Rede von
Iris
Gleicke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Kollegin, das hatte ich vorhin gemeint, daß nämlich bei den Privatisierungen, die bisher vorgenommen worden sind, der allergrößte Teil, mehr als zwei Drittel, an Dritte veräußert worden ist und daß deshalb der Mietervorrang des Altschuldenhilfe-Gesetzes schon ausgehöhlt ist.
Wie sollen die Unternehmen unter diesen Bedingungen ihre eigentlichen Aufgaben erfüllen? Wie sollen sie sich darum kümmern, daß ihr Bestand an Mietwohnungen attraktiver wird, damit die Leute gern dort wohnen bleiben und damit nicht noch mehr Leerstände entstehen? Spätestens da beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn wer um alles in der Welt wird eine Wohnung in einer Wohnanlage kaufen, die die Mieter verlassen, weil ihnen ihre Mietwohnung und das Wohnumfeld nicht mehr gefallen?
Sie tragen die Eigentumsbildung durch die Mieter wie eine Monstranz vor sich her und haben in Wahrheit geradezu verhindert, daß es zu dieser Eigentumsbildung kommen konnte. Sie verwandeln die Wohnungsunternehmen in Maklerbüros und hoffen, daß es dadurch in der Bundeskasse klingelt. Durch Ihr Festhalten an der progressiven Erlösabfuhr an den Erblastentilgungsfonds haben Sie die Unternehmen und die Mieter unter unerträglichen Zeitdruck gesetzt.
Wir haben von Anfang an genau auf dieses Problem hingewiesen und gefordert, die Erlösabfuhr linear zu gestalten. In Ihrem Bericht leugnen Sie dieses Problem und fabulieren, eine zügige Privatisierung bedürfe eines ökonomischen Anreizes. Sie behaupten allen Ernstes, von der progressiven Erlösabfuhr gingen keine sozial unverträglichen Druckwirkungen aus. Das ist doch der blanke Hohn. Ihr sogenannter ökonomischer Anreiz macht die Wohnungsunternehmen handlungsunfähig und verunsichert die Mieter. Das ist die Wahrheit.
In Ihrem Fazit zum bisherigen Verlauf der Mieterprivatisierung heißt es, auf Grund der Zielsetzung des Altschuldenhilfe-Gesetzes ergebe sich für die Privatisierung eine bestimmte Prioritätenfolge, die auch mit einer zeitlichen Priorität verbunden sei. An erster Stelle, so heißt es weiter, stehe die Bildung individuellen Wohneigentums durch den direkten Verkauf von Wohnungen an Mieter. Dafür müsse von den Wohnungsunternehmen ausreichend Zeit verwandt werden.
Sie erwarten also allen Ernstes von den Wohnungsunternehmen, ausreichend Zeit auf die Mieterprivatisierung zu verwenden, wenn die Erlösabführung an den Bund mit jedem Jahr steigt? Ihr sogenannter
Iris Gleicke
ökonomischer Anreiz führt zum genauen Gegenteil, weil die Wohnungsunternehmen natürlich versuchen, ihre 15prozentige Privatisierungspflicht noch in diesem Jahr so weit wie möglich zu erfüllen. Das ist nur zu verständlich; denn spätestens vom nächsten Jahr an werden sie bei der Privatisierung Verluste machen. Das führt zwangsläufig dazu, daß nach dem Zwischenerwerbermodell verstärkt an Dritte verkauft wird, weil - das können Sie in Ihrem eigenen Bericht nachlesen - viele Mieter bis jetzt auf Grund ihrer finanziellen Situation überhaupt nicht in der Lage sind, ihre Wohnung zu erwerben.
