Rede von
Dr.
Günter
Rexrodt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorweg, meine Damen und Herren von der SPD, ein paar Bemerkungen zu Ihren Anträgen: Als ich sie gelesen habe, bin ich eigentlich davon ausgegangen, daß wir einen Grundkonsens haben bezüglich der Einschätzung der Bedeutung der Innovationspolitik für die Wettbewerbsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit unseres Landes und unserer Wirtschaft. Insofern bin ich ein bißchen verwundert darüber, Herr Kollege Thierse, was Sie hier vortragen.
Wir haben die Standortdebatte nie allein unter dem Kostensenkungsaspekt geführt.
- Sie müssen es wissen, Herr Kollege. - Die Standortdebatte ist immer unter drei Aspekten geführt worden: Erstens. Wir müssen Forschung und Entwicklung stärken und Innovationen verbessern. Zweitens. Wir müssen die Kosten senken. Drittens. Wir müssen Deregulierung erreichen, wir müssen Verkrustungen aufbrechen. Die Debatte am heutigen Vormittag hat es gezeigt.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Lassen Sie mich in aller Ruhe und Sachlichkeit feststellen: Wir brauchen keinen Nachhilfeunterricht in Innovation, Forschung und Entwicklung.
Wir haben die Förderetats in finanziell schwierigster Zeit gehalten, zum Teil auch aufgestockt. Wir haben sie insgesamt natürlich nicht mehr wachsen lassen können. Es kommt aber nicht nur auf Geld an. Es kommt zwar auch auf Geld an - das sage ich, um nicht mißverstanden zu werden -, aber Projektförderung allein ist es nicht. Es kommt auch auf die qualitative Ausrichtung der Programme an. Es kommt ferner darauf an, daß wir in diesem Lande Technikfeindlichkeit überwinden und eine positive Grundstimmung für die Anwendung und Umsetzung neuer Technologien herbeiführen.
Ich glaube, dabei sind wir gut vorangekommen. Ich will das an unserem Bericht „Info 2000" deutlich machen, der in der Tat mehr ist als ein Bericht. Er ist ein Aktionsprogramm. Herr Kollege Thierse, wir haben die Vorläuferbroschüre zum Info-Bericht in 50 000-facher Ausfertigung vertrieben und den InfoBericht, den es erst seit wenigen Wochen gibt, bereits in tausendfacher Ausfertigung. Er ist ebenfalls im Internet. Er wird nachgefragt. Ich darf sagen: Er wird von allen Seiten, auch von seiten der Opposition, als ein wichtiger und guter Bericht bezeichnet. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie das zu erkennen geben.
Deutschland ist auf dem Weg in die Informationsgesellschaft. Das heißt, wir stehen vor einem Quantensprung. Computer, Telekommunikation und die klassischen Nachrichtenmedien wachsen zusammen. Das ist mehr als eine Addition von drei Teilen. Das ist eine neue Qualität für die Gesellschaft, eine Qualität, die vergleichbar ist mit dem, was wir mit der Einführung der Dampfmaschine oder der Elektrizität erlebt haben.
Noch vor wenigen Jahren war undenkbar, was heute Wirklichkeit ist. Gestützt auf die Informationstechnik, sind Unternehmen in der Lage, die Zyklen von Entwicklung, Produktion und Verkauf drastisch zu verkürzen. Information ist ein mobiler Produktionsfaktor geworden so wie Rohstoffe und Kapital. In quasi virtuellen Unternehmen lenken kleine Stäbe weltweit Tausende von Mitarbeitern. Dafür gibt es Beispiele in nächster Nähe. Schauen wir uns die Firma Puma oder ABB in der Schweiz an.
Einkaufen - um auch das zu schildern - kann man in quasi virtuellen Ladengalerien, nebenbei bemerkt auch nach 18.30 Uhr, was die ganze Absurdität dieser Regelung einmal mehr unter Beweis stellt.
Intelligente Verkehrsleitsysteme - wir haben auf der A 9 einen wichtigen Versuch gemacht - helfen, die Umwelt zu schonen und die Zahl der Verkehrstoten nachweisbar zu verringern. Was wir in manchen Autos - auch und gerade in deutschen Produkten - an Informationssystemen haben, ist wegweisend für diese neue Technologie.
