Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es muß ein bißchen mit dem Thema zu tun haben, daß alle Abgeordneten fleißig wie die Beamten in ihren Bänken sitzen und vor sich hin schreiben.
Dabei ist das Thema spannender, als es auf den ersten Blick erscheint.
Es ist allerdings auch schon fast so alt wie die Bundesrepublik. Über die Reform der öffentlichen Verwaltung und des öffentlichen Dienstes haben viele vor uns diskutiert. Seitdem wuchsen und wuchsen die staatlichen Institutionen, seitdem wucherte die öffentliche Verwaltung. Schon immer gab es sehr viel Kritik daran. Geändert hat sich aber tatsächlich wenig.
Dabei ist das Vorhaben, die Reform der öffentlichen Verwaltung in Angriff zu nehmen, in der Liste der Regierungsversprechen immer höher geklettert. In der letzten Regierungserklärung von Helmut Kohl stand es nun ganz oben, auf dem ersten Platz. Damit sind große Erwartungen geweckt worden. Herr Minister Kanther, als ich Ihrer Rede zugehört habe, habe ich jedoch gedacht: Das Talent, eine wirkliche
Dr. Antje Vollmer
Reformstimmung zu verbreiten, haben Sie nicht, so viele Talente Sie auch sonst haben mögen.
Niemand - auch ich nicht - sagt, daß die Bewältigung dieser Aufgabe einfach ist. Sie ist sogar unheimlich schwer. Sie ist theoretisch sehr schwer, weil man dabei im Kern etwas so Kompliziertes wie die Reform des ganzen Staates bedenken muß. Kann es das überhaupt geben? Sind wir überhaupt noch reformfähig? Was bedeutet Reform des Staates unter den völlig veränderten Gesetzen einer Informationsgesellschaft? Das heißt: Diese Konzepte theoretisch zu entwickeln, ist schon schwierig; noch schwieriger ist es aber, sie praktisch zu entwickeln. Denn dabei geht es gleichzeitig auch um das Schicksal von Hunderttausenden von Beschäftigten und Beamten im öffentlichen Dienst und um das Schicksal von Millionen von Bürgern und Bürgerinnen, die von diesem staatlichen Handeln, seinen möglichen Reformen und deren möglichen Scheitern betroffen sein können.
Dafür, daß sich die Regierung von Helmut Kohl diese Herkules-Arbeit, die Reform des öffentlichen Dienstes, vorgenommen hat, will ich ihr ausdrücklich Mut attestieren - Mut in der Absicht. Heute aber, wo wir die ersten Früchte dieses mutigen Vorhabens auf dem Tisch haben, frage ich: Wo ist dieser Mut denn nun bloß geblieben?
Ich empfinde es als eine schlechte Arbeitsteilung zwischen der Regierung und der Opposition, wenn die Regierung, die ja das Heft des Handelns und damit auch die Möglichkeit des Handelns in der Hand hat, von Kleinmut erfaßt wird, den Rotstift den Meister des Verfahrens und den Finanzminister den „master of the system" gegenüber dem Innenminister, der diese Ideen und Reformen eigentlich in der Hand haben müßte, sein läßt und wenn andererseits die Opposition grundsätzlich für die Kreativität, für die Ideen, für die Motivation der Beschäftigten und - das gehört dazu - für Ehrlichkeit gegenüber der Bevölkerung in den Fragen zuständig sein soll, was denn diese Bevölkerung von unserem Staat auf Dauer noch erwarten und was dieser ihr wirklich zusichern kann.
- Ich komme zu diesen Ideen. Im übrigen haben Sie unsere Papiere eher zur Verfügung gehabt als wir Ihre. Das können wir Grüne für uns in Anspruch nehmen. An dieser Stelle haben wir unsere Aufgabe, Reformfraktion zu sein, wirklich erfüllt.
Es gibt aber auch aus Ihren Reihen - ich spreche Herrn Scholz jetzt direkt an - ein interessantes Dokument, nämlich den Zwischenbericht des Sachverständigenrates „Schlanker Staat". Ich empfehle den Kollegen durchaus, diesen Zwischenbericht zu lesen. Er ist sehr interessant. Er ist übrigens sehr viel interessanter als die Vorlagen, die wir heute auf dem Tisch haben.
Dieser Sachverständigenrat hat sich einige interessante Sachen vorgenommen. Mit einer Diskussion über das Dienstrecht allerdings, wozu wir heute einen Entwurf auf dem Tisch haben, hat er aus guten Gründen noch nicht begonnen. Denn er hat gesagt: Man muß anders anfangen.
Der Sachverständigenrat gibt einen guten Rat, nämlich mit der Debatte über die Aufgabenkritik des Staates anzufangen. Ich finde, damit hat er recht. Am Anfang der Debatte muß die Frage stehen: Welche Aufgaben hat der Staat? Man muß sich fragen: Ähnelt der Staat, den wir heute haben, eigentlich noch den Bürgern, die in diesem Staat leben? Handelt er nach dem, was diese Bürger, die anders sind als die vor 40 Jahren, heute wirklich brauchen? Tut er - diese Frage wollen wir offen stellen - vielleicht zuviel an Patronage? Wäre dies vielleicht in einigen Bereichen nicht mehr nötig? Wo gibt es neue Anforderungen der Bürger, die der Staat noch nicht oder unzureichend behandelt?
