Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen sicher in den nächsten Jahren unser Land in vielen Bereichen fit machen für die Zukunft. Unser Thema „schlanker Staat" gehört dazu.
Es gibt an vielen Stellen Veränderungsbedarf; so, wie es viel Bewährtes gibt, ist manches darauf zu überprüfen, was sich ändern muß. In vielen Bereichen haben wir bei der Staatstätigkeit die Grenzen des Machbaren und allemal des Finanzierbaren erreicht. Wir brauchen einen Mut zu grundlegenden Erneuerungen, wenn sich Staat und öffentliche Verwaltung zukünftig auf das konzentrieren sollen, was ihres Amtes und unerläßlich ist, wenn wir darangehen wollen, den Staat von jenem Fett zu befreien, das er angesetzt hat, das aber nur Geld kostet und nicht mehr effizient ist.
Verwaltung ist reformierbar. Entscheidend ist, zu erkennen, wo und mit welchen Mitteln. Es gibt keine Patentrezepte. Vielmehr müssen viele Wege gegangen werden.
Einer davon ist die von der Bundesregierung eingeleitete Reform des öffentlichen Dienstrechts. Daß wir Leistungselemente in Bezahlung und Beförderung verstärken sollten, ist eine aus allen beruflichen Erfahrungen unserer Zeit gewonnene Überzeugung.
Bundesminister Manfred Kanther
Deshalb setzt die Dienstrechtsreform auch bei der Erprobung in Führungspositionen, Leistungsprämien und Zulagen, der Bindung von Dienstaltersstufen an Leistungsurteile sowie der Verbesserung des Beurteilungswesens an. Die Verbesserung der Mobilität im öffentlichen Dienst ist gleichfalls erforderlich. Erforderlich ist bei diesen Schritten eine Gemeinsamkeit von Bund und Ländern, aller öffentlichen Arbeitgeber. Wir haben nicht vor, eine solche Reform gegen die Bundesländer zu machen.
Wir suchen die Gemeinsamkeit in der Sache. Aus dem Bundesrat heraus sind viele Vorschläge gemacht worden, die sehr nachdenkenswert sind, und es gibt solche, über die man eher mehr am Rande wird streiten müssen, weil sie nicht zur Effizienz beitragen, wie etwa die Frage der Besetzung von Führungsämtern auf Zeit eher einer zusätzlichen Politisierung von Verwaltung das Wort reden würde als deren notwendiger Verminderung. Darüber kann mit Fug und Recht gestritten werden. Ich bin ganz gewiß, daß wir an dieser Stelle ein gemeinsames Arbeitsergebnis erzielen müssen.
Ein zweiter Aspekt, wenn wir den Staat schlanker machen und auf seine Ursprungsaufgaben sowie die notwendigen Aufgaben unserer Zeit zurückführen wollen, ist die Verringerung der Stellenpläne. Ich habe in meinem Bereich gleich nach meinem Amtsantritt eine sofortige Einstellungssperre - außer dem Sicherheitsbereich - verhängt. Hiervon sind im Bereich des Bundesinnenministeriums etwa 25 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen. In gut zwei Jahren konnten so 572 unbesetzte Stellen erwirtschaftet werden, zusätzlich zu den allgemeinen Bewirtschaftungsauflagen des Parlaments. Am Anfang hieß es, nun breche der Notstand aus; mittlerweile behauptet dies niemand mehr.
Schlanker Staat bedeutet aber nicht, daß ohne Ansehen der Aufgabe oder der Sparte der öffentlichen Verwaltung mit dem Rasenmäher über die Stellenpläne gegangen wird. Beispielsweise haben wir 1995 und 1996 im Bereich der inneren Sicherheit 640 neue Stellen geschaffen. Unerläßliche Verstärkungen in Brennpunktbereichen sind aber leichter durchzusetzen, wenn an anderer Stelle Stellenabbau, der dringend notwendig ist, geleistet werden kann.