Herr Minister, was Sie uns mit Ihrem Bericht verkaufen wollen, ist nichts anderes als die Quadratur des Kreises: Zum einen behaupten Sie, mit dem Zwischenerwerbermodell zu erreichen, daß die Wohnungswirtschaft aus der Privatisierung zügig Verkaufserlöse erzielt, die zur Stärkung ihrer Kapitalkraft und Investitionsfähigkeit nötig seien. Zum anderen versichern Sie ganz treuherzig, mit dem gleichen Zwischenerwerbermodell die Chancen der Mieter auf künftigen Eigentumserwerb wahren zu wollen.
Was für ein Quatsch! In Wahrheit haben Sie sich doch vom Vorrang der Mieterprivatisierung längst verabschiedet.
Ich mache Ihnen das an einem Beispiel klar: Ein Wohnungsunternehmen kann nachweisen, daß die direkte Privatisierung an die Mieter nicht zu erreichen war, verkauft 15 Prozent seines Bestandes an einen Zwischenerwerber und kommt damit seiner Privatisierungspflicht nach. Von diesen 15 Prozent muß der Zwischenerwerber jedoch nur einen Teil, nämlich 40 Prozent, an die Mieter veräußern.
Für den Rest kann er dann Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz in Anspruch nehmen. Das ist ganz legal, der Lenkungsausschuß macht es möglich.
Und jetzt kommt das Tollste: Die Kreditanstalt für Wiederaufbau weist in ihrem entsprechenden Merkblatt darauf hin, daß ein Zwischenerwerber, der seiner Verpflichtung zur Privatisierung an die Mieter nicht nachkommt, keinerlei Sanktionen zu befürchten hat. Ich will Ihnen sagen, was das konkret bedeutet: Sie lassen den Wohnungsunternehmen keine Chance, sich angemessen um die Privatisierung an die Mieter zu kümmern, und Sie lassen einem großen Teil der Mieter keine Chance, jemals ihre Wohnung zu kaufen. Das also ist Ihre Privatisierungspolitik.
In diesem Zusammenhang habe ich dann noch ein paar Fragen an Sie, Herr Töpfer: Wie stehen Sie eigentlich dazu, daß es im Bericht heißt, der Zwischenerwerber müsse einen möglichst großen Teil des übernommenen Wohnungsbestandes an Mieter veräußern? Liegt dieser „möglichst große Teil" jetzt bei 40 Prozent? Und wie stehen Sie dazu, daß es im Merkblatt der KfW heißt, der Zwischenerwerber habe keinerlei Sanktionen zu befürchten, wenn er nicht einmal dieser Minimalverpflichtung nachkommt? Da wird doch den Spekulanten der rote Teppich ausgerollt.
Was ist eigentlich aus Ihrem Modell zur Genossenschaftsneugründung geworden, einmal abgesehen davon, daß wir diesem Modell immer sehr kritisch gegenübergestanden haben, weil es dem eigentlichen Genossenschaftsgedanken nicht entspricht? Wollen Sie ernsthaft leugnen, daß es auch hier die progressive Erlösabfuhr ist, die es den Genossenschaftsunternehmen in vielen Fällen so gut wie unmöglich macht, aus der Altschuldenfalle herauszukommen?
Folgen Sie unseren Forderungen nach der Einführung der linearen Erlösabführungsquote von 40 Prozent bei Verkäufen an Mieter oder Genossenschaften. Folgen Sie unserer Forderung nach einer linearen Erlösabführungsquote von 50 Prozent bei Veräußerung an Dritte.
Meine Damen und Herren, nehmen Sie endlich den unerträglichen Zeitdruck von den Mietern und den Wohnungsunternehmen. Berücksichtigen Sie auch die gesamtwirtschaftliche Lage. Denn die Wohnungsunternehmen sollen investieren. Wenn sie investieren, dann schaffen sie auch Arbeitsplätze, was der derzeitigen wirtschaftlichen Situation und dem Arbeitsmarkt sehr gut täte. Haben Sie ein Einsehen, und beseitigen Sie gemeinsam mit uns den Kardinalfehler des Altschuldenhilfe-Gesetzes, die progressive Erlösabfuhr.
Schönen Dank.