Rede von
Michaele
Hustedt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute reden wir also auch darüber, wie die Genehmigungsverfahren nach den Vorstellungen der Bundesregierung verkürzt werden sollen. Um es gleich am Anfang zu sagen: Kein vernünftiger Mensch ist für unnötig lange Genehmigungsverfahren. Verwaltungen, die fit sind, haben hierbei auf der Basis des bestehenden Rechts in letzter Zeit große Fortschritte erzielen können, und die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft.
Die kürzesten Genehmigungsverfahren sind im Osten in Sachsen-Anhalt - rot-grün regiert - und im Westen in Hessen, ebenfalls rot-grün regiert.
In beiden Ländern liegen sie im Durchschnitt deutlich unter dem heutigen Ziel der Bundesregierung in ihren Gesetzesvorlagen. Innerhalb eines Jahres konnte das hessische Umweltministerium die durchschnittliche Verfahrensdauer von sieben auf vier Monate reduzieren.
Die Grünen-Umweltministerien haben ihren Genehmigungsbehörden eine straffe Organisation verordnet. Die Verfahren werden von Projektmanagern koordiniert, die Fachbehörden müssen ihre Stellungnahmen parallel und nicht mehr hintereinander abgeben, und sie müssen ihre Fristen einhalten. Grüne Minister und Ministerinnen haben mit viel Sachverstand und Engagement die Verwaltung auf Trab gebracht und sind dabei, die Ministerien in moderne Dienstleistungsbehörden umzuwandeln,
in Behörden, die ihre Türen öffnen, die mit den Bürgern und den Unternehmen konstruktiv zusammenarbeiten und den Bürger nicht als Feind, sondern als Partner betrachten.
Ohne Wenn und Aber bestätigt dies auch Ulrich Kußmaul - hören Sie sich das an! - von der Hoechst AG. Ich zitiere:
Investitionen kommen im rot-grün regierten Hessen in vernünftigen Zeiten durch.
Das sind die realen Tatsachen.
Die längsten Genehmigungsverfahren in Deutschland gibt es zur Zeit im Bundesland Bayern. Da sieht man einmal wieder, wie jahrzehntelange Alleinherrschaft die Großparteien träge und selbstgefällig macht. Das gilt im übrigen nicht nur für Bayern. Ich kann nur sagen: Nehmen Sie Nachhilfeunterricht bei den Grünen, wenn es um die Verkürzung von Genehmigungsverfahren geht!
Noch bevor überhaupt praktische Erfahrungen mit der letzten Beschleunigungswelle von Ende 1993 vorliegen, wird an den fachkompetenten Behörden der Länder vorbei wieder einmal blinder Aktionismus betrieben. Diese Bundesregierung flattert wie eine aufgescheuchte Henne hilflos mit den Flügeln und produziert Schnellschüsse, die nur zur Verwirrung beitragen. Ihrem Ziel, die Genehmigungsverfahren zu verkürzen, kommen Sie dabei aber keinen Deut näher. Im Gegenteil, Sie produzieren neue Disharmonien im Umweltrecht, neue begriffliche Un-
Michaele Hustedt
klarheiten, neue Verunsicherung. Selbst die Industrie ist skeptisch. Ich zitiere:
Vieles ist dabei, was die Sache nicht einfacher, sondern komplizierter macht.
So kommentiert Ekkehard Gauch bei der Tochter des Chemiemultis Dow in Stade, der dort für die Genehmigungsverfahren zuständig ist.
Herr Kollege Westerwelle, diese Vorschläge gehen insbesondere zu Lasten der kleinen und mittelständischen Betriebe. Sie legen ihnen dabei weitere Stolpersteine in den Weg. Der Mittelstand ist aber derjenige, der bisher die meisten Arbeitsplätze geschaffen hat. Das nenne ich verfehlte Standortpolitik, meine Damen und Herren.
Mit ihren undurchdachten Vorschlägen trägt die Bundesregierung zur Verunsicherung der Investoren bei. Verläßliche Genehmigungsverfahren sind nämlich ein Positivum im Standort Deutschland. Sie bedeuten Bestandsschutz für die Fabriken. Das will die Bundesregierung jetzt gefährden. Wenn Unternehmen investieren müssen, ohne zu wissen, ob die Anlage nach Fertigstellung auch betrieben werden darf, dann baut man Investitionsunsicherheit auf. Das soll Ihr Beitrag zum Standort Deutschland sein? Sprechen Sie doch einmal mit der Industrie! Dann werden Sie feststellen, daß ihr zwar kürzere Genehmigungsverfahren am Herzen liegen, aber nicht, wenn dies mit einem hohen Investitionsrisiko bezahlt werden muß.
Ich prophezeie Ihnen: Sie haben die Zustimmung der Industrie zu Ihren Vorschlägen noch lange nicht im Sack. Von dieser Seite werden Sie noch entschiedenen Widerstand zu spüren bekommen.
Sie reden vom schlanken Staat. Sie meinen damit aber nicht weniger Bürokratie, sondern Sie meinen damit den Abbau von Bürger- und Bürgerinnenbeteiligungsrechten. Das bedeutet einen schweren Anschlag auf den demokratischen Rechtsstaat.
Die frühzeitige Bürgerbeteiligung soll für viele Projekte abgeschafft werden. Da, wo nur noch Anzeigeverfahren vorgesehen sind, kann der Nachbar, der betroffene Bürger nur noch unter hohen Prozeßkostenrisiken auf dem Zivilrechtsweg vorgehen. Die Bundesregierung geht dabei von der fatal falschen Annahme aus, daß Bürger- und Bürgerinnenbeteiligung Genehmigungsverfahren verlängert. Wann geht es endlich in Ihren Kopf hinein: In den allermeisten Fällen führt die Beteiligung der Bürger und der Umweltverbände zur Zustimmung und damit zu höherer Akzeptanz und damit zu Investitionssicherheit.
