Rede von
Fritz Rudolf
Körper
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg zwei Bemerkungen machen.
Erste Bemerkung: Wenn man Herrn Kanther hört - er sagte, man müsse überlegen, man müsse prüfen, man müsse sich Gedanken machen -, dann fragt man sich: Wer regiert denn hier eigentlich seit 1982?
Zweite Bemerkung: Herr Westerwelle redet zu diesem Thema, obwohl er nur auf Grund der inflationären Ernennung von Staatssekretären unter dieser Bundesregierung in den Deutschen Bundestag gekommen ist.
Das alles halte ich nicht für glaubwürdig.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz offen: Der Begriff „schlanker Staat" ist ein falscher Begriff. Als ob es bei diesem Reformprojekt ausschließlich auf die Größe und den Umfang des Staates ankäme! Nein, es geht in erster Linie um Effektivität und Effizienz staatlichen Handelns.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 95, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1996 8395
Fritz Rudolf Körper
Wir brauchen ein bißchen mehr Dynamik für dieses Thema, wie die heutige Debatte von seiten der Regierung gezeigt hat.
Ich meine auch, daß wir klare Ziele formulieren müssen. Wir brauchen einen leistungsfähigen und kostenbewußten Staat, der sich auf wichtige Aufgaben konzentriert. Ich nenne fünf Punkte: Sicherung der bürgerlichen und sozialen Grundrechte, Abwehr ökologischer Gefahren, Setzung ökonomischer Rahmenbedingungen, Gewährleistung eines modernen Bildungswesens und eine leistungsfähige Infrastruktur.
Meine Damen und Herren, ich schreibe Ihnen ins Stammbuch: Ohne soziale Sicherheit sind auf Dauer weder Menschenwürde noch Demokratie, noch Freiheit, noch innerer Frieden, noch Wohlstand in dieser unserer Gesellschaft möglich.
Durch das Erfinden neuer Etikette wird Ihre Politik auch nicht besser. Das hat die Praxis bisher gezeigt.
Die Zahl der Gesetze ist - auch das will ich Ihnen ins Stammbuch schreiben - keineswegs geringer, die Vorschriften sind nicht einfacher und nicht verständlicher geworden. Ihre Bemühungen auf dem Gebiet der Rechtsvereinfachung haben keine nennenswerten Erfolge. Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern Entbürokratisierung versprochen, aber sie im Grunde genommen mit einer Vielzahl neuer Vorschriften belastet, die Bürokratie also ausgeweitet, statt sie einzuschränken. Ein besonders markantes Beispiel dafür ist das von Ihnen zu verantwortende Steuerrecht, bei dem heute kein Mensch mehr durchblickt.
Seien wir ehrlich: Sie haben die Modernisierung der Bundesverwaltung bisher gar nicht ernsthaft angepackt. Diese Bemühungen stecken in den Kinderschuhen, stecken in den Anfängen. Wir müssen die Aufgaben des Staates annehmen. Die Herausforderungen an die Politik sind gewachsen. Wir brauchen deshalb dringender denn je einen handlungsfähigen und einen sozial verantwortlich handelnden Staat. Ich wiederhole: Wir brauchen ein effektives und effizientes staatliches Handeln.
Vor dieser Aufgabe haben Sie versagt. Ich will das mit einem weiteren Beispiel belegen. Auch bei dem heute zur ersten Beratung vorliegenden Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren stehen Ankündigung und Praxis im Widerspruch.
Sie wollen für Genehmigungsverfahren auch außerhalb der Planfeststellung besondere gesetzliche Verfahrensregeln schaffen. Das würde aber den Bemühungen der Länder, eine Verringerung der Regelungsdichte zu erreichen, widersprechen.
Öffentliche Verwaltung braucht nicht weniger, sondern mehr Entscheidungsspielräume vor Ort.
Sie können nicht immer nur von Entbürokratisierung und Rechtsvereinfachung reden, im entscheidenden Augenblick aber das Gegenteil tun, indem Sie neue überflüssige Vorschriften schaffen und das Maß der Bürokratie erhöhen.
Ich denke, wir haben in der Zukunft die Aufgabe, auf die wir uns verständigen sollten: Wir müssen die Regelungsdichte reduzieren und bei neuen Rechtsvorschriften immer vier Punkte hinterfragen und kritisch prüfen:
Erstens. Ist das anstehende gesellschaftliche Problem bei Beachtung vorgegebener Maßstäbe nur durch staatliches Handeln zu lösen?
Zweitens. Gibt es Möglichkeiten administrativer Einflußnahme, eine Regelung zu vermeiden?
Drittens. Können die vorgesehenen Regelungen befristet werden?
Viertens. Können die Regelungen klarer, einfacher und übersichtlicher gefaßt werden?
Solche Bemühungen haben in unserer Industriegesellschaft auch ihre Grenzen. Wir können aber die Probleme des 20. und 21. Jahrhunderts nicht mit dem Staat, dem staatlichen Handeln und den staatlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts bewältigen.
Wir haben in diesem Hause schon mehrfach über die Verwaltungs- und Dienstrechtsreform debattiert. Unsere grundsätzlichen Positionen dazu sind bekannt und werden auf der Grundlage unserer Anträge in den Ausschüssen beraten. Wir werden zur Verwaltungs- und zur Dienstrechtsreform im Innenausschuß getrennte Anhörungen beantragen.
