Rede von
Angelika
Mertens
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reaktion der Umwelt auf die
Angelika Mertens
Mitteilung, man beschäftige sich politisch mit Sekten, läuft ziemlich genau nach folgendem Muster ab:
Die einen fragen kurz und knapp, ob man denn nichts Wichtigeres zu tun habe. Die anderen klopfen einem mitleidig auf die Schulter und meinen, das sei nun auch höchste Zeit; aber: herzliches Beileid. Die dritte Gruppe wendet den relativ lange andauernden, prüfenden und einordnenden Blick an, um festzustellen, ob der Überbringer dieser Nachricht nicht vielleicht ähnlich strukturiert sei wie das Objekt seiner Beobachtung, zu deutsch: ob man eventuell auch ein bißchen durchgeknallt sei.
Die voreilige Einordnung: alles Psychopathen, ist genauso unrichtig wie die Feststellung, es handele sich lediglich um ein Randproblem. Jedenfalls bei den Scientologen trifft das nicht zu.
Eine Sekte sind sie eigentlich nicht, schon gar keine Kirche, eher eine Gruppe mit wirtschaftskriminellen Elementen. Die Kirche wurde praktisch nachgeschoben. In Hamburg ging das so: Man gründet ein sogenanntes Bildungsinstitut. Das wird überprüft, und man flüchtet unter Art. 4 des Grundgesetzes. Das garantiert dann nicht nur steuerliche Vorteile, sondern gibt auch eine hervorragende Möglichkeit, alle Kritik mit dem Hinweis auf die Glaubensfreiheit als unzulässig zu erklären. Scientology ist übrigens nirgends auf der Welt als Kirche anerkannt, auch wenn deren Vertreter das immer wieder behaupten.
Wir haben heute morgen alle einen Brief der Scientologen bekommen. Es macht sie also nervös. Das freut mich sehr. Es ist ein sicheres Zeichen für uns, das Richtige zu tun. Es ist schon sehr komisch, wenn eine Organisation, die sich selbst für Übermenschen und uns für antisoziale Persönlichkeiten hält, den dringenden Appell gibt, nicht zu diskriminieren.
Vieles von dem, was L. Ron Hubbard zu Papier gebracht hat, erinnert doch sehr an rassistisches und faschistisches Gedankengut vom Ober- und Untermenschen, so etwa die Einteilung von Aberrierten und Nichtaberrierten oder der Zweck der scientologischen Ethik, Gegenabsichten und Fremdabsichten aus der Welt zu entfernen. Sich zum Kronzeugen für Toleranz zu machen, das ist nun wirklich zum Brüllen komisch.
Mit besonderer Freude habe ich übrigens heute vernommen, daß der Versuch der Scientologen, mit einer einstweiligen Verfügung gegen einen Bericht der Hamburger Innenbehörde vorzugehen, gescheitert ist. Es darf weiter behauptet werden, daß Leute, die sich aktiv gegen Scientology wenden, zum rechtlosen Freiwild erklärt werden, daß innerhalb der Organisation die Meinungsfreiheit nicht gewährleistet ist und daß die Rädelsführer der Scientologen kriminell sind. Davon steht in den scientologischen Presseerklärungen natürlich nichts.
Wenn die SPD-Fraktion die Einsetzung einer Enquete-Kommission beantragt, dann tut sie das nicht aus Jux und Dollerei. Auch wir hätten gut darauf verzichten können, wenn die Bundesregierung in der Vergangenheit einfach nur gehandelt hätte.
Alles, was wir bisher gehört haben, da entschuldigen Sie bitte, waren Mickymaus-Erklärungen: Viele Sprechblasen und eine vage Aussicht auf ein HappyEnd, weil Herr Blüm unerschrocken ziemlich nichtssagende Interviews gibt und Frau Nolte bunte Broschüren verteilt.
Ich spreche den Koalitionsfraktionen nicht den Willen ab, sich ernsthaft mit diesem Thema zu beschäftigen, aber Sie machen schon wieder Ausflüchte. Ich frage Sie ganz ernsthaft: Wovor haben Sie Angst?
An Herrn Häfner: Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Wenn Sie einen besseren Vorschlag für die Überschrift haben - das vielleicht auch an die CDU und die F.D.P. -, dann sind wir gerne bereit, darüber zu diskutieren. Uns ist auf jeden Fall kein besserer eingefallen.
An Frau Leutheusser-Schnarrenberger: Sie springen zu kurz. Sie wissen, entschuldigen Sie bitte, glaube ich, nicht ganz genau, was Sie sagen, wenn Sie behaupten: Wir müssen noch alles mögliche abwarten.
Ich möchte noch einmal auf das Thema Scientology zurückkommen. Es brennt uns ziemlich auf den Nägeln. Profitorientierte Sekten und Organisationen werben keine Menschen mit ernsthaften emotionalen und psychologischen Problemen an. Sie würden nämlich ein unkalkulierbares Risiko darstellen.
Es ist deshalb nur logisch - vor allem, wenn man Geld verdienen und Macht erlangen will -, sich mit den gesellschaftlich relevanten Bereichen zu beschäftigen. Das ist die Wirtschaft, und das geht so: Die Leute suchen sich eine Wachstumsbranche und werben in einer Firma, die sie sich gezielt ausgesucht haben, oft erfolgreich in den Chefetagen an. Es sind die Jüngeren, Dynamischeren, Aufstrebenden, die noch erfolgreicher werden wollen, die angesprochen werden. Scientology bietet kapitalistische und rücksichtslose Durchsetzungsstrategien, die das Profitmachen vereinfachen sollen. Scientologe zu sein wird für viele zum Argument, letzte soziale und moralische Hemmungen aufzugeben. Ist ein Repräsentant angeworben, werden innere und äußere Gegner ausgeschaltet und die Scientology-Praxis des Auditierens eingeführt. Der Kreis hat sich damit geschlos-
8498 Deutscher Bundestag - 13, Wahlperiode - 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1996
Angelika Mertens
sen. Es wird Geld verdient. Geht darüber eine Firma pleite, so sucht man sich die nächste aus.