Tatsächlich bin ich der Überzeugung, daß die Vorstellung der Bundesregierung hinsichtlich der Kürzungsvorschläge pseudoradikal ist, daß sie aber überhaupt nicht modern ist in dem Sinne, daß sie die Kräfte der Bürger dieses Staates und auch die Kräfte der Beamten und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes für Innovationen freisetzt.
Der zweite große Punkt aus dem Zwischenbericht des Sachverständigenrates: Der Sachverständigenrat rät der Regierung dringend, den Umzug nach Berlin als Chance zu Reformen und zur Straffung und Reduzierung der Bundesministerien zu nutzen. Das genau war unser Rat. Wir sollten diesen Dreischritt versuchen: Wir sollten anfangen mit der Reform des Parlaments, fortsetzen mit der Reform der Ministerien und des Bundestages mit seinen Institutionen - die äußere Mobilität, der Umzug, schafft eine wunderbare Möglichkeit, auch innere Mobilität zu erzeugen - und dann vorbildlich zeigen, wie es mit dieser Reform des Staates im ganzen geht.
Wir haben bis heute nicht den Sachstandsbericht zum Berlin-Umzug, zu dem der Herr Bundesinnenminister aufgefordert ist. Wir haben letzte Woche eine Übersicht über tausend Dinge bekommen, die der Staat vorhat. Darin stand zum Umzug - ich bitte, dies zu lesen; man kam übrigens erst im dritten Absatz des letzten Punktes zu diesem Thema - ein so entlarvendes Vorhaben wie: „Der Umzug soll dazu genutzt werden, Dienste für Reinigung, Pförtner- und Botendienste und Mitarbeiter aus dem Parlamentsdienst zu privatisieren" .
Dr. Antje Vollmer
Tolle Reform! Nicht der kleinste Funke von Kreativität, nicht die Idee, daß diese äußere Mobilität gerade Mobilität in den Spitzenfunktionen, in den Leitungsebenen erzeugen könnte, daß man gründlich aufräumen und neu organisieren könnte. Putzfrauen und Pförtnerdienste zu privatisieren ist kein Vorschlag, sondern ein Offenbarungseid.
Zur Gesetzesfolgenabschätzung - der Herr Minister hat dies erwähnt; die Idee ist übrigens von uns -: Gesetzesfolgenabschätzung bedeutet, die Verwaltungen und auch den Gesetzgeber verantwortlicher zu machen. Es bedeutet nicht, den Bürger durch den Abbau von Errungenschaften zu schädigen, für die er lange gekämpft hat.
Kommen wir zum öffentlichen Dienst. Hier hat der Gesetzgeber angesichts des Umzugs nach Berlin und angesichts der Gesetze der knappen Kassen eine unglaubliche Möglichkeit, auf die große aktuelle Frage der Zeit zu antworten: auf die Frage der Arbeitslosigkeit. Wo ist denn das Vorbild des Staates als Arbeitgeber? Wo ist die große Teilzeitoffensive in diesem Bereich?
Im öffentlichen Dienst besteht diese Chance, weil der Staat Arbeitgeber und das Parlament Gesetzgeber ist. Im öffentlichen Dienst besteht diese Chance, weil die Beschäftigten das wollen. Im öffentlichen Dienst besteht diese Chance erst recht, weil Teilzeit mit Arbeitsplatzsicherheit verbunden ist und weil sie deswegen wirklich vorbildlich wäre. Davon finde ich nichts, nichts, nichts in diesem Gesetzentwurf.
So kommt es mir dann auch so vor, als ob, während öffentlich über das „Bündnis für Arbeit" diskutiert wird und es fast zu scheitern droht, im ureigensten Verantwortungsbereich des Staates ein Bündnis gegen die Arbeit geplant würde, übrigens ein Bündnis gegen die Arbeit und auch gegen die Umwelt.
Das betrifft den zweiten Teil Ihrer Vorhaben. Gerade weil Sie sich nicht trauen, den Arbeitsbereich neu zu organisieren, fangen Sie an, mit dem Rotstift zu streichen bei allen Errungenschaften im Umweltbereich, im Bereich der Bürgerrechte und im Bereich des Rechts, zu den Verwaltungsgerichten zu gehen, die wir in den letzten Jahren alle mühselig erreicht haben.
Nächster und vielleicht wichtigster Punkt. Jeder weiß - das haben auch alle meine Vorredner gesagt -: Die Reform des öffentlichen Dienstes wird man nicht
ohne die Motivation der Beschäftigten hinbekommen. Wenn Sie aber, Herr Minister Kanther, zum Beispiel mit der Vorschrift über die Stellenstreichung anfangen und von fünf oder drei Prozent Stellenstreichung reden, dann haben Sie 100 Prozent der Beschäftigten gegen sich, weil die sich dann sagen: Nachher bin ich es! Wenn Sie mit der Aussage anfangen, zehn Prozent höherqualifizieren und eingruppieren zu wollen, dann haben Sie 90 Prozent der Beschäftigten gegen sich, weil diese sich gekränkt und abgewertet fühlen.
Ich glaube, dieser Weg ist vollkommen verkehrt. Man muß die Motivation der Beschäftigten als beste Kenner der staatlichen Verwaltung geradezu hervorlocken. Dann wird man in bezug auf versteckte bürokratische Vorhaben fündig werden und jede Menge Verbesserungsvorschläge erhalten, die die Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz nämlich am besten entdecken können.