiche Eingang findet, denn Gleichberechtigungspolitik muß auf allen Ebenen stattfinden und für die Menschen erfahrbar sein.
Auch auf internationaler Ebene steht die Bundesregierung nicht allein in der Verantwortung. Diese Aufgabe richtet sich genauso an die beteiligten Verbände, Unternehmen und gesellschaftlichen Organisationen.
In diesem Sommer wird alle Welt nach Atlanta schauen, wo die Olympischen Sommerspiele stattfinden. Kapitel 1 der Olympischen Charta verbietet jegliche Form der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, und dennoch schließen zahlreiche Nationale Olympische Komitees Frauen bei der Nominierung ihrer Olympiateams aus.
Ich habe darüber mit dem Präsidenten unseres Nationalen Olympischen Komitees gesprochen und darauf gedrängt, daß das NOK seinen Einfluß im IOC geltend macht, damit dort - denn das ist das Gremium, das Sanktionen gegen solche Länder aussprechen kann - entsprechende Sanktionen geprüft und angewendet werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Diskussionsprozeß über Maßnahmen für die Umsetzung der Aktionsplattform hier in Deutschland hat begonnen. Ich habe diesen Prozeß unter das Motto „Gleichberechtigung, Partnerschaft, Teilhabe" gestellt. Mein Haus wird alle Vorschläge und Maßnahmen zusammentragen und auch Ansprechpartner für die Nichtregierungsorganisationen sein. Ich selbst werde in den nächsten Monaten die notwendigen Gespräche führen.
Die Inhalte der Aktionsplattform und die nationalen Strategien müssen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Dazu wird eine breit angelegte Kampagne beitragen, die nicht nur informieren, sondern vor allen Dingen auch motivieren soll.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, lassen Sie mich in Abwandlung eines alten spanischen Sprichworts sagen: Schau dir an, welche Stellung die Frauen in
Bundesministerin Claudia Nolte
einer Gesellschaft haben, und du kannst sehen, ob dieses Land Zukunft hat.
Vielen Dank.