Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren als wirtschaftlichen Standortfaktor haben wir auch schon in der vorigen Legislaturperiode ausführlich traktiert. Bei den Klageliedern über die lange Dauer der Verfahren wurde allerdings nicht allzusehr auf die durchaus vorhandenen empirischen Daten der tatsächlichen Dauer in den verschiedenen Bundesländern und auf die spezifische Prüftiefe bei den unterschiedlichen Genehmigungen geachtet.
Vor allem nach den Planungsvereinfachungsgesetzen, die wir in der vorigen Legislaturperiode verabschiedet haben, müssen wir jetzt mehr und mehr aufpassen, daß diese Diskussion und die anschließenden Handlungen nicht zur rein symbolhaften Politik geraten.
Wir dürfen nicht in Beschleunigungsaktionismus verfallen und mehr und mehr den Kern unserer gemeinsamen politischen Anstrengungen, nämlich ein effektives und effizientes Verfahren zu erhalten, aus den Augen verlieren.
Die fast gebetsmühlenartig vorgetragene Forderung nach einer Beschleunigung von Genehmigungsverfahren darf nicht dazu verkommen, daß sich das subjektiv als richtig empfundene, aber objektiv irrige Gefühl einstellt, wir seien besonders langsam. Dieses teilweise selbst erzeugte Negativimage wäre dann auf dem Wege einer „self-fulfilling prophecy" plötzlich das allein wahrnehmbare Resultat all unserer Bemühungen. Solche Witze, wie Herr Hinsken sie erzählt hat, tragen zu einem solchen Image bei.
Die vorliegenden empirischen Daten wurden weder von der Schlichter- oder der Ludewig-Kommission noch von der Bundesregierung ausreichend zur Kenntnis genommen. Die großen empirischen Untersuchungen, zuletzt von Steinberg und anderen, zeigen zweierlei:
Erstens. Es gibt - oder besser: gab - einen Beschleunigungsbedarf, der jetzt aber im Vergleich zu den anderen westeuropäischen Ländern nicht mehr sehr erheblich ist. Bei der Qualität unserer Genehmigungsverfahren, die unbefristet und auf Dauer erteilt werden und Rechtssicherheit schaffen, muß man ernsthaft schon jetzt die Frage stellen, ob die Sorgen über generell zu lange Verfahren - ich meine nicht die Ausreißer, Herr Schlee - wirklich zu Recht bestehen. Weil ich meine Frage, Herr Schlee, nicht stellen konnte, will ich Ihnen jetzt sagen: Ihren Chemieverfahren von 70 Monaten setze ich in Niedersachsen ein Verfahren von 7 Monaten, was ich früher selber gemacht habe, beim ICI-Werk in Wilhelmshaven von der Antragstellung bis zum Genehmigungsbescheid entgegen.
In dem Gutachten der Kommission, das vorige Woche Frau Merkel vorgelegt worden ist, können Sie die richtigen Daten nachlesen. Ich will das jetzt nicht tun. Ich empfehle das nachhaltig zur Lektüre. Die Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen - wir haben vorhin eine kurze Auslegung dazu gehört - legen Daten vor, wobei die Dauer der Genehmigungsverfahren im Schnitt unter sechs Monaten liegt. Das sollten wir endlich einmal zur Kenntnis nehmen.
Zweitens. Die Untersuchungen von Steinberg und anderen zeigen auch, daß die Relevanz der Dauer von Verfahren als Standortfaktor von vielen deutlich
Dietmar Schütz
überschätzt wurde. Die befragten Unternehmen bewerteten die Verfahrensdauer als standortrelevanten Faktor nicht sehr hoch. Unter zwanzig Kriterien nahm das Kriterium Dauer der Verfahren lediglich Rang 17 ein. Ich glaube, das ist deutlich genug.
Erst vorige Woche hat der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen in seinem Umweltgutachten 1996 hierzu sehr umfangreich Stellung genommen. Auch seine Kernaussage bestätigt: die Ausgangsvoraussetzungen dieser neuen Beschleunigungsdiskussion sind wegen der fehlerhaft bewerteten empirischen Daten und überschätzten Standortrelevanz sehr fragwürdig. Wir sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Text des Umweltgutachtens jedem, der zu diesem Thema Position beziehen möchte, zur Lektüre empfehlen. Es wäre zumindest die aus dem Bauch heraus argumentierende, subjektive Positionierung aufzuhalten. Es täte uns allen gut, das zu tun.
