Rede von
Christoph
Matschie
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann Ihre Verdrängungsmechanismen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ganz gut verstehen.
Zunächst einmal bleibt aber festzuhalten: Die Bundesregierung muß insgesamt mit einer schlechten Note in Umweltpolitik in die Osterpause gehen.
Das ist keine Erfindung der bösen Opposition im Bundestag. So hat es vielmehr die Presse weitgehend kommentiert.
Ich glaube, es macht wenig Sinn, dies hier nur ganz selektiv zu betrachten. Es ist richtig: In dem Umweltgutachten finden sich Anstöße für alle Seiten dieses Hauses. Wir sollten diesen Anstößen nachgehen.
Zentrales Anliegen dieses Gutachtens ist die Umsetzung des Leitbildes einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung in konkrete Politik. Dies ist ein Anliegen, das in Rio zum erstenmal so dezidiert formuliert worden ist,
von über 150 Staaten anerkannt wurde und auch von der Bundesregierung immer wieder betont wurde.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, allein wohlige Worte beeindrucken die Situation der Umwelt leider nicht. Deshalb mußte der Sachverständigenrat feststellen - ich zitiere -:
Im Regierungsprogramm der 13. Legislaturperiode fehlen aber Leitlinien und deutliche Zielsetzungen, die eine Perspektive zur Überwindung einer noch vielfach defensiven und sektoral ausgerichteten Umweltpolitik eröffnen und weitere Schritte zur Verwirklichung des langfristig angelegten Konzeptes einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung aufzeigen.
Das ist eine klare Defizitbeschreibung. Dieses Fehlen von klaren Zielsetzungen und Konzepten hat - so beobachte ich das - zu einer ziemlichen Kopflosigkeit und Kurzatmigkeit in der Umweltpolitik geführt.
- Herr Kollege, Sie sagen „falsche Schlußfolgerung" . Ich werde Ihnen ein Beispiel dafür bringen. Nehmen wir die ökologische Steuerreform oder, wie es der Umweltrat nennt, die umweltgerechte Finanzreform. Im vergangenen Sommer war das der große Hit. Es erfolgten Ankündigungen im großen Stil. So schrieb die „Süddeutsche Zeitung" am 8. Juni: „Rexrodt für Öko-Steuer-Alleingang". Da heißt es weiter:
Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt hat sich für einen nationalen Alleingang bei der Einführung einer CO2-/Energiesteuer ausgesprochen,
falls es nicht zu einem international abgestimmten Vorgehen kommt: „Ich will den Einstieg in eine ökologische Weiterentwicklung des Steuersystems ... "
Es ging weiter: Auch die FAZ
titelte am 14. Juli: „Rexrodt: Energiesteuer 1997 notfalls im Alleingang".
Christoph Matschie
Auch der Kollege Schäuble erklärte im „Spiegel" -Interview im September 1995:
Wir haben verabredet, noch in diesem Herbst über die Verstärkung ökologischer Elemente in der Steuerpolitik zu reden und auch die notwendigen Entscheidungen zu treffen.
Wie dann weiter? In der Debatte im Januar diesen Jahres, als die Anträge von der SPD und den Grünen iur ökologischen Steuerreform eingebracht wurden, macht Rexrodt den Salto rückwärts und sagt, auf die Ökosteuerdiskussion eingehend:
Das wird uns noch mehr verwirren, die Unternehmer noch mehr verwirren und auch die Arbeitgeber, meine Damen und Herren.
Da kann ich nur sagen: Ganz schön verwirrend unser Wirtschaftsminister.
Der Kollege Repnik, der für die Union einen Vorschlag zur Ökosteuer ausgearbeitet hat, stellt sich in der gleichen Debatte hierher und spielt die Wirtschaftspolitik gegen den Schutz der Umwelt aus.
Meine Damen und Herren von der Koalition, so kann man die langfristigen Herausforderungen zum Erhalt der natürlichen Umwelt nicht bewältigen.
- Ich weiß, daß es auch in unserer Partei Diskussionen über die Ökosteuer gibt. Aber wir haben in diesem Hause ein Konzept auf den Tisch gelegt.
Wir warten immer noch auf das, was Sie hier auf den Tisch legen. Weder die Koalitionsfraktion noch die Bundesregierung haben bisher etwas vorgelegt, über das wir mit ihnen konstruktiv ins Gespräch kommen können.
Ich sage Ihnen: Wer sich so feige weigert, notwendige Veränderungen anzupacken, und statt dessen die Probleme immer weiter in die Zukunft verschiebt, hat auch die junge Generation nicht mehr auf seiner Seite.
