Rede von
Anke
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir Spitzenprodukte brauchen, brauchen wir eigentlich auch Spitzenpolitiker und keine Schaumschläger, wie Norbert Blüm sie hier heute repräsentiert.
Andererseits finde ich es ganz tapfer, daß sich der Arbeitsminister hierhertraut. Im übrigen hat die Bundesregierung hier heute gesessen und geschwiegen. Herr Bundesarbeitsminister, Sie sind nicht verantwortlich für die Arbeitslosen. Verantwortlich sind die Wirtschaftspolitik und die Finanzpolitik. Ich wundere mich, daß Sie sich diesen Schuh anziehen.
Mich hätte interessiert, was der Finanzminister und der Bundeskanzler sagen, wenn wir heute feststellen müssen: In Deutschland gibt es 4,3 Millionen Arbeitslose, 11 Prozent im Westen, 17 Prozent im Osten; der höchste Stand im Februar seit Kriegsende. Und der Bundeskanzler sitzt da und schweigt oder unterhält sich in den hinteren Reihen über andere Dinge. Ich finde das unerträglich.
Ich war auch einmal Bundesgeschäftsführerin der SPD. Ich nehme an, daß Sie gestern abend zusammengesessen und gedacht haben: Jetzt haben wir eine ganz tolle Strategie; jetzt hauen wir auf Rot-Grün ein. Sie haben dabei allerdings gar nicht gemerkt, wie viele Arbeitslose wir in unserem Land haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie hier sonst eine so dümmliche Diskussion anfangen würden.
In welcher Gesellschaft leben Sie eigentlich? Spüren Sie nicht, daß sich die Bürger dieser Gesellschaft, wenn sie wirtschaftspolitisch aktiv werden wollen, für eine Reform von sozialen, ökologischen und wirtschaftspolitischen Programmen verbünden müssen, um die Zukunft miteinander gestalten zu können?
Glauben Sie wirklich, daß Sie mit Ihrer rückwärts gerichteten Politik auch nur einen zusätzlichen Arbeits-
Anke Fuchs
platz schaffen? Sie verhindern doch, daß Dynamik in die wirtschaftliche Entwicklung hineinkommt.
Sie verhindern doch, daß es mit einem ökologischen sozialen Umbau vorangeht.
Deswegen sage ich zu den Themen, die hier angesprochen wurden - Eckart Kuhlwein hat völlig recht -: Lieber allein Rot als Rot-Grün. Wir wünschen, in Schleswig-Holstein allein weiterregieren zu können.
Wir würden es auch gern in Nordrhein-Westfalen tun. Wir geben dieses Ziel auch nicht auf.
Volksparteien haben ihre Probleme mit Koalitionspartnern.
Volksparteien müssen auf kleine Koalitionspartner Rücksicht nehmen, weil die immer erst ihre eigene Klientel bedienen müssen. Davon können Sie doch ein Lied singen, Herr Bundeskanzler. Das ist bei den Grünen so, das ist bei der F.D.P. so. Deswegen muß man lernen, wie man miteinander zurechtkommen kann. Das beste ist immer, man hat eine eigene Position, tritt mit der eigenen Position an die Wählerinnen und Wähler heran. Das werden wir Sozialdemokraten in den vor uns liegenden Wahlkämpfen tun. Deswegen sind wir zuversichtlich, daß wir bei den kommenden Wahlen gut abschneiden.
Ich will nicht alles wiederholen, aber daran erinnern, daß Nordrhein-Westfalen das dichteste Autobahnnetz, die meisten Programme zur Wohnungspolitik und die meisten Unternehmen im Bereich der Biotechnologie hat. Hören Sie doch mit diesem Schwarzer-Peter-Spiel auf: Die einen sind dafür, die anderen sind dagegen. Es geht im Grunde - das, was wir hier heute veranstalten, ist eigentlich traurig - um die Frage: Wie organisieren wir gemeinsam den Zusammenhalt unserer Gesellschaft in einer Zeit mit steigender Arbeitslosigkeit?
- Herr Hörster, es wird nicht so gehen, wie Sie es hier heute morgen veranstaltet haben. Ich komme gleich noch auf unsere Vorschläge zurück.
Ich will Ihnen sagen: Ich mache mir Sorgen um die demokratische Entwicklung. 4,3 Millionen Arbeitslose - das sind Menschen ohne Arbeit - belasten den Staat mit 160 Milliarden DM. Wie wollen wir diese 160 Milliarden DM eigentlich ohne eine gemeinsame Strategie zu mehr Beschäftigung aufbringen? Etwa so, wie der Präsident des DIHT meint: durch Sparen? Etwa - da sind wir in der Tat anderer Auffassung,
Herr Norbert Blüm - durch Sozialabbau? Noch mehr sparen, noch mehr Binnenkaufkraft wegnehmen, noch mehr Betriebspleiten im Einzelhandel? Meine Damen und Herren, Sie haben die Dramatik der ökonomisch-finanziellen Auswirkungen dieser Massenarbeitslosigkeit überhaupt nicht in Ihren Köpfen und Herzen.
Dann haben Sie wieder Hessen angesprochen. Hessen hat übrigens die kürzesten Genehmigungsdauern. Bayern - Herr Kollege Waigel ist gerade nicht da - hat die längste Dauer von Genehmigungsverfahren.