Ich will aus alledem nicht den Schluß ziehen, die Dauer der Verfahren sei für die Standortentscheidung völlig irrelevant. Ich warne aber davor, mit diesem Thema, mit dieser Phantomdiskussion zu glauben, wir bräuchten nur den Signalmast der Beschleunigung zu bedienen und schon hätten wir ein Wesentliches für den Standort Deutschland getan.
Dies ist viel zu einfach gedacht und gehandelt. Wir dürfen mit diesem Thema nicht den Wirtschaftsstandort Deutschland zerreden. Wir müssen in Ruhe, seriös und auf Grund gründlicher Diskussion nach der von uns geplanten Anhörung zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen, das in ein effizientes und zügiges Genehmigungsverfahren mündet.
Ich fürchte, daß wir den Ratschlag von Professor Sendler, der auf diese Diskussion reagiert hat, als er anläßlich der Vorstellung des Entwurfes zum Umweltgesetzbuch dazu Stellung genommen hat, wir sollten als Gesetzgeber ein Sabbatjahr zu diesen Fragen einlegen, befolgen. Ich fürchte, daß wir dies nicht mehr tun können. Der Gesetzgebungszug ist hierzu auf dem Weg, und die Länder haben die Weichenstellung schon vollzogen.
Deswegen, meine Damen und Herren, will ich drei Grundprinzipien erörtern, an denen wir die Gesetze messen werden.
- Ein Sabbatjahr ist immer etwas Gutes.
-Ja, auch Herr Waigel braucht ein Sabbatjahr.
Erstens. Sowohl die Vorlagen der Bundesregierung als auch die Gegenäußerungen der Länder stellen in bezug auf die Verfahrensgesetze ausnahmslos auf die Interessen der Antragsteller ab. Dies ist eine wichtige Positionierung. Ich will nicht bestreiten, daß das so sein muß. Denn diese sollen ja schließlich investieren und Arbeitsplätze schaffen, und für sie soll beschleunigt werden. Aber in den Genehmigungsverfahren gibt es zwei weitere Akteure. Wenn man deren Position nicht beachtet, können Verfahren nicht vernünftig durchgeführt werden. Der benachbarte Bürger, der sogenannte Dritte im Verfahren, spielt in allen uns vorliegenden Novellen überhaupt keine Rolle. Ich frage Sie: Will man mit ihm oder gegen ihn oder ohne ihn diese Verfahren durchführen?
Die Rolle des Bürgers, also die Partizipation als Element der Akzeptanzherstellung, war für uns immer ein wichtiges Anliegen.
Wir haben nie die Auffassung vertreten, daß die Einräumung von Teilhaberechten der Bürger zur Verfahrensverzögerung führt. Dies läßt sich auch empirisch nicht belegen. Eine mir vorliegende Untersuchung legt dar, daß 80 Prozent der Beteiligten in den Vorverfahren die Antragsteller selber sind, die noch um Auflagen und Formulierungen streiten. Nur etwa 20 Prozent der Widersprüche kommen von Dritten. Auf alle Verfahren bezogen - in denen es teilweise gar keine Rechtsstreitigkeiten gibt - legen nur 0,5 Prozent der Beteiligten in Bayern - da muß ich die Bayern loben - oder bis zu 1,4 Prozent der Beteiligten in Baden-Württemberg Rechtsmittel ein. Eine Reduzierung von Partizipation in der Verfahrensbeteiligung bringt also keinen deutlichen Beschleunigungseffekt. Die Angst vor dem Bürger als Störfaktor ist unbegründet, seine Beteiligung in den Verfahren muß erhalten bleiben.
Zweitens. Die Frage der gesetzlichen Prüftiefe und die Erhaltung der Standards im Umweltschutz dürfen ebenfalls nicht Gegenstand der Änderungsnovellen sein. Es bestand bisher immer Konsens darüber, daß unsere Umweltstandards sich eher positiv auf die Wettbewerbssituation ausgewirkt haben. Die vom Bundesumweltministerium in mehreren Gutachten erhärtete Position, daß Umweltstandards ein Standortplus sind, muß natürlich auch hinsichtlich der umweltrelevanten Verfahren gelten; denn dort werden die Standards ja konkretisiert.
