Rede von
Dr.
Dietrich
Sperling
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie der Schein trügt, kann man hier erkennen: Dies ist fast die fetteste Regierung, die Deutschland je hatte. - Wie mager sitzt sie da?
Der Schein trügt. Wären sie alle da, die in dieser Regierung Minister, Staatssekretäre oder Parlamentarische Staatssekretäre sind,
die F.D.P. hätte wegen der Nähe ihrer Sitzbänke längst den Saal verlassen müssen, um der Regierung Platz zu machen.
Und dann sagt ein Sprichwort: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Warum haben Sie denn das Reden vom schlanken Staat, das ein bißchen abgezogen ist vom Begriff des „lean management", nicht erst einmal in den Kreisen der Bundesregierung gelten lassen, um vorzumachen, wie ernst es gemeint ist?
Warum haben Sie Anträge, die Sie früher eingebracht haben, auf Abschaffung von Stellen in Regierungsämtern nicht längst wahrgemacht und den Platzbedarf der Bundesregierung reduziert? Sie hätten dazu Chancen gehabt, und das Reden vom schlanken Staat würde nicht als große Worte mit begleitender Tatenlosigkeit erscheinen.
Heute morgen im Frühstücksfernsehen ließ sich ein abwesender Minister, Waigel mit Namen, feiern, weil seine Beiträge zur Verschlankung des Staates 1 Milliarde DM sparen würden. Das wurde immer wieder wiederholt. Gleichzeitig sucht dieser Minister 14 Milliarden DM Deckungslücke im geltenden Haushalt, wenn das denn stimmt. Vielleicht hat die Schlankheit seiner Finanzvorstellungen dazu ge-
Dr. Dietrich Sperling
führt, daß diese Deckungslücke zu schmal geraten ist. Er ist zugleich der Minister, der viel über Regelungsdichte spricht, aber die Regelungsdichte der Steuergesetze ist das Ärgernis für die Bürger. Wie wäre es, wenn er die Regelungsdichte dort abbauen würde, wo er das Sagen hat, zumal man, wenn man in die Finanzämter geht, erfahren kann, daß die Regelungsdichte an manchen Stellen einer Gestaltungsfreiheit der Einkommensstarken gleichkommt?
Das heißt, daß diese Regelungsdichte, weil undurchschaubar, zu einer ungeheuren Ungerechtigkeit der Steuerlastverteilung führt, mit dem Ergebnis, daß Sie uns das Sparen als das Schlankmachen des Staates vorführen wollen. Aber in Wirklichkeit leben wir unter Sparzwängen. Unter Sparzwängen entdecken Sie dann sehr freudig das Subsidiaritätsprinzip. In welchem Zusammenhang? Wenn die Wirtschaftspolitik versagt und die Arbeitsplätze fehlen, müssen subsidiär die Sozialhilfebemühungen der Gemeinden eingreifen. So wird Schwarzer Peter gespielt zwischen versagender Wirtschaftspolitik und notwendig werdender sozialfürsorgerischer Kommunalpolitik. Sie reden über den schlanken Staat, aber auf den unteren Ebenen machen Sie ihn dicker, weil Sie mit einer Arbeitsplatzbeschaffungspolitik in Deutschland nicht zurande kommen.
Nun reden Sie auch über den schlanken Staat in einer Art und Weise, die mich mit meiner langen Erfahrung sehr nachdenklich gemacht hat. Es gab einmal einen Innenminister Genscher. Als der sein Amt antrat, war er - das habe ich mit Dankbarkeit in Erinnerung - ein reformfreudiger Minister. Mit ihm begann der Umweltschutz in die Gesetzgebung des Bundes und in die Verordnungen des Bundes einzuziehen. Schon damals hätte man eine Reform des öffentlichen Dienstrechtes gebraucht. Warum? Weil immer deutlicher wurde, daß der Staat unter den Bedingungen der heutigen Wirtschaft und Gesellschaft ein Staat ist, der viel mehr Zielkonflikte zu bewältigen hat, die nicht einfach aufgelöst werden können.
Der Zielkonflikt zwischen Ökonomie und Ökologie durchzieht auch heute einen Teil unserer Debatte und wird auf eine merkwürdige Art und Weise beiseite getan. Der Zielkonflikt besteht doch, weil Naturkreisläufe und Menschen geschützt werden müssen und dieses nicht alles in privatisierten Formen passieren kann, obwohl, wenn Sie es mit der Verringerung der Regelungsdichte ernst meinen, die Frage des Haftungsrechts der Investoren für die von Ihnen gesetzten Risiken eine viel wichtigere Rolle spielen sollte, weil dann erst deutlich würde, wie hoch die Kosten sind, die durch privates Investieren möglicherweise gesetzt würden. Versicherungsfirmen würden es ausrechnen, und an den Prämien würde deutlich werden, wie teuer die Risiken manchmal sind, die so durch staatliche Genehmigungsverfahren auf andere abgewälzt werden.
Wer daran dächte, den Staat in der Tat zu reformieren, würde sich ohne die Begleiterscheinung des veränderten Haftungsrechts nicht daran machen, ernsthaft eine ganze Reihe von Risiken durch Schnellverwaltung erledigen, abschieben zu wollen.
Machen wir es deutlich: Die Waldbesitzer in Deutschland - und nicht nur in Deutschland - erleiden jedes Jahr Vermögensverluste,
abgesehen von den durch Naturschäden verursachten. Sie können niemanden für die Vermögensverluste haftbar machen. Diejenigen, die an Allergieerscheinungen leiden, erleiden jedes Jahr Verluste in bezug auf ihre Gesundheit, und sie können niemanden habhaft machen, der für diese Allergieerscheinungen die Verantwortung trüge. Für das Erfinden und das In-den-Handel-Bringen von bisher unbekannten Stoffen, die unkontrolliert miteinander reagieren, reicht nämlich kein Genehmigungsverfahren aus, das das abdecken könnte, was da passiert. Diese Risiken können eigentlich durch keinerlei Genehmigung des Staates abgedeckt werden. Dort gehörte etwas anderes hin.
Daran wird deutlich, daß manches auch nicht durch Haftungsrecht abgedeckt werden kann, sondern schlicht vom Sozialstaat aufgefangen werden muß. Deswegen ist das Weiterexistieren des Sozialstaates eigentlich ein unbedingtes Muß.
Genscher hat damals durchaus begriffen, daß sich das Berufsbeamtentum und die öffentliche Verwaltung auf das Handhaben von Zielkonflikten würden einstellen müssen. Er wäre damals sehr für Reformen gewesen, auch in der öffentlichen Verwaltung. Damals war die Mehrzahl der von Politikern der rechten Seite dieses Hauses geführten Landesregierungen eine Blockadeeinrichtung gegen jede Art von Reformpolitik.
Wenn ich auf meine 26jährige Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag zurückschaue, dann muß ich sagen: Ich bin ziemlich erstaunt; Sie reden jetzt fast schon so, wie wir damals geredet haben. Das ist ein erheblicher Fortschritt, aber es hinkt 25 Jahre hinter der Entwicklung her.
Wir haben also festzustellen: Bei Ihnen bewegt sich etwas, sehr viel zu spät. Was Sie treiben, ist ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen den unterschiedlichen Staatsbereichen. Wie Sie wissen, werden die meisten Bundesgesetze von Landesverwaltungen und Kommunalverwaltungen ausgeführt. Was wäre da notwendiger als ein kooperativer Föderalismus, der begreift, daß das, was auf den unteren Ebenen geschieht, in den Gesetzen oben mehr Berücksichtigung finden müßte?
Das würde aber ebenfalls bedeuten, daß man sich ein Stück weit von einem Staatsverständnis verabschiedet, das immer noch von der Hoheitsverwaltung ausgeht. Zu vieles in den Vorstellungen über Dienst-
Dr. Dietrich Sperling
recht und Beamtenschaft orientiert sich eigentlich noch immer an dem Staatsverständnis des vergangenen Jahrhunderts. Im Regelfall ist der Bürger Bittsteller und tritt einem Hoheitsträger gegenüber; er ist nicht ein Bürger, der einem Staatsdiener gegenübertritt. Dieses Verhältnis gibt es nicht. Wenn Sie sich einmal vor Augen führen würden, was „lean management" in der Wirtschaft bedeutet, dann würden Sie begreifen, daß Co-Management durch die Belegschaft in modernen Unternehmen zum stilbildenden Element wird. Wo gibt es dies in der Mitbestimmung des öffentlichen Dienstes? Denken Sie auch daran, daß dies ebenfalls durch Mitbestimmung der Bürger in Verwaltungsverfahren geleistet werden müßte? Bürger immer als lästiges Element bei der Durchführung von Gesetzen zu betrachten reicht halt für eine demokratische Staatsverwaltung nicht aus.
Deswegen sage ich: Wir haben immer noch so etwas wie KuK-Management, Kohl-und-Kanther-Management, Kohl-und-Kinkel-Management. Das reicht für die Modernisierung des Staates nicht aus. Wir betreiben, mit Ihrer Hilfe, ein bißchen Reform. Aber Sie müssen geradezu in unglaublicher Weise auf den Reformwillen der Mehrheit der Landesregierungen setzen, ganz anders, als das bei Ihren Vorgängern der Fall war. Wir werden also KuK-„business as usual" machen. Aber hören Sie mit den großen Sprüchen für die kleinen „Handwerkeleien", die Sie machen, auf. Dies ist eigentlich nicht die Reform des Staates, die Sie mit großen Sprüchen ankündigen; dies ist das Handwerkern an kleinen Verbesserungen, die hoffentlich zu dem führen werden, was man damit an Erwartungen verbindet. Aber dies würde voraussetzen, daß Sie die Mitarbeiterschaft im öffentlichen Dienst, die eigentlich sehr gern daran mitarbeiten möchte, etwas anders motivieren, als dies in Ihren Vorstellungen zur Mitbestimmung je geschehen ist.