Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister dafür dankbar sein, daß er zumindest ein Wort zur Innovationsdebatte verloren hat, nachdem er zur Innovationspolitik im wesentlichen geschwiegen und hier Seifenblasen zur Informationsgesellschaft gepustet hat.
Der Herr Bundesforschungsminister, der Herr Zukunftsminister, der sich ja viel mehr Gedanken über Innovationen macht, hat am 10. Januar dieses Jahres das Ende des High-tech-Standort Deutschland prophezeit. Deutschland lebe, so seine Worte, technologisch von der Substanz. Das Innovationspotential sei zwar vorhanden - so die zugrunde liegende Studie des niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung -, jedoch nicht die Bedingungen, es auszuschöpfen. - Es kommt also auf die Rahmenbedingungen an. Das hat der Herr Bundeswirtschaftsminister zwar wohl ebenfalls erkannt; er hat sich aber im wesentlichen nicht dazu geäußert.
Im Gegensatz zu dem, was der Zukunftsminister gesagt hat, möchte ich folgendes klarstellen: Die Grundlagenforschung ist in Deutschland hervorragend; die Patentstatistik ist hervorragend, die Nobelpreisstatistik ist blendend; aber die Rahmenbedin-
Dr. Manuel Kiper
gungen - dafür ist ja wohl in erster Linie die Bundesregierung verantwortlich -
sind zu schlecht,
um hieraus wirtschaftliche Prosperität erwachsen lassen zu können. Erinnern wir uns: Zwei Jahrgänge promovierter Chemiker sind jetzt in die Arbeitslosigkeit entlassen worden. Zwei Jahrgänge von Ingenieuren, von gut ausgebildeten Fachleuten, sind ebenfalls auf die Straße geschickt worden.
Nicht die von Ihnen, Herr Rexrodt, gescholtene Technikfeindlichkeit ist das Problem in diesem Lande,
es ist auch nicht die Verweigerungshaltung
- ich bin dem Kollegen Thierse dankbar für die Worte, die er hier gefunden hat -, sondern es sind die Rahmenbedingungen, die geändert werden müssen. Sie selber, Herr Rexrodt - das muß man sagen -, und diese Bundesregierung stehen einer Innovation in diesem Lande im Wege.
Herr Rexrodt, die Bundesregierung - ich höre das ja immer wieder, seitdem ich hier im Bundestag tätig bin, und wir haben es auch vorher immer wieder gehört - klammert sich bei ihrer Innovationspolitik an zwei Strohhalme, nämlich Gentechnik und Multimedia - Sie haben sich jetzt gerade über einen dieser Strohhalme ausgelassen -, das heißt, an die sogenannten Spitzentechnologien. Sie konzentrieren praktisch die ganze Innovationskraft dieses Landes auf diese Art von Spitzentechnologien und vernachlässigen die ganze Breite innovativer Technologien.
Werden Sie damit Erfolg haben? Nein, denn der Boom und die großen Erfolge bei der Gentechnik sind ausgeblieben.
Herr Rüttgers möchte Deutschland auf dem Sektor Gentechnik zur Nummer eins in Europa machen. Das wird ihm wahrscheinlich sogar glücken - mit den Hunderten von Millionen, die hier über das Land gestreut werden. Nur: Damit werden nicht genug Arbeitsplätze geschaffen. Gucken wir uns das doch in den USA an! Gucken wir uns das hierzulande an! In den USA sind mit 20 Milliarden Dollar Risikokapital 110 000 Arbeitsplätze geschaffen worden. Das Risikokapital für die Firmengründungen haben wir hierzulande nicht. Wir haben hier immerhin 35 000 Arbeitsplätze in der Gentechnik geschaffen. Aber um welchen Preis? - Um den Preis, daß wir 450 Millionen DM von der öffentlichen Hand, aus dem Bundeshaushalt dafür zur Verfügung stellen mußten. Das sind die Zukunftsarbeitsplätze, die Sie schaffen. Das ist das Ergebnis, wenn man nur auf Spitzentechnologie setzt!
Meine Damen und Herren, der Bundesforschungsminister sagt: Die Biotechnologie wird in der Europäischen Union direkte Auswirkungen auf 9 Prozent der Bruttowertschöpfung und 8 Prozent der Beschäftigung haben. Dies entspricht 9 Millionen Arbeitsplätzen. - Verglichen mit den 35 000 Arbeitsplätzen, die in diesem Sektor hierzulande tatsächlich geschaffen worden sind, ist diese Zahl blamabel und eine Lüge; denn die Arbeitsplätze werden in diesem Bereich nicht geschaffen werden.
Wenn Sie, Herr Rexrodt, sich hier hinstellen und über Multimedia im Prinzip ganz genau das gleiche sagen - Sie sagen natürlich einschränkend: im Bestcase-Szenario; Sie nehmen das schon zurück -, also von 6 Millionen Arbeitsplätzen durch Multimedia und durch Informationstechnik im Jahre 2000 sprechen, dann liegen Sie genauso daneben. Das sind Seifenblasen, die Sie hier in die Landschaft pusten. Sie machen den Leuten Illusionen. Diese Arbeitsplätze werden nicht geschaffen; denn - Herr Rexrodt, Sie wissen das ebenso, wie es die Fachleute wissen - die Informationstechnologie ist eine Rationalisierungstechnologie, und Arbeitsplätze werden abgebaut. Wenn Sie sich einmal die Prognosen für den Bankensektor der USA angucken, dann stellen Sie fest: Jede zweite Bankenfiliale in den USA wird in den nächsten Jahren dichtgemacht. Da werden 450 000 Arbeitsplätze abgebaut. Hierzulande ist es nicht anders.
Wenn Sie sagen, gerade im Telekommunikationsbereich hätten Sie die Weichen richtig gestellt, da setzten Sie auf Liberalisierung, dann müssen Sie auch hinzufügen: Bei der Telekom werden jetzt 60 000 Arbeitsplätze abgeschafft, und bis zum Jahr 2000 werden nochmal 35 000 Arbeitsplätze abgeschafft. Das ist die Realität Ihrer Innovationspolitik.
Angesichts dessen müssen wir uns fragen: Stimmen dann noch die Rahmenbedingungen dafür, daß hier wirklich neue Arbeitsplätze geschaffen werden? Ich kann nur sagen: Nein, die Rahmenbedingungen stimmen nicht.
- Zu Multimedia komme ich noch, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen.
Dr. Manuel Kiper
Die Folgen von Multimedia sind ganz klar. Die Folgen sind: Arbeit für die Masse der Bevölkerung wird es nicht mehr geben. Es wird mehr Arbeitslosigkeit geben. Es wird mehr Rationalisierung geben. Selbst der Technologierat hat immerhin festgehalten, daß diese Technologie ein Rationalisierungspotential von 20 Prozent aufweist.
Von daher sind grundlegende Strukturänderungen notwendig, ist eine Umverteilung von Arbeit und Einkommen nötig. Diese strukturellen Änderungen können nicht mehr ausgesessen werden, wie es diese Regierung macht. Wenn wir hier Innovationspolitik machen wollen, dann muß dies auch für den Sozialbereich gelten, und dann muß das für den gesamten Gesellschaftsbereich gelten; denn die Arbeitsplätze der Zukunft werden nicht in diesen Spitzentechnologiebereichen geschaffen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen neuen Aufbruch - dieses Land hat einen neuen Aufbruch verdient -, und wir brauchen auch neue Leitbilder, so das Leitbild des nachhaltigen Wirtschaftens. Wir brauchen Technologien für nachhaltiges Wirtschaften. Ich erinnere hier an die Vorreiterrolle der Umwelttechnik. Wir brauchen jetzt den industriellen Umbruch hin zum produktionsintegrierten Umweltschutz. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, nicht nur hier im Bundestag, sondern im ganzen Land, haben ein Jahrzehnt lang auf uns Grünen herumgehackt, weil wir auf Umwelttechnik gesetzt haben. Wir können heute sagen: Gerade der Umwelttechnikbereich ist in diesem Lande ein hochinnovativer Bereich, in dem tatsächlich Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen worden sind. Dafür hätten Sie uns dankbar sein müssen. Aber Sie haben vor zehn Jahren nicht die Zeichen der Zeit erkannt, und Sie erkennen heute leider immer noch nicht die Zeichen der Zeit auch für andere nachhaltige Technologien, wie es die Solarenergie, wie es die Bionik, wie es neue Verkehrstechnologien und Innovationen zur Weiterentwicklung der RadSchiene-Technik sind. Nein, Sie kaprizieren sich auf den Transrapid, eine Verkehrstechnologie, die überhaupt nicht in die Landschaft paßt. Damit tun Sie nur eine neue Sackgasse auf.
Zur Weiterentwicklung der umweltfreundlichen Energiegewinnung: Durch Energieeinsparung und dezentrale Energiegewinnung könnten Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden. Sie haben es versäumt, dafür die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie haben - wir haben das hier im Hause schon mehrfach angesprochen -, insbesondere was die Solarenergie anbelangt, nicht die Voraussetzungen für Innovation und für Arbeitsplätze in diesem Land geschaffen.
Unsere Forderung an die Bundesregierung: Wenn Sie es noch schaffen, reißen Sie doch endlich das Steuer in der Technologiepolitik, in der Innovationspolitik herum! Dafür müßte diese Regierung aber die Kraft haben, neue Instrumente zur sozialökologischen Modernisierung dieser Gesellschaft zu schaffen.
Dazu gehört auch ein Markt für Risikokapital. Zu diesem Thema haben Sie sich, Herr Rexrodt, ein wenig geäußert. Ich bin dem Kollegen Thierse dankbar dafür, daß er hier Wichtiges dazu gesagt hat, wie katastrophal die Situation für den Risikokapitalmarkt hierzulande ist. In Deutschland ist die Risikofinanzierung 1994 auf lächerliche 40 Millionen DM abgesunken. In den USA hingegen haben in den vergangenen 20 Jahren die Risikokapitalfonds über 10 000 High-Tech-Neugründungen mit Milliarden von Dollar finanziert. Hierzulande gibt es eher eine Kreditverweigerung. Da müssen die Rahmenbedingungen geändert werden. Aber sie haben die Rahmenbedingungen so gestaltet, daß die Gelder in Wohneigentum, in Lebensversicherungen, in irgendwelche Anlagen beim Aufbau Ost, die nur Spekulation sind, fließen und nicht bevorzugt in neue Technologien investiert werden.
Seit 1990 hat es hierzulande nicht einmal 20 Börsengänge pro Jahr gegeben. An die US-Computerbörse NASDAQ dagegen drängten in der gleichen Zeit über 2 000 Börsenneulinge. Das liegt an den Rahmenbedingungen. An denen haben Sie nichts geändert. Sie von seiten des Wirtschaftsministeriums und von seiten der Bundesregierung haben den Gründerboom der 80er Jahre verschlafen. Es sieht so aus, als ob Sie auch den Boom der 90er Jahre verschlafen werden. Treiben Sie die Erfinder nicht weiter ins Ausland!
Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas zu „Info 2000", worüber sich der Bundeswirtschaftsminister ausgelassen hat, sagen. Wir von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen haben unsere Position zur Informationsgesellschaft mit unserem Antrag zur ökologischen, sozialen und demokratischen Gestaltung der Informationsgesellschaft in diesem Haus bereits eingebracht und zur Diskussion gestellt. Ich möchte gar nicht verschweigen, daß es auch gewisse Übereinstimmungen mit den Maßnahmen gibt, von denen die Bundesregierung in dem Bericht „Info 2000" feststellt, daß sie in diesem Lande getroffen werden müssen. Ich möchte meine Befriedigung darüber äußern, daß der Bundesforschungsminister gestern angekündigt hat, daß endlich 10 000 Schulen in Deutschland an die Datenautobahn angeschlossen werden sollen.
Wir bringen heute einen Entschließungsantrag speziell zum Bericht „Info 2000" mit folgenden Eckpunkten ein: Der Zugang zu Online-Diensten muß verbilligt werden, die Konzentrationskontrolle muß verstärkt werden. Vor allen Dingen muß die Datensicherheit in diesem Lande verbessert werden; das ist eine Grundvoraussetzung dafür, daß Informationstechnologie auch in der Wirtschaft wirklich fruchtbar werden kann. Die Bürgerbeteiligung muß verstärkt werden. Der Arbeitsschutz - darauf haben Sie, Herr Rexrodt, bei den Telearbeitsplätzen nicht hingewiesen - muß natürlich auch bei Telearbeitsplätzen verbessert werden.
Für den Bericht „Info 2000" gilt: Die innovative Umsetzung wurde verschlafen. Die neuen Impulse für Unternehmensgründungen und Arbeitsplätze
Dr. Manuel Kiper
kommen zu spät. Die Gründerwelle wurde von Ihnen ausgesessen, statt beflügelt. Die IuK-Technologien in Deutschland hinken der technologischen Leistungsfähigkeit seitens der USA hinterher.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich stelle fest: Die „Zerrüttgerung" unserer Forschungslandschaft muß gestoppt werden.
Der Gründerboom der 80er Jahre wurde versäumt. Für die nächste Welle müssen nun endlich die Weichen richtig gestellt werden.
Die Koalition machte sich bisher mangelnde Innovationsbereitschaft zum Prinzip. Sie selber von seiten der Koalitionsfraktionen und dieser Regierung sind das Problem für Innovation in diesem Lande. Statt konservativer Behäbigkeit und Biertischseligkeit, was Technologie anbelangt, brauchen wir endlich die ökologische und soziale Modernisierung. Statt „Rüttwärtsgang" und „Kohldampf" braucht dieses Land Visionen, braucht dieses Land eine Reformperspektive, braucht dieses Land ein Innovationsklima auch auf der Regierungsbank.
Ich danke Ihnen.