Selbständige, zum Beispiel Rechtsanwälte oder Steuerberater, selbst Notare, merken oft gar nicht, wie sie in die Fänge geraten, wie sie praktisch mit der Mandantenschaft unterwandert werden. Man steht dann vor der Wahl: raus oder rein, mit der Konsequenz, wenn man sich weigert, in den Ruin getrieben zu werden.
In vielen Bereichen sind die Scientologen auch äußerst erfolgreich, etwa in Werbeagenturen, in Unternehmens- und Personalberatungen oder im Immobilienbereich, so zum Beispiel bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Dieses Geschäft ist bei anhaltender Wohnungsnot praktisch eine „Lizenz zum Gelddrucken" . Mit rüden Methoden, ständigen Besuchen und nächtlichen Anrufen sollen die Mieter vertrieben werden, weil eine freie Wohnung allemal ein besseres Geschäft ist als eine belegte. Mietervereine können, wenn sie ihren Auftrag, nämlich den des Verbraucherschutzes und der Information, wahrnehmen, ziemlich sicher sein, von der jeweiligen Firma auf Unterlassung der Behauptung, es handle sich um eine Firma, die nach scientologischen Grundsätzen arbeite, verklagt zu werden.
Konzertierte Aktionen, also Zusammenschlüsse von Mietervereinen, Wohnungswirtschaft, Handwerkskammern, Immobilienmaklern, sind praktisch Notgemeinschaften gegen Scientology. Es wäre sehr schön, wenn die Bundesverbände der Wirtschaft diese Möglichkeit stärker nutzen würden. Das ist auch ein offener Appell, besonders an die Makler, die nicht gerade zu den Sympathieträgern dieser Republik gehören. Hier bestünde eine gute Möglichkeit, das Image zu verbessern. Lassen Sie Scientologen nicht rein, und schmeißen Sie Scientologen raus. Und das machen Sie bitte öffentlich.
Überhaupt kann festgestellt werden, daß es kaum eine Organisation gibt, die soviel prozessiert, wie die Hubbard-Truppe. Auch wenn man einen Prozeß nicht gewinnt, so schadet er doch auf jeden Fall dem Gegner und bindet ihn in seiner Zeit. Wenn dann noch ein ordentlicher Jurist bei einer Verhandlung sagt, wenn man Brötchen kaufe, interessiere man sich ja auch nicht für die religiösen oder weltanschaulichen Einstellungen des Verkäufers, so kann ich nur sagen: Die interessieren auch mich nicht, aber ich habe ein Recht darauf, zu wissen, was in diesen Brötchen ist und ob ich sicher sein kann, daß sich der Verkäufer, wenn er von der Toilette kommt, auch die Hände gewaschen hat. Auf Scientology bezogen, heißt das: Wo Scientology drin ist, muß Scientology auch draufstehen.
Ich muß also auch boykottieren können. Es kann nicht angehen, daß Verbraucherschutz derart ausgehöhlt wird, daß für Produkte und Dienstleistungen, für die man schließlich viel Geld ausgibt, das Deckmäntelchen der Religionsfreiheit herhalten kann.
Wer sich dann für ein Produkt entscheidet, tut es auf eigene Verantwortung.
Scientologen und auch andere Gruppen gehen mit ihren Kritikern nicht gerade zimperlich um. Es gibt viele Beispiele dafür. Wenn also bei Ihnen jemand in der Mülltonne sammelt, dann kann es der Müllmann sein, muß es aber nicht. Wenn sich jemand beobachtet fühlt, kann es der Anfang einer wunderschönen Freundschaft sein. Es kann aber auch sein, daß Ihnen ein scientologischer Detektiv an den Fersen klebt, weil aktive Kritiker von Scientology Freiwild sind. Wenn Sie wegen einer Behauptung verklagt werden, kann es sich um einen Volltreffer handeln, muß es aber nicht.
Damit komme ich zu einem entscheidenden und, wie ich finde, äußerst wichtigen Punkt: Panik und Hysterie sind schlechte Ratgeber. Aber das, was sich zur Zeit in diesem Bereich abspielt, hat mit Panik und Hysterie zu tun. In kaum einem anderen Bereich liegen nämlich begründeter und unbegründeter Verdacht so nahe beieinander wie in diesem. Hast du einen Konkurrenten, sag doch einfach: Er ist Scientologe. Bist du Scientologe, sag doch einfach, dein Kritiker ist es auch.
Neulich traf es eine bekannte Brauerei. Zur Zeit steht 1860 München unter Verdacht, die ich hiermit als St.-Pauli-Anhängerin herzlich grüße.
Ich bin gleich fertig. - Ich hoffe sehr, daß die Sache schnell aufgeklärt wird, im Interesse der Institution Fußballverein.
Es ist deshalb höchste Zeit, daß wir eine EnqueteKommission einsetzen, daß wir letztlich die Spreu vom Weizen trennen. Ich bin schon gespannt, was sich Scientology einfallen lassen wird. Auf den Brief von heute - das sage ich Ihnen ganz ehrlich - können die sich jedenfalls einen Hubbard backen.