Ich habe sämtliche Unterlagen dabei, weil wir uns ja auf Ihre eigenartigen Vorwürfe vorbereitet haben. Die Länder sagen uns, daß sie ihre eigenen Genehmigungsverfahren verkürzt haben, wie es nur irgend ging. Aber wenn es um baurechtliche Zustimmungen geht, dann sind die Baugesetze des Bundes so hinderlich.
Darin liegen die Verzögerungen in den Genehmigungsverfahren. Also entrümpeln Sie endlich einmal die Baugesetze, damit schneller gebaut werden kann.
Was also muß geschehen? Ich möchte noch einmal auf ein paar ökonomische Punkte kommen, da wir im Endeffekt ja wohl doch miteinander zurechtkommen und uns fragen müssen, ob der Bundeskanzler, der hier sitzt und schweigt, mit uns gemeinsam der Auffassung ist, daß etwas getan werden muß, um Dynamik in die wirtschaftliche Entwicklung zu bringen.
: Mit den
Grünen?)
- Im Moment rede ich nicht mit Ihnen, Herr Kollege.
Wenn Sie endlich unsere Vorschläge aufnehmen, könnten wir in diesem Bundestag eine ganze Menge tun, um die Rahmenbedingungen - das haben Sie völlig zu Recht gesagt, Herr Doss - zu verbessern. Für die Arbeitsplätze ist die unternehmerische Wirtschaft zuständig; da haben Sie völlig recht. Es ist nicht Aufgabe des Staates, für Arbeitsplätze zu sorgen. Gleichwohl müssen die Rahmenbedingungen stimmen.
Ich lerne heute von Ihnen, Herr Hörster, daß auch Sie begriffen haben, daß öffentliche Infrastrukturmaßnahmen etwas mit Arbeitsplätzen zu tun haben. Also lesen Sie doch den Haushalt und nehmen Sie zur Kenntnis, daß Sie es sind, die im Verkehrssektor 2,3 Milliarden DM gestrichen haben,
Anke Fuchs
daß Sie es sind, die im Bau- und Wohnungswesen 600 Millionen DM gestrichen haben! Nehmen Sie doch zur Kenntnis, daß Sie mit Ihrer Haushalts- und Finanzierungspolitik dazu beigetragen haben, daß Infrastrukturmaßnahmen zurückgestellt und gestreckt werden! Deswegen sind Sie für dieses Steigen der Arbeitslosenzahlen verantwortlich.
Jeder, der im Baubereich etwas zu sagen hat - Herr Hinsken, Sie erfahren es, wenn Sie mit Kolleginnen und Kollegen reden -, weiß, daß 250 000 Bauarbeiter durch Ihre Schlechtwettergeldregelung arbeitslos geworden sind, weil die Bauarbeitgeber die Leute entlassen und zum Arbeitsamt schicken, die vereinbarten Regelungen aber nicht anwenden. 250 000 Arbeitslose auf Grund Ihrer Veränderung des Schlechtwettergeldes! Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
Dynamik ist mein Thema. Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie, daß Sie mit mir darüber nachdenken, welche Instrumente wir in der Geldpolitik haben, um die Spielräume für mehr Dynamik auszuloten. Es kann doch nicht so bleiben, daß durch eine Überbewertung der D-Mark in Europa die Dynamik der Wirtschaft blockiert wird. Hier bedarf es des Druckes auf die Bundesbank, hier bedarf es aber auch abgestimmter Verfahren in der Europäischen Union. Meine Bitte ist: Dies alles wird nur funktionieren, wenn die deutsche Politik initiativ wird. Herr Waigel müßte längst mit seinen Finanzministerkollegen zusammensitzen und die Frage aufwerfen, wie wir mit einer europäisch kooperierenden Geldpolitik die Dynamik in die wirtschaftliche Entwicklung bringen können, die heute Hauptursache dafür ist, daß wir so viele Arbeitslose haben, meine Damen und Herren.
Zu den Rahmenbedingungen gehört auch die Frage nach kleinen und mittleren Unternehmen. Sie haben doch unsere Anträge alle abgelehnt. Sie wollen sich doch nicht für einen erleichterten Zugang von Unternehmen zu Risikokapital einsetzen. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Sie lesen offensichtlich unsere Initiativen nicht: Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, mehr tun für Forschung und Technologie. Ich will dies nicht alles wiederholen; aber es ist allmählich ein eigenartiges Spiel, daß Sie all unsere Initiativen ablehnen und dann immer so tun, als hätten wir keine Vorschläge. Deswegen sage ich noch einmal: Kleine und mittlere Betriebe sind die wichtigsten Faktoren, um für wirtschaftliche Dynamik zu sorgen. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Nun handeln Sie doch endlich und übernehmen Sie wenigstens einen Teil davon! Herr Kollege Hinsken, Sie sind doch in dieser Frage gar nicht so weit von uns entfernt.
Dann kommt die spannende Frage, was wir arbeitsmarktpolitisch machen. Ich nenne nur das Stichwort Entsendegesetz. Wir haben ihm zugestimmt.
Aber es muß doch jetzt Druck auf die Arbeitgeberverbände gemacht werden, die sich der Allgemeinverbindlichkeit entziehen. Ich habe den Eindruck, daß sich die unternehmerische Wirtschaft eher aus dem „Bündnis für Arbeit" verabschiedet hat, als mit eigenen Initiativen wirklich dafür zu sorgen, daß wir den Arbeitsmarkt stabilisieren und festigen, meine Damen und Herren.