Ich meine, es muß mehr Mut aufgebracht werden, auszuprobieren, ob man mit weniger Personal auskommen kann. Denn nicht eine möglichst große Zahl von Mitarbeitern sollte der Stolz von Vorgesetzten sein, sondern die Fähigkeit, Aufgaben mit möglichst geringem Aufwand möglichst gut zu erledigen.
Deshalb gehört auch die Bereitschaft dazu, in Führungspositionen wieder mehr Verantwortung zu übernehmen. Auch das ist ein wichtiger Aspekt der Dienstrechtsnovelle.
Ich füge hinzu: Das alles wird nur mit den Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes und nicht etwa gegen sie gehen. Deutschland hat einen funktionierenden öffentlichen Dienst, aber nichts ist so gut, als daß es nicht noch wesentlich verbessert werden könnte. Ich meine deshalb, daß wir ganz falsch beraten sind, wenn wir die Neidglocke gegenüber den Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes läuten oder öffentlich Beamtenhatz betreiben. Es wird nicht möglich sein, ein so großes Werk ohne die innere Bereitschaft der Mitarbeiter, ohne ihre Kreativität zu bewirken.
Klarere Verwaltungsstrukturen und effiziente Verwaltungsverfahren müssen die Verwaltungsabläufe im Ganzen beschleunigen und mehr Freiräume für eigenes Handeln bei Bürgern und Unternehmungen herbeiführen. Wir brauchen den Mut - übrigens auch als Parlament -, mehr Ergebnis- und weniger Verfahrenskontrolle anzuwenden.
Wir haben eine Regelungsdichte erreicht, vor der der Bürger häufig den Überblick verliert, und das muß sich ändern. Der moderne Staat muß sich auf den Kern seiner eigentlichen Aufgaben beschränken. Er muß hinschauen, wo Aufgaben, die er wahrnimmt, auch privat mindestens gleich gut erledigt werden können.
Da ist ein Teilaspekt von Privatisierung angesprochen, womit man aber als Zauberwort keineswegs das ganze Problem lösen kann. Der Bund ist hier weit vorangegangen, indem er sich von wirtschaftlichen Betätigungen getrennt und 11 Milliarden DM Veräußerungserlöse erzielt hat. Ich weiß, daß das unter haushälterischen Aspekten natürlich nur ein Einmaleffekt ist und strukturelle Überlegungen nicht ersetzt, aber es ist eben auch eine einmalige Hilfe und ein Beitrag zu vermehrter Effizienz obendrein.
Auch die Verwaltungsorganisation ist zu überprüfen. Es müssen nicht alle Aufgaben, die heute bei Ministerien und Oberbehörden angelegt sind, dort erledigt werden. Deshalb hat das Bundeskabinett mit seinem Beschluß vom 7. Februar auch Bundesbehörden auf den Prüfstand gestellt und will in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit Funktionen und durch Veränderung von Organisationsabläufen etwa 7 000 Stellen einsparen. Ich kann aus meinem Bereich sagen, daß es dazu sicher viele Möglichkeiten gibt, ohne daß die Effizienz der öffentlichen Verwaltung sinkt. Im Gegenteil, häufig wird sie steigen.
Verwaltung ist kein Selbstzweck. Sie zählt zu den Garanten eines funktionierenden Gemeinwesens und muß diesem standhalten. Sie muß sich verändern. Reform der Verwaltung ist kein einmaliger Akt, sondern ein ständiger Prozeß. Ich warne deshalb auch vor den vorschnellen Behauptungen, man könne sich eine Maßnahme herauspicken, habe damit einen Königsweg entdeckt, und alles übrige ergebe sich dann von selbst.
Das Thema schlanker Staat ist ein Mosaikbild, ist eine Daueraufgabe, in der viele Steine zusammenpassen müssen, damit es ansehnlich entsteht.
