Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Forderung nach einer Enquete-Kommission zum Thema „Neugestaltung der Arbeit" wird von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen damit begründet, daß sie parlamentarische Entscheidungen vorbereiten soll, und zwar zu Maßnahmen zur Reregulierung des Arbeitsmarkts und zu gesetzgeberischen Initiativen zur langfristigen Bekämpfung der Erwerbslosigkeit. Wir werden zwar der Überweisung zustimmen, aber ich möchte einige kritisch - begleitende Töne mit auf den Beratungsweg geben, weil ich meine, daß es nicht darauf ankommt, jetzt Reregulierung zu machen, sondern es in der jetzigen Zeit, wenn wir über den Arbeitsmarkt reden, darauf ankommt, Deregulierung und Flexibilisierung zu erreichen,
weil wir das Thema Arbeit, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, nicht auf die lange Bank schieben wollen. Handeln ist angesagt, Handeln im „Bündnis für Arbeit".
Es wäre möglicherweise das falsche Signal, wenn wir über dieses Thema in einer Enquete-Kommission diskutieren und es dort vielleicht ablagern würden.
Lassen Sie mich ein paar Gründe nennen, die mich eher zu einer kritischen Haltung bringen: Eine Enquete-Kommission 'ist, meine ich, in der jetzigen Situation zu theoretisch. Eine solche Kommission soll Entscheidungen vorbereiten und umfangreiche Sachkomplexe untersuchen. Ich meine aber, jetzt muß etwas anderes geschehen; jetzt müssen wir handeln. Damit ist nichts gegen eine Enquete-Kommission generell gesagt. Sie hat natürlich ihre Funktion.
Was hätten wir aber - ich will die Frage wirklich stellen - mit einer Enquete gewonnen? Zum Ende der Legislaturperiode - wir sprechen über das Jahr 1998 - gibt es möglicherweise einen umfangreichen Bericht, der dann - ich habe das im Bildungsbereich einmal miterlebt - stückweise in der nächsten Legislaturperiode diskutiert und dann möglicherweise umgesetzt würde. Wir wären dann im Jahr 2002. Aller Wahrscheinlichkeit nach gäbe es Mehrheits- und Minderheitsmeinungen, möglicherweise sogar Vorschläge, die da lauten könnten: Senkung der Lohnnebenkosten, Existenzgründungen, Flexibilisierung der Arbeitszeit, also Themen, die wir zur Zeit auf der Tagesordnung haben.
Deswegen meine ich, daß es wichtiger ist, jetzt stärker auf das „Bündnis für Arbeit" zuzugehen und dem Aktionsprogramm der Bundesregierung für In-
Wolfgang Meckelburg
vestitionen und Arbeitsplätze die volle Arbeitskraft zu geben.
- Sie können ja Gegenentwürfe einbringen.
Sie sind herzlich aufgefordert, auch ein bißchen mitzutun, damit wir wissen, was Sie wollen. Das wäre sicherlich hilfreich.
Wir brauchen also, meine ich, zur Zeit keine Szenarien - das ist ein Wort, das im Grünen-Antrag vorkommt -, die theoretisch entwickelt werden, sondern wir brauchen praktische Programme. Wir brauchen nicht das Erarbeiten von Theorien - klassische Aufgabe einer Enquete-Kommission -, sondern wir brauchen Praxis und Handeln.
Unser Handeln muß in der jetzigen Situation Sofortwirkung haben.
Beim „Bündnis für Arbeit" sitzen Praktiker aus Politik, Wirtschaft und den Gewerkschaften an einem Tisch. Wenn sie handeln, geschehen Veränderungen - heute und morgen und nicht übermorgen.
- Das ist das alte Argument, das sogar eine Beleidigung für den Stammtisch wäre, Herr Andres.
- Das sage ich ja; aber das Argument ist wirklich abgegriffen.
Was glauben Sie eigentlich, was die Bevölkerung sagt, wenn wir angesichts von 4 Millionen Arbeitslosen jetzt umfangreiche Untersuchungen in Gang setzen? Wir brauchen ein „Bündnis für Arbeit". Wir müssen uns bei unserem Handeln auf wesentliche Punkte konzentrieren. Diese Punkte sind im Aktionsprogramm der Bundesregierung als eine Art Regieanweisung enthalten: Offensive für Selbständigkeit, Existenzgründungen, Senkung der Staatsquote, Beteiligungskapital für Betriebe, Begrenzung der Lohnzusatzkosten. Das ist ein weites Feld; ich will nicht alles wiederholen; wir haben hier schon häufig darüber diskutiert.
- Jawohl, Sie sind alle miteinander eingeladen, hier mitzuarbeiten.
Der Antrag der Grünen setzt darauf, Szenarien zu entwickeln, das Aufzeigen von Regelungsdefiziten zu erarbeiten, Möglichkeiten zur Reregulierung, Beschreibung von. Zielkonflikten und mögliche Entwicklungsalternativen für das soziale Sicherungssystem aufzuzeigen. Ich finde, eine Enquete-Kommission ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt möglicherweise das falsche Instrument. Die Forderungen gehen in die falsche Richtung.