Ich will deshalb nur einige Stichworte herausgreifen. Das erste Stichwort heißt: Verzahnung von Verwaltungs- und Dienstrechtsreform. Lesen Sie dazu bitte den Bericht der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts aus dem Jahre 1972. Lassen Sie mich ausnahmsweise zitieren:
Die engen Zusammenhänge zwischen dem System des öffentlichen Dienstes und der Organisation der öffentlichen Verwaltung machen es erforderlich, beide Bereiche aufeinander abzustimmen; insbesondere wird die stärkere Betonung des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst ihren Rückhalt in einem Organisations- und Führungssystem finden müssen, das die Fähigkeit und Bereitschaft der Verwaltungsangehörigen zur bestmöglichen Erfüllung der ihnen anvertrauten Funktionen unterstützt und fördert.
Fritz Rudolf Körper
Was hier gefordert wird, ist ein besseres Personalmanagement im Rahmen erneuerter Dienstrechts- und Verwaltungsstrukturen. An dieses zentrale und komplexe Thema haben Sie sich mit Ihrem Entwurf zum Dienstrechtsreformgesetz nicht herangewagt. Die Anregung dieser Kommission, die gut gearbeitet hat, ist also ein weiteres Mal unbeachtet geblieben.
Ich nenne ein zweites Stichwort, meine Damen und Herren: Führungsfunktionen auf Zeit. Da wird uns vorgeworfen, dieser Vorschlag liefe auf eine Politisierung von Führungspositionen im öffentlichen Dienst hinaus.
Ich sage Ihnen - Frau Albowitz, auch Ihnen -, das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen gerade keine Ausweitung des Kreises der politischen Beamten, sondern eine klare, enge Begrenzung.
Ich nenne Ihnen auch ein Beispiel. Wie froh wäre Herr Kanther gewesen, wenn der Präsident des Bundeskriminalamtes ein Beamter auf Zeit gewesen wäre! Sie hätten sich viel Ärger erspart, lieber Herr Kanther.
Ich sage Ihnen: Der jetzige Weg, aus dem Präsidenten des BKA einen politischen Beamten zu machen, ist der völlig falsche Weg.
Die Bekämpfung der Kriminalität erfordert einen tüchtigen Fachmann, aber keine laufende politische Übereinstimmung und kein besonderes persönliches Vertrauensverhältnis zum Bundesinnenminister. Deswegen, Herr Kanther, kann ich Sie vielleicht mit diesem Beispiel ein bißchen für unseren Vorschlag erwärmen, Führungsfunktionen auf Zeit zu vergeben. Wir sind der Auffassung, daß das der richtige Weg ist.
Der dritte Punkt ist das Leistungsprinzip. Ich will dazu vorweg sagen: Ihre Vorschläge scheinen mir zu eng und nicht erfolgversprechend zu sein. Die Stärkung des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst ist aber nach unserer Auffassung das zentrale Thema einer Dienstrechtsreform, und wir kommen dabei zu einem anderen Ergebnis als Sie.
Wir kommen zu dem Ergebnis, daß erstens das an den Bildungsabschlüssen orientierte Laufbahngruppenprinzip überholt ist, daß sich zweitens die Bezahlung an konkreten Funktionen und nicht an abstrakten Ämtern ausrichten muß und daß drittens der Aufstieg im Prinzip nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung möglich sein muß.
Dazu brauchen wir im öffentlichen Dienst durchgängig eine vernünftige, gute, objektive Dienstpostenbewertung und ein neues Beurteilungswesen. Wir brauchen statt der heutigen Abwicklung von
Personalbesetzungen eine Personalentwicklungsplanung. Dringend notwendig ist ein besseres Personalmanagement.
Die von Ihnen beabsichtigten Leistungszulagen sowie die leistungsabhängige Steigerung des Gehaltes reichen meiner Auffassung nach nicht aus, um dem Leistungsprinzip ausreichend Geltung zu verschaffen, zumal Leistungszulagen für viele Tätigkeiten und weite Bereiche des öffentlichen Dienstes von vornherein überhaupt nicht in Betracht kommen.
Lassen Sie mich als viertes Stichwort das Teilzeitbeamtenverhältnis nennen, das von manchen auch als Zwangsteilzeit bezeichnet wird.
In unserem Antrag betreffend Modernisierung der öffentlichen Verwaltung schlagen wir die voraussetzungslose Teilzeitbeschäftigung auf Antrag vor, soweit dienstliche Gründe nicht entgegenstehen. Dies entspricht weitgehend der Regelung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, der Ausbau und die Erleichterung von Teilzeitbeschäftigung ist gesellschafts- und familienpolitisch wichtiger denn je. Gerade der Staat, die öffentliche Hand sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen. Ideologische und verfassungsrechtliche Bedenken sollten an dieser Stelle beiseite gelegt werden.
Auch wenn Sie nicht müde werden, von einer Reform des öffentlichen Dienstrechtes zu reden - was Sie vorlegen, ist jedenfalls keine Reform. Sie verkennen die eigentlichen Reformerfordernisse und klammern wesentliche Themen aus. Die Ziele des Gesetzentwurfs sind richtig, der Inhalt wird diesen Zielen aber nicht gerecht. Wir freuen uns auf die Diskussion und werden konstruktiv mitarbeiten.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.