Wo dies nicht so ist, nützt Ihnen in einer Demokratie
auch kein schnelles Genehmigungsverfahren. Wer
mit Gewalt die Ängste der Bürger und Bürgerinnen übergehen will, der produziert nicht selten Investitionsruinen.
Haben Sie denn aus Wackersdorf und den anderen Investitionsruinen im Atombereich überhaupt nichts gelernt? Haben Sie aus dem Konflikt um die Entsorgung der Ölplattform „Brent Spar" und den Störfällen bei Hoechst nichts gelernt?
Kluge Manager haben im Gegensatz zu dieser Bundesregierung inzwischen begriffen, daß ein offenes Konfliktmanagement für beide Seiten besser ist als eine Abschottungspolitik.
Meine Damen und Herren, die Bürger sind nicht doof. Die Bürger sind nicht Ihr Feind. Die Bürger haben das Recht darauf, mitzuentscheiden, wenn es um ihre Gesundheit geht. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Staatsziel Umweltschutz verpflichten den Staat, nicht nur die Interessen der Wirtschaft, sondern auch die der Bürger, der Natur und der zukünftigen Generationen zu vertreten.
Umweltschutz kann nicht dem freien Spiel der Marktkräfte und den unverbindlichen Selbstverpflichtungserklärungen überlassen werden.
Wenn die Bundesregierung behauptet, ihre Vorhaben würden nicht zum Abbau von Umweltstandards führen, dann lügt sie. Ist es etwa kein Abbau von Umweltstandards, wenn Industrieprojekte völlig unabhängig von ihrem Gefährdungspotential von der generellen Genehmigungspflicht freigestellt werden? Die Anforderungen für Anlagen, die keiner Genehmigung bedürfen, sind nach dem Bundesimmissionsschutzrecht weitaus niedriger als für genehmigungspflichtige Anlagen. Die Abfallvermeidung und -verwertung, die Abwärmenutzung und die regelmäßige Unterrichtung der Behörden über Emissionen wären für diese Anlagen dann keine Pflicht mehr. Darunter fallen Anlagen, in denen mit hochgiftigen und hochexplosiven Stoffen hantiert wird, chemische Anlagen und gentechnische Anlagen. Wenn die Genehmigung erst dann erfolgen soll, wenn schon die Schornsteine rauchen, werden sich weder die Umweltschützer noch die betroffenen Bürger und auch nicht die Behörden gegen die Wirtschaftslobby durchsetzen können.
Ist es etwa kein unverantwortlicher Abbau von Umweltschutzstandards, wenn vereinfachte Planungsgenehmigungsverfahren für Zwischen- und Endlager von radioaktivem Abfall eingeführt werden sollen?
Atomanlagen unterliegen einem besonders hohen Gefährdungsrisiko. Daher ist hier eine besonders sorgfältige Prüfung vonnöten.
Michaele Hustedt
Es ist völlig unverantwortlich, gerade in diesem Bereich lasch und unvorsichtig zu sein. Die Bundesregierung - das wissen wir schon lange - will ihre Pro-Atompolitik mit Gewalt durchsetzen. Dafür ist Ihnen jedes Mittel recht, auch der Abbau des Rechtsstaates.
Ist es kein Abbau von Umweltstandards, wenn die Genehmigungen durch Öko-Audit ersetzt werden sollen? Da bisher überhaupt keine Erfahrungen mit dem Instrument des Öko-Audits vorliegen, weiß man auch nicht, ob dies wirklich behördliche Genehmigungen ersetzen kann. Im Öko-Audit wird zudem nur bilanziert. Es verpflichtet die Industrie aber zu überhaupt nichts.
Kaschiert mit einem Wust von Fachbegriffen plant diese Bundesregierung einen tiefen Einschnitt in das Umweltrecht. Im Namen der Wirtschaftsförderung startet sie den Generalangriff auf den Umweltschutz. Die behördlichen Genehmigungen dienen der Verpflichtung des Staates, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zu schützen. Sie sind das einzige, auf breiter Front tatsächlich wirksame Instrument für die behördliche Durchsetzung des geltenden Umweltrechts.
In der Schlichter-Kommission war zwar ein Abteilungsleiter der BASF vertreten, aber kein einziger Umweltschützer. Dementsprechend ist auch das Ergebnis ausgefallen.
Rechtsexperten und das Justizministerium haben vereinzelt Bedenken angemeldet. Nicht so das Umweltministerium. Frau Merkel schweigt, ja, begrüßt sogar noch das Kaltstellen der Umweltministerien. Sie von der Koalition würden sich sogar das Umweltministerium wegregulieren lassen, ohne zu protestieren. Sie würden dies sogar noch als Beitrag zur Stärkung des Standortes Deutschland begrüßen. Übrig bleiben dann - wenn es nach Ihnen geht - ein ProAtomministerium und eine unverbindliche Selbstverpflichtung der Industrie, die Aufgaben des Umweltministeriums zu übernehmen.
Ich komme zum Ende. Jeder weiß, Frau Merkel, Sie haben das Amt nur ungern übernommen. Hören Sie endlich auf, am Ausverkauf des Umweltschutzes mitzuwirken! Wenn eine Umweltministerin den Abbau von Umweltschutzstandards noch begrüßt, ist das schlimmer, als wenn der Platz freigelassen worden wäre.