Neue Lehr- und Lernprogramme verändern die traditionellen Formen des Studierens, der Ausbildung und der Weiterbildung. Künftig können in Vorlesungen im Cyber Space Studenten beispielsweise aus Bayreuth mit Professoren aus Harvard, aus Paris oder von sonstwo zusammengeführt werden.
In der Medizin vollzieht sich bereits heute eine Revolution in dem Sinne, daß das Wissen von Spezialisten über Ferndiagnose in der ganzen Welt nutzbar gemacht werden kann. Das alles ist nicht Sciencefiction oder Utopie; das ist alles greifbare Realität.
Wir müssen diese Veränderungen als Chance und nicht nur als Bedrohung begreifen. Wir müssen wachsam sein, aber wir müssen diese Chance auch nutzen. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Chance für die Wirtschaft und die entstehenden Weltmärkte, sondern auch um eine Chance für Demokratie, Pluralität und Individualität.
Wir brauchen ein liberales, ein marktwirtschaftliches Klima. In einer vernetzten Welt sind einzelstaatliche Regulierungen, Dirigismus und Abschottung völlig fehl am Platze.
Deshalb habe ich nicht umsonst, wie ich meine, auf dem G-7-Treffen in Brüssel zur Informationsgesellschaft gegen Quoten, Abschottung und Marktregulierungen gekämpft. Wir haben erreicht, daß der Vorrang für die Privatinitiative als Grundzug künftiger Politik festgeschrieben worden ist. Das war eine Schlüsselentscheidung, das war gar nicht selbstverständlich.
Es gab auch ganz andere Modelle, Modelle mit Quoten, Zulassungsbeschränkungen, Auflagen, Verboten und anderem mehr. Bei den G-7-Gesprächen in Brüssel ist diese privatwirtschaftliche Orientierung und Liberalisierung durchgesetzt worden.
Wenn ich von Liberalisierung, von der Freigabe der Netze, der Dienste, des Zugangs und anderem mehr spreche, dann wissen wir sehr wohl - deshalb haben wir den Info-Bericht zum Aktionsprogramm gemacht -, daß bei der grundsätzlichen Liberalisierung in vielen Einzelbereichen zu regulieren ist, neue Gesetze zu machen sind und bestimmte Aspekte, die wir in der Vergangenheit gar nicht beachtet haben, einer Regelung zugeführt werden müssen.
Das eine ist das Grundprinzip, das nicht selbstverständlich zu verankern war. Die Liberalisierung zum anderen bedarf der Regulierung in vielen Bereichen.
Wir müssen uns darauf einstellen, daß die Informationsgesellschaft gerade den Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte in eine neue Dimension führt. Wir müssen damit rechnen, daß die neuen Techniken selbstverständlich zunächst an der einen oder ande-
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
ren Stelle zu Arbeitsplatzverlusten führen. Das ist überhaupt keine Frage.
Die Telekom ist beredtes Beispiel dafür. Um einen Telearbeitsplatz einzurichten, braucht man einen PC, ein Modem und einen Telefonanschluß. Das Ganze kostet 10 000 DM, und es ist völlig egal, ob dieser Telearbeitsplatz in Brasilien, in Indien oder in Deutschland entsteht. Das müssen wir beachten.
Sicher ist, daß die neuen Techniken dazu beitragen, ungeheuer viel neue, andere Arbeitsplätze zu schaffen. Wie viele davon in Deutschland entstehen werden, hängt entscheidend von uns selbst ab. Aufgabe der Politik und insbesondere der Wirtschaftspolitik ist es, hierfür die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Wir haben das untersucht und sind nach langem Abwägen zu dem Ergebnis gekommen, daß man günstigstenfalls - das ist ein Best-case-Szenario - im Saldo bis 2005 1,5 neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen lassen kann.
- Entschuldigung, 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze. Das ist Ihnen jetzt zugänglich, herzlichen Dank.
- Das ist schon viel wert.
Im günstigsten Fall können 6 Millionen Arbeitsplätze in Europa, davon 1,5 Millionen in Deutschland geschaffen werden. Das ist nicht selbstverständlich, da müssen die Rahmenbedingungen stimmen.
Wir haben mit der Umsetzung dessen, was an Schularbeiten zu machen ist, Herr Kollege Thierse, begonnen. Wir haben unheimlich viel mit der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte, mit der Anpassung von Gesetzen an die digitale Welt
und einer Neuorientierung unseres Bildungswesens und einem Dialog mit den Bürgern - wir werden ein Forum einrichten, das über drei Jahre bestehen wird - erreicht.
Herr Thierse, Sie haben die Petersberger Gespräche erwähnt. Ich habe erst vor wenigen Tagen mit dem Kollegen Rüttgers eine große Petersberger Runde gehabt, bei der Vertreter sämtlicher medien-
und informationsbezogener Wirtschaftsbereiche und gesellschaftlicher Bereiche in eine wirklich fruchtbare Diskussion eingetreten sind.
Der Dialog mit den Bürgern ist ein ganz wichtiger Aspekt. Wir müssen die Menschen für die neue Informationsgesellschaft gewinnen. Nur dann haben wir eine Chance, daß wir die neuen Arbeitsplätze zu einem Gutteil in Deutschland schaffen können. Wir müssen deutlich machen, daß Informationsgesellschaft eben nicht nur etwas für Experten ist, sondern daß die Veränderungen auf jeden einzelnen Arbeitsplatz zukommen. Wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen und Antworten finden.
Lassen Sie mich das am Beispiel der Telearbeit erläutern. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die räumliche und zeitliche Distanz zwischen Wohnen und Arbeiten verliert an Bedeutung oder verschwindet ganz. Familie und Beruf lassen sich besser miteinander vereinbaren. Teilzeitarbeit ist viel besser zu organisieren. Verkehrssysteme werden ebenso wie die Umwelt entlastet.
Zur Akzeptanz der Telearbeit gehört aber auch, daß beispielsweise ihre rechtlichen Bedingungen geklärt sind. Es geht hier um ganz konkrete Bedingungen, und es geht um ganz konkrete Dinge wie etwa die Definition des Betriebes oder der Mitwirkungsrechte der Gewerkschaften und der Arbeitnehmervertreter in Telearbeitsszenarien;
es geht um Auflagen hinsichtlich gewerberechtlicher Bestimmungen; es geht um eine Berücksichtigung der neuen Arbeitsformen in den Sozialversicherungssystemen und vieles andere mehr.
Die Notwendigkeit, dies aufzugreifen, dies zu diskutieren und gegebenenfalls in Gesetze, in Regelwerke, die das Ganze nicht dominieren und erdrükken dürfen, die aber erforderlich sind, umzusetzen, haben wir begriffen. Wir haben es in das Aktionsprogramm hineingeschrieben, und wir machen es. Das ist nachweisbar; das sind keine Dinge, die irgendwo hintanstehen.
Wir reden über Multimedia, also die Verwischung des Rundfunkbegriffs und die Überschneidungen, die dort anliegen. Wir werden in Kürze - darauf wird hier heute noch einzugehen sein - ein Multimediagesetz vorlegen. Im Datenschutz, im Verbraucherschutz und bei der Kriminalitätsbekämpfung, aber auch bei der Telematik in den Verkehrssystemen ist etwas zu tun.
All das wird gemacht und ist unterwegs. Ich bin sehr froh, dies hier so sagen zu können. Über das Ganze wird das Prinzip der Freiheit und der Liberalisierung als das dominierende Prinzip durchgesetzt, und darunter sind die notwendigen Dinge zu regeln.
Das Prinzip Freiheit hat die Ordnung zu bestimmen, und nicht eine vorgedachte Ordnung hat darüber zu befinden, welche Freiheiten der einzelne gnadenweise vom Staat bekommt.
Das ist die Orientierung, die wir gefunden haben.
- Herr Brüderle sagt genau dasselbe. Machen Sie sich sachkundig, ehe Sie dazwischenrufen. Sie haben zwar den jeweils richtigen Sound; aber die Tonlage allein, Herr Kollege, bringt es nicht. Auf den Inhalt, der von Ihnen transportiert wird, warte ich noch;
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
auf den warte ich aber noch die ganze Legislaturperiode, Herr Kollege; da bin ich sicher.
Meine Damen und Herren, wir brauchen Menschen, die ihre Chancen erkennen und nutzen und dabei nicht auf staatliche Anordnungen und allein auf Förderprogramme starren. Diese Menschen gibt es in Deutschland; aber vielleicht gibt es sie nicht mehr oder noch nicht wieder in ausreichender Zahl. Deshalb setzen die Bundesregierung mit ihrem Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze und die Koalition mit ihrer Offensive für unternehmerische Selbständigkeit darauf, daß es mehr Menschen gibt, die diese Chancen nutzen.
Ich will, weil das Ihre Anträge ausmacht, auch noch ein Wort zum Thema Risikokapital sagen. Wir wissen, daß gerade bei den innovativen kleinen und mittleren Unternehmen die Eigenkapitaldecke zu dünn ist und daß Risikokapital in Deutschland schwer beschaffbar ist. Dagegen muß etwas getan werden.
- Wir wissen seit langem, daß es keine Risikokapitalkultur in Deutschland gibt; aber diese kann man nicht von Staats wegen erzeugen. Der Staat kann nur die Rahmenbedingungen ein Stück verbessern.
Das Risikokapital muß nämlich von Privaten und von Unternehmern kommen; sie müssen das zur Verfügung stellen, und das müssen wir fördern. Das gelingt nicht mit Technikfeindlichkeit, und wir dürfen dabei diejenigen, die in risikoreiche Unterfangen investieren wollen, nicht aus dem Land treiben, weil sie Zweifel haben, ob sie in Deutschland noch etwas anfangen können.
Das beste Beispiel ist die Biotechnologie.
Meine Damen und Herren, wir sprechen mit den Börsen, damit auch die Aktien kleiner Unternehmen besser gehandelt werden können. Wir wollen Kapitalbeteiligungsgesellschaften durch steuerliche Maßnahmen so auslegen - ich erspare mir jetzt die Details -, daß sie bei Veräußerungsgewinnen für eine bestimmte Zeit eine Freistellung bekommen und sich daher mehr an kleineren und mittleren Unternehmen beteiligen. Wir wollen Anreize dafür schaffen, daß Investmentgesellschaften sich mehr an kleinen und mittleren Unternehmen beteiligen, und wir wollen die Eigenkapitalbasis von kleinen Unternehmen, insbesondere bei Unternehmensgründungen, durch steuerliche Entlastungen verbessern.
Die intelligente Nutzung der Informations- und Kommunikationstechniken ist ein Schlüssel für unsere gesellschaftliche, für unsere kulturelle und vor allem für unsere wirtschaftliche Entwicklung an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird alles dafür tun, daß die Menschen in Deutschland, daß die Unternehmen in Deutschland diese Chancen nutzen können. Ich sage hier mit allem Nachdruck: Das ist nun einmal kein Stück Routinepolitik oder Routinegeschäft, bei denen man da oder dort Förderprogramme auflegt oder da oder dort eine Initiative startet oder dem einen oder anderen eine Gefälligkeit zugute kommen läßt. Informationsgesellschaft und Multimedia sind kein Routinegeschäft. Das ist etwas, was einen Aufbruch zu neuen Ufern darstellt - wir sind unterwegs -, und das ist Gestaltung der Zukunft.
Ich bin froh, daß unser Land hierbei eine hervorragende Rolle spielen kann auf Grund der Infrastruktur, die wir haben, der technischen Infrastruktur, aber auch der menschlichen Infrastruktur, und ich bin fest davon überzeugt, daß die Bundesrepublik, daß unsere Unternehmen dabei eine Rolle spielen können, die auch darauf hinausläuft, daß wir in absehbarer Zeit per saldo zusätzliche Arbeitsplätze haben werden. Insofern ist unsere Politik in Richtung Informationsgesellschaft, wie ich meine und wie ich hoffe, auch ein Stück überzeugende Standortpolitik.
Schönen Dank.