Bundesminister Manfred Kanther
Dazu gehören sehr viele Einzelprobleme. Ich erinnere an die Mischfinanzierung auf allen Ebenen unseres Staatsaufbaus als Quelle endloser Bürokratie. Ich erinnere an die häufig viel zu langen Planungs- und Genehmigungsverfahren im Bau- oder im Produktzulassungsbereich. Die Straffung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im internationalen Wettbewerb ist eine Standortfrage für unser Land.
Hier setzen die vom Kabinett in diesem Jahr beschlossenen drei Beschleunigungsgesetze an. Die mit ihnen auf den Weg gebrachten Änderungen im Verwaltungsverfahrensgesetz, in der Verwaltungsgerichtsordnung und beim Immissionsschutzgesetz werden zu einer substantiellen Beschleunigung und deutlichen Verkürzung dieser Verfahren führen.
Ein solches Bündel von Maßnahmen vergrößert ohne negative Einflußnahme auf den Umweltschutz die Effizienz unserer Behördenvorgänge. Es ermutigt Investoren, und es stärkt damit den Standort Deutschland.
Wir müssen den Regelungsperfektionismus schrittweise überwinden, der, glaube ich, in vielen Jahrzehnten uns alle befallen hat.
- Aber mein Herr, ich suche an dieser Stelle gar nicht den Streit mit Ihnen, wer hier gut und 13 Jahre regiert. Fragen Sie Ihre Länderkollegen von der sozialdemokratischen Partei, ob etwa die Bürokratie in den Ländern eine weniger drückende Last sei und weniger der Besserung bedürfe als an jeder anderen Stelle.
Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß der Bund 13 Prozent aller öffentlich Bediensteten beschäftigt und die Länder und die Kommunen den überwältigend großen anderen Anteil.
Es ist offenkundig, daß diese Verantwortung nur gemeinsam und auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden kann.
Der Regelungsperfektionismus hat eine Rechts- und Vorschriftendichte auf allen Ebenen erreicht, die der Bürger vielfältig nicht mehr durchschaut. Zurückhaltung ist in diesem Zusammenhang bei der Festsetzung von Standards angezeigt. Eine Vorschrift - die ich nicht dem von Ihnen regierten Land zuschreiben will -, die im Abstand von 20 Zentimetern Kleiderhaken in Kindergärten vorschreibt, hat sicher gar nichts mit Politik, wohl aber mit üppiger Bürokratie zu tun. Wenn wir in einem anderen Bundesland erleben, daß 60 Amtsblattseiten mit Schulbauempfehlungen durch eine knappe Verordnung von acht Paragraphen ersetzt werden können, dann zeigt das eben, daß es geht. Man muß es nur im Detail anpakken und nicht in Phrasen darüber reden.
Großer Handlungsbedarf liegt im Haushaltsrecht mit seinen häufig zu starren Regeln. Warum sollte es nicht möglich sein, größere Budgets für Liegenschaften, für Bau- und Beschaffungsmittel auszuweisen?
Wir müssen insofern auch die erschwerte Situation der öffentlichen Finanzen in diesen Teil der Debatte hineindenken. Dort, wo die Gefahr der Verschwendung von Steuermitteln besteht, mag ja besonderer Anlaß für eine besonders strikte Kontrolle sein. Aber dort, wo die Kassen in der heutigen Zeit eh so knapp sind, muß man an neue, freiere Formen der Bewirtschaftung denken,
um Synergieeffekte herbeiführen zu können, die sich aus der Zusammenfassung von Positionen, aus dem gelegentlich gelockerten Jährlichkeitsprinzip, aus dem Budgetgedanken ergeben.
Wir haben dazu Modellvorhaben in Arbeit. Sie haben bereits erste positive Ergebnisse hervorgebracht.
