Rede von
Wolfgang
Bierstedt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich bitte schon vorab um Entschuldigung, falls ich wieder zu schnell rede. Aber mein Flieger geht in einer Stunde.
Herr Mayer, ich komme aus einem mittelständischen Rechenzentrum mit einem nicht unerheblichen Softwareanteil. Ich kann Ihnen sagen: Die Konkurrenz den Großen gegenüber bedingt ein knüppelhartes Geschäft. Ich teile Ihre Euphorie in diesem Zusammenhang nicht ganz, daß es den mittelständischen Unternehmen in diesem Bereich außerordentlich gut geht. Das aber nur als Angebot für einen Erfahrungsaustausch, um Ihre Sicht ein wenig objektiver zu gestalten.
Eine ganz kurze Bemerkung zu dem, was Herr Rexrodt vorhin gesagt hat: Herr Rexrodt, Ihr kleiner Versprecher mit den 1,5 und 1,5 Millionen - sicherlich entschuldbar, auch wenn das eine sehr große Differenz ist - offenbart für mich, daß Sie an die Zahl von 1,5 Millionen zusätzlichen neuen Arbeitsplätzen selbst nicht richtig glauben. Das wollte ich zumindest einmal bemerkt haben.
Der seitens der SPD vorgelegte Antrag geht in seinem grundsätzlichen Anliegen von einem notwendigen, auch von uns unbestrittenen Zusammenhang zwischen Arbeit und Umwelt aus und folgt damit einem Trend, kurz „Bündnis für Arbeit und Umwelt" genannt.
Der Club of Rome hat in seiner Studie „Grenzen des Wachstums" festgestellt, daß die Industrieländer nicht weiter einen solchen Raubbau an natürlichen Ressourcen betreiben dürfen, wenn sie nicht die Existenz unserer heutigen Welt aufs Spiel setzen wollen. Ansonsten werde die Gesellschaft ihrer natürlichen Grundlage eines wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Handelns beraubt.
Diese Besorgnis - zumindest habe ich das so herausgelesen - spiegelt sich auch in dem vorliegenden Antrag der SPD wider. Mit den darin vorgeschlagenen Zielstellungen - ich verzichte darauf, die Zielstellungen einzeln zu erwähnen - kann sich die Gruppe der PDS - auch wenn ich weiß, Herr Thierse, daß Sie nicht so gerne von uns gelobt werden - inhaltlich voll identifizieren.
Des weiteren müssen wir aber, so unsere Ergänzung, von einem steten Anwachsen der Zahl der Menschen - nicht nur im nationalen Maßstab - ausgehen, denen man keine Möglichkeit gibt, über Erwerbsarbeit ihr Leben selbstbestimmend zu gestalten.
Welche Wege bieten sich nun an, um das eine mit dem anderen zu verbinden, also das eine zu tun, nämlich Arbeitsplätze zu schaffen, und das andere, die Umwelt zu schonen, nicht zu lassen? Als Ausweg hat die Politik nun die Innovation erkannt.
Wir stimmen mit unserem Zukunftsminister dahin gehend überein, daß sich die deutsche Innovationspolitik in der Krise befindet. Wir sind deshalb auch dafür, das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie aufzuwerten und in der Zukunft mit einem größeren Etat auszustatten. Ob sich daraus aber ein Innovationsministerium entwickeln wird und ob sich dieses dann tatsächlich den Umweltinteressen stellt, wage ich zu bezweifeln.
Es muß auch noch bewiesen werden, inwieweit eine ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft, deren Notwendigkeit - aus welchem Grund auch immer - keiner mehr bestreitet, mehr Arbeitsplätze schafft. Die im SPD-Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen sind zwar dazu geeignet, neue und auch ökologisch vertretbare Arbeitsplätze zu schaffen; ob es im Saldo aber tatsächlich mehr Arbeitsplätze sein werden, ist zumindest noch nicht schlüssig.
Die PDS steht nicht für eine Verweigerungshaltung gegenüber neuen innovativen Technologien und Technikbereichen, obwohl unsere ethischen Maßstäbe zum Beispiel im Bereich der Gen- und Reproduktionstechnologien deutlich andere sind. Wir stehen aber auch dafür - das ist unser alternativer Ansatz zur Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs -, daß Arbeit einfach ganz anders verteilt werden muß. Das bedeutet Verringerung der Lebensarbeitszeit, der Wochenarbeitszeit und der Überstunden sowie die Bezahlung von bisher unbezahlt geleisteter gesellschaftlich notwendiger oder nützlicher Arbeit. Die Arbeit muß ganz einfach auf mehr Schultern, auf mehr Köpfe oder in mehr Hände verteilt werden.
Das hat natürlich auch etwas mit der gerechteren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu tun. Schließlich muß man das ja finanzieren können.
Falls jemand in diesem Zusammenhang an den Verfassungsschutz denkt, wenn ich von umverteilungsgesellschaftlichem Reichtum von oben nach unten spreche, so erinnere ich ihn ganz einfach an die Sozialpflicht des Eigentums, die für uns ein wesentlicher Bestandteil des Grundgesetzes dieser Bundesrepublik ist.
Nach unserem Innovationsverständnis muß man aufhören, an den End-of-pipe -Technologien herumzudoktern und vorrangig Prestigeobjekte zu fördern. Man sollte auch nicht versuchen, den Eindruck zu erwecken, als wenn die kleinen und mittleren Unternehmen schon die Technologien des 21. Jahrhunderts irgendwie umsetzen werden.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß der Anteil der originären Forschungsausgaben dieser Bundesregierung rückläufig ist. Vor allem neue, für die ökologische und soziale Zukunftssicherung bestimmte Forschungen werden auf das gröblichste vernachlässigt.
Außerdem läßt sich noch erwähnen: Auch ein Großteil des ostdeutschen kreativen Forschungspersonals wurde in den letzten Jahren ausgeschaltet. Die Antworten der Bundesregierung auf die gegenwärtigen Defizite und Konflikte werden in dem en-
Wolfgang Bierstedt
gen Rahmen der Diskussion um den Wirtschaftsstandort Deutschland hineingezwängt.
Das ist kurzsichtig und im Kern nationalistisch.