Rede von
Dr.
Christine
Lucyga
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Krise um den Bremer Vulkan wird seit drei Wochen intensiv vom Parlament behandelt. Das ist gut und richtig. Nur, das Erwachen kommt spät - hoffentlich nicht zu spät; denn nach unserem aktuellen Kenntnisstand sind Warnsignale wesentlich früher eingegangen und viel zu lange überhört worden.
Wenn wir das Thema jetzt erneut und sehr kurzfristig auf der Tagesordnung haben
- lassen Sie mich doch weiterreden; ich sage Ihnen nachher alles, was Sie wissen wollen -, dann auch deshalb, weil wir wissen wollen, wie solche Fehler und Versäumnisse in Zukunft vermieden werden können und wie es mit dem deutschen Schiffbau und seinen Zulieferern in Ost und West weitergehen soll.
Wir in Mecklenburg-Vorpommern wollen wissen, wem die zweckentfremdeten Beihilfen zugeflossen sind und wer sie den ostdeutschen Werften, für die sie bestimmt waren, zurückgibt. Wir wollen wissen, wie die Überlegungen bei BVS und Bundesregierung zur Zukunftssicherung der Schiffbaustandorte in Mecklenburg-Vorpommern aussehen.
Um in Zukunft zu verhindern, daß die gleichen Fehler, die im Fall des Bremer Vulkan gemacht wurden, wiederholt werden, müssen wir aufklären, wie es überhaupt dazu kam, daß gewissermaßen unter den Augen von Treuhandanstalt und BVS und damit auch der Bundesregierung derart mit öffentlichen
Dr. Christine Lucyga
Geldern in solcher Höhe umgegangen werden konnte.
In diesem Sinne verstehe ich die hier zur Debatte stehenden Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und PDS, deren Anliegen sich nicht von den Forderungen der SPD nach Sicherung der maritimen Industrien, nach umfassender Aufklärung der Vorgänge beim Bremer Vulkan und nach der Verantwortung, die Treuhandanstalt, BVS und Bundesregierung dafür tragen, unterscheiden. Diese haben nämlich frühzeitige Warnzeichen allzulange nicht zur Kenntnis genommen.
Die Begründungen, die wir bis jetzt dafür erhalten haben, daß BVS und Bundesregierung nicht früher reagiert haben, können nicht überzeugen. Die gestrige Fragestunde dazu hat mehr Fragen offengelassen als beantwortet, ebenso erste Gespräche in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe beim Wirtschaftsausschuß.
Wir haben aber keine Zeit zu verlieren; denn es geht darum, Schaden abzuwenden. Ohne Klärung dessen, was war, geht dies nicht; denn es gibt viele, und zwar längerfristige Versäumnisse, von denen sich weder Treuhandanstalt noch BVS, noch Bundesregierung so ohne weiteres freimachen können. Damit stehen sie für ihren Teil mit in der Verantwortung.
Daß Bundesregierung und BVS sich nicht ausreichend informiert haben und ihrerseits das Parlament falsch und auch zu spät in Kenntnis gesetzt haben,
wurde inzwischen festgestellt. Warum allerdings darauf verzichtet wurde, auf die spätestens seit 1993 mit der Auflösung der Hanse Holding erkennbaren Warnzeichen zu reagieren, bleibt mir ein Rätsel und das Geheimnis der BVS. Die hierzu eingegangenen Erklärungen können nicht überzeugen.
Geradezu peinlich aber ist die Schutzbehauptung, die Vertragsgestaltung bei der Privatisierung der ostdeutschen Werften hätte kein effektives Controlling zugelassen, um den einzigen Kaufinteressenten nicht zu verprellen.
Wer so argumentiert, verschweigt, daß es sehr wohl eine Alternative gab: das Sanierungskonzept der DMS.
Das hätte allerdings bedeutet, daß sich die Treuhandanstalt um jeden Preis von der Strategie der raschen Privatisierung zugunsten einer vorrangigen Sanierung hätte verabschieden müssen.
Politischer Druck, woran auch der damalige Verkehrsminister Krause Anteil hatte, und parteipolitische Machtspiele haben derzeit die Durchsetzung des DMS-Konzeptes verhindert. Die Entscheidung für die Vulkan-Verbundlösung fiel in einer Nachtund-Nebel-Aktion, ohne daß der erfahrene und hochangesehene DMS-Vorstand mit Dr. Krackow an der Spitze überhaupt gefragt oder angehört worden wäre.
In der gestrigen Fragestunde wurde klar ausgesprochen: Es ging um rasche Privatisierung. Das war vor allem eine politische Entscheidung. So sind die vielzitierten Zwänge bei der Vertragsgestaltung wohl eher der Hast der Privatisierung geschuldet.
Es lohnt sich, den Bericht des Treuhanduntersuchungsausschusses aus der 12. Legislaturperiode zu lesen, der klar belegt: Es gibt nicht nur den einen Fall Vulkan, es gibt viele kleine Vulkane. Jeder Abgeordnete kennt sie zur Genüge aus seiner eigenen Region. Nur, kennt sie auch die Bundesregierung, oder nimmt sie sie zur Kenntnis? Ich habe da so meine Zweifel, die auf Erfahrung beruhen.
Es muß auch die Frage erlaubt sein, warum der seinerzeit für die Privatisierung der ostdeutschen Werften verantwortliche Staatssekretär im BMF, Grünewald - jetzt bei der BVS in verantwortlicher Position -, sich nicht zu Wort gemeldet hat, als der Verdacht einer zweckwidrigen Verwendung von Treuhandanstaltsgeldern der Ostwerften durch den Bremer Vulkan immer mehr zur Gewißheit wurde. Mir scheint, hier wurde Vogel-Strauß-Politik betrieben, statt rechtzeitig Flagge zu zeigen.
Fragen über Fragen, auf die wir rasch eine Antwort brauchen. Ob die Arbeitsgruppe beim Wirtschaftsausschuß das geeignete Gremium ist, muß sich zeigen. Andernfalls werden wir andere Schritte prüfen. Worauf es aber jetzt vor allem ankommt, das ist rasches Handeln, um den in Bedrängnis geratenen ostdeutschen Werften und den Werften in Bremen zu helfen.
Es geht nicht um Polemik, sondern um konkrete Hilfe. Das bedeutet, daß die den ostdeutschen Werften entzogenen Beihilfen ihrem eigentlichen Zweck zugeführt und ihrem Adressaten zurückgegeben werden; denn nicht sie müssen für den entstandenen Schaden geradestehen, sondern der Verursacher. Dazu müssen sich BVS und Bundesregierung bekennen; denn hier liegt Ihre moralische und politische Verantwortung.
Daß das Vertrauen zu Deutschland in Brüssel durch den Fall Vulkan Schaden genommen hat, ist bedauerlich. Es darf aber nicht dazu führen, daß die ostdeutschen Werften benachteiligt bleiben und die ihnen entzogenen Mittel nicht in voller Höhe bekommen oder sich diese über Kredite beschaffen müßten; denn damit wären sie eindeutig überfordert, und die Zukunft einer ganzen Region bliebe gefährdet.