Die junge Generation läßt sich nämlich in dieser Frage zunehmend weniger gefallen. Im Dezember haben junge Abgeordnete parteiübergreifend, wie einige hier wissen, gemeinsam mit jungen Unternehmern, gemeinsam mit Umweltschützern den schnellen Einstieg in eine ökologische Steuerungsreform gefordert, und zwar nicht, weil es schick ist, öko zu sein, sondern weil wir nicht mehr zusehen können, wie die Umweltgefährdung immer weiter zunimmt.
Es ist doch klar, das sagt auch der Sachverständigenrat: Unsere jetzige Entwicklung ist nicht unbegrenzt fortführbar, weil sie langfristig die eigenen Grundlagen zerstört. Nicht die Ökonomie setzt die Grenzen für das, was wir im Umweltschutz tun können. Vielmehr setzt uns das Ökosystem Erde die Grenzen für unser wirtschaftliches Handeln.
Damit bin ich gleich bei der gegenwärtigen Debatte zur Beschleunigung von Verfahren.
Da werden eilig Einschnitte beim Umweltschutz gefordert, weil angeblich nur so der Wirtschaftsstandort gerettet werden kann.
Der Umweltrat bemängelt in seinem Gutachten das Fehlen empirischer Belege für den behaupteten Zusammenhang der Dauer von Genehmigungsverfahren und Standortentscheidungen. Er warnt uns vor voreiligem legislativen Aktionismus. Ich denke, wir sollten uns sehr genau ansehen, was wir da machen.
Oder nehmen wir - das ist auch angesprochen worden - die Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, die inzwischen schon fast zum Ersatz für Umweltpolitik geworden sind. Frau Homburger und Herr Lippold, das ist nicht nur eine böswillige Unterstellung der Opposition;
vielmehr schreibt auch die FAZ am 9. März 1996:
Skeptisch steht der Umweltrat den Selbstverpflichtungen der Industrie gegenüber.
Der Umweltrat empfiehlt, dieses Instrument äußerst selektiv und äußerst befristet zu erproben. Er äußert außerdem schwerwiegende Befürchtungen, daß im Geleitzug der Beteiligten derartiger Verpflichtungen das jeweils schwächste Glied das Tempo bestimmt und die Wirtschaft sich nur zu Zielen verpflichtet, die sie ohnehin ansteuert. Man sollte also wirklich genau hinhören, was der Umweltrat hier aufgeschrieben hat.
Die Kette der Mängel in der gegenwärtigen Umweltpolitik, die angesprochen werden, läßt sich fortsetzen: Kritik am Umwelthaftungsgesetz, Kritik am Umweltinformationsgesetz, Kritik wegen noch immer fehlender Rechtsverordnungen zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz,
Kritik in bezug auf den Verkehrsbereich.
Die Frage, die gestellt werden muß, bleibt natürlich, auch wenn Sie das nicht gerne hören: Welche
Christoph Matschie
nächsten Schritte sollen jetzt gegangen werden? Dazu möchte ich von Ihnen Vorschläge hören.
Die Bilanz ist nicht besonders schmeichelhaft. Das ist kein Grund zur Schadenfreude auf seiten der Opposition. Es ist Grund zur Sorge.
Es nützt am Ende nichts, Herr Lippold, darauf zu verweisen, daß die Bundesrepublik zum Kreis der ökologisch fortschrittlichen Staaten gehört. Die wirkliche Herausforderung nämlich, die hier auch benannt wird, eine auf Dauer ökologisch tragfähige Entwicklung, ist noch längst nicht bewältigt. Die Gefahr einer Stagnation oder gar Rückwärtsentwicklung in diesem Bereich ist groß.
Nicht zuletzt mahnt uns der Umweltrat auch: Die Durchsetzung einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung bedarf der Bündelung und der Mitwirkung aller gesellschaftlichen Kräfte. Wir haben, gerade weil die Umweltpolitik existentiell ist, in der Vergangenheit immer wieder die Zusammenarbeit angeboten. Leider wurde, wie zuletzt bei den Beratungen zu den Klimaschutzanträgen, ein solches Angebot häufig nicht angenommen. Ich wünschte mir, daß wir häufiger dazu kämen, solche Fragen, die der Anstrengung der Gesamtgesellschaft bedürfen, auch gemeinsam anzugehen, anstatt daß Sie sich weigern, Vorschläge vorzulegen, und Sie das, was wir vorlegen, einfach in Bausch und Bogen ablehnen. So kann es in der Umweltpolitik keine Weiterentwicklung geben.