Rede von
Alfred
Hartenbach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Satz vorweg, der nicht zu meinem Thema gehört. Herr Paziorek, wenn Sie in der Vergangenheit einmal etwas in die Bevölkerung hineingelauscht hätten, dann hätten Sie bemerkt, wie beschämend Äußerungen sind, daß bei uns alles schlechter und im Ausland alles besser ist. Die Leute fragen sich mit Recht: Wer regiert hier seit 13 Jahren?
- Herr Hinsken, zu Ihnen komme ich noch. Jetzt will ich aber erst einmal mit meiner Rede beginnen.
Meine Damen und Herren, wenn man vom modernen und leistungsfähigen Staat redet - wir nehmen das Wort vom „schlanken Staat" nicht so gern in den Mund wie Sie -, dann muß man die Justiz als dritte Säule unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaates mit einbeziehen. Dazu gehört auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die in den letzten Jahren zunehmend einem enormen Leistungsdruck mit besonderen Erwartungshaltungen ausgesetzt war. Der Staat, die öffentlichen Verwaltungen und die nicht unmittelbar tangierte Öffentlichkeit setzen völlig andere Erwartungen in Verwaltungsgerichte, in die justizförmige Behandlung von Verfahren und vor allem in die materiell-rechtlichen Entscheidungen als die unmittelbar von Verwaltungsentscheidungen oder vom Verwaltungshandeln betroffenen Bürger.
In diesem Spannungsfeld der gegensätzlichen Erwartungen und bei hohem Arbeitsanfall leisten die Richterinnen und Richter an den Verwaltungsgerichten ausgezeichnete Arbeit.
Sie haben ihre Aufgabe nicht nur in der Lösung von Konflikten gesehen, sondern auch in der Sicherung des Rechtsfriedens. Es war und ist eine der vornehmsten Aufgaben der Justiz, den Schutz der Schwachen zu gewährleisten, die Durchsetzung von Grundrechten zu sichern und die demokratische Rechtsordnung in der Gesellschaft zu wahren.
Wenn wir von „Standards" reden, verehrter Herr Innenminister Kanther - ich wollte eigentlich auch den Herrn Justizminister ansprechen, aber der meint wohl, er habe seine Schulaufgaben schon gemacht -,
muß man festhalten: Wir wollen diese Standards bewahren, auch wenn wir wissen, daß die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Justiz in einigen Bereichen deutlich sichtbar geworden sind. Wir sind uns einig: Die Justiz muß modernisiert werden. Wir sind uns einig: Wir müssen bald damit beginnen, wenn wir den neuen Herausforderungen, aber auch den alten, bekannten Problemen wirkungsvoll begegnen wollen.
Der Bundestag hat sich in der Vergangenheit an mehreren „Entlastungs- und Beschleunigungsgesetzen" versucht, weil er auf diese Lage reagieren wollte - nicht immer mit dem gewünschten Erfolg.
Nun befassen wir uns heute gleich mit zwei Entwürfen zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, die beide zum Ziel haben, den Standortfaktor im wirtschaftlichen Wettbewerb zu sichern, und gleichlautend, so als habe man voneinander abgeschrieben, als „zentrale Verfahrensvereinfachungen und -verbesserungen" einen fast identischen Maßnahmenkatalog als Lösung anbieten.
Allerdings haben wir in den zurückliegenden Jahren sowohl von der Bundesregierung als auch vom Bundesrat, der uns heute wieder in qualitativ und quantitativ hervorragender Besetzung die Ehre des Zuhörens gibt, schon Gesetze angeboten bekommen, deren Hauptmotive Beschleunigung und Verbesserung von Verfahrensabläufen waren, die sich aber bei näherem Hinsehen nicht als der große Wurf herausstellten; zuletzt das sogenannte Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege. Das macht mißtrauisch und nötigt zu genauer Überprüfung.
Und in der Tat, beide Entwürfe weisen gleich mehrere schwere Mängel auf: Erstens. Es werden ungeheure Kosten verursacht werden. Zweitens. Die Verfahren werden komplizierter, teilweise unverständlicher. Drittens. Die Unabhängigkeit der Gerichte wird in Frage gestellt. Viertens. Die „Reformen" gehen wieder einmal auf Kosten der Rechtsuchenden, der Bürger. Das ist für uns, eingedenk des Satzes unseres verstorbenen Vorsitzenden Willy Brandt „Mehr Demokratie wagen", in dieser Form nicht annehmbar.
Ich will das in wenigen Sätzen darlegen: Erstens. Vor den Obergerichten soll künftig Anwaltszwang herrschen. Das bedeutet nicht nur für den prozessierenden und rechtsuchenden Bürger zusätzliche Kosten; auch für Kommunen wird es teurer. Sie können sich künftig nämlich nicht mehr durch ihre Verwaltungsbeamten vertreten lassen, wie das bisher der Fall war.
Zweitens. Das Normenkontrollverfahren wird erschwert. Die neue Regelung schafft keinen Deut Erleichterung für die Gerichte. Ein anständiges Normenkontrollverfahren nach bisherigem Recht hat oft hundert weitere Prozesse erledigt. Der bisher als wesentliches Beschleunigungsmerkmal angesehene
Alfred Hartenbach
Gerichtsbescheid wird durch die Zulassungsberufung entwertet. Die Zulassungsberufung selbst ist für den juristischen Laien völlig unverständlich. Für die Oberverwaltungsgerichte bedeutet sie in aller Regel eine Doppelbefassung, dabei soll doch, so will es der Entwurf, Zeit gespart werden. Schließlich und endlich ist nicht zu erkennen, daß die angeblichen Beschleunigungs - und Vereinfachungsmechanismen auch wirklich dort greifen, wo sie derzeit am dringendsten benötigt werden, nämlich bei den Verwaltungsgerichten der ersten Instanz. Im Gegenteil: Hier werden die Verfahren noch komplizierter, obwohl doch gerade hier die Not am größten ist.
Drittens. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in Gefahr. Wenn sie künftig den Verwaltungsbehörden den rechten Weg zeigen müssen, wie ein mangelhafter Verwaltungsakt wasserdicht zu machen ist, sind sie nicht mehr unbefangen. Oder was halten Sie von einem Schiedsrichter, der Bodo Illgner neben das Tor stellt, damit Lothar Matthäus ins Tor treffen kann? Genau das ist die Situation.
- Das glaube ich aber nicht.
- Matthäus wird mich nicht verklagen.
Gerichte sollen Rechtsstreite entscheiden, am besten durch einen Vergleich, der dem Rechtsfrieden dient. Aber Sie dürfen doch nicht den Stärkeren noch bevorzugen.
Das Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Justiz werden dadurch nicht gestärkt. Im Gegenteil: Staatsverdrossenheit wird die Folge sein.
Viertens. Nicht nur dies ist es, was ich als Reform auf Kosten des Bürgers bezeichne. Beschränkung der Rechtsmittel, Einschränkung des Beweisantragsrechts und Beschränkung des Suspensiveffekts - ein wichtiges Instrument zur Vermeidung irreparabler Entscheidungen - kratzen wieder ein Stück Rechtsstaatlichkeit weg. Wenn das so weitergeht, müssen wir uns fragen, wie lange sich die Kleinen und Schwachen überhaupt noch gegen Verwaltungshandeln wehren können und ob sie noch den Mut dazu haben. Ich denke, in der Anhörung werden uns die Fachleute sagen, wie schwach die Entwürfe sind.
Natürlich verschließen wir unsere Augen nicht vor der Realität. Genehmigungen für Investitionen müssen schnell erteilt werden, Verfahrenszüge müssen überschaubar sein, und Entscheidungen müssen zügig getroffen werden.
Wir brauchen eine Reform, aber, meine verehrten Damen und Herren von der Koalition, nicht auf Kosten rechtsstaatlicher Grundsätze.
Es geht ja auch anders. Das Land Hessen hat durch untergesetzliche Maßnahmen - das wollen Sie nun in Form eines Gesetzes machen - die Dauer der Genehmigungsverfahren für Anlagen und Bauvorhaben auf wenige Monate gesenkt und liegt damit deutlich besser im Trend als der Freistaat Bayern, Herr Hinsken.
Eine Konzentration der Behörden schon im Genehmigungsverfahren, eine demokratische Beteiligung aller Betroffenen, die Berücksichtigung der Belange von Mensch, Umwelt und Natur und der wirtschaftlichen Interessen in einem frühen Stadium und in überschaubarer Zeit sind der beste Entlastungseffekt für die Gerichte, weil dadurch Prozesse vermieden werden.
Die Schlichter-Kommission hat hierfür das Wort vom sternförmigen Verfahren geprägt. Dieses Verfahren soll nun gesetzlich verankert werden. Möge dies zum Sinnbild werden, und möge dieser Stern auch auf die Mächtigen in Bonn scheinen und ihnen die Erleuchtung bringen: Bezeichne nie etwas als Reform, das zwar dem Staat die Arbeit erleichtert, aber den Menschen das Dasein erschwert. Bezeichne nur solche Pläne als Reform, die beiden gleichermaßen dienen: dem Staat und den Menschen.
Danke schön.