Das Thema schlanker Staat muß uns auch den Blick auf die eigene, die gesetzgeberische Tätigkeit und die Tätigkeit der Gerichte richten lassen. Wie oft ist im Zuge parlamentarischer Beratungen nach der Regelung der letzten filigranen Zwischenräume gesucht worden? Wie häufig differenzieren die Gerichte immer genauer, um oft auch die letzte Einzelheit eines Lebenssachverhaltes justitiabel zu machen? Das mag im Interesse größtmöglicher Einzelfallgerechtigkeit durchaus verständlich sein. Aber auf diese Weise werden oft Standards gesetzt, die von den Betroffenen nur mit kaum noch vertretbarem Aufwand realisiert werden können.
Eine hochkomplizierte Gesellschaft braucht vielerlei staatliche Vorgaben; das ist sicher wahr. Aber ein Staat, der Vorschriften und Vorsorge für alle Lebenslagen bereithält, fördert damit zugleich eine Mentalität, die von vornherein das Lebensrisiko ausschließen und die Sachverhalte abschließend regeln will. Das geschieht nicht ohne Freiheitsverlust und Kostenexplosionen.
Deshalb landet ein Teil unseres Problems auch bei der gewaltigen öffentlichen Erwartungshaltung, dem Gruppen- und Einzelegoismus. Deshalb bedeutet Problemlösung: Zusammenstoß mit vielerlei Besitzständen. Augenmaß und politischer Mut sind gleichermaßen gefragt, wenn es um die Grenzziehungen im Konfliktfall geht.
Es geht bei der Debatte um den schlanken Staat daher nicht nur um Verwaltungsreform, sondern generell um unsere geistige Innovationstätigkeit in diesem wichtigen Feld öffentlicher Verantwortung.
Es ist schwierig, den Bestand von Rechtsnormen zurückzuführen, für die alle es einmal - häufig in diesem Haus vorgetragene - gute und ausführliche Begründungen gegeben hat. Um so intensiver sollte in Zukunft bei der Verabschiedung gesetzlicher Regeln Sorgfalt auf die Gesetzesfolgenabschätzung gelegt werden: Was vom Aufwand kommt unten an - nicht nur an finanziellem Aufwand in der Staatskasse, son-
Bundesminister Manfred Kanther
dem auch an Regelungsaufwand in der Behörde oder an Vollzugsaufwand, zum Beispiel an Leidensdruck bei kleinen und mittleren Unternehmungen? Wir werden diesen Gedanken noch verstärkt in der Geschäftsordnung der Bundesregierung verankern.
In den Gesamtkontext unseres Themas gehören viele weitere Fragen, die ich hier nur andeuten kann, zum Beispiel die Überprüfung der Statistik. Schon das erste Zugreifen hat ergeben, daß wir viele Statistiken und Millionen von Mark einsparen können. Es hat aber gerade in den letzten Tagen ein Echo gegeben:
Nicht nur wenn wirtschaftliche oder soziale Besitzstände angetastet sind, auch wenn die bürokratischen Besitzstände angetastet werden, regt sich Widerspruch und muß dann intensiv überwunden werden, durch Überzeugungsarbeit und richtige Entscheidungen in der Sache. Ich werde dabei bleiben, daß der Statistikaufwand in diesem Land und der in der Europäischen Union, die von dem Gedanken der Statistik geradezu besessen ist, gleichermaßen zu überprüfen sind.
Überhaupt müssen wir das Thema „Bürokratie aus Europa" ernst nehmen und an jeder Stelle, an der wir darauf stoßen, mit unseren Möglichkeiten reduzieren.
Meine Damen, meine Herren, die vor uns liegenden Aufgaben sind umfassend und vielfältig. Sie müssen vor allem zugleich angepackt werden. Das verlangt politischen Führungsmut, möglichst Gemeinsamkeit und beherzten Zugriff in der Praxis. Die Aufgabe „schlanker Staat" ist eine der schwierigsten, die angepackt werden muß; aber sie ist lösbar. Deshalb sollten wir das gemeinsam tun.
Danke sehr.