Unser Handeln braucht Zusammenwirken und Breitenwirkung. Wir brauchen das Zusammenarbeiten von Politikern, Unternehmern und Arbeitnehmern, die an einem Strang ziehen, und nicht - wie in diesem Fall - zwölf Abgeordnete und ebenso viele Sachverständige. Damit habe ich nichts gegen Sachverständige gesagt.
- Gegen Abgeordnete auch nicht; das habe ich vorausgesetzt, daß Sie da nicht protestieren würden. - Wir haben gerade im Bereich Arbeit und Soziales eine Fülle von Anhörungen mit Sachverständigen. Ich weiß wirklich nicht, ob wir uns die Arbeit in einer Enquete-Kommission auch noch antun sollten. Wir haben Arbeit genug. Das Besondere an dem „Bündnis für Arbeit" - das zeichnet es gegenüber einer Enquete-Kommission aus - ist, daß nicht Staat und Politik allein für Arbeitsplätze zuständig gemacht werden, sondern daß auch die Tarifpartner mit im Boot sind. Noch wesentlicher ist, daß alle das erkannt und anerkannt haben und ein Bündnis vereinbart haben. Das ist eine Chance, die es jetzt zu nutzen gilt.
Ich möchte nach den Erfahrungen mit den vielen Anhörungen und Sonderterminen unseres Ausschusses dafür plädieren, daß wir unsere Zeit als Abgeordnete gezielt einsetzen, zum Beispiel - was ich versuche - vor Ort. Eine Enquete-Kommission würde zusätzliche Sitzungen und zusätzliche Arbeitsgruppen mit sich bringen. Ich finde, es ist hilfreicher, vor Ort für neue Arbeit zu werben und das Bonner Vorbild „Bündnis für Arbeit" mit in die Wahlkreise zu nehmen. Dort müssen alle politischen Ebenen beteiligt werden. Die Kommunalpolitik kann etwas tun. Bei den Tarifpartnern muß man es auf die Ebene der Betriebsräte holen; da gibt es auch Ansätze. Ich glaube, es lohnt sich, an der Stelle konkret tätig zu werden.
Dennoch, meine Damen und Herren, kommen Theorie, Analyse und langfristige Entscheidungsvorbereitung nicht zu kurz. Wenn wir schriftliche Orientierung suchen, so gibt es da inzwischen eine ganze Menge. Es gibt nicht nur das Aktionsprogramm der Bundesregierung. Es gibt darüber hinaus den Bericht der Bundesregierung „Info 2000 - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft", der heute mittag beraten worden ist. In Vorbereitung sind Untersuchungen des Bundesministeriums für Arbeit zum Themenbereich Scheinselbständigkeit. In wenigen Wochen wird ein entsprechender Bericht vorliegen. Es gibt die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel", in die die Themen, die hier angesprochen worden sind, ebenfalls einfließen können. Wir werden Anhörungen zu vielen Maßnahmen haben; ich nenne nur das Stichwort Arbeitsförderungsgesetz. Die Theorie kommt also nicht zu kurz.
Wolfgang Meckelburg
Ein großer Teil der Aufgaben, über die die Enquete-Kommission nach dem Antrag beraten soll, ist allerdings auch schon erfüllt bzw. auf dem Weg. Ich nenne nur einige Stichworte: Wir haben im Bereich Arbeitszeitrecht einige Neuerungen verabschiedet und die Voraussetzungen für flexible und individuelle Arbeitszeit geschaffen. Der Gesundheitsschutz ist erst vor kurzem wirksamer und praktikabler gestaltet worden. Und was die Transferleistungen angeht, Frau Beck, die ebenfalls als Beratungspunkt angesprochen worden sind, so gibt es dafür eine Regierungskommission, die systematisch eine Durchleuchtung vornimmt. Ein Bericht darüber soll im Herbst 1996 vorliegen. Auch das kann zur Grundlage der weiteren Beratungen gemacht werden.
Ich will ein weiteres Argument anführen, das wir auch ernst nehmen sollten: Wir würden durch eine Enquete-Kommission die Tarifpartner möglicherweise aus dem Verantwortungsdruck nehmen, in den sie sich selbst hineingebracht haben. Tagtäglich müssen wir den Tarifpartnern deutlich machen, welche Verantwortung sie für die Zukunft des Standortes Deutschland haben. Mich ärgert es - ich schätze, Sie auch -, daß man eigentlich täglich kritische Bemerkungen von der einen und von der anderen Seite hört, die das Ganze wieder in Frage stellen.
Es könnte durch eine Enquete-Kommission der Eindruck entstehen, wir seien in der Politik noch nicht so weit, ein Bündnis einzugehen. Man könnte auch manche Frage, die es jetzt in diesem Bündnis zu klären gilt, in die Enquete-Kommission abschieben. Ich glaube, es wäre hilfreicher, wenn wir auch hier die Problemlösung direkt angehen.
Konzentrieren wir also unsere Kräfte; lassen Sie uns die Zeit, die Energie, die wir gemeinsam aufbringen müssen, für das „Bündnis für Arbeit" einsetzen! Denn das „Bündnis für Arbeit" wird nur in der Praxis verwirklicht und nicht durch Aufarbeitung, Analyse und Theorie.