Deshalb: Keine Abstriche an den materiellen Umweltstandards!
Drittens. Abstriche an Sicherheit und Nachbarschutz sind ebenfalls nicht hinnehmbar. Dies scheint zwar vordergründig keinen unmittelbaren Bezug zu den Verfahrensgesetzen zu haben, über die wir jetzt reden, aber die beabsichtigte Nichtveröffentlichung bei zahlreichen Anzeigeverfahren sowohl von produzierenden Industrien als auch von Forschungsanlagen provoziert die Frage: Habt ihr nicht doch relevante umwelt- und nachbarschützende Positionen zu verbergen? Hierauf muß die klare Antwort nein lauten. Dies ist an den konkreten Auswirkungen der Verfahrensgesetze zu prüfen.
Dietmar Schütz
Die drei Kriterien Partizipation, Umweltstandard, Sicherheit und Nachbarschutz sind meine Meßlatte für die Bewertung der einzelnen Verfahrensteile. Diese Meßlatte möchte ich an einige uns vorliegende Novellen anlegen.
Zum Öko-Audit: Die Schlichter-Kommission hatte vorgeschlagen, denjenigen Unternehmen, die sich den Bestimmungen der Öko-Audit-Verordnung unterziehen, bei den Genehmigungserfordernissen Erleichterungen anzubieten. - Dies ist in Art. 3 Nr. 3 des Artikelgesetzes erfolgt.
Der Bundesrat hat darüber hinaus gefordert, diese Ansätze noch auszubauen, um insbesondere die Melde- und Überwachungsregelungen weiter zurückzudrängen. Dies hat in der öffentlichen Diskussion Kritik erfahren, weil aussagekräftige Erfahrungen im Umgang mit dem Öko-Audit noch gar nicht vorliegen. Darüber hinaus habe ich selbst schon bei der Ausgestaltung des Audits strengere Kriterien haben wollen, um die Auditierung bei eventuellen Änderungsgenehmigungen - nicht bei Neuerrichtungen - nutzen zu können. Diese strengeren Auditierungskriterien sind damals leider von der Regierung abgelehnt worden.
Es erscheint mir deshalb sehr fraglich, ob die Rechtsqualität und die tatsächliche Prüfqualität des jetzigen Auditmodells dazu genutzt werden können, um Erleichterungen im Genehmigungsverfahren verantworten zu können. Wenn die Personen und Institutionen, die das Audit durchführen, sowie das Audit-Modell selbst hohen Anforderungen genügen, hat die Idee, mit dem durchgeführten Audit Erleichterungen in den Genehmigungsverfahren zu verbinden, einen hohen Reiz. Ob dies aber heute der Fall ist, wird in der öffentlichen Diskussion zu Recht bezweifelt.
Es besteht offenkundig die Gefahr, daß sich Umweltaudits mit sehr geringem Anforderungsniveau auf dem europäischen Markt durchsetzen - Stichwort: „race to the bottom" - und dieses niedrige Niveau dann auch in die Genehmigungsverfahren Einzug hält. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Meßlatte „Umweltstandards" wird hier möglicherweise nicht erreicht.
Zweitens zu den Anzeigeverfahren und Vorverfahren: Die Ersetzung bestimmter immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen durch bloße Anzeigeverfahren verkürzt die Verfahrensdauer natürlich am stärksten. Es gibt dann gar kein Verfahren mehr. Ich halte das Anzeigeverfahren bei typisierten und standardisierten erprobten Anlagen durchaus für akzeptabel. Es kommt dabei meines Erachtens entscheidend auf den Anlagentypus an.
Nicht in jedem Fall darf der Anzeige eine sogenannte genehmigungsersetzende Wirkung zukommen.
