Rede von
Dr.
Christine
Lucyga
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits in der 12. Legislaturperiode ist im Deutschen Bundestag das Problem der sogenannten Altschulden auf Gesellschaftsbauten der DDR behandelt worden, leider ohne Ergebnis. Ergebnislos sind bisher auch in der 13. Legislaturperiode alle Versuche geblieben, zu einer politischen Lösung zu kommen.
Ich erspare mir und Ihnen eine nochmalige Darlegung des Problems, das aus mehrjähriger öffentlicher
Dr. Christine Lucyga
Auseinandersetzung allgemein bekannt ist. Entscheidend ist - deshalb hat die SPD-Fraktion diesen Antrag heute eingebracht -, daß dringend etwas geschehen muß, um diese Last endlich von den ostdeutschen Ländern und Kommunen zu nehmen, die im sechsten Jahr der deutschen Einheit von der Bundesregierung immer noch mit systembedingten Erblasten aus der Vergangenheit zur Kasse gebeten werden sollen.
Geradezu beschämend ist, daß das Problem seit Jahren auf dem Tisch der Bundesregierung liegt und es dieser offensichtlich nicht gelungen ist, sich zu der Einsicht durchzuringen, daß es sich für einen Rechtsstaat eigentlich verbietet, willkürliche Entscheidungen im nachhinein für Recht zu erklären. Genau das aber tut die Bundesregierung mit ihrem Beharren auf ihren Altschuldenforderungen.
Dabei kümmert die Bundesregierung weder die Tatsache, daß für viele dieser Altforderungen keine konkreten Nachweise zu erbringen sind, noch die Tatsache, daß die gesamten Altforderungen auf etwa 16 Prozent der ostdeutschen Städte und Gemeinden konzentriert sind, daß also der Gleichheitsgrundsatz verletzt wird, denn 84 Prozent der ostdeutschen Städte und Gemeinden wurden so willkürlich wieder entschuldet, wie sie einmal belastet worden waren -, noch die Tatsache, daß durch eine verhängnisvolle Fehlentscheidung des BMF diese sogenannten Altschulden nach der Währungsunion mit saftigen Zinsen belegt wurden, wodurch die ursprüngliche Forderung von 4,9 Milliarden DM inzwischen auf fast die doppelte Höhe getrieben worden ist.
Wir alle kennen die Beispiele ostdeutscher Kommunen - Sie übrigens auch, meine Damen und Herren der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion -, deren Haushalte schlagartig zusammenbrechen würden, sollten die gegen sie erhobenen Forderungen tatsächlich mit Brachialgewalt durchgesetzt werden. Das Beispiel meiner Heimatstadt Rostock, die für Altschuldenforderungen allein 10 Prozent ihres Haushaltes aufbringen und sämtliche kommunalen Investitionen streichen müßte, habe ich wiederholt angeführt. Ebenso geht es weiteren 1 400 altschuldenbelasteten Kommunen im Osten Deutschlands.
Wenn die Bundesregierung weiter entschlossen ist, ihre Forderungen durchzusetzen, dann wird für diese Kommunen die kommunale Selbstverwaltung außer Kraft gesetzt, weil dann eine völlige Überschuldung einträte. Der Verfassungsgrundsatz, daß die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung umfaßt, würde gröblichst verletzt.
Die Altkredite wurden den Kommunen zugeteilt, ohne daß sie ein Mitspracherecht hatten. So willkürlich wie die Zuordnung, so willkürlich erfolgte auch die Entschuldung. Wenn nun aber die Bundesregierung ebenso willkürlich versucht, diese Vorgänge als normales Kreditgeschäft auszulegen, dann tut sie so, als hätte es in der DDR schon immer eine kommunale Selbstverwaltung gegeben, nur um einen eigenen Fehler nicht zugeben zu müssen.
Ihren Rechtsstandpunkt begründet die Bundesregierung im Prinzip einzig und allein mit dem Recht des Stärkeren. Und das kann ja wohl nicht hingenommen werden.
Hinzu kommt, daß eine Vielzahl der strittigen Objekte heute gar nicht mehr existiert. Uns liegen Beispiele für Millionenforderungen der Firma Waigel an ostdeutsche Kommunen für Einrichtungen vor, die schon längst nicht mehr vorhanden sind oder so nie existiert haben. Das bisher absurdeste bekanntgewordene Beispiel ist die Gemeinde Grabow im Müritzkreis, das ich in einer früheren Debatte genannt habe. Dieses Beispiel, an Absurdität nicht zu überbieten, macht doch deutlich, daß der BMF schon gar nicht mehr Herr des Verfahrens ist. Das kann er so lange nicht sein, wie die Bundesregierung an einer unehrlichen Position festhält, an der auch die bisherigen Verhandlungen im Kanzleramt gescheitert sind.
Was da scheibchenweise als Vorschlag des Bundes auf den Tisch gekommen ist - vom Zinsverbilligungsprogramm der KfW über Angebote von Zinsnachlässen bis hin zum letzten Angebot einer hälftigen Übernahme -, wird der Problematik nicht gerecht. Ich möchte an dieser Stelle zitieren, was dazu der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf, CDU, am 9. Februar im Bundesrat angemerkt hat:
... der Bund übernimmt nicht die Hälfte der Schulden, sondern der Bund hat die Schulden ...
hat der Bund ganz offensichtlich entschieden, ..., daß er einen guten Vergleich abschließen würde, wenn er nur die Hälfte bekäme. Das ist die eigentliche Rechtslage ... Ich lege darauf Wert,
- so Professor Biedenkopf -
weil in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist,
der Bund würde den Ländern einen Gefallen tun, wenn er diesen Kompromiß eingeht.
Von anerkannten Staats- und Verfassungsrechtlern vorgelegte Gutachten stützen die Position der ostdeutschen Länder und Kommunen, indem sie nicht nur eine für die Betroffenen ruinöse Rückzahlungsforderung des Bundes, sondern auch die Verfas-
Dr. Christine Lucyga
sungswidrigkeit einer Auferlegung von Rückzahlungspflichten feststellen.
Als äußerst interessant empfinde ich aber auch, daß noch am 30. November 1995 der jetzige Bundesminister der Justiz, F.D.P., im Plenum des Deutschen Bundestages ausführte, die seinerzeitigen Finanzeinsätze der DDR in den betreffenden Kommunen seien „keine rechtswirksam begründeten Verbindlichkeiten oder auch nur drittgerichtete Lastenzuteilungen im Sinne des Kreditrechts" gewesen, und an anderer Stelle feststellte, es widerspreche dem schlichten Gerechtigkeitsempfinden, die Kommunen damit zu belasten. So ihr jetziger Justizminister, als er noch nicht Justizminister war.
Es bleibt die Frage, warum die Bundesregierung, wenn es denn so ist, nicht endlich handelt und sich zu der Konsequenz Erblastentilgungsfonds bekennt, sondern unter Prozeßandrohungen die finanzielle Hängepartie für die betroffenen Kommunen unzumutbar verlängert, und das bei einem Prozeßrisiko, das letztlich die Steuerzahler tragen müssen. Schon jetzt kostet jeder Tag des Zauderns und Hinausschiebens 1 Million DM allein an Zinsen. Eine schnelle Entscheidung tut also not. Oder, um es noch einmal mit dem Bundesrechnungshof zu sagen: Hätte der Bund die Altschulden gleich im Jahre 1990 als Schulden des Bundes anerkannt und sie in den Bundeshaushalt übernommen, wäre dies für die Steuerzahler um Milliarden günstiger gewesen.
Als sachgerechte und ehrliche Lösungsmöglichkeit für die kommunalen Altschulden kommt letztlich nur eine Übernahme in den Erblastentilgungsfonds in Frage. Dieser Forderung des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, haben sich die CDU-geführten ostdeutschen Länder am 9. Februar 1996 im Bundesrat angeschlossen.
Der heute von der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages eingebrachte Antrag wird dieser Forderung in vollem Umfange gerecht.
Mit Kopfschütteln müssen wir jetzt allerdings zur Kenntnis nehmen, daß es hierzu einen gemeinsamen Entschließungsantrag von CDU/CSU und F.D.P. gibt, der weit hinter der gemeinsamen Forderung der ostdeutschen Ministerpräsidenten - auch der CDU-Ministerpräsidenten - zurückbleibt und ihnen damit in den Rücken fällt. Vollends ein Stück aus dem Tollhaus ist der Satz in Ihrem Entwurf:
Der Bund stellt sicher, daß die Refinanzierung des von ihm zu übernehmenden Schuldendienstes nicht überproportional bei den Transfers an die neuen Länder erfolgt.
Da hätten Sie Ihre Ministerpräsidenten einmal vorher fragen sollen, denn das ist kein Antrag, sondern eine Ergebenheitsadresse in Richtung Kanzleramt
und eine Beleidigung der ostdeutschen Politiker, die auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene um eine gerechte Lösung kämpfen. Dieser Antrag kommt von genau denselben CDU-Abgeordneten, die noch vor vier Wochen, sinnigerweise genau zur Karnevalszeit, ein tolles Strategiepapier zur Schärfung des Profils der Ost-CDU vorgelegt haben,
die einen knallharten Einsatz für ostdeutsche Interessen angekündigt haben und nun wie so oft als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet sind - im Kanzleramt.
Ich möchte den Verfassern des CDU/CSU-F.D.P.-
Antrages deutlich sagen: Hören Sie auf, ausschließlich in Bonner Kategorien zu denken! Denken Sie in den Kategorien von Neubrandenburg, Leipzig und Magdeburg! Denn dafür sind Sie dort von Ihren Wählern gewählt worden.
- Sie können noch so zetern, deshalb haben Sie trotzdem nicht recht.
Was das Altschuldenproblem der ostdeutschen Kommunen angeht, so kann keine Lösung gerecht sein, die hinter den gemeinsam und parteiübergreifend formulierten Forderungen der ostdeutschen Ministerpräsidenten zurückbleibt. Diese sogenannten kommunalen Altschulden sind eine Staatsschuld aus DDR-Vergangenheit, die in den Erblastentilgungsfonds gehört.