Für mich ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig, zu wissen, wer Herr des Verfahrens ist. Ich meine, daß das nur die Genehmigungsbehörde selbst sein kann. Die Genehmigungsbehörde muß von der Anzeige ins Genehmigungsverfahren wechseln können. Deswegen stehe ich auch einer Konstruktion sehr skeptisch gegenüber, die es dem Antragsteller gestattet, selbst zu entscheiden, ob ein Verfahren mit Widerspruchsverfahren und mit sofortiger Klage durchgeführt wird. Das darf nicht der Antragsteller bestimmen, sondern die Genehmigungsbehörde muß die Verfahrenshoheit behalten; sie muß das bestimmen können.
Der Bundesrat weist zu Recht auf diese Konstruktion hin. Ich glaube, wir sollten dieser Anmerkung des Bundesrates folgen.
Das bisher praktizierte Widerspruchsverfahren, meine Damen und Herren, hat im übrigen nach meinen Kenntnissen einen hohen Beschleunigungseffekt und entlastet die Verwaltungsgerichte.
Wenn man das ändert, kommen wir zu einer kontraproduktiven Verhaltensweise: Wir beschleunigen nicht, wir verlangsamen.
Drittens. Zum Austausch einer Anlage will ich noch etwas sagen. Die auf den ersten Blick naheliegende Regelung, dann auf eine Genehmigung zu verzichten, wenn genehmigte Anlagen oder Anlagenteile lediglich ersetzt werden, führt quasi zu einer „Petrifizierung" von Anlagen.
- Hören Sie einmal zu! - Das dynamisierende Prinzip des jeweiligen Standes der Technik wird mit diesem Verfahren untergraben. Der Anlagenbetreiber wird nicht mehr gezwungen, beim Teilaustausch oder beim Anlagenaustausch den neuesten technischen Stand zu nutzen.
Ich will an dieser Stelle auch einen Witz erzählen, weil Herr Hinsken das eingeführt hat, und zwar den Witz über die armenische Axt: Es kommt jemand in ein armenisches Museum und sieht eine gut erhaltene Axt, die nach der darunter angebrachten Beschriftung 150 Jahre alt sein soll. Auf die Frage, wie das möglich sei, antwortet der Museumswärter: Das ist ganz einfach; wir haben alle zehn Jahre den Schaft ausgewechselt und wir haben alle zehn Jahre das Eisenteil ausgewechselt. Deswegen ist diese Axt so gut erhalten.
Genauso ist es auch bei den Anlagen. Wir haben dann eine völlig andere Anlage mit gleichem - altem Standard - und nicht die dynamisierende Wirkung neuerer Technologien. Das müssen wir berücksichtigen, meine Damen und Herren.
Dietmar Schütz
Ich will, bevor Sie weitere Zwischenrufe machen, auch etwas loben. Für sehr unterstützenswert halte ich die Regelungen zum Verfahrensmanagement, zur Antragsberatung, zur Antragskonferenz, zum Sternverfahren und so weiter, die eine höhere Verbindlichkeit erlangen sollen. Ich begrüße dies.
- Da haben Sie recht, Herr Fischer, das haben wir alles schon gefordert,
und das steht teilweise in den Ländergesetzen. Das wollen wir jetzt aber auch für den Bund machen. Insofern haben Sie an dieser Stelle unsere große Unterstützung. Hier liegen große Beschleunigungspotentiale.
Aber auch hier würde ich nicht an jeder Stelle jedes Instrument aus dem Werkzeugkasten vorschreiben, sondern auch da muß die Behörde entscheiden können, ob sie in ein Sternverfahren geht oder nicht. Wenn ein Verfahren zu klein ist, wenn es zu kurz ist, brauche ich nicht dieses ganze Instrumentarium zu benutzen. Auch hier kommt es auf tatsächliche Beschleunigungsmomente an.
Lassen Sie mich zum Schluß nachdrücklich darauf hinweisen, daß wir verpflichtet sind, die Wirkungen der in der vorigen Legislaturperiode auf den Weg gebrachten Beschleunigungsgesetze zu beachten. Wir dürfen - und da stimme ich Herrn Westerwelle zu - ein solches Konvolut nicht wieder auf den Weg bringen, wenn wir nichts damit erreichen. Der Gesetzgeber muß sich auch beschränken können. Wir sollten die Anhörung benutzen, um wirklich zu fragen, was wir von diesen Vorschlägen brauchen und was wir nicht brauchen.